Der Klinikarzt 2006; 35(12): X-XI
DOI: 10.1055/s-2006-958514
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akute Rejektion, De-novo-Malignome und Nierenfunktion - Überleben von Patient und Transplantat im Auge behalten

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Publikationsdatum:
23. Januar 2007 (online)

 
Inhaltsübersicht

In den letzten Jahren hat sich der Fokus der Immunsuppression nach Transplantationen verändert. So stand bis vor einiger Zeit noch die Sorge vor akuten und auch chronischen Abstoßungsreaktionen im Vordergrund der Bemühungen und man suchte - durchaus erfolgreich - nach möglichst potenten immunsuppressiven (Kombinations-)Therapien. Die Transplantat- und Patientenüberlebensraten stiegen deutlich. Damit traten jedoch andere Probleme im Langzeitverlauf der lebenslangen Therapie, nämlich die Transplantatfunktion, die Infektionsrate und die Malignomrate, in den Fokus, die eine möglichst schonende Immunsuppression erforderlich machen.

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De-novo-Malignome entwickeln sich schneller als oft gedacht

"Allein in unserem Tumorzentrum behandelten wir im letzten Jahr 5000 transplantierte Patienten, 40% davon waren nierentransplantiert", berichtete C. Stockfleth, Berlin, von den Erfahrungen an der Charité in Berlin. "Wenn ein Patient unselektioniert zu uns in die Sprechstunde kommt, dann können wir in der Regel, nämlich zu 90%, davon ausgehen, dass er eine Hauterkrankung hat, die man auch behandeln muss. Wir sehen nicht nur viele Hautinfektionen durch Bakterien, Pilze und vor allem Viren, wie das Herpes- oder das humane Papillomavirus, sondern auch eine Menge Hauttumoren", berichtete Stockfleth.

Egal um welche Hauttumoren es sich handelt, das Risiko der organtransplantierten Patienten ist gegenüber dem der Normalbevölkerung deutlich erhöht: Relativ gering scheint dies bei den Melanomen oder Basalzellkarzinomen auszufallen, hier steigt nach Studiendaten aus dem Jahr 1996 das relative Risiko der Transplantierten "nur" um 5 respektive 10% [1]. Hier gilt es, sehr früh zu handeln, unbedingt zu exzidieren und eine histologische Randschnittkontrolle zu machen.

Das Risiko der Patienten, beispielsweise ein invasives Plattenepithelkarzinom oder ein Kaposi-Sarkom zu entwickeln, erhöht sich bei Organtransplantierten sogar um das 100- bzw. 500-fache [1]. Dazu kommt, dass diese Tumoren bei immunsupprimierten Patienten in bis zu 35% der Fälle metastasieren, während dies bei nichtimmunsupprimierten Personen nur bei etwa 3% der Patienten der Fall ist.

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Sonnenlicht meiden und Immunsuppression umstellen

Besonders betroffen sind dabei die Hautareale, die dem Sonnenlicht ausgesetzt sind oder bereits vorgeschädigt sind, also der Kopf, das Gesicht oder der Handrücken. Dies erklärt auch, warum transplantierte Kinder seltener Hauttumoren, sondern eher Lymphome entwickeln, die Inzidenz für Hauttumoren aber mit zunehmendem Lebensalter stetig steigt. "In der Gruppe der über 60-Jährigen sind praktisch 100% der Patienten betroffen", so Stockfleth.

Dabei erscheinen die Hautveränderungen zunächst typisch warzenähnlich. Dies sollte jedoch nicht als kosmetisches Problem missverstanden und daher von einer Therapie abgesehen werden. Denn relativ schnell sind diese nicht mehr von Krebsfrühformen zu unterscheiden.

Eine zentrale Rolle bei der Karzinomgenese spielen jedoch auch die Immunsuppressiva, erinnerte Stockfleth, die unterschiedlich in das Immunsystem eingreifen. Besonders gefährdet sind zum Beispiel Patienten unter einer cyclosporinhaltigen Immunsuppression. Neue Immunsuppressiva, wie zum Beispiel die mTOR-Inhibitoren (mTOR = mammalian target of rapamycin) wie Sirolimus, dagegen senken die Tumorgefahr deutlich. Und dabei geht es nicht nur um Hauttumoren, sondern auch um solide Tumoren - eine Tatsache, die nur allzu häufig in Vergessenheit gerät.

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Nicht nur Hauttumoren, auch solide Organtumoren seltener

"Im Schnitt haben Sie unter einer Immunsuppression mit einem Calcineurininhibitor innerhalb von drei Jahren eine De-novo-Malignomrate von fast 2%, davon sind aber 1% keine Hauttumoren", erinnerte J. Floege, Aachen, anhand der Daten des OPTN/UNOS[1]-Registers, in das Daten von immerhin 33000 Patienten einflossen (Abb. [1], [4]). "Unter einer Inhibition mit einem mTOR-Inhibitor wird diese Rate auf etwa ein Drittel reduziert. Und dies gilt interessanterweise nicht nur für Hauttumoren, sondern auch für andere solide Tumoren."

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So trat unter einer mTOR-Immunsuppression nur bei 0,6% der Patienten ein neuer Tumor (NPL) auf. Ohne mTOR-Inhibitor dagegen - unter einer reinen Calcineurininhibitor-Immunsuppression - war die Rate an De-novo-Malignomen mit 1,81% signifikant höher (p < 0,04). Dies entspricht einer Reduktion des relativen Risikos von immerhin 59% (p = 0,0003).

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Frühe Therapieumstellung bringt deutlichen Vorteil

Dies bestätigte jetzt auch eine aktuelle Studie von Campistol et al. [2]. Auch hier entwickelten nierentransplantierte Patienten nach einem frühen Ausschleichen von Cyclosporin - die immunsuppressive Therapie bestand dann nur noch aus Sirolimus und Steroiden - im Beobachtungszeitraum von nur fünf Jahren signifikant seltener Tumoren. Auch hier war ohne Cyclosporin nicht nur die Inzidenz der Hauttumoren signifikant geringer, die Patienten entwickelten auch deutlich seltener andere, solide Tumoren (4,0 versus 9,6%; p = 0,032). Darüber hinaus verlängerte sich die mediane Zeit bis zum ersten Auftreten eines Hauttumors von 491 auf 1126 Tage (p = 0,007).

Wie effektiv eine Umstellung auf eine sirolimusbasierte, cyclosporinfreie Immunsuppression sein kann, belegen auch andere aktuelle Publikationen. Demnach scheint es möglich, nicht nur die Entwicklung von (Haut-)Tumoren zu verhindern, sondern - insbesondere beim Kaposi-Sarkom - sogar eine erfolgreiche Behandlung zu ermöglichen [5]. "Gerade bei Patienten mit Kaposi-Sarkom stellen wir daher häufig die Immunsuppression auf Sirolimus um", meinte Stockfleth.

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Wann ist die Umstellung sinnvoll und sicher?

"Direkt nach der Transplantation scheint Sirolimus jedoch nicht das idealste Immunsuppressivum zu sein, wie die Zwölf-Monats-Ergebnisse der SYMPHONY-Studie vermuten lassen", warnte Flöge. Zwar schnitt in dieser Studie die sirolimusbasierte Immunsuppression in Kombination mit Mycophenolatmofetil, Steroiden und einer Daclizumab-Induktion bezüglich des Organüberlebens und dem Erhalt der Nierenfunktion ähnlich gut ab wie die meisten anderen geprüften Behandlungsoptionen. Die Rate akuter Abstoßungsreaktionen war jedoch - nicht ganz unerwartet - vergleichsweise hoch. "Doch nach drei Monaten sieht das ganz anders aus", betonte Floege und zeigte Ergebnisse, welche die RAP-09-Studiengruppe auf dem diesjährigen World Transplant Congress präsentierte.

Werden Transplantierte mit milder bis moderater Transplantatdysfunktion nach diesem Zeitraum von einem Calcineurininhibitor auf Sirolimus umgestellt, ist die akute, bioptisch gesicherte Rejektion demnach kein Thema mehr, so Floege. Und die glomeruläre Filtrationsrate war über die nächsten zwölf Monate unter Sirolimus signifikant besser. Praktisch identische Ergebnisse brachte auch die CONVERT-Studie, bei der die Umstellung allerdings frühestens sechs Monate nach der Transplantation erfolgte.

"Offensichtlich muss man also sehr fein differenzieren", so Floege, "zwischen einer ganz frühen, hoch abstoßungsgefährdeten Phase nach der Transplantation und allem, was danach kommt." Eine frühe Umstellung auf ein mTOR-basiertes Therapieschema scheint jedoch von Vorteil zu sein.

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Was ist bei der Umstellung auf Sirolimus zu beachten?

Die Indikation für die Umstellung der Patienten von einem Calcineurininhibitor auf Sirolimus ist Floeges Erfahrung nach gegeben bei:

  • calcineurininhibitorinduzierten Nebenwirkungen (Blutdruckanstieg, Nephrotoxizität, Diabetes)

  • "creeping creatinine"

  • schwerer Hypertonie

  • dem Auftreten von (Haut-)Tumoren.

"Unserer Erfahrung nach bessert sich das Kreatinin nach der Umstellung von Sirolimus hochsignifikant", betonte Floege. Dabei ist jedoch das Ausgangskreatinin zu beachten: Denn im Rahmen einer Studie haben sich zwei Patientengruppen herauskristallisiert, die von einer Umsetzung profitieren [3]. Dies sind zum einen Transplantierte mit einem Kreatinninwert unter 3 mg/dl bzw. einer gomerulären Filtrationsrate von über 40 ml/min und zum anderen Patienten mit einer Proteinurie, die unter 1 g/Tag liegt.

"Wenn Sie also umstellen, dann eher früh und die Patienten, die noch nicht höhergradig proteinurisch sind", empfahl Floege und verwies dazu auf eine Konsensusempfehlung aus dem letzten Jahr. Demnach sollte man bei der Umstellung Azathioprin und vor allem das Mycophenolatmofetil sowie den Calcineurininhibitor aufgrund von potenziell möglichen Wechselwirkungen mit Sirolimus auf die Hälfte reduzieren. Sobald die Sirolimus-Zielspiegel erreicht sind (5-10 ng/ml) kann dann der Calcineurininhibitor ganz abgesetzt werden.

sts

Quelle: Satellitensymposium "Neues aus der Transplantationsmedizin" im Rahmen des Kongresses der Gesellschaft für Nephrologie, veranstaltet von der Wyeth Pharma GmbH, Münster

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Literatur

  • 01 Bouwes Bavinick JN . Hardie DR . Green A . et al . The risk of skin cancer in renal transplant recipients in Queensland, Australia. A follow-up study.  Transplantation. 2006;  61 715-721
  • 02 Campistol JM . Eris J . Oberbauer R . et al . Sirolimus therapy after early cyclosporine withdrawal reduces the risk for cancer in adult renal transplantation.  J Am Soc Nephrol. 2006;  17 581-589
  • 03 Diekmann F . Budde K . Oppenheimer F . et al . Predictors of success in conversion from calcineurin inhibitor to sirolimus in chronic allograft dysfunction.  Am J Transplant. 2004;  4 1869-1875
  • 04 Kaufmann HM . Cherikh WS . Cheng Y . et al . Maintenance immunosuppression with target-of-rapamycin inhibitors is associated with a reduced incidence of de novo malignancies.  Transplantation. 2005;  80 883-889
  • 05 Stallone G . Schena A . Infante B . et al . Sirolimus for Kaposi's sarcoma in renal-transplant recipients.  N Engl J Med. 2005;  352 1317-1323

01 Organ Procurement and Transplant Network / United Network for Organ Sharing

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Literatur

  • 01 Bouwes Bavinick JN . Hardie DR . Green A . et al . The risk of skin cancer in renal transplant recipients in Queensland, Australia. A follow-up study.  Transplantation. 2006;  61 715-721
  • 02 Campistol JM . Eris J . Oberbauer R . et al . Sirolimus therapy after early cyclosporine withdrawal reduces the risk for cancer in adult renal transplantation.  J Am Soc Nephrol. 2006;  17 581-589
  • 03 Diekmann F . Budde K . Oppenheimer F . et al . Predictors of success in conversion from calcineurin inhibitor to sirolimus in chronic allograft dysfunction.  Am J Transplant. 2004;  4 1869-1875
  • 04 Kaufmann HM . Cherikh WS . Cheng Y . et al . Maintenance immunosuppression with target-of-rapamycin inhibitors is associated with a reduced incidence of de novo malignancies.  Transplantation. 2005;  80 883-889
  • 05 Stallone G . Schena A . Infante B . et al . Sirolimus for Kaposi's sarcoma in renal-transplant recipients.  N Engl J Med. 2005;  352 1317-1323

01 Organ Procurement and Transplant Network / United Network for Organ Sharing

 
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