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DOI: 10.1055/s-2006-958515
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Bei chirurgischen, internistischen und Tumorpatienten - Risiko Thromboembolie verpflichtet zur Prophylaxe
Publication History
Publication Date:
23 January 2007 (online)
- Chirurgische Patienten stadiengerecht antikoagulieren
- Nutzen prolongierter Prophylaxe nach einem Eingriff belegt
- Tumorassoziierte Thrombosen bergen eine hohe Gefahr
- Studienergebnisse sprechen für die Prophylaxe mit NMH
- Rezidivprophylaxe funktioniert, doch Zulassung fehlt noch
- Internistische Patienten profitieren von NMH
- Literatur
Die von einer Thrombusbildung ausgehende Gefahr darf keinesfalls unterschätzt werden. Eine tiefe Beinvenenthrombose kann schließlich nicht nur ein postthrombotisches Syndrom zur Folge haben, sondern auch zu einer - möglicherweise letal verlaufenden - Lungenembolie führen. Deshalb gilt es, gefährdete Patienten durch eine geeignete Prophylaxe vor der Entwicklung einer Thrombose zu schützen. Doch manche Patienten erhalten erst gar keine Prophylaxe, da ihr individuelles Risiko falsch eingeschätzt wird. Bei anderen ist die eingesetzte Dosierung zu gering oder die Dauer der Prophylaxe zu kurz.
#Chirurgische Patienten stadiengerecht antikoagulieren
Bei chirurgischen Patienten hängt das Risiko, postoperativ eine thromboembolische Komplikation zu entwickeln, von prädisponierenden (Tab. [1]) und expositionellen Faktoren ab [1]. Grundsätzlich gilt dabei: Je größer der Eingriff, desto höher ist auch das Risiko, dem der Patient ausgesetzt ist. Darüber hinaus spielt der Grad der Immobilisation eine Rolle.
Einen Hinweis darauf, dass Hochrisikopatienten auch eine Hochdosisprophylaxe benötigen, gibt es bereits seit gut zehn Jahren. Damals waren 2097 Patienten nach einer elektiven abdominellen Operation entweder einmal täglich subkutan mit 2500 oder 5000 I.E. Dalteparin pro Tag behandelt worden ([2]). In der Gruppe mit der höheren Dosierung traten signifikant weniger tiefe Venenthrombosen (TVT) auf (6,8 versus 12,7%). Hochrisikopatienten benötigen also eine Prophylaxe in hoher Dosierung.
Ob man diese prä- oder postoperativ beginnt, scheint eher einen geringeren Einfluss auf ihren Effekt zu haben, wie die NAFT[1]-Studie in ihrer Phase 1 dokumentierte [4], an der 1427 Patienten teilnahmen, die sich einer elektiven Hüfttotalendoprothetik unterzogen hatten. Ein Teil der Patienten erhielt vier oder mehr Stunden postoperativ 2500 I.E. Dalteparin, nach dem Eingriff wurde die Medikation über weitere sechs Tage in einer Dosierung von 5000 I.E fortgesetzt. Eine zweite Studiengruppe erhielt zusätzlich zu diesem Therapieschema zwei Stunden vor dem Eingriff 2500 I.E. des niedermolekularen Heparins.
Zur Kontrolle hatten die Studieninitiatoren zusätzlich eine dritte Studiengruppe eingerichtet, in der die Patienten über sieben Tage oral mit Warfarin antikoaguliert wurden, ein in den USA gängiges Vorgehen zur postoperativen Thromboseprophylaxe. In dieser Gruppe waren signifikant mehr tiefe Venenthrombosen zu verzeichnen als unter Dalteparin bei post- bzw. präoperativem Beginn (24,0 versus 13,1 bzw. 10,7%). Bezüglich proximaler Thrombosen zeigte sich kein Unterschied zwischen der prä- und postoperativen Gabe des niedermolekularen Heparins.
#Nutzen prolongierter Prophylaxe nach einem Eingriff belegt
Es gilt jedoch nicht nur, die Thromboembolieprophylaxe ausreichend zu dosieren, auch die Länge der Behandlung mit niedermolekularen Heparinen hat einen Einfluss auf die Prognose der Patienten. So war zum Beispiel in der Phase 2 der NAFT-Studie [5] die Thromboserate im Vergleich zur Kontrollgruppe, die in dieser Phase ein Plazebo erhielt, deutlich geringer, wenn die Dalteparintherapie (5000 I.E. täglich) über 28 Tage fortgesetzt wurde (22,2 bzw. 17,2 versus 36,7%).
Auch in der Abdominalchirurgie ist eine prolongierte Thromboembolieprophylaxe mit Dalteparin von Vorteil. Dies zeigte die FAME[2]-Studie [9], in der 343 Patienten nach einer größeren abdominellen Operation 5000 I.E. der Substanz über sieben oder über 28 Tage erhielten. Bei längerer Applikation lag die Gesamtinzidenz venöser thromboembolischer Ereignisse (VTE) bei 7,3%. Mit 16,2% waren unter der nur siebentägigen Gabe doppelt so viele Thromboembolien zu sehen. Die Rate proximaler tiefer Beinvenenthrombosen betrug nach einer siebentägigen Prophylaxe 8,0%, nach 28 Tagen nur 1,8%.
#Tumorassoziierte Thrombosen bergen eine hohe Gefahr
Erleiden Tumorpatienten eine tiefe Venenthrombose, steigt ihr Risiko zu versterben um das Dreifache. Dieses erhöhte Thromboembolierisiko ergibt sich aus mehreren Faktoren. Dazu zählen individuelle Basisrisiken, die der Kranke mit sich bringt, die Immobilisierung mit nachfolgender venöser Stase und chirurgische Interventionen, die ebenso wie Chemo- und Strahlentherapie zu Endothelschäden führen.
Eine wichtige Rolle spielt jedoch zusätzlich der Tumor selbst. Er kann eine venöse Kompression bedingen, die wiederum eine Stase hervorruft, sowie durch eine Gefäßinvasion eine Venenobstruktion verursachen. Außerdem sezernieren Tumorzellen prokoagulatorische Faktoren wie den "tissue factor", welche die Gerinnungskaskade aktivieren.
Makrophagen und Monozyten, die im Rahmen der Abwehrreaktion des Körpers gegen den Tumor aktiviert werden, treiben diese Vorgänge zusätzlich an. So setzen Monozyten Zytokine frei, die Endothelschäden auslösen, Makrophagen wiederum führen durch eine Gerinnungsaktivierung zur Hyperkoagulabilität. Hinzu kommt eine pathologische Angiogenese, die eine Störung der lokalen Hämodynamik bedingt.
#Studienergebnisse sprechen für die Prophylaxe mit NMH
Da chirurgische Interventionen bei Tumorpatienten mit einem doppelt so hohen Thromboserisiko verbunden sind wie vergleichbare Operationen ohne Vorliegen eines Malignoms, bedürfen diese Patienten einer entsprechenden, am besten prolongierten Hochrisikoprophylaxe, wie zum Beispiel hoch dosiertem Dalteparin (5000 I.E. täglich). Denn in der Bergqvist-Studie [2] konnte Dalteparin in dieser hohen Dosierung bei Malignompatienten, die sich einem abdominellen Eingriff unterziehen mussten, tiefe Venenthrombosen signifikant besser verhindern als in einer Dosis von nur 2500 I.E. (8,5 versus 14,9%).
Auch bei den Tumorpatienten war die prolongierte Gabe des niedermolekularen Heparins von Vorteil: In einer Subpopulation der FAME-Studie mit 198 Krebspatienten traten nach einer elektiven abdominellen Tumoroperation signifikant weniger venöse Thromboembolien auf, wenn Dalteparin über 28 statt lediglich sieben Tage appliziert wurde (8,8 versus 19,6%).
#Rezidivprophylaxe funktioniert, doch Zulassung fehlt noch
Zur Rezidivprophylaxe einer akuten proximalen tiefen Venenthrombose oder einer Lungenembolie bei Krebspatienten empfiehlt das "American College of Chest Physicians" (ACCP) Dalteparin. Grundlage dieser Empfehlung sind die Daten der CLOT[3]-Studie [7]. In Deutschland ist Dalteparin jedoch in dieser Indikation (noch) nicht zugelassen.
In der CLOT-Studie erhielten 676 Tumorpatienten mit akuter proximaler tiefer Venenthrombose bzw. mit Lungenembolie zunächst über fünf bis sieben Tage Dalteparin (200 I.E./kgKG/Tag). Anschließend wurde die Therapie über sechs Monate entweder mit Dalteparin (200 I.E./kg KG/Tag über vier Wochen, dann 150 I.E./kgKG/Tag) oder Warfarin fortgesetzt. Unter Dalteparin waren signifikant weniger Rezidive venöser Thromboembolien zu beobachten als unter dem oralen Antikoagulans, nämlich 8,0 versus 15,8%. Dies entspricht einer deutlichen Risikoreduktion um 52%.
#Internistische Patienten profitieren von NMH
Die dritte Patientengruppe, die von einer Thromboseprophylaxe mit niedermolekularen Heparinen profitiert, sind Patienten mit einer akuten internistischen Erkrankung, wie Herzinsuffizienz im Stadium III oder IV, Ateminsuffizienz, Infektionen, rheumatologischen Erkrankungen oder entzündlichen Darmerkrankungen. 3706 solcher Patienten, die darüber hinaus einen oder mehrere zusätzliche Risikofaktoren aufwiesen, waren in der PREVENT[4]-Studie entweder 14 Tage mit Dalteparin (5000 I.E./Tag) oder Plazebo behandelt worden [8].
Nach einem Beobachtungszeitraum von drei Wochen war nicht nur die Rate venöser Thromboembolien unter Verum signifikant niedriger als in der Kontrollgruppe (2,77 versus 4,96%), sondern auch die Zahl der Venenthrombosen ging signifikant zurück (2,12 versus 4,37%). Insgesamt führte die Hochrisikoprophylaxe mit Dalteparin zu einer hochsignifikanten Reduktion der Inzidenz klinisch relevanter Thromboembolien um 45%.
Schwere Blutungen traten in beiden Gruppen äußerst selten auf (0,49% unter Verum, 0,16% unter Plazebo), ein signifikanter Unterschied bestand nicht. Auch hinsichtlich der Mortalität ergab sich kein Unterschied zwischen den beiden Studienarmen (2,35 versus 2,32%).
Eine Dosisanpassung der Antikoagulation ist dabei weder bei adipösen noch bei älteren Patienten notwendig, so das Ergebnis einer Subanalyse [6] von PREVENT. Mit Ausnahme extrem Adipöser, die einen Body-mass-Index größer 40 aufwiesen, hatte keiner dieser Faktoren einen Einfluss auf die Wirksamkeit von Dalteparin bei akut erkrankten internistischen Patienten. Auch auf Blutungsrate, Mortalität und Inzidenz von Thrombozytopenien wirkten sich Alter und Body-mass-Index nicht aus.
Dr. Margarete Steinhorst, Mosbach
#Literatur
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03 low-molecular weight heparin versus a coumarin for the prevention of recurrent venous thromboembolism in patients with cancer
04 PRospective EValuation of dalteparin Efficacy for prevention of VTE in immobilized patieNts Trial
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