Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2007; 14(4): 168-169
DOI: 10.1055/s-2007-1022650
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kann ein spezieller Nasenballon helfen? - Zur Prävention der Barotitis in der Druckkammer

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Publication Date:
18 January 2008 (online)

 
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Die eustachische Röhre (Tuba Eustachii) verbindet das Mittelohr mit dem Nasen-Rachen-Raum und ermöglicht den Druckausgleich zwischen Paukenhöhle und Außenluft. Ein ungehinderter Druckausgleich ist insbesondere bei den schnellen Luftdruckveränderungen in der Luftfahrt entscheidend, um ein sogenanntes Barotrauma zu vermeiden.

Ein Barotrauma ist eine infolge von schneller Luftdruckveränderung auftretende Gesundheitsbeeinträchtigung. Im engeren Sinne versteht man darunter eine Gesundheitsstörung, die durch die Druckänderung zwischen Körperoberfläche und der Paukenhöhle (Aerootitis) bedingt ist.

Bei einer üblichen Reiseflughöhe von zirka 12 000 Metern wird in der Kabine des Flugzeugs ein Druckniveau gehalten, das normalerweise dem Luftdruck einer Höhe von 2 300-2 600 Metern entspricht. Bekanntermaßen nimmt der atmosphärische Luftdruck mit zunehmender Höhe ab, sodass während des Steig- und Sinkfluges also ein Druckgefälle zwischen Außen(raum-)luft und Paukenhöhle entsteht.

Um die Problematik genau zu verstehen, muss man die physikalischen Gesetzmäßigkeiten beachten. Nach dem Gesetz von Boyle-Mariotte nimmt bei abnehmendem Druck das Volumen von Gasen zu. Da beim Einatmen die Luft angefeuchtet wird, ist zudem die Wasserdampfspannung zu berücksichtigen, die Volumenausdehnung ist exponentiell größer als im Vergleich zu trockenen Gasen [3].

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Wie entsteht ein Barotrauma?

Zwischen dem Start eines Passagierflugzeuges und dem Erreichen der Reiseflughöhe muss das Ohr rund 20 % seines Gasvolumens abgeben, um den erforderlichen Druckausgleich zu erzielen [9]. Beim Steigflug entsteht im Mittelohr ein relativer Überdruck oder positiver Druck, da der Luftdruck im Außenraum abnimmt und sich das Volumen der Luft in der Paukenhöhle ausdehnt. Der Druckausgleich erfolgt hier in der Regel relativ unproblematisch, weil die Luft aufgrund der anatomischen Form der eustachischen Röhre leicht entweichen kann.

Beim Landeanflug kommt es zum umgekehrten Prozess, durch die Erhöhung des Luftdrucks in der Kabine entsteht im Mittelohr ein Unterdruck oder negativer Druck, wodurch sich das Trommelfell nach innen wölbt. Das Ohr muss dabei rund 20 % (Luft-)Volumen wieder aufnehmen. Hier gestaltet sich der Druckausgleich schwieriger, da die eustachische Röhre wie ein Flatterventil arbeitet, wenn das Druckdifferenzial einen kritischen Level erreicht. Das ist der Fall, wenn ein Druckausgleich nicht alle acht bis neun Minuten während des Landevorgangs stattgefunden hat [1].

Das Risiko für eine Barotrauma ist insbesondere dann erhöht, wenn bei der Flugreise ein Infekt der oberen Atemwege besteht oder gerade abgelaufen ist [9]. Die Viren oder Bakterien verursachen (auch) in der Ohrtrompete eine Entzündung der Schleimhäute, die zu Schwellungen führt und deshalb den normalen Druckausgleich behindert.

Bei Kindern ist die Ohrtrompete noch so eng angelegt, dass sie bereits bei geringfügigen Entzündungen zuschwellen kann. Erschwerend kommt bei Kindern bis etwa zum achten Lebensjahr hinzu, dass durch das Vorliegen von Adenoiden (im Volksmund gerne als "Polypen" bezeichnet) per se die Belüftung der Ohrtrompete erschwert sein kann.

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Wie kann man dem Barotrauma entgegenwirken?

Der ungenügende Druckausgleich im Mittelohr gilt in der zivilen Luftfahrt als der häufigste Grund für ein Barotrauma [1], auch unter den synonymen Begriffen wie Aerotrauma oder Barotitis bekannt. Ein Barotrauma äußert sich durch starke Kopf- und Ohrenschmerzen, eine verschlechterte Hörfähigkeit und gelegentlich auch durch Erbrechen [5]. In seltenen Fällen kann sogar eine plötzliche Taubheit eintreten, verursacht durch das Zerreißen des runden Fensters (fenestra rotunda) [7], [8].

17 % der Übungsteilnehmer bei einer Flugsimulationen in der Druckkammer der U.S. Air Force entwickelten ein Barotrauma [4]. Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie bei Untersuchungen nach Flugreisen feststellte, lag die Häufigkeit eines Barotraumas bei 14 % [10].

Gerade beim Landeanflug ist es meist notwendig, den Druckausgleich aktiv zu unterstützen. Normalerweise wird dies schon durch Schlucken, Gähnen oder Kauen erreicht, da sich durch derartige Kieferbewegungen die Ohrtrompete öffnet. Viele Passagiere müssen jedoch gerade während des Sinkfluges mehrmals ein Valsalva-Manöver durchführen, um den Druckausgleich zu erzielen. Liegt eine Tubenfunktionsstörung vor, kann jedoch oft selbst das Valsalva-Manöver keine Abhilfe verschaffen - eine wirksame Behandlungsmethode ist erforderlich.

In diesem Zusammenhang wurde bereits mehrfach über den erfolgreichen Einsatz einer Auto-Inflations-Vorrichtung berichtet [10], [12], [13]. Wir haben die Wirksamkeit der Behandlung mit dem medizinischen Nasenballon Otovent® bei Untersuchungen in der Druckkammer überprüft.

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Untersuchung einer Auto-Inflations-Vorrichtung

An der Studie nahmen 37 Probanden teil, die sich in der fliegerischen Ausbildung befanden. Die Untersuchung wurde in einer Druckkammer durchgeführt, in der sonst die medizinischen Untersuchungen und die flugphysiologische Ausbildung im Rahmen der fliegerischen Ausbildung abgehalten werden. Die Teilnehmer der Untersuchung wurden angewiesen, während ihres Aufenthalts in der Druckkammer den medizinischen Nasenballon (Otovent®) aufzublasen.

Das System besteht aus einer Nasenolive, an der ein medizinischer Ballon befestigt wird. Bei der Anwendung wird die Nasenolive luftdicht an ein Nasenloch gehalten, während das andere Nasenloch mit einem Finger zugehalten wird. Während der Inflationsphase wird ein positiver Druck von 600 dPa in der Nase und dem Nasenrachen aufgebaut, welcher den Mittelohrdruck durch die eustachische Röhre ausgleichen kann. Der normalerweise benötigte Öffnungsdruck beträgt ungefähr 400 dPa [10].

Ursprünglich wurde der medizinische Nasenballon zur Verbesserung der Mittelohrbelüftung bei Kindern mit Tubenfunktionsstörungen und sekretorischer Otitis media entwickelt [11]. Sowohl beim chronischen Mittelohrleiden als auch beim Barotrauma kommt es zu einem negativen Mittelohrdruck.

Vor und nach dem Aufenthalt in der Druckkammer hat ein Hals-Nasen-Ohrenarzt die Ohren der Teilnehmer untersucht, wobei er unter anderem eine Otoskopie durchführte. Außerdem wurden die Teilnehmer um Angaben gebeten, ob sie während des Aufenthalts in der Druckkammer Schmerzen in den Ohren oder im Sinusbereich verspürten und ob die Drucksymptome durch die Verwendung des medizinischen Nasenballons positiv oder negativ beeinflusst wurden.

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Drucksymptome durchweg positiv beeinflusst

Wie die Auswertung der Teilnehmerbefragung ergab, beklagten 64 % das Auftreten von Ohrenschmerzen während des Aufenthalts in der Druckkammer. Die Benutzung der Auto-Inflations-Vorrichtung beeinflusste die Drucksymptome nach Angaben der Teilnehmer durchweg positiv: Es fand ein Druckausgleich statt und die Ohrenschmerzen nahmen deutlich ab oder verschwanden ganz.

Weder vor noch nach dem Aufenthalt in der Druckkammer konnte bei den Teilnehmern bei der fachärztlichen Untersuchung, insbesondere nach den otoskopischen Befunden, Anzeichen für eine Barotitis festgestellt werden.

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Medizinischer Nasenballon effektiver als Valsalva-Manöver

Die Belüftung des Mittelohrs durch die Benutzung des medizinischen Nasenballons ist als eine effektive Behandlung von Tubenventilationsstörungen und Paukenergüssen bei Kindern anerkannt [11]-[13]. Der negative Mittelohrdruck ist die Gemeinsamkeit dieser chronischen Mittelohrleiden und der Barotitis, wenngleich der negative Druck beim Barotrauma binnen weniger Minuten entsteht.

Eine vor Kurzem veröffentlichte Studie über die Häufigkeit der Barotitis bei Flugreisen und deren Prävention zeigte, dass die Benutzung eines medizinischen Nasenballons für die Verhinderung eines Barotraumas sogar effektiver war als die Durchführung des Valsalva-Manövers. Selbst von den Flugreisenden, die den Druckausgleich nicht mittels des Valsalva-Manövers erreichten, konnten 69 % den Druckausgleich schließlich mithilfe des medizinischen Ballons erzielen [10].

Die Effektivität der Mittelohrbelüftung mit der Auto-Inflations-Vorrichtung zur Prävention einer Barotitis hat sich in unserer Untersuchung bestätigt. Während bei den Flugsimulationen in der Druckkammer bei der U.S. Air Force eine Barotitis bei 17 % der Übungsteilnehmer auftrat [4], konnte die Benutzung des medizinischen Nasenballons in unserer Untersuchung die Entstehung einer Barotitis bei 100 % der Teilnehmer verhindern.

Nicht jedermann ist in der Lage, das Valsalva-Manöver durchzuführen und dadurch den erforderlichen Druckausgleich zu erzielen. Zudem ist gerade beim Valsalva-Manöver - im Gegensatz zur Benutzung des medizinischen Nasenballons - bei Kindern keine Kontrolle möglich, ob es auch richtig durchgeführt wurde. Kleinkinder unter vier Jahren können den Nasenballon oft noch nicht selbst aufblasen. In diesem Fall können die Eltern den medizinischen Ballon aufblasen und die Luft beim Kind über die Nase einströmen lassen (Politzer-Verfahren), wodurch sich ebenfalls die eustachische Röhre öffnet und damit ein Druckausgleich entsteht.

Die Mittelohrbelüftung mithilfe eines medizinischen Nasenballons ist ein sicheres und effektives Verfahren zur Prävention einer Barotitis. Es kann bei Flugreisen insbesondere für Kinder und Erwachsene mit entsprechender Problematik ohne Einschränkung empfohlen werden.

Dr. Hans Brandl, Facharzt für Augenheil-kunde/Flugmedizin, Dr. Werner Kainzinger, Facharzt für HNO-Heilkunde; Fürstenfeldbruck

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Literatur

  • 01 Armstrong HG . Heim JW . The effect of flight on the middle ear.  J Am Med Assoc. 1937;  109 417-421
  • 02 Blanshard J . Maw A . Bawden R . Conservative treatment of otitis media with effusion by autoinflation of the middle ear.  Clin Otolaryngol. 1993;  18 188-192
  • 03 Frank PW . Flugphysiologie.  Z Ärztl Fortbild Qualitatssich. 1999;  93 476-479
  • 04 Hanna HH . Aviation aspects of otolaryngology. In: English GM (ed.) Otolarynology.  Philadelphia: J.B. Lippincott Co.. 1989;  51 1-17
  • 05 King P . Otic barotrauma.  Proc R Soc Med. 1975;  59 544-554
  • 06 Leunig A . Mees K . Mittelohrbelüftung mit dem Otovent®-Latexmembran-System.  Laryngo-Rhino-Otologie. 1995;  74 352-354
  • 07 Pullen FW . Rosenberg GJ . Cabeza CH . Sudden hearing loss in divers and fliers.  Laryngoscope. 1979;  89 1373-1377
  • 08 Pullen FW . Round window membrane rupture: a cause of sudden deafness.  Trans Am Acad Ophthalmol Otolaryngol. 1972;  76 1444-1450
  • 09 Sadé J . Ar A . Fuchs C . Barotrauma vis-a-vis the "chronic otitis media syndrome": two conditions with middle ear gas deficiency. Is secretory otitis media a contraindication to air travel?.  Ann Otol Rhinol Laryngol. 2003;  112 230-235
  • 10 Stangerup SE . Klokker M . Vesterhauge S . et al . Point prevalence of barotitis and its prevention and treatment with nasal balloon inflation: a prospective, controlled study.  Otol Neurotol. 2004;  25 89-94
  • 11 Stangerup SE . Sederberg-Olsen J . Balle V . Autoinflation as a treatment of secreto-ry otitis media. A randomized controlled study.  Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 1992;  118 149-152
  • 12 Stangerup SE . Tjernstorm O . Harcourt J . et al . Barotitis in children after aviation; prevalence and treatment with Otovent.  J Laryngol Otol. 1996;  110 625-628
  • 13 Stangerup SE . Tjernstorm O . Klokker M . Harcourt J . Stockholm J . Point prevalence of barotitis in children and adults after flight, and effect of autoinflation.  Aviat Space Environ Med. 1998;  69 45-49
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Literatur

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