PiD - Psychotherapie im Dialog 2007; 8(1): 29-35
DOI: 10.1055/s-2006-951993
Aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Stationäre systemische Therapie

Jochen  Schweitzer, Wilhelm  Rotthaus, Martin  Altmiks, Friedebert  Kröger, Martin v.  Wachter, Sabine  Kirschnick-Tänzer, Cornelia  Oestereich
Further Information
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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Jochen Schweitzer

Universitätsklinikum Heidelberg

Zentrum Psychosoziale Medizin

Institut für Medizinische Psychologie

Sektion Med. Organisationspsychologie

Bergheimer Straße 20

69115 Heidelberg

Email: Jochen.Schweitzer-Rothers@med.uni-heidelberg.de

Publication History

Publication Date:
13 April 2007 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Stationäre systemische Therapie zeichnet sich insbesondere aus durch den intensiven Einbezug von Familie und anderen wichtigen Bezugspersonen, durch die Wertschätzung der Funktionalität der Symptomatik, durch eine sehr weitgehende Ressourcen- und Lösungsorientierung und durch viel Gelegenheit zur systemischen Selbstreflexion aller Beteiligten. Wir beschreiben zunächst in sehr knapper Form die Haltungen, die Settings, die Behandlungstechniken und die institutionellen Voraussetzungen systemischer Therapie im stationären Kontext. Dies wird illustriert an fünf Beispielen: am Einbezug der Eltern in der Kinder- und Jugendpsychiatrie; an Auftragsklärung und Therapiezielplanung in der Akutpsychiatrie; an Genogramm- und Skulpturgruppen in der Psychosomatik/ Psychotherapie; an regionalen Behandlernetzwerken im Umfeld einer Station und an der familientherapeutischen Arbeit mit Migranten. Die Erfahrungen ermuntern dazu, systemische Therapie als eine integrative Basisphilosophie für stationäre Teams zu nutzen, in die übungs- und beziehungsorientierte Angebote anderer Therapieschulen gut integriert werden können.

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Jochen Schweitzer

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Prof. Dr., geb. 1954, PiD-Mitherausgeber, stellvertretender Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie am Heidelberger Zentrum Psychosoziale Medizin, Lehrtherapeut am Helm Stierlin Institut. Seit 1997 in der klinischen Organisationsentwicklung insbesondere in psychiatrischen Einrichtungen tätig.

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Wilhelm Rotthaus

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Dr., Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Systemischer Familientherapeut, Lehrtherapeut und Supervisor (DGSF). Ehem. Fachbereichsarzt der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Rheinischen Kliniken Viersen. Veranstalter der Viersener Therapietage 1982 bis 2002. Redaktionsmitglied der Zeitschrift für Systemische Therapie und Beratung. Seit Herbst 2000 1. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF).

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Martin Altmiks

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geb. 1956, Politologe, Altenpfleger, seit 2000 Pfleger in einer allgemeinpsychiatrischen Aufnahmestation im Westfälischen Zentrum Paderborn, systemischer Organisationsberater.

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Friedebert Kröger

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geb. 1947, Prof. Dr. med., Leitender Arzt im Diakoniekrankenhaus Schwäbisch-Hall und im Zentrum für Psychiatrie in Weinsberg. Gründungsmitglied der deutschen Sektion der Collaborative Family Health Care Coalition (CFHCC). Stellvertretender Vorsitzender DGFS.

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Martin von Wachter

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geb. 1965, Dr. med., Facharzt für Psychosomatische Medizin, Ltd. Oberarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Ostalb-Klinikum Aalen/Württemberg.

Klinische Schwerpunkte: Psychosomatische Schmerztherapie, Familientherapie, Essstörungen und Traumatherapie, Weiterentwicklung psychosomatischer Versorgungskonzepte.

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Sabine Kirschnick-Tänzer

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Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Oberärztin in der Allgemeinpsychiatrischen Klinik am Niedersächsischen Landeskrankenhaus Wunstorf, Systemische Familien- und Paartherapeutin, Supervisorin insbesondere im sozial-/gemeindepsychiatrischen Kontext.

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Cornelia Oestereich

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geb. 1952, Dr. med., Fachärztin für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapeutische Medizin, Leitende Ärztin der Klinik für Allgemeinpsychiatrie und Psychotherapie am Niedersächsischen Landeskrankenhaus Wunstorf (bei Hannover). Vorsitzende der Systemischen Gesellschaft - Deutscher Verband für Systemische Forschung, Therapie, Supervision und Beratung e. V. (SG). Lehrtherapeutin (SG) und Lehrende Supervisorin (SG) am Niedersächsischen Institut für Systemische Therapie und Beratung Hannover e. V. (NIS) und Vorstandsmitglied des Ethno-Medizinischen Zentrums Hannover e. V. (EMZ).

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Einführung

Die zentralen Anliegen der systemischen Therapie prägen auch deren stationäre Behandlungskonzepte ganz wesentlich:

  • Sie bezieht die Familie und andere wichtige Bezugspersonen (aus Schule, Arbeit, Freundeskreis) als Kooperationspartner in die Behandlung relativ intensiv ein - nicht nur als Geber anamnestischer Auskünfte und Empfänger fachmännischer Ratschläge -, um damit sowohl die Behandlung des Patienten zu verbessern als auch die krankheitsbezogenen Probleme der Angehörigen mitlösen zu helfen.

  • Sie versucht psychische Störungen der Patienten als Verhaltens- und Erlebnisweisen zu verstehen, die im Lichte von deren familiären und anderen Beziehungskontexten häufig verständlicher und zuweilen „sinnvoll” werden, sie als solche wertzuschätzen und neben deren Veränderung mindestens ebenso intensiv ihre Nutzung und Beibehaltung als sinnvolle Option zu diskutieren.

  • Sie ist in ihren Falldiskussionen stärker am Auffinden von Ressourcen und am (Er-)Finden von Lösungen denn an symptomatologischen und ätiologischen Überlegungen interessiert.

  • Sie versucht mit allen am Behandlungsprozess Beteiligten von Zeit zu Zeit Gelegenheit zur „systemischen Selbstreflexion” zu schaffen: sich selbst beim Zusammenarbeiten zu beobachten und aus den Ergebnissen etwas für die kontinuierliche Verbesserung des Behandlungsprozesses zu lernen.

In der Praxis stationärer Therapie werden diese Anliegen folgendermaßen realisiert:

  • Wichtige Bezugspersonen sind real (bei Familiengesprächen, in Angehörigenvisiten und -gruppen, in Multi-Familien-Therapien) stärker präsent als in anderen Ansätzen. Das betrifft besonders die anfängliche Therapieplanung und später die Entlassungsvorbereitung, zuweilen aber auch ihre Mithilfe bei Krisen im stationären Verlauf. Die Angehörigen werden in großem Umfang als „Experten” einbezogen, die gelegentlich auch das stationäre Team in seinem Vorgehen beraten.

  • Wichtige Bezugspersonen sind auch darüber hinaus virtuell auf Station sehr präsent: in Genogramm- und Skulpturgruppen, in zirkulären Fragen, auf dem Familienbrett, als Thema in der systemischen Einzel- und Gruppentherapie. Die Dynamik dieser außerstationären Beziehungswelt ist für den Behandlungserfolg zumindest gleich wichtig wie die Dynamik der stationären Gruppe und der Einzelbeziehung zur Therapeutin.

  • Die Dauer der Behandlung und die Auswahl der Behandlungselemente sind außer an der Störung sehr stark an der außerstationären Beziehungsrealität der Patienten orientiert. Auch sehr kurze Aufenthalte oder Aufenthalte von sehr niedriger Behandlungsintensität können sinnvoll sein, wenn sie dem Patienten von seiner Familie und umgekehrt eine gegenseitige „Auszeit”, eine „Erholungspause” oder in dramatischeren Familiensituationen gar ein „Asyl” gewähren.

Für eine systemische stationäre Therapie sind daher folgende Bedingungen besonders günstig, oft auch unabdingbar:

  • Die Klinik arbeitet möglichst gemeindenah, die Angehörigen können leicht und schnell in die Klinik kommen.

  • Die Therapeuten sehen Familien nicht als pathogenen Verursachungskeim der Patientenstörung, sondern ähnlich wie den Patienten als an einer Lösung interessierte Kooperationspartner. Sie suchen daher aktiv vom Therapiebeginn an die Kooperation der Angehörigen und trauen ihnen Weisheit, bewährte Lebenserfahrung, Lösungsengagement und Lösungskompetenz zu.

  • Eine Aufnahme ist schnell möglich, Wartezeiten sind kurz, die Behandlungszeiten sind relativ flexibel, die Klinik verkraftet auch schnelle und „vorzeitige” Entlassungen.

  • Die Abstimmung der stationären Behandlung mit den ambulanten Vor- und besonders Nachbehandlern ist im Rahmen eines regionalen Fallmanagements möglich.

Zum wichtigen behandlungstechnischen Handwerkszeug gehören:

  • eine intensive Auftragsklärung der offiziellen und inoffiziellen Aufträge des Patienten und seiner wichtigen Bezugspersonen (einschließlich der Überweiser)

  • eine Erkundung der individuellen und familiären Krankheitskonzepte und Grundüberzeugungen zu Krankheit und Gesundheit

  • Familien/Paargespräche oder speziellere Settings der Familienarbeit wie Angehörigengruppen oder -visiten, Multifamilien-Gruppen, Aufstellungsgruppen etc.

  • in der systemischen Einzel- oder Gruppentherapie: zirkuläres Fragen, Genogramm, Familienbrett, Familienskulptur, evtl. Familienaufstellung

  • das Prinzip des Reflecting Teams als Instrument gegenseitiger Supervision - wobei neben Behandlern auch Patienten oder Angehörige im Reflecting-Team sitzen können.

Einige Haltungen und Praktiken, wie sie sich in der stationären Therapie gelegentlich noch finden, erscheinen uns aus diesen Überlegungen besonders ungünstig:

  • Die Therapeuten meinen, die Schwere und Akuität der Störung allein, ohne genaue Klärung der „Kundenwünsche”, bilde einen hinreichenden Grund für die stationäre Behandlung.

  • Die Therapeuten streben reflexartig und mit wenig Rücksicht auf die lebenserhaltende Funktion familiärer Loyalitäten immer die „Verselbstständigung” oder „Herauslösung” besonders des jungen Patienten aus seiner „pathogenen” Herkunftsfamilie an. In die Behandlung hereindrängende Angehörige erscheinen ihnen daher vor allem „störend”.

  • Die Therapeuten trauen den Familienmitgliedern wenig Fähigkeit zur systemischen Selbstreflexion, zur gegenseitigen Unterstützung, zur Veränderung zu.

Wie diese allgemeinen Grundsätze konkreter verwirklicht werden, verdeutlichen wir im Folgenden an fünf Beispielen aus psychosomatischen, kinder- und jugendpsychiatrischen und erwachsenpsychiatrischen Kliniken.

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Der Einbezug der Eltern in die stationäre Kinder- und Jugendpsychiatrie (am Beispiel der Rheinischen Landesklinik Viersen)

Der Einbezug der Eltern in die therapeutische Arbeit ist in allen kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken selbstverständlich. Nicht geringe Unterschiede bestehen jedoch in der Art, wie die Beziehung zu den Eltern definiert wird, welche Bedeutung der Übernahme der erzieherischen Verantwortung durch die Eltern beigemessen wird, unter welchen Blickwinkeln und welchem Ziel der Einbezug der Eltern erfolgt und wie intensiv die Zusammenarbeit mit den Eltern gestaltet wird.

In einer systemtherapeutisch orientierten Kinder- und Jugendpsychiatrie wird größter Wert darauf gelegt, die Eltern in ihrer Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für ihre Kinder zu belassen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treten nicht als „bessere Eltern” an die Stelle der Eltern, sondern handeln im elterlichen Auftrag als „Delegierte der Eltern”. Als Voraussetzung für effektive Therapie wird eine Trennung der Verantwortungsbereiche angesehen: Die Eltern sind verantwortlich für ihr Kind und für ihre Familie - die Therapeutinnen sind verantwortlich für ihr therapeutisches Angebot. Die Eltern entscheiden über Aufnahme- und Entlassungstermin. Mit ihnen werden die Aufträge für den stationären Aufenthalt erarbeitet. Für alle wichtigen therapeutischen Schritte (Ort der Beschulung, eventuell notwendige Freiheitsbeschränkungen, Sanktionen bei Fehlverhalten, gegebenenfalls Medikamentengabe u. a.) wird ihre Zustimmung eingeholt. Diese Beziehungs- und Auftragsklärung und ebenso die Erarbeitung eines Behandlungsvertrages erfolgt regelhaft vor der stationären Aufnahme (Rotthaus 1995, 1998).

Natürlich sehen sich Eltern dadurch gefordert, und manche versuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen und die Klinik als „Reparaturwerkstatt” zu nutzen. Deshalb wird während des gesamten therapeutischen Aufenthaltes sorgfältig darauf geachtet, dass dieses Beziehungsverhältnis gewahrt bleibt (z. B. durch wöchentliche Familiengespräche, häufige Telefonate, regelhafte Wochenendbeurlaubungen mit vereinbarten Zielen und protokollierten Verläufen, evtl. Einladung eines Elternteils zur Teilhabe am Stationsalltag). Die meisten Eltern erleben, dass sie von dieser Arbeit profitieren, wodurch sich erklärt, dass 95 % intensiv mitarbeiten und bewundernswert viel Engagement, Zeit und Geld für die häufigen Fahrten zur Klinik investieren.

Dabei ist zweifellos von Bedeutung, dass die Eltern bald bemerken, dass sie für das Verhalten ihres Kindes nicht als Verursacher beschuldigt werden. Der anamnestische Blick zurück spielt nur eine geringe Rolle. Die Familiengespräche handeln vielmehr um die Frage, welche Funktion, welchen Sinn und welche Vorteile das Symptom hat, ob eine Veränderung wirklich von allen gewünscht wird, wie eine Zukunft ohne das Symptom aussehen könnte und welche Veränderungs- und Entwicklungsschritte alle Beteiligten dafür machen müssten.

Nicht wenige Kinder und Jugendliche kommen nach krisenhaften Zuspitzungen als „Notaufnahme” in die Klinik, beispielsweise wegen eines Suizidversuchs oder wegen aggressiver Verhaltensdurchbrüche. In solchen Fällen findet man in aller Regel viele Personen, die sich um das Kind oder den Jugendlichen irgendwie kümmern, aber kaum einen, der wirklich die Zuständigkeit und die Verantwortung übernimmt. Kontextklärung ist dann die wichtigste Aufgabe: Wer ist formal zuständig? Wer übernimmt erzieherische Verantwortung? In welcher Weise werden die Eltern als die für das Kind bedeutsamsten Personen einbezogen? Und wer hält sich raus? Eine solche systemische Rahmung der therapeutischen Arbeit ist die entscheidende Grundlage, um überhaupt erfolgreich arbeiten zu können. Gar nicht selten sogar erübrigt sich nach einer derartigen Kontextklärung ein weiterer therapeutischer Aufenthalt.

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Auftragsklärung und Therapiezielplanung (am Beispiel einer Sektorstation im Westfälischen Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie Paderborn)

Bei Aufnahme auf die Station versucht die Bezugspflegekraft oder der Bezugstherapeut möglichst schnell die Aufträge zu klären, die der Patient mitbringt. In einem von diesem Bezugstandem gemeinsam genutzten Formblatt werden die Aufträge des Patienten möglichst mit seinen eigenen Worten notiert. Mögliche Aufträge von Angehörigen, anderen nahe stehenden Menschen, wichtigen externen Vorbehandlern, Betreuern etc. werden im persönlichen Gespräch oder telefonisch erfragt und ebenfalls in dieses Formblatt eingetragen. Mit allen Beteiligten wird versucht, ein gemeinsames Fallverständnis zu entwickeln.

Aus der Auftragsklärung, dem gemeinsamen Fallverständnis sowie den erfragten und beobachteten Ressourcen werden eine sinnvolle Reihenfolge der Aufträge und entsprechende Behandlungsziele festgelegt. Dabei muss die Kompromissfähigkeit verschiedenster Aufträge ausbalanciert werden. Anschließend werden diejenigen Behandlungselemente ausgewählt, die zu einer Verbesserung der Lebenssituation hilfreich sind. Die Behandlungsziele legt das Bezugstandem gemeinsam fest und notiert sie in ein Formblatt der Pflege- und Behandlungsplanung. Die Zielsetzung wird im Großteam zurückgemeldet. Die Therapieziele werden nach Möglichkeit in einem Dreiergespräch mit Patient, Pflegemitarbeiter und Therapeut festgelegt. Angehörige und sonstige Bezugspersonen werden miteinbezogen. Der Patient verhandelt mit und verpflichtet sich möglichst durch seine Unterschrift. Wenn der Patient es wünscht gibt es eine Kopie der Vereinbarung. In einem circa zweiwöchigen Rhythmus werden in einem gemeinsamen Gespräch Therapieziele überprüft und ggf. verändert.

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Fallbeispiel: Die Überwindung von Angst und Misstrauen

Frau M. wurde aus einem somatischen Krankenhaus mit dem Antrag für eine Unterbringung nach PsychKG (also gegen ihren Willen) auf unsere Station verlegt. Sie hatte am Vortag in einem psychotischen Erleben ihre Wohnung verwüstet und Einrichtungsgegenstände auf die Straße geworfen. Anschließend stürzte sie sich aus dem Fenster ihrer Wohnung im ersten Stock, erlitt zum Glück aber nur leichte Verletzungen. Die von den Nachbarn alarmierten Rettungskräfte brachten sie in ein Krankenhaus.

Frau M. wirkte bei der Aufnahme misstrauisch, psychotisch, ängstlich. Bezugspflegemitarbeiterin und zuständige Bezugsärztin (Bezugstandem) nahmen behutsam Kontakt zu Frau M. auf. Obwohl sie so stark durch inneres Erleben beeinträchtigt war, dass sie kaum antworten konnte, konnte sie durch Kopfnicken bestätigen, dass sie schon früher in psychiatrischer Behandlung gewesen sei und Angst vor Zwangsmedikation und Fixierungen habe. Das Bezugstandem entschied sich, eine beschützende Atmosphäre im Sinne des Sotaria-Konzeptes für sie aufzubauen. Die Bezugspflegekraft konnte, von ihren Stationsaufgaben vorübergehend befreit, Frau M. (Dabei-Sein) intensiv auf der Station begleiten. Zur Beruhigung wünschte sich Frau M. ein sedierendes Präparat, das sie auch einnahm. Über den vertrauensvollen Beziehungsaufbau legte sich immer mehr das Misstrauen der Patientin gegenüber der Institution „Psychiatrie”.

Jetzt war es auch möglich, mit ihr über ihre Aufträge an uns zu sprechen. Sie wünschte sich, wieder geordnet denken können und „das Chaos aus dem Kopf zu bekommen”. Mit einer gelassenen Haltung („alles geht in Ordnung”) bot ihr das Bezugstandem verschiedene Möglichkeiten an, aus denen sie auswählen konnte: Ruhe finden, Beruhigung erfahren, Zeit haben, Neuroleptika einnehmen. Frau M. entschied sich am nächsten Tag für ein atypisches Neuroleptikum in niedriger Dosierung. Innerhalb weniger Tage klangen darunter die akutpsychotischen Symptome ab.

Nach einer Woche konnte der Unterbringungsbeschluss (Auftrag des Gerichtes) aufgehoben werden und die Patientin ließ sich freiwillig behandeln. Die Mutter der Patientin äußerte telefonisch den Wunsch, ihre Tochter besuchen zu können und über ihren gesundheitlichen Zustand informiert zu werden. Frau M. lehnte diesen Wunsch der Mutter ab. Der Bruder der Patientin war der Überzeugung, dass sie zukünftig nicht alleine in ihrer Wohnung leben könne und deshalb eine betreute Wohnform notwendig sei. Auch diesem Wunsch des Bruders wollte die Patientin aber nicht entsprechen.

Da ihr Vermieter sie wegen ihrer verwüsteten Wohnung fristlos gekündigt hatte, war ihr Wunsch, so bald als möglich in ihre Wohnung gehen zu dürfen und aufzuräumen. Zu Beginn wurde sie von ihrer Bezugspflegekraft nach Hause begleitet, aber mit zunehmender Ausgangserweiterung konnte sie alleine nach Hause gehen. Neben den therapeutischen Angeboten der Station hatte sie den Wunsch, tagsüber regelmäßig in ihre Wohnung gehen zu können, um aufzuräumen. Auf diese Weise versuchte sie die fristlose Kündigung des Vermieters rückgängig zu machen. Auf ihre Anregung hin vermittelte die Bezugspflegekraft zwischen ihrem Vermieter und ihr, sodass die Kündigung wieder zurückgenommen wurde.

Nach etwas mehr als drei Wochen Behandlung drängte Frau M. auf Reduktion des Neuroleptikums. Diesem Wunsch wurde entsprochen. Bezüglich der Empfehlung einer anhaltenden neuroleptischen Medikation äußerte Frau M. den Wunsch, möglichst bald ohne Medikamente auskommen zu wollen. Sie bevorzuge alternative Behandlungsmethoden.

Eine Woche später ließ sich Frau M. entlassen. Sie war aber vorher bereit, eine Behandlungsvereinbarung mit unserer Station abzuschließen, in der ihre Wünsche für einen zukünftigen Aufenthalt notiert wurden.

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Genogramm- und Skulpturgruppenarbeit in der stationären Erwachsenenpsychotherapie

In der stationären Psychotherapie ist die Erarbeitung eines Familienstammbaumes (Genogrammes, Rödel 1990) ein fortlaufender Prozess, von der stationären Aufnahme an. Während der Anfertigung des Genogrammes sammeln die Patienten in strukturierter Weise familienbezogene Informationen, oft im (telefonischen) Kontakt mit den Angehörigen ihrer Kern- oder Herkunftsfamilien. Trotz räumlicher Trennung intensivieren sich in dieser Phase die Familienbeziehungen, werden oft Gespräche ausgelöst, die so bislang nicht möglich waren.

Im stationären Gruppenprozess wird diese retrospektive Betrachtungsweise der Beziehungs- und Bedeutungsdimensionen der Familienmitglieder mit Mitpatienten und Therapeuten in der Gruppe reflektiert und in begleitenden Familiengesprächen mit der real existierenden Familie umgesetzt.

Ihre besondere Verdichtung findet die Familienarbeit im stationär-psychotherapeutischen Prozess in der Familienskulptur (Duhl et al. 1973), oft in einer speziellen „Skulpturgruppe”. Deren Ziel ist es, die Beziehungs- und Interaktionsmuster in den Familien der Patienten als „räumliche Metapher” mithilfe der auf der Station befindlichen Patientengruppe darzustellen. Diese macht - mitunter in dramatischer Weise - eine Dynamik deutlich, die vor den verbalen Kommunikationsmustern liegt (Kröger et al. 1984 - die Methodik der Familienskulptur grenzt sich von der „Familienaufstellung nach Hellinger” in zahlreichen philosophischen und therapiepraktischen Aspekten ab).

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Fallbeispiel: Heraustreten aus der Verstrickung

Frau U. ist 18 Jahre alt und wegen einer Anorexia nervosa seit einigen Wochen in stationärer Behandlung. Als sie sich entscheidet, die Skulptur ihrer Familie zu gestalten, weiß sie anfangs nicht, welchen Zeitabschnitt und welche familiäre Situation sie wählen soll. Sie braucht Zeit, sich dies zu überlegen, entwickelt dabei ein inneres Bild und beginnt dann ihre Skulptur. Wir lassen Frau U. Personen zueinander stellen. Sie tut dies eher selbstständig. Wir Therapeuten schlagen nur gelegentlich vor, die Haltung der einzelnen „Familienmitglieder” etwas überzubetonen, ihre Aussage zu verschärfen. Dabei lassen wir uns von Frau U. immer wieder bestätigen, ob dies wohl einen Aspekt der gesamten Beziehungsrealität wiedergebe. Die einzelnen Personen werden zusätzlich durch Adjektive in positiven und gegebenenfalls negativen Eigenschaften und einem „typischen Ausspruch” charakterisiert.

Lange arbeitet die Patientin am Bild der elterlichen Beziehung, probiert verschiedene Intensitäten aus und entscheidet sich schließlich für die Darstellung einer geringen Zuverlässigkeit: Die voneinander entfernt stehenden Eltern strecken die Hände nacheinander aus, aber die Hände sind durch ein Band verbunden, das beide Eltern lose in der offenen Hand halten, sodass es jederzeit abrutschen und herunterfallen könnte. Frau U. beschreibt die Mutter als mächtig. Sie tue viel für ihre Kinder und den Vater. Das mache manchmal ein schlechtes Gefühl. Da die Mutter wichtig ist, wird sie erhöht auf einen Stuhl gesetzt. Die jüngere Schwester steht eingehakt neben dem Vater. Von ihrem freien Arm läuft ein „Beziehungsband” an das die Eltern verbindende Band. Der ältere Bruder steht etwas entfernt und von den dreien abgewandt. Seine Freundin zieht ihn an einem Arm aus dem Bild heraus. Auch von ihm läuft ein „Beziehungsband” zu dem Band, das die Eltern verbindet.

Therapeut: „Wo ist jetzt Ihre Position in der Familie?”

Frau U. kann sich nicht recht entscheiden, sie geht suchend um das Bild herum, sie sei irgendwo zwischen den Eltern. Aus der Gruppe der Mitpatienten kommt der Vorschlag, da sie sich ja doch oft verantwortlich für die Eltern fühle, solle sie sich einmal zwischen diese stellen und deren „Beziehungsband” über ihren Kopf laufen lassen, sodass dieses auf ihr lastet.

Therapeut: „Wollen Sie das einmal versuchen?”

Die Patientin nimmt diese Position ein. Das Bild sieht jetzt so aus, dass nicht nur die Verbindung der Eltern auf sie zuläuft, sondern auch die „Beziehungsbänder” der beiden Geschwister an ihr hängen. Frau U. fühlt sich sehr unwohl in dieser Position, sie will aus ihr herausgehen, sie tut dies schließlich auch, und das hat zur Folge, dass alle Bänder abreißen. Auch das wird von ihr mit Erstaunen vermerkt. Der Therapeut schlägt Frau U. vor, noch einmal aus dem Bild herauszutreten und dabei darauf zu achten, was dieser Schritt für Gefühle auslöse.

Die Patientin beschreibt nun ihre Angst, den Eltern Schmerz zuzufügen. Außerdem habe sie nicht gewusst, wohin sie eigentlich gehen solle. Sie habe den Eindruck gehabt, ins Leere zu gehen. Die Skulptur wird aufgelöst, Patienten und Therapeuten setzen sich wieder in die Runde. Das Gespräch ist angeregt. Vielleicht gebe das Heraustreten von Frau U. ja den Eltern die Möglichkeit, in einen veränderten Kontakt zueinander zu treten. Dazu bleibt die Patientin selbst sehr zurückhaltend.

Das Bild zeigt, wie viel Stärke nötig ist, um triangulierenden Kräften zu entgehen und eine selbstständige Handlung entwickeln zu können. Lösungsfähigkeiten korrespondieren mit der Möglichkeit zur Selbstdifferenzierung, die durch das Sichtbarmachen und Erleben der familiären Innenstruktur gefördert wird.

Die Skulpturgruppenarbeit eröffnet den Patienten - sowohl der Protagonistin der Arbeit als auch den Mitpatienten und Therapeuten - einen Blick auf die verdeckten Rollen in der Familie und macht deren Wirkung deutlich. Aus der Sicht der Patientin sind die Generationengrenzen nicht eingehalten, kann eine Distanzierung bedrohliche Folgen, nämlich den Abriss der Beziehungen insgesamt, nach sich ziehen. In der weiteren Einzel- und Gruppentherapie auf Station wird dies im Folgenden zum Therapiefokus.

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Regionale Behandlerkooperation (am Beispiel des Netzwerk Essstörungen Ostalbkreis)

Die Behandlung essgestörter PatientInnen bietet besondere Herausforderungen: hohe Eingangsschwelle zur Behandlung, unzureichende und wechselhafte Behandlungsmotivation, Hilflosigkeit in der Familie, fehlende prä- und poststationäre Psychotherapieplätze, ungünstige Parallelversorgungen, hohe Anforderungen an die Flexibilität von Behandlern.

Im Ostalbkreis/Württemberg hat sich im Jahr 2002 ein Kreis aus Ärzten, Psychologen, Familientherapeuten und Sozialpädagogen gebildet, die mit essgestörten Patienten in verschiedenen therapeutischen Settings arbeiten. Sein Ziel ist, die Versorgungsqualität durch eine abgestufte Behandlungskette zu verbessern und bestehende Hilfs-, Beratungs- und Therapieangebote besser abzustimmen, um wiederholte psychische und körperliche Dekompensationen zu vermeiden. Diese Intensivierung einer berufsgruppen- und sektorenübergreifenden Zusammenarbeit hat zur Gründung eines „Netzwerk Essstörungen im Ostalbkreis” geführt. Es ermöglicht den Betroffenen einen leichteren Behandlungszugang, den Behandlern die Erstellung und Umsetzung koordinierter Gesamtbehandlungspläne. Dabei ist die (teil-)stationäre Psychotherapie in den psychosomatischen bzw. psychiatrischen Kliniken vor Ort nur eine - wenn auch wichtige - Episode im gesamten Behandlungsablauf, neben ambulanten Beratungs- und Therapieangeboten im Einzel-, Gruppen- oder Familiensetting.

Die gemeinsame monatliche Fallkonferenz aller Behandler stellt dabei das Herzstück des Netzwerkes dar. Sie hilft, Behandlungsschritte zu koordinieren und sich gegenseitig kontinuierlich über Behandlungsverläufe zu informieren. Die Fallkonferenz trifft auch Indikationsentscheidungen: wann ein Patient von einem Versorgungssektor in den anderen wechselt; wie stationäre Intervallbehandlungen ambulant begleitet werden können; wie prä- bzw. poststationäre Angebote zu organisieren sind.

Bei Unterbrechungen der stationären Behandlung gelingt es besser, die Patienten für eine stationäre Wiederaufnahme zu motivieren, wenn die kooperierenden Hausärzte/Psychotherapeuten und Angehörigen einbezogen sind. Daher werden niedergelassene Psychotherapeuten oder Hausärzte eingeladen, in besonderen Fällen an stationären Familiengesprächen im Reflecting-Team, oder bei Entlassung an einer Abschluss-Besprechung mit Patient und Stationsteam teilzunehmen. Diese Absprachen in Fallkonferenz und Klinik erleichtern ambulanten Therapeuten die Entscheidung, essgestörte Patienten in Therapie zu nehmen. Umgekehrt können durch koordinierte Anschlussbehandlungen die (teil-)stationären Verweilzeiten in der Klinik deutlich abgekürzt werden.

Unser Netzwerk steht jetzt nach langen Verhandlungen vor dem Abschluss eines integrierten Versorgungsvertrages mit der AOK[1].

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Familiengespräche mit Migranten-Familien (am Beispiel der Allgemeinpsychiatrie im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Wunstorf)

Im Landeskrankenhaus Wunstorf, einem psychiatrischen Krankenhaus mit Pflichtversorgung wurde aufgrund der Versorgungsnotwendigkeit für Migranten ein systemisches Behandlungskonzept erarbeitet, das eine Kombination aus systemischen Einzelgesprächen und Gesprächen mit Unterstützungssystemen wie Familie, gesetzlichen Betreuern, Mitbehandlern etc. darstellt (ausführlich: Oestereich 2001). Dabei wurde Wert darauf gelegt, dass dieses Konzept, bei dem regelmäßig Dolmetscher eingesetzt werden, sowohl stationär als auch ambulant realisierbar ist. Das nachfolgende Beispiel zeigt den Beginn und einen Teil des längerfristigen Therapieverlaufes zur Abwendung einer sonst notwendig gewordenen stationären Behandlung.

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Fallbeispiel: Der Abschied von den Toten

Ein Mann Ende 40, der bei einem Bombenangriff den gewaltsamen Tod seiner Ehefrau, von dreien seiner fünf Kinder, seiner Schwägerin und deren Kindern miterleben musste, der dabei seine kleine Nichte, weil sie ihm räumlich am nächsten stand, mit seinem Körper beschützt und dadurch gerettet hatte, wurde selbst bei diesem Angriff schwer verletzt. Er ist seitdem schwerhörig, hat ein Auge verloren, ein Bein musste amputiert werden. Er war einer sequenziellen Traumatisierung ausgesetzt gewesen. Die chirurgische Versorgung seiner schweren Verletzungen fand in einem Hospital statt, welches von den Feinden übernommen worden war. Er ist davon überzeugt, dass die zum Lager der Feinde gehörenden Ärzte ihm das falsche Bein abgenommen haben. U. a. musste er miterleben, wie ein Mann, dem unter Folter die Haut abgezogen worden war, neben ihm qualvoll verstarb.

Dieser schwer traumatisierte Mann kam mit seinem schon zuvor in Deutschland lebenden erwachsenen Sohn zum ersten systemischen Familiengespräch, in dem er abklären wollte, ob er sich den Therapeuten anvertrauen wollte. Sohn und Tochter - auch seit mehreren Jahren in Deutschland verheiratet mit kleinen Kindern - hatten sich aktiv um die Therapie bemüht, weil sie sich dem Leiden und Schmerz ihres Vaters gegenüber hilflos fühlten. Schnell wurde deutlich, dass sie sich auch persönlich entlasten wollten, um Gelegenheit zu haben, ihr eigenes Leben zu leben.

Die ersten systemischen Gespräche mit dem Schwerpunkt Kontext, Behandlungsrahmen und Therapieauftrag sowie mit dem Fokus auf das derzeitige Leben, den vorhandenen Ressourcen, mit den dazugehörigen Personen, fanden so unter Einbeziehung des Sohnes statt, die Schwester berief sich auf ihre Pflicht als Mutter. Beide - Tochter und Sohn - hatten ja auch Mutter und Geschwister verloren, und wussten wie der Vater nicht, in welchem Massengrab deren sterbliche Überreste begraben lagen.

Gemeinsam wurde ein Genogramm erstellt, Fotos der verlorenen Familienangehörigen, eine Landkarte der wochenlangen Flucht und der gewaltsamen Ereignisse einbezogen. Als der Wunsch beim Vater entstand, Genaueres über die eigentlichen traumatischen Monate mit den Traumaereignissen zu berichten, wovor er seinen Sohn unbedingt schützen wollte, verabschiedete sich dieser aus den therapeutischen Gesprächen. Ein Dolmetscher wurde einbezogen. Da ihm die weibliche Perspektive im Leben und bei den Gesprächen sehr wichtig war, die Therapeutin sich mit der verstorbenen Ehefrau identifizieren und ihm aus dieser Position Rückmeldung geben konnte, wurden die Gespräche mit einem Therapeutenpaar weitergeführt.

Zusätzlich visualisierte er mithilfe des Skulpturenbrettes die traumatische Erstarrung seinen verstorbenen Angehörigen gegenüber, mit auffallendem Abstand zu seinen lebenden Kindern, dem Bruder, dem er zudem die Tochter gerettet hatte und von welchem er keine ausreichende Anerkennung und Dank erfuhr, hinter ihm die Verwandten seiner verlassenen Heimatstadt. Als er sich die Aufstellung ansah, brach er in Tränen aus. Er habe das Gefühl, er spiele mit den Köpfen der Toten. Das Beobachterteam assoziierte einen Chor wie im antiken griechischen Theater, der die Tragödie um Schuld und Tod mit seinen Stimmen begleitet. Bei der Genogrammarbeit hatte sich herausgestellt, dass er es seinem Bruder übel nimmt, dass dieser ganz schnell eine neue Frau genommen hatte und die gerettete Tochter wie nebenbei aufwachsen ließ. Nach Wechsel der Perspektiven durch Anregung der Therapeuten schuf er einen deutlich größeren Abstand zwischen den Lebenden und den Toten. Sich selbst stellte er jetzt seine beiden überlebenden Kinder an die Seite plus seine Enkelkinder und Schwiegerkinder. Er konnte jetzt anderes ins Auge fassen, seinen symbolisierten Blick auf andere Dinge im Leben richten. Berührend war sein Satz: „Ich habe mich entschlossen, mitten in der Gruppe der Lebenden zu stehen.”

Diese Therapiesitzung brachte eine entscheidende Wende: Gedanken, selbstständig zu leben, intensive Kontakte zu Kindern und Enkelkindern zu halten, Deutsch zu lernen. Auch hatte er sich entschlossen, die Identifizierung seiner Angehörigen in dem Massengrab voranzutreiben, weil es vielleicht für Sohn und Tochter wichtig sein könnte, um dieses Kapitel abschließen zu können.

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Fazit

Insbesondere in gemeindenahen und regional gut vernetzten Versorgungssystemen kann systemische Therapie sich als integratives Basiskonzept bewähren, das eine wertschätzende und lösungsorientierte Kooperation zwischen Patienten, Angehörigen und Behandlern sehr fördert. Als Beispiel dafür haben wir bereits in einer früheren Ausgabe dieser Zeitschrift das SYMPA-Projekt beschrieben (Schweitzer et al. 2005). Inzwischen liegt auch ein differenziertes Wissen zu störungsspezifischen Aspekten der systemischen Therapie vor (zur Übersicht: Schweitzer u. v. Schlippe 2006). Es zeigt sich auch in randomisierten Studien, dass insbesondere bei schweren Störungen wie Suchtstörungen, Essstörungen, schweren Störungen des Sozialverhaltens, schizophrenen und affektiven Störungen gute Behandlungsergebnisse erzielt werden (zur Übersicht: v. Sydow et al., im Druck). Dies ermuntert dazu, systemische Ansätze im stationären Bereich weiter auszubauen und zu differenzieren.

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Literatur

  • 1 Duhl F, Duhl B, Kantor D. Learning space and action in family therapy: in primer of sculpure. In: Bloch D (Hrsg) Technics of family therapy. New York; Grune & Stratton 1973
  • 2 Kröger F, Petzold E, Ferner H. Familientherapie in der klinischen Psychosomatik: Skulptur-Gruppenarbeit.  Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik. 1984;  19 361-379
  • 3 Oestereich C. Kulturelle Familienwirklichkeiten.  Familiendynamik. 2001;  1/26 22-43
  • 4 Rödel B. Praxis der Genogrammarbeit. Dortmund; Verlag modernes Lernen 1990
  • 5 Rotthaus W. Das Rollenverständnis der MitarbeiterInnen in der stationären systemischen Kinder- und Jugendpsychiatrie.  Zeitschrift systemische Therapie. 1995;  13 105-110
  • 6 Rotthaus W. Stationäre systemische Kinder- und Jugendpsychiatrie. 2. Aufl. Dortmund; Verlag modernes Lernen 1998
  • 7 Schweitzer J, Engelbrecht D, Schmitz D, Nicolai E, Borst U. Systemische Akutpsychiatrie - Ein Werkstattbericht (Themenheft „Psychotherapie und Psychiatrie”).  Psychotherapie im Dialog. 2005;  6 (3) 255-263
  • 8 Schweitzer J, Schlippe A v. Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II: Das störungsspezifische Wissen. Göttingen; Vandenhoeck und Ruprecht 2006
  • 9 Sydow K v, Beher S, Retzlaff R, Schweitzer J. Die Wirksamkeit der systemischen Therapie/Familientherapie. Göttingen; Hogrefe 2007

1 Weitere Informationen unter www.psychosomatik-aalen.de/nwe.htm

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Jochen Schweitzer

Universitätsklinikum Heidelberg

Zentrum Psychosoziale Medizin

Institut für Medizinische Psychologie

Sektion Med. Organisationspsychologie

Bergheimer Straße 20

69115 Heidelberg

Email: Jochen.Schweitzer-Rothers@med.uni-heidelberg.de

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Literatur

  • 1 Duhl F, Duhl B, Kantor D. Learning space and action in family therapy: in primer of sculpure. In: Bloch D (Hrsg) Technics of family therapy. New York; Grune & Stratton 1973
  • 2 Kröger F, Petzold E, Ferner H. Familientherapie in der klinischen Psychosomatik: Skulptur-Gruppenarbeit.  Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik. 1984;  19 361-379
  • 3 Oestereich C. Kulturelle Familienwirklichkeiten.  Familiendynamik. 2001;  1/26 22-43
  • 4 Rödel B. Praxis der Genogrammarbeit. Dortmund; Verlag modernes Lernen 1990
  • 5 Rotthaus W. Das Rollenverständnis der MitarbeiterInnen in der stationären systemischen Kinder- und Jugendpsychiatrie.  Zeitschrift systemische Therapie. 1995;  13 105-110
  • 6 Rotthaus W. Stationäre systemische Kinder- und Jugendpsychiatrie. 2. Aufl. Dortmund; Verlag modernes Lernen 1998
  • 7 Schweitzer J, Engelbrecht D, Schmitz D, Nicolai E, Borst U. Systemische Akutpsychiatrie - Ein Werkstattbericht (Themenheft „Psychotherapie und Psychiatrie”).  Psychotherapie im Dialog. 2005;  6 (3) 255-263
  • 8 Schweitzer J, Schlippe A v. Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II: Das störungsspezifische Wissen. Göttingen; Vandenhoeck und Ruprecht 2006
  • 9 Sydow K v, Beher S, Retzlaff R, Schweitzer J. Die Wirksamkeit der systemischen Therapie/Familientherapie. Göttingen; Hogrefe 2007

1 Weitere Informationen unter www.psychosomatik-aalen.de/nwe.htm

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Jochen Schweitzer

Universitätsklinikum Heidelberg

Zentrum Psychosoziale Medizin

Institut für Medizinische Psychologie

Sektion Med. Organisationspsychologie

Bergheimer Straße 20

69115 Heidelberg

Email: Jochen.Schweitzer-Rothers@med.uni-heidelberg.de

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