Rofo 2007; 179(3): 329-330
DOI: 10.1055/s-2007-972196
Mitteilungen der DRG

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Keine Abrechnungsbefugnis in der GKV aufgrund Zusatzbezeichnung

Abrechnung von Röntgenaufnahmen und chirotherapeutischen Eingriffen an der Halswirbelsäule durch HNO-Arzt mit der Zusatzbezeichnung Chirotherapie
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Rechtsanwälte Wigge, Münster

RA Dr. Peter Wigge
RA Anke Harney

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Publication Date:
20 March 2007 (online)

 
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Hals-Nasen-Ohren-Ärzte, die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und zur Führung der Zusatzbezeichnung Chirotherapie berechtigt sind, haben keinen Vergütungsanspruch gegen ihre zuständige Kassenärztliche Vereinigung für die Durchführung von Röntgenaufnahmen und chirotherapeutischen Eingriffen an der Halswirbelsäule. Dies entschied das Bundessozialgericht mit Urteil vom 22.03.2006, (Az.: B 6 KA 75/04 R) unter Hinweis auf die Fachfremdheit der ärztlichen Leistung.

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Fachgebietsfremdheit führt zum Abrechnungsausschluss

Ein als HNO-Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Arzt, der zur Führung der Zusatzbezeichnung Chirotherapie berechtigt ist, verklagte die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen auf Vergütung ärztlicher Leistungen. Er hatte Röntgenaufnahmen und chirotherapeutische Eingriffe an der Halswirbelsäule vorgenommen. Sowohl die Röntgenaufnahmen als auch die chirotherapeutischen Eingriffe wurden dem HNO-Arzt zunächst von der Kassenärztlichen Vereinigung nach der Nr. 5032 und der Nr. 3210 des EBM-Ä (in der bis zum 31.05.2005 geltenden Fassung) vergütet. Nachdem das Landessozialgericht Niedersachsen jedoch in einer Entscheidung davon ausgegangen war, dass die genannten Leistungen für HNO-Ärzte mit der Zusatzbezeichnung Chirotherapie als fachfremd zu beurteilen sind, teilte die Kassenärztliche Vereinigung in einem Rundschreiben allen HNO-Ärzten mit, dass diese Leistungen in Zukunft nicht mehr vergütungsfähig seien.

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Fachgebietskonformität richtet sich nach Weiterbildungsordnung

Das Bundessozialgericht stellt fest, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen die Aufgabe der sachlich-rechnerischen Richtigstellung von Honorarabrechnungen haben und damit auch die Befugnis ärztliche Leistungen von der Honorierung auszuschließen. Für fachfremde Leistungen könnten Ärzte keine Vergütung beanspruchen.

Welche ärztlichen Leistungen zu welchem Fachgebiet gehören bzw. zu diesem nicht gehören und daher als fachfremde Leistungen anzusehen sind, bestimmt sich nach dem Weiterbildungsrecht. Das Weiterbildungsrecht der Ärzte ist Landesrecht und beruht auf dem Heilberufs- und Kammergesetzes des jeweiligen Bundeslandes. Das Heilberufs- und Kammergesetz ermächtigt die Ärztekammern eine Weiterbildungsordnung zu erlassen. Dort sind die Gebietsdefinitionen enthalten, die vorgeben, welche ärztlichen Leistungen welchem medizinischen Fachgebiet zuzuordnen sind. Konkretisiert wird dies in den Richtlinien der Landesärztekammern über den Inhalt der Weiterbildung.

Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts steht fest, dass Röntgenaufnahmen an der Halswirbelsäule sowie chirotherapeutische Eingriffe an der Halswirbelsäule für einen HNO-Arzt fachfremde Leistungen sind, da es sich hierbei nicht um Leistungen handelt, die für das Fachgebiet der HNO-Heilkunde prägend und wesentlich sind. Diese Leistungen sind daher für den Erhalt einer ausreichenden Lebensgrundlage eines HNO-Arztes nicht erforderlich.

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Keine Abrechnungsbefugnis in der GKV aufgrund Zusatzbezeichnung

Fraglich ist jedoch, ob das berechtigte Führen einer Zusatzbezeichnung - hier der Chirotherapie - nach der damals geltenden Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen dazu führt, dass die Gebietsgrenzen fachärztlicher Tätigkeit durch die Zusatzbezeichnung erweitert werden. Dies hätte zur Folge, dass ärztliche Leistungen, die im Rahmen der Zusatzbezeichnung erbracht werden, als zum Fachgebiet gehörend angesehen werden. Zumindest berufsrechtlich betrachtet könnten dann Röntgenaufnahmen an der Halswirbelsäule sowie chirotherapeutische Eingriffe an der Halswirbelsäule von einem HNO-Arzt durchgeführt werden, der über die Zusatzbezeichnung verfügt. Das Landessozialgericht als Vorinstanz des Bundessozialgerichts hat diese Rechtsauffassung vertreten. Das Bundessozialgericht steht dieser Auslegung offenbar kritisch gegenüber, hält sie aber zumindest für vertretbar. Diese Auslegung beschränkt sich allerdings auf die Frage der berufsrechtlichen Zulässigkeit der Erbringung dieser Leistungen.

Soweit es dagegen um die Frage geht, ob Röntgenaufnahmen an der Halswirbelsäule sowie chirotherapeutische Eingriffe an der Halswirbelsäule zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar sind, hat das Bundessozialgericht festgestellt, dass die Abrechenbarkeit gegen bundesrechtliche Vorgaben des Vertragsarztrechts verstößt. Das Bundessozialgericht verweist darauf, dass die bundesrechtlichen Regelungen zur Zulassung, zur Bedarfsplanung und zu den Zulassungsbeschränkungen in ihrer Zusammenschau verdeutlichen würden, dass der Bundesgesetzgeber von einer nach einzelnen ärztlichen Fachgebieten gegliederten ambulanten vertragsärztlichen Versorgung ausgeht. Dies ergäbe sich nunmehr auch ausdrücklich aus dem Auftrag an den Bewertungsausschuss zur Gliederung der in der fachärztlichen Versorgung abrechenbaren Leistungen nach den einzelnen Facharztgruppen. Deshalb enthielten die genannten Regelungen zugleich den bundesrechtlichen Grundsatz, dass Leistungen außerhalb des eigenen Fachgebietes nicht vergütungsfähig sind.

Das Bundessozialgericht stellt daher ausdrücklich klar, dass aus vertragsarztrechtlicher Sicht die berufsrechtliche Berechtigung zur Führung einer Zusatzbezeichnung für die Fachgebietskonformität oder Fachfremdheit einer Leistung ohne Belang ist. Insofern führe die Zusatzbezeichnung Chirotherapie eines HNO-Arztes nicht dazu, dass die nicht zu dem Fachgebiet der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde gehörenden chirotherapeutischen Eingriffe an der Halswirbelsäule sowie Röntgenaufnahmen an der Halswirbelsäule als Leistung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden können.

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Vereinbarkeit des Abrechnungsausschlusses mit Art. 12 GG

Die Bewertung der Leistungen als fachfremd hält das Bundessozialgericht auch mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG für vereinbar. Denn es handele sich lediglich um eine nicht statusrelevante Berufsausübungsregelung, da nur Leistungen betroffen seien, die nicht in den Kernbereich des Fachgebiets der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde fallen und die weder wesentlich noch prägend für dieses Fachgebiet sind. Ferner verweist das Bundessozialgericht auf die hinreichenden Gemeinwohlbelange, die den mit der Fachgebietsabgrenzung verbundenen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen. Denn das Ziel einer sachgerechten und klaren Abgrenzung der einzelnen ärztlichen Disziplinen sowie das mit der Bedarfsplanung verfolgte Ziel der Erhaltung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung stellten solche Gemeinwohlbelange dar. Insofern sei es nicht zu beanstanden, dass das Vertragsarztrecht im Einzelfall gegenüber dem Berufsrecht weiterreichende Einschränkungen vorsieht.

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Bedeutung für Zusatzweiterbildung MRT

Mit dem Urteil hat das Bundessozialgericht erneut seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die berufsrechtliche Berechtigung zur Führung einer Zusatzbezeichnung keinen Einfluss auf die Fachgebietskonformität bzw. die Fachfremdheit der ärztlichen Leistung hat und somit die Zusatzbezeichnung nicht dazu berechtigt, in diesem Bereich zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ärztliche Leistungen abzurechnen. Andernfalls könnte die nach Landesrecht erworbene Zusatzbezeichnung zu einer Erweiterung der abrechnungsfähigen vertragsärztlichen Leistungen führen.

Die Entscheidung des BSG hat über den hier entschiedenen Fall hinaus grundsätzliche Bedeutung für die Frage, welche Abrechnungsmöglichkeiten Zusatzbezeichnungen in der GKV gewähren. Insbesondere nach der Einführung der Zusatzweiterbildung fachgebundene Magnetresonanztomografie stellte sich bisher die Frage, ob zukünftig auch andere Fachgruppen als Radiologen MRT-Leistungen zulasten der GKV abrechnen können. Diese Frage dürfte aufgrund dieser Entscheidung zu verneinen sein.

In diesem Sinne hat das BSG am 11.10.2007 (Az.: B 6 KA 1/05 R) entschieden und die Erteilung einer Genehmigung zur Erbringung kernspintomografischer Leistungen zur Herzdiagnostik für einen Kardiologen abgelehnt. Sobald die ausführlichen Urteilsgründe dieser Entscheidung vorliegen, werden wir hierüber berichten.

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Rechtsanwälte Wigge, Münster

RA Dr. Peter Wigge
RA Anke Harney

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