Der Klinikarzt 2006; 35(8): XIII
DOI: 10.1055/s-2006-950463
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Schmerztherapie in der Generation 60plus - Chronobiologie des Schmerzes und Polymedikation berücksichtigen

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Publication Date:
06 September 2006 (online)

 
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Wer hat diesen etwas zynischen und überzeichneten Spruch noch nicht gehört: "Wenn Du im Alter von über 60 Jahren Morgens aufwachst und nichts tut Dir weh - dann bist Du sehr wahrscheinlich tot!" Tatsache ist jedoch: Mit steigendem Lebensalter wächst die Zahl der Patienten mit chronischen Schmerzen exponentiell. So leiden deutlich mehr ältere Patienten als junge an den mit einer Arthrose oder einer Osteoporose assoziierten Schmerzen, Nervenschmerzen oder Tumorschmerzen, um nur einige der häufigen Probleme im Alter zu erwähnen.

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Analgesie flexibel am Tag- und Nachtschmerz ausrichten

Dabei treten die belastungsabhängigen Schmerzen bei einer Arthrose vor allem am frühen Abend, also nach der Belastung auf. Ganz anders ist es bei der rheumatoiden Arthritis. Hier sind die Schmerzen durch steife und geschwollene Gelenke direkt nach dem Aufstehen am stärksten.

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Tumorschmerzen unterliegen ebenfalls tageszeitlichen Schwankungen. Es gibt Patienten, die in der Zeitspanne zwischen 10.00 und 22.00 Uhr den höchsten Bedarf an einer Opioidanalgesie haben. Allerdings gibt es auch Patienten, die in der Nacht an stärkeren Schmerzen leiden und dann besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Jeder Schmerz habe seinen eigenen Rhythmus, sodass das Schmerzempfinden und die Reaktionen auf Schmerzreize tagesrhythmischen Variationen unterliegen, erklärte Prof. B. Lemmer, Heidelberg.

Aufgrund dieser zirkadianen Schwankungen "wird eine starre Analgesie, zum Beispiel mit Pflastersystemen, den individuellen Bedürfnissen der Patienten oft nicht gerecht", so Junker. Für die bessere Option hält er daher die orale Applikation von Hydromorphon (Palladon®) - einem Stufe-3-Opioid, das eine flexible Therapie möglich macht. Man könne nicht nur aus vier verschiedenen Dosierungen die optimale Dosis wählen, sondern diese auch über eine zweimal tägliche Applikation an das Tagesprofil des Schmerzes anpassen und so den zirkadianen Schmerzrhythmus besser berücksichtigen.

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Den "Flaschenhals" der CYP-Isoenzyme umgehen

Zusätzlich zu diesem chronobiologischen Aspekt ergibt sich bei der Schmerztherapie bei älteren Patienten häufig noch ein zweites Kernproblem. Denn sie haben häufig mehrere klinisch relevante Erkrankungen, die meist einer dauerhaften medikamentösen Therapie bedürfen. In dieser Situation dürfe man nicht unreflektiert nach den gängigen Therapierichtlinien behandeln, warnte Prof. R. Hardt, Mainz, sondern müsse gefährliche Interaktionen verschiedener Medikamente im Blick behalten. Denn "die Leitlinien sind auf die Therapie einzelner Krankheiten zugeschnitten, Multimorbidität im Alter berücksichtigen sie nicht!"

Dr. T. Nolte, Wiesbaden, riet daher, sich auf wenige, aber effektive und in der Langzeittherapie verträgliche Substanzen zu beschränken - bei opioidsensitiven chronischen Schmerzen zum Beispiel auf das Hydromorphon. Denn anders als zum Beispiel nichtsteroidale Antirheumatika wird dieses Retardopioid nicht wie insgesamt 75% aller gängigen Arzneistoffe über das CYP3A4 oder das CYP2D6 - zwei Isoenzyme des Cytochrom-P-450-Enzymsystems - verstoffwechselt. Mit vielen anderen Analgetika kann es bei der Kombination von Hemmstoffen oder Induktoren dieser Enzyme (z.B. Grapefruitsaft oder auch Johanniskraut) jedoch zu relevanten Interaktionen kommen.

Unter Umständen ist bei älteren Patienten ein gefährlicher Schwellenwert schneller erreicht als bei jüngeren, da die Funktion der stoffwechselrelevanten Organe Leber und Niere im Vergleich zum gesunden 30-Jährigen signifikant vermindert ist, ergänzte der Schmerzexperte. Dies erhöht die Gefahr einer Kumulation oder Interaktion verschiedener Pharmaka im Alter zusätzlich. Da beim Abbau von Hydromorphon keine therapeutisch aktiven Metabolite entstehen, eignet sich das Retardopioid auch für Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion.

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Aktion Schmerz 60plus

Alle möglichen Arzneimittelinteraktionen im Kopf zu behalten, ist praktisch nicht möglich. Daher hat der wissenschaftliche Beirat der Aktion Schmerz 60plus zusammen mit einem renommierten Pharmakologen eine Interaktionsliste entwickelt, die Ärzte bei der Auswahl des richtigen Medikaments für ihre multimorbiden Patienten unterstützt. Hier sind die für die Generation 60plus relevantesten Wirkstoffe - geordnet nach Medikamentenklassen und Indikationsgebieten - zusammengefasst. Im passwortgeschützten Bereich ("doc check") der Website www.schmerz60plus.de sieht man auf einen Blick, ob ein Wirkstoff über eine Untereinheit des Cytochrom-P-450-Systems abgebaut wird oder nicht. Ebenfalls vermerkt ist, ob es sich dabei um eine Inhibition oder eine Induktion dieses Enzymsystems handelt. Auch eine komfortable interaktive Liste steht zur Verfügung, über die der Arzt Interaktionen spezieller Wirkstoffe schnell abklären kann.

Quelle: Pressegespräche "Ein Unterschied wie Tag und Nacht: Auch in der Tumorschmerztherapie? 24-Stunden-Rhythmus erfordert flexible Medikation" und "Schmerz 60plus = eine Aktion gegen Schmerzen im Alter - Trotz Multimorbidität und Polymedikation Schmerzen effektiv lindern und Wechselwirkungen minimieren", veranstaltet von der Mundipharma GmbH, Limburg

 
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