Aktuelle Urol 2007; 38(2): 90-92
DOI: 10.1055/s-2007-973918
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Chemotherapie bei Hodenkrebs - Vaterschaft bleibt möglich

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Publication Date:
28 March 2007 (online)

 
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Dank moderner Chemotherapie auf Cisplatinbasis kann heute ein Großteil der Hodenkrebspatienten geheilt werden und, so die Ergebnisse einer englischen Studie, auch später noch Vater werden. Die Londoner Gruppe um Huddart befragten dazu 680 Langzeitüberlebende, die zwischen 1982 und 1992 aufgrund der Diagnose Hodenkrebs eine entsprechende Therapie erhalten hatten. British Journal of Cancer, 2005; 93: 200-207

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Trotz Chemotherapie und/oder Strahlentherapie bleibt bei etwa 20 % der Hodentumorpatienten die Fruchtbarkeit erhalten (Bild: stockbyte).

Der Fragebogen behandelte neben dem allgemeinen Gesundheitszustand und der Lebensqualität der Patienten insbesondere auch Fragen zu Fruchtbarkeit und Sexualleben nach der Therapie. Die Patienten wurden je nach Therapie in vier Gruppen unterteilt: Orchiektomie allein (169 Patienten; Referenzgruppe zur Dokumentation der Auswirkungen von Chemo- bzw. Strahlentherapie), Chemotherapie (272 Patienten), Strahlentherapie (158 Patienten) oder eine Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie (81 Patienten). Der Hormonstatus der Patienten (LH, FSH und Testosteron) wurde zusätzlich dokumentiert.

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Mehr Vaterschaften in der Referenzgruppe

34% der Patienten aus der Referenzgruppe waren nach ihrer Diagnose Vater geworden, im Vergleich zu 18-21 % der Patienten, die Chemo- und/oder Strahlentherapie erhalten hatten. 77 % zeugten auf natürlichem Wege Nachwuchs, 5 % nach einer Fruchtbarkeitsbehandlung (Insemination bzw. In-vitro-Fertilisation). Aus der Referenzgruppe hatten 6 % der Patienten erhöhte LH-Werte, 41 % erhöhte FSH- und 11 % niedrige Testosteronwerte. Wenngleich gering, verschlechterte sich die hormonelle Funktion durch zusätzliche Chemo- und/oder Strahlentherapie. So waren niedrige Testosteron-Werte häufiger nach kombinierter Chemo-/Strahlentherapie (37 %) zu finden, anormale FSH-Werte häufiger nach alleiniger Chemotherapie (49%); anormale LH-Werte fanden sich bei 11% der Patienten nach Strahlentherapie und bei 10% nach Chemotherapie. Jede Form der Therapie (Chemo- und/oder Strahlentherapie) beeinflusste das Sexualleben der Patienten negativ und erhöhte das Risiko für Unfruchtbarkeit.

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Fazit

Eine hormonelle Dysfunktion ist bei Hodenkrebspatienten häufig schon zum Zeitpunkt der Diagnose vorhanden, und eine Therapie hat meist zusätzlich schädliche Auswirkungen, so die Autoren. Insbesondere die Chemotherapie beeinträchtigt die Funktion der Keimdrüsen und verschlechtert dadurch die Lebensqualität der Patienten. Dennoch bleibt bei den meisten Betroffenen trotz Chemo- und/oder Strahlentherapie die Fruchtbarkeit erhalten. Eine Kontrolle der Hormonwerte sollte aber für Hodenkrebspatienten die Regel sein.

Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas

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Kommentar

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F. Roos

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Frage nach Fertilität von Hodentumorpatienten von großer Bedeutung

Patienten mit Hodentumor können heute sogar in fortgeschrittenen Stadien zu einem hohen Prozentsatz geheilt werden. Demzufolge spielen langfristige Nebenwirkungen der Therapie wie ihre gonadale Toxizität für die Familienplanung der überwiegend jungen Patienten eine wesentliche Rolle. Die reproduktive Gesundheit des Mannes kann sowohl durch Chemo- als auch durch Radiotherapie oder operative Intervention beeinträchtigt werden. Zum Vergleich der Fertilitätsrate, der Lebensqualität und der langfristigen Nebenwirkungen haben Huddart et al. 680 Patienten in vier Gruppen (Orchiektomie alleine oder mit Surveillance, Chemotherapie, Radiotherapie oder Chemotherapie und Radiotherapie) eingeteilt. Der Hormonstatus (FSH, LH und Testosteron) konnte bei 367 Patienten mit präoperativen Daten (vor Orchiektomie) verglichen werden.

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Fertilität

Bei Hodentumorpatienten besteht bereits zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eine Einschränkung der Spermatogenese mit einer Azoospermie bei 2-17 % und einer Oligozoospermie bei 50-60 % der Patienten. Ein vor der Therapie (RPLA, Radiotherapie oder Chemotherapie) erhobenes Spermiogramm bietet zusammen mit einer basalen Hormondiagnostik die Möglichkeit, das Fertilitätspotenzial der Männer und die postinterventionelle Erholung der Spermatogenese einzuschätzen. So korreliert erhöhtes FSH mit einer Abschwächung der Spermatogenese (Jacobsen et al. 2002). Eine Erholung der Spermatogenese nach Radiotherapie wird nach 18 Monaten bis zu 6 Jahren beschrieben. Nach Chemotherapie normalisieren sich die Fertilitätsparameter (Spermiogramm und FSH-Werte) nach etwa drei Jahren wieder. Trotzdem sollte die Möglichkeit der Kryokonservierung der Spermien vor Therapieeinleitung mit jedem Patienten besprochen werden (Agarwal et al. 2005). In der vorliegenden Arbeit wurde der Hormonstatus vor und nach der Therapie ermittelt. Hierbei zeigten sich Testosteron und LH vermindert und FSH erhöht. Gleiche Beobachtungen machte auch eine andere Arbeitsgruppe bezüglich Surveillance versus Chemotherapie (Lackner et al. 2005). Ein Spermiogramm wurde in der vorgestellten Arbeit jedoch bei keinem der evaluierten Patienten durchgeführt.

Bei 77 % von 200 Patienten mit Kinderwunsch ging dieser nach Therapie in Erfüllung. Diese Geburtsrate deckt sich mit anderen Beobachtungen, bei denen 71% der Versuche erfolgreich waren (Brydoy et al. 2005). Allerdings waren die Patienten, die sich einer Radio- oder Chemotherapie unterzogen, erwartungsgemäß weniger erfolgreich (70 %).

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Lebensqualität

In einer großen Literaturrecherche zeigte sich, dass sich die sexuelle Funktion der therapierten Patienten nicht von der männlichen Normalbevölkerung unterschied. Allerdings war die Ängstlichkeit erhöht (Dahl et al. 2005). Zur Evaluierung der Lebensqualität wurde der EORTC Qly C 30 verwendet, der sechs Fragen bezüglich der sexuellen Funktion und Befriedigung sowie zwei weitere Fragen bezüglich Vaterschaft und Männlichkeitsempfindung stellt. Huddart et al. fanden heraus, dass tendenziell die Surveillance-Gruppe gegenüber den anderen Therapiegruppen eine höhere sexuelle Funktion zeigte. Niedrige Testosteronspiegel waren mit einer verringerten Lebensqualität bezüglich der sozialen und physischen Rolle des Mannes verbunden.

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Nebenwirkungen

Ein erniedrigter Testosteronwert war in dieser Studie mit einem erhöhten Body-Mass-Index (BMI) und einem diastolischen und systolischen Hypertonus assoziiert. Sagstuen et al. (2005) verglichen chirurgisch therapierte Patienten mit chemotherapierten und fanden ebenfalls einen Hypertonus und einen erhöhten BMI. Die Toxizität der Chemotherapie ist in mehreren Studien untersucht und ihr kardio- und nephrotoxisches Potenzial belegt (Chaudhary et al. 2003). Inwieweit dies auf einen verringerten Testosteronspiegel oder die Dosis der Chemotherapie zurückzuführen ist, bleibt noch zu klären.

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Testosteronspiegel wichtiger Parameter

Die hier vorgestellte Arbeit unterstreicht, dass es wichtig ist, den Hormonstatus vor der Therapie zu erheben. Sie zeigt zudem, dass die Lebensqualität der Patienten in enger Verbindung zum Testosteronspiegel steht. Ob dies bereits eine Substitutionstherapie rechtfertigt, bleibt in prospektiven Studien noch zu klären. Ob die Substitution von Testosteron während der Rekonvalenszenzzeit zwischen drei und sechs Jahren nach der Therapie das kardiovaskuläre Risiko senken kann, bleibt ebenfalls zu prüfen. Wünschenswert wäre noch der zusätzliche Vergleich mit einer Patientengruppe gewesen, die sich einer RPLA unterzogen hat, da hier der Verlust der Ejakulationsfähigkeit und die Auswirkungen einer anschließenden Chemotherapie bei positiven Lymphknoten auf die Fertilität eine Rolle spielt (Hartmann et al. 1999).

Literatur beim Autor

Dr. Frederik Roos, Mainz

 
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Trotz Chemotherapie und/oder Strahlentherapie bleibt bei etwa 20 % der Hodentumorpatienten die Fruchtbarkeit erhalten (Bild: stockbyte).

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F. Roos