Der Klinikarzt 2006; 35(11): XVI-XVII
DOI: 10.1055/s-2006-958478
Medizin & Management

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In einer "neuen" Rolle - Klinikärzte konzentrieren sich auf ihre originären Aufgaben

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Publication Date:
29 November 2006 (online)

 
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Viele von Ihnen haben sich bestimmt schon oft die Frage gestellt, warum für Tätigkeiten wie Braunülen legen, die Kodierung von Abrechnungsziffern oder diverse bürokratische Aufgaben ein Studium von zwölf Semestern mit anschließender Weiterbildungszeit erforderlich sein soll. Ärzte verbringen einen Großteil ihres Arbeitsalltages mit patientenfernen Tätigkeiten, für die sie im Grunde nicht ausgebildet wurden und die zudem nicht zwingend von ihnen erledigt werden müssen. Vor allem aber bleibt dadurch für die ärztliche Behandlung der Patienten meist zu wenig Zeit - und dies führt bei vielen Ärzten zu geringer Arbeitszufriedenheit und auch zu Demotivation.

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Die ärztliche Arbeitskraft wird immer kostbarer

Die Abschaffung des Arztes im Praktikum und der Ärztestreik im Sommer 2006 haben aufgrund der beachtlichen Gehaltssteigerungen die Kosten für die ärztliche Arbeitskraft schlagartig ansteigen lassen. Verdienten junge Ärzte im Praktikum bis vor Kurzem oft weniger als entsprechendes Hilfspersonal, haben sich diese Verhältnisse inzwischen gewandelt. Heute ist die ärztliche Arbeitskraft ein äußerst knappes und immer teurer werdendes Gut.

Die Einführung der sogenannten "diagnosis related groups", kurz DRGs, hatte nicht nur einen weiteren Einspardruck zur Folge, sondern brachte eine zusätzliche Belastung der ärztlichen Mitarbeiter durch die geforderten Kodierarbeiten. Für die Tätigkeit am Patienten bleibt gerade durch die Kodierung oft noch weniger Zeit.

Viele Ärzte klagen daher zu Recht über die enorme Arbeitsbelastung aufgrund von Verwaltungsaufgaben, die mit der originären, ärztlichen Tätigkeit nichts zu tun haben. Demzufolge entscheiden sich immer mehr junge Ärzte für eine Tätigkeit außerhalb der Kliniken - oder für den Schritt ins Ausland. Wir kämpfen also nicht nur mit den Folgen der Steigerung der Personalkosten, sondern gleichzeitig mit einer Personalverknappung.

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Neue Organisationsformen sind die Lösung

Klinikmanagement und Klinikarzt sind daher gefordert, neue Wege zu gehen. Die wertvolle ärztliche Arbeitskraft muss wieder stärker für die Versorgung der Patienten zur Verfügung stehen. Patientenfremde und delegierbare Aufgaben sollten andere Berufsgruppen übernehmen. Viele Umfrageergebnisse zeigen, dass die Zufriedenheit der Patienten vor allem auch mit der Zeit zusammenhängt, die Ärzte und Pflegepersonal für den persönlichen Kontakt aufwenden.

Dies dokumentiert auch eine von Sana beauftragte Studie zur wertschöpfenden Tätigkeit von Assistenzärzten und Pflegekräften. Demnach verbringen Assistenzärzte nur 53% ihrer täglichen Arbeitszeit direkt für den Patienten. Fast genauso viel Zeit benötigen sie für indirekte Arbeiten wie Dokumentations- und Organisationsaufgaben oder sonstige Tätigkeiten. Das zeigt, weshalb neue organisatorische Strukturen bei den medizinischen Berufsgruppen angegangen werden müssen. Nur dann hat der Arzt wieder mehr Zeit für den Patientenkontakt.

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Alte Forderung erhält neuen Schub

In den Kliniken des Sana-Konzerns wird schon seit Längerem über die Aufgabenverteilung der ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter in Projektteams nachgedacht. Hierzu stellen sich folgende Fragen: Wer macht was in einem Krankenhaus? Welche Qualifikationen benötigt er für diese Tätigkeiten? Könnten manche Tätigkeiten nicht von anderen Berufsgruppen übernommen werden?

Die Forderung nach einem effizienteren Einsatz von hochqualifiziertem Personal ist zwar nicht neu, erfährt aber durch die aktuellen tariflichen Entwicklungen einen deutlichen Schub. Viele Aufgaben, die bislang von Ärzten und examinierten Pflegekräften ausgeführt werden, lassen sich ohne Qualitätseinbußen auf andere Berufsgruppen wie Service-, Pflege-, Stations- oder Kodierassistenten verlagern. Diese sind in der Lage, eine entsprechende Ausbildung und Schulung vorausgesetzt, die übertragenen Aufgaben effektiv und mit der erforderlichen Qualität auszuführen.

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Der Arzt konzentriert sich wieder auf die Behandlung

Durch den Einsatz von Projektteams, die sich mit dem Thema der Delegation von bisher im ärztlichen Bereich angesiedelten Tätigkeiten beschäftigen, lässt sich das Ziel praxisnah umsetzen, Ärzte von Tätigkeiten zu entlasten, die keine ärztliche Qualifikation verlangen. Solche Tätigkeiten sind unter anderem

  • die DRG-Kodierung und die Dokumentation zum Beispiel zur externen Qualitätssicherung

  • die Vorbereitung des Arztbriefes und der ärztlichen Entlassuntersuchungen

  • das Sortieren und Vervollständigen von Befunden in der Krankenakte.

Diese Aufgaben kann spezifisch geschultes Personal in der Regel nicht nur kostengünstiger, sondern oft auch in höherer Qualität ausführen. Denn dass ein Arzt am Ende eines langen Arbeitstages die noch anstehenden Kodier- und Organisationsaufgaben kaum in der erforderlichen Qualität erledigen kann, ist leicht nachzuvollziehen. Nur selten ist er außerdem für diese Aufgaben entsprechend geschult. Die bisher häufig geübte Praxis, Aufgaben dem jeweiligen Stationsarzt zu übertragen, für die sich in der Klinik sonst niemand zuständig fühlt, muss schon wegen der finanziellen Aufwertung der ärztlichen Arbeitskraft und der Personalverknappung endgültig der Vergangenheit angehören.

Die kostbare Arbeitskraft des Arztes muss in vermehrtem Maße wieder dem zugute kommen, wofür sie in jahrelanger Ausbildung vorbereitet wurde - nämlich der Behandlung und Heilung von kranken Menschen. Dies steigert die Ergebnisqualität und führt zu größerer Zufriedenheit bei den Patienten und den Ärzten selbst.

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Der Arzt als Manager in seinem Berufsfeld

Dass unser Gesundheitssystem im Wandel ist, wissen wir. Die zunehmende Verknappung der Ressourcen und Spezialisierung sind nur mit einem ebenfalls größeren Steuerungs- und Koordinierungsaufwand zu meistern. Verwaltung alleine reicht nicht aus, und das Management kommt mit ins Spiel. Wie aber vertragen sich Management und Medizin?

Vielfältige soziale und ökonomische Gründe zwingen uns, die Gebiete Führung und Management als Teil des "Arzt-Seins" zu akzeptieren. Die Gestaltung der Beziehung zwischen Medizin und Management wird zur alltäglichen Herausforderung für die Führungspersonen im Krankenhaus. Trotz der Konzentration und der Zuwendung auf die ärztliche Heilkunst ist und bleibt der heilende Arzt ein wichtiger Entscheidungsträger für Prozesse, die unter seiner Verantwortung ablaufen. Hier kommen ihm wesentliche Aufgaben für das Management der patientennahen Prozesse und den Ressourcenverbrauch zu.

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Enge Zusammenarbeit baut Brücken

Dennoch verläuft der Bedeutungszuwachs zwischen Management und Medizin nicht immer ohne Konflikte. In dieser Situation kann nur eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit den sparsamen Einsatz von Gütern bei optimaler Ergebnisqualität für den Patienten gewährleisten. Dazu gehört es auch, integrative Führungsansätze, die sich der Optimierung von Prozessen widmen, intensiv zu schulen.

Denn Mediziner erleben Maßnahmen oder Entscheidungen des Managements oftmals als unfachliches oder sogar unangemessenes Eingreifen in professionelle Sphären. Sie fühlen sich und ihre Anliegen nicht ausreichend berücksichtigt. Um die nötigen Brücken zu bauen und ineffektive Polarisierungen zu vermeiden, ist ein Management mit hoher emotionaler Intelligenz gefragt und gefordert.

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Mediziner und "Medizinmanager" arbeiten Hand in Hand

Die meisten Ärzte werden, wie zuvor beschrieben, auch künftig als heilende Ärzte in der unmittelbaren Patientenversorgung tätig sein. Ihre Managementaufgaben beschränken sich auf ihr unmittelbares Arbeitsumfeld. Daneben werden sich Ärzte in betriebswirtschaftlichen Fragestellungen qualifizieren und sich als managende Ärzte der Optimierung von Prozessen, der Entwicklung von Patientenpfaden oder der wirtschaftlichen Betriebsführung zuwenden. Diese Ärzte verabschieden sich meist vollständig von der Krankenversorgung.

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Neue pflegerische Organisationsformen entstehen

Auch im Bereich der Pflege werden sich die Aufgabenfelder erheblich wandeln. Zum einen müssen die Pflegekräfte Tätigkeiten von den Ärzten übernehmen und dafür andere Aufgaben, die nicht zwingend eine examinierte Pflegekraft erfordern, an weniger qualifiziertes Personal abgeben. Es ist zum Beispiel nicht unbedingt notwendig, dass examinierte Pflegekräfte Essen austeilen oder Krankentransporte übernehmen. Hierfür stehen im Klinikbereich Dienstleistungsfirmen oder Mitarbeiter mit geringerer Vergütung zur Verfügung.

Die Rückbesinnung auf ihre Kernkompetenzen beschert den examinierten Pflegekräften mehr Zeit für die unmittelbare Versorgung der Patienten und die ständige Weiterentwicklung der Pflegestandards. Insgesamt erfährt die Tätigkeit der examinierten Pflegekräfte dadurch eine deutliche Aufwertung. Neue Berufsgruppen werden sich in die bestehenden Teams eingliedern.

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Konzentration auf die originären Berufsbilder

Der Klinikarzt sieht sein wichtigstes Ziel naturgemäß in der optimalen Versorgung seiner Patienten. Wir müssen daher ständig daran arbeiten, dass der heilende Arzt so viel wie möglich seiner kostbaren und weiter teurer werdenden Arbeitszeit der Behandlung des Patienten widmen kann. Im Prinzip erfolgt eine Konzentration auf die originären Berufsbilder - wir gehen "zurück zu unseren Wurzeln".

Wie in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts auch ist der Arzt wieder als Arzt und die examinierte Pflegekraft in der Krankenpflege tätig. Diese Managementmethodik der Konzentration auf die Kernkompetenzen hat sich in der Industrie seit Beginn der Industrialisierung vor 100 Jahren bewährt und verbesserte die Qualität und die ökonomische Effizienz.

Gleiches lässt sich auch in Krankenhäusern erreichen und wird die bisherigen Aufgaben- und Rollenverteilungen des medizinischen Personals nachhaltig verändern. Nur so lässt sich auch in Zukunft das große Ziel erreichen, die optimale Versorgung der Patienten nach hohen Qualitätsmaßstäben und auch noch bezahlbar sicherzustellen.

Dr. R. Schwarz, Geschäftsführung, Sana Kliniken München