Der Klinikarzt 2006; 35(8): VIII
DOI: 10.1055/s-2006-950459
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vom "Schrotschuss" zur zielgerichteten Therapie - Das Nierenzellkarzinom von zwei Seiten in die Zange nehmen

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Publikationsdatum:
06. September 2006 (online)

 
Inhaltsübersicht

Konnte man bislang mit Operation, Bestrahlung und der konventionellen Chemotherapie Tumorzellen nur vergleichsweise unkontrolliert eliminieren, stehen heute zielgerichtete Therapiestrategien zur Verfügung, die sich an den molekularen Pathomechanismen und Biomarkern der Tumoren orientieren. Ein Ansatz, der die Tumortherapie deutlich besser verträglich und so eine Altersbeschränkung - anders als dies bei der herkömmlichen Chemotherapie in der Regel gegeben ist - unnötig macht.

Zu diesen neuen zielgerichteten Tumortherapien zählt auch der Wirkstoff Sorafenib (Nexavar®), der jetzt zur Therapie des fortgeschrittenen Nierenzellkarzinoms zugelassen wurde. Sorafenib ist ein Multi-Kinase-Inhibitor mit dualem Wirkansatz, erklärte PD D. Strumberg, Herne, der gleichzeitig die Tyrosinkinasen c-Kit, VEGFR, PDGFR und FLT-3 und die Serin-/Threoninkinasen Raf-1 und B-Raf und somit letztendlich die Tumorzellproliferation und die Tumorangiogenese hemmt.

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Krebs wird zur chronischen Erkrankung

"Bei der Behandlung geht es also nicht mehr primär um eine Zytotoxizität, wie sie die Chemotherapie vermittelt", erklärte Dr. E. Enghofer, Bayer Vital, Leverkusen. "Ziel ist vielmehr eine Zytoreduktion, also die gezielte Verringerung der Zahl an Tumorzellen." Damit verändert sich unter der Sorafenibbehandlung die Tumorstruktur - der Tumor trocknet regelrecht aus und nekrotisiert von innen heraus. Das bedeutet wiederum: Ein Ansprechen auf die Therapie muss nicht sofort mit einer Verkleinerung des Tumors assoziiert sein.

"Es macht daher wenig Sinn, den Erfolg der Behandlung an der Remissionsrate zu messen", meinte Enghofer. Sinnvoller seien Kriterien wie die Rate der Tumorstabilisierung, des progressionsfreien und des Gesamtüberlebens. "Der Krebs wird so von einer akuten zu einer chronischen Erkrankung", sagte Enghofer.

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Zeit des progressionsfreien Überlebens verdoppelt

Wie erfolgreich dieser Wirkansatz ist, belegt die TARGETs[1]-Studie, eine Phase-III-Studie mit 903 Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom. Zusätzlich zum so genannten "best supportive care" erhielten die Patienten entweder zweimal täglich 400 mg Sorafenib (p.o.) oder Plazebo. Primäre Endpunkte der Studie waren das progressionfreie und das Gesamtüberleben der Patienten.

Schon bei der Interimsanalyse waren Unterschiede zwischen den beiden Studienarmen zu verzeichnen. So stabilisierte sich der Tumor bei 84% der Patienten, die Sorafenib einnahmen, unter Plazebo erreichten dies nur 55% der Patienten. Gleichzeitig verdoppelte sich das mittlere progressionsfreie Überleben signifikant von zwölf auf 24 Wochen (p = 0,000001).

Diese überzeugenden Ergebnisse waren der Grund, warum das Studiendesign geändert wurde und auch den Patienten aus der Kontrollgruppe Sorafenib zur Verfügung stand ("cross-over"). "Zwar sind damit eindeutige Aussagen nur noch bedingt möglich, dennoch sprechen die Ergebnisse sechs Monate später ebenfalls für die Sorafenibbehandlung", meinte Enghofer. Auch wenn die Patienten zunächst ein Plazebo erhielten, zeigte eine Therapieumstellung einen relevanten Effekt: Ihr Überleben wurde von 14,7 auf 15,9 Monate verlängert. Noch beeindruckender ist das Ergebnis, wenn man nur die Patienten berücksichtigt, die nach dem urprünglichen Studienprotokoll behandelt wurden. Im Vergleich zu Plazebo verlängerte die Sorafenibgabe das Gesamtüberleben in diesem Kollektiv um fünf Monate (14,3 versus 19,3 Monate).

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Blick in die Zukunft - Breit gefächertes klinisches Studienprogramm

Eine randomisierte Studie vergleicht derzeit die Therapie mit Sorafenib und a-Interferon bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom ohne Vorbehandlung. Die Rekrutierungsphase ist bereits abgeschlossen, erste Ergebnisse werden voraussichtlich im Frühjahr nächsten Jahres auf dem Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) vorgestellt werden.

Beim inoperablen hepatozellulären Karzinom erhielten in einer Phase-II-Studie 137 unvorbehandelte Patienten Sorafenib. 5% der Patienten zeigten eine partielle Remission, bei weiteren 47% der Patienten stabilisierte sich der Tumor über mindestens vier Monate. Das mediane progressionsfreie Überleben betrug 4,2, die mediane Gesamtüberlebenszeit 9,2 Monate. Erste Daten aus einer plazebokontrollierten Phase-III-Studie werden ebenfalls im Frühjahr 2007 erwartet.

Die Ergebnisse einer Phase-II-Studie bei vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom dokumentieren einen klinischen Vorteil für rund 60% der Patienten (Tumorstabilisierung). Bei 29% der Patienten war eine Tumorregression zu beobachten. In dieser Indikation ist bereits eine Phase-III-Kombinationsstudie mit Paclitaxel/Carboplatin aktiv.

In Kombination mit konventionell dosiertem Paclitaxel/Carboplatin erreichten 40% der Patienten mit metastasiertem Melanom unter Sorafenib eine gesicherte partielle Remission, die mindestens sechs Monate anhielt. Bei weiteren 43% der Patienten stabilisierte sich der Tumor über mindestens zwei Monate. Die mediane progressionsfreie Zeit betrug zehn Monate.

sts

Quelle: Presseworkshop "Neue Entwicklungen in der Therapie des Nierenzellkarzinoms", veranstaltet von der Bayer Vital AG, Leverkusen

03 Treatment Approaches in Renal cancer Global Evaluation Trial

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