Aktuelle Urol 2006; 37(3): 180-183
DOI: 10.1055/s-2006-948103
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nierenkolik - Metaanalyse vergleicht konventionelle und alternative Analgesiemethoden

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Publication Date:
26 July 2006 (online)

 
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Sie gehören zu den stärksten Schmerzen, die Menschen aushalten müssen, die einer Nierenkolik. Bei ihrer Behandlung kommen heute in erster Linie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Opioide zum Einsatz. Aufgrund ihrer schweren Nebenwirkungen sind Alternativen gefragt.

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Nierenkoliken sind extrem schmerzhaft. Mit Opioiden und NSAR können die Schmerzen gut behandelt werden, Probleme bereiten jedoch oft die Nebenwirkungen (Bild: Archiv).

K. Davenport et al. erfassen in ihrer Metaanalyse die derzeit für eine Behandlung akuter Nierenkoliken zur Verfügung stehenden konventionellen und alternativen Analgetika (BJU 2005; 95: 297 - 300). Dabei fokussieren sie nicht nur auf das Schmerzprofil, sondern insbesondere auf die Nebenwirkungen der einzelnen Präparate.

Unter den konventionellen Analgetika sind Opioide und NSAR die wichtigsten Präparate in der Schmerztherapie akuter Nierenkoliken. Bei ersteren sind es Präparate wie Morphin und Pethidin, die aufgrund schneller Verfügbarkeit und guter Titrierbarkeit effizient durch die akute Episode einer Kolik begleiten. Ihnen gegenüber stehen weniger potente Präparate, wie Kodein oder Tramadol. Sie treffen den schweren akuten Schmerz nicht und sind deshalb in der Therapie milder bis moderater Schmerzen angesiedelt. Allen gemeinsam sind schwere Nebenwirkungen, wie Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit und bei höheren Dosierungen, Atemdepressionen und Hypotonie.

Mindestens ebenso wirksam im kurzzeitigen Einsatz bei akuten Nierenkoliken sind NSAR. Die Vielzahl der Präparate aus dieser Substanzgruppe unterscheidet sich hauptsächlich in den Nebenwirkungen. So flutet intravenöses Diclofenac, Tenoxicam und Iornoxicam zwar schnell an, tragen jedoch zu Magenirritationen und -ulzerationen bei. Moderne NSAR-Präparate, die selektiven Cox-2-Hemmer, wie Rofecoxib (VIOXX®), sind effektive Analgetika. Aufgrund des erhöhten Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen wurden sie Anfang diesen Jahres weltweit vom Markt genommen.

Zu den alternativen Präparaten in der Schmerztherapie akuter Nierenkoliken gehören Spasmoanalgetika wie Drotaverin. Es erzielt eine effiziente Analgesie, ohne antimuskarinische Nebenwirkungen. Isosorbiddinitrat, ein kardiovaskuläres Präparat, flutet schnell an und erzielt eine Relaxierung der glatten vaskulären Muskulatur. Erste klinische Untersuchungen verliefen in Kombination mit dem NSAR Tenoxicam viel versprechend. Weitere alternative Präparate sind Kalziumkanalblocker, hier in erster Linie das Nifedipin und a-Rezeptor-Antagonisten, die in klinischen Studien bereits Erfolge erzielten.

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Fazit

Opioide und NSAR sind derzeit die wichtigsten Analgetika in der Behandlung akuter Nierenkoliken. Ihrer guten Wirksamkeit stehen zahlreiche Nebenwirkungen gegenüber. Elegantere, der Schmerzursache direkt entgegenwirkende Analgetika, wie Kalziumkanalblocker und Antagonisten der a-Rezeptoren werden intensiv und Erfolg versprechend untersucht. Vielleicht gehört ihnen die Zukunft in der Schmerztherapie akuter Nierenkoliken.

Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas

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Erster Kommentar

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Noch einige offene Fragen

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T. Strunk

Für die Behandlung der Nierenkolik stehen mittlerweile zahlreiche Wirkstoffe zur Verfügung. Davenport et. al zeigen in ihrer Metaanalyse auf, dass Substanzen in das Interesse getreten sind, die bisher mehr aus anderen Indikationen eingesetzt wurden. Zu diesen Substanzen gehören Calcium-Antagonisten, Nitro-freisetzende Verbindungen, Alpha-1-Blocker und Muskarin-Rezeptor-Antagonisten. Aufgrund ihres Wirkmechanismus sollen diese Pharmaka selektiver wirken und ein günstigeres Nebenwirkungsspektrum besitzen als die konventionelle Therapie. Für alle Medikamente liegen bereits Daten vor, die auf eine gute analgetische Wirksamkeit hindeuten und auch zum Teil günstige Effekte auf die Steinpassage zeigen. Die Standardtherapie der Kolik wiederum zeigt in urologischen Kliniken weltweit große Variabilität. Zum Einsatz kommen vorwiegend Medikamente aus der Gruppe der Opioide und NSAID. Dies entspricht auch der aktuellen Empfehlung der AUA, die explizit z.B. Pethidin, Diclofenac, Buscopan und Metamizol als Standard vorgeben. Jedoch gibt es keine dezidierte Empfehlung, welche Substanz am besten ist. So richtet sich die Auswahl der Substanz nach der klinischen Erfahrung mit dem Medikament sowie nach Symptomatik und nach Begleiterkrankungen des Patienten. Die Standardmedikamente, insbesondere Opioide, zeichen sich durch Nebenwirkungen aus, die einen sorgfältigen Umgang damit erfordern. Der Opioideinsatz sollte auf das Notwendige beschränkt bleiben. Daher bietet sich eine Kombination aus mehreren Analgetika an. Sehr wirkungsvoll ist der sog. "Würzburger Schmerztropf", der aus Tramadol und Metamizol zusammengesetzt wird. Supportiv kann zur Vehinderung Tramadol-bedingter Übelkeit noch ein Antiemetikum (z.B. Dimenhydrinat) zugesetzt werden. Mit dieser in Deutschland häufig eingesetzten Kombination kann eine akute Nierenkolik effektiv behandelt werden. Insbesondere der schnelle Wirkungseintritt und die gute Steuerbarkeit der intravenösen Gabe ist vorteilhaft. Tramadol zeigt bei guter Analgesie geringere somatische Effekte als andere Opioide und ist nicht BtM-pflichtig. Metamizol besitzt eine sehr gute analgetische und hat eine spasmolytische Wirkung. Hier sind an Nebenwirkungen allergische Reaktionen und Blutdruckabfälle bis zum Schock bekannt. Die gefürchtete Agranulozytose, die durch Metamizol hervorgerufen werden kann, hat in vielen Ländern zum zurückhaltenden Einsatz bis hin zum Verbot geführt. Die Ursache hierfür sind unterschiedlich angegebene Inzidenzen, die zwischen 1:1700 und 1:1500000 variieren. Im Rahmen unserer Behandlungen ist bislang kein solcher Fall aufgetreten.

Ob die nun aktuell diskutierten Wirkstoffe im Vergleich signifikant besser sind, bleibt zu klären. Calcium-Antagonisten und Nitro-freisetzende Verbindungen können ebenso Blutdruckabfälle und Herzrhythmusstörungen verursachen. Die Selektivität stelle ich bei Medikamenten, die aus der Blutdrucktherapie stammen und bei symptomatischer koronarer Herzkrankheit eingesetzt werden, infrage. Dennoch können die Alternativpräparate sinnvoll in der Behandlung der Nephro-/Ureterolithiasis sein. Ob sie jedoch bei der akuten Kolik eingesetzt oder vielleicht mehr zur Verbesserung der Steinpassage verwendet werden, muss näher beleuchtet werden. Hier gibt es noch Einiges zu tun.

Timo Strunk, Bonn

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Zweiter Kommentar

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COX-2-Hemmer können momentan nicht empfohlen werden

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M. Straub

Wer eine Nieren- oder Harnleiterkolik erleidet, wünscht sich nur eines: rasche Schmerzfreiheit. Daher sollte die zeitgemäße Kolikbehandlung zum medizinischen Routinerepertoire gehören. Die Arbeit von Davenport et al. informiert zwar umfassend über die derzeit potenziell verfügbaren Kolikmedikamente, bei der Vielzahl der besprochenen Substanzen verliert man jedoch leicht den Überblick. Was ist Standard, was ist Zusatztherapie und wo beginnt die alternative Medizin? Für pharmakologische "Spielereien" wird der Kolikpatient wenig Verständnis aufbringen, er benötigt Soforthilfe. Daher ein kurzer "roter Faden" zur effektiven Koliktherapie vorneweg.

Zur Akuttherapie der Nieren- oder Harnleiterkolik in der Notfallsituation hat sich die Gabe von 1 g Metamizol bewährt. Dieses kann als langsamer Bolus oder besser noch als Kurzinfusion - um einer orthostatischen Dysregulation vorzubeugen - appliziert werden. Metamizol zeichnet sich durch eine hervorragende analgetische Wirkkomponente aus. Aufgrund seiner spasmolytischen Komponente senkt es den hydrostatischen Druck im Nierenhohlsystem und vermindert so die Impaktierung des Konkrements in die Harnleiterschleimhaut und damit die Obstruktion. Angesichts der hervorragenden Wirksamkeit der Substanz auf Kolikschmerzen wird in Deutschland - anders als in manchen europäischen Nachbarländern - das Risiko der Agranulozytose (1:1000000) nicht als Kontraindikation gesehen [3].

Nach der Akuttherapie empfiehlt sich heute als Basisschmerztherapie eine Kombination aus nichtsteroidalem Antirheumatikum NSAR (z. B. Dicofenac) und einem selektiven Alpha1c-Rezeptorenblocker (z.B. Tamsulosin). Die gezielte Sympatholyse, vermittelt durch Alpha1c- Rezeptoren im Harnleiter, führt zur weiteren Drucksenkung im Hohlsystem und ermöglicht einen rascheren "schmerzfreien" Steintransit [1;2]. Patienten mit einer Ulkus- bzw. Gastritisanamnese sollten in jedem Fall flankierend einen adäquaten "Magenschutz" (z. B. Pantozol) erhalten. Diclofenac wirkte in manchen Studien bei Kolikschmerzen stärker analgetisch als zentral wirksame Analgetika [5], was dadurch zu erklären ist, dass Prostaglandine maßgeblich am Entstehen des Kolikschmerzes bei akuter Ureterobstruktion beteiligt sind [4]. Bei Kolikpatienten mit Niereninsuffizienz muss hingegen mit Rücksicht auf die Nierenfunktion auf NSAR verzichtet werden.

Erst, wenn diese Basistherapie den Patienten nicht zufrieden stellend schmerzfrei macht oder eine Niereninsuffizienz den Einsatz von NSAR verbietet, sollte über Alternativen nachgedacht werden. Diese werden in der Arbeit von Davenport et al. umfassend dargestellt und reichen von Opiatanalgetika über Calciumkanalblockern bis hin zu Nitraten.

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Proximaler Harnleiterstein. Pfeil: Konkrement am Ende des dilatierten Harnleiters (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2002).

Dennoch führt medikamentöse Polypragmasie nicht immer zur Schmerzfreiheit. Manchmal beendigt erst eine innere (DJ-Katheter) oder äußere Harnableitung (Perkutane Nephrostomie) die therapierefraktären Koliken. In Einrichtungen mit der Option zur endoskopischen Steintherapie kann bei vorhandener Expertise auch über die Indikation zur Notfall-URS nachgedacht werden, um die Koliken zu beenden.

Am Ende gilt für den Patienten: Wer heilt, hat Recht. Aber nicht alles ist außerhalb von Studien erlaubt! So kann der Einsatz von COX-2-Hemmern vor dem Hintergrund des erheblichen kardiovaskulären Risikopotenzials dieser Substanzgruppe im Moment nicht empfohlen werden, obwohl das Wirkprinzip bei der Harnleiterkolik eigentlich ideal wäre. Auch die Kombination mehrerer spasmolytisch wirksamer Substanzen ist kritisch zu sehen. Zwar mag der gleichzeitige Gabe eines Alpha1c-Sympatholytikums, eines Calciumantagonisten und eines Nitrats bei bis dahin therapierefraktären Koliken im Einzelfall Schmerzfreiheit bringen, die resultierende Hypotonie und die Kopfschmerzen sind jedoch für den Patienten eine zusätzliche Belastung. Anstatt sich schmerzfrei zu bewegen und damit die Steinpassage physikalisch zu beschleunigen, wird der Patient dann lieber im Bett bleiben. Anders gesagt, die Kombination spasmolytischer Wirkprinzipien kann bei schweren Koliken sinnvoll sein, solange die Nebenwirkungen den Patienten nicht zusätzlich beeinträchtigen.

Der Kolikblocker "Akupunktur" findet vor allem in der asiatischen Medizin erfolgreiche Anwendung. Sofern der Steintherapeut selbst entsprechend ausgebildet ist oder der Anästhesist vor Ort über Akupunkturerfahrung verfügt, kann dem Kolikpatienten so eine weitere Behandlungsoption angeboten werden. Vor allem die rasche Schmerzfreiheit, verglichen mit konventionellen Analgetika, macht die Attraktivität dieses Verfahrens aus [6]. Andererseits muss klargestellt werden: Selbsternannte Akupunkteure sollten den ohnehin schon gequälten Kolikpatienten nicht noch zusätzlich plagen.

Im Laufe der Jahre wurde eine Vielzahl von Medikamenten und Verfahren für die Koliktherapie vorgeschlagen. Leider konnten nicht alle ihre theoretische Wirksamkeit auf die Kolik in der praktischen Anwendung unter Beweis stellen. Ein Experimentieren mit verschiedenen Wirkstoffen in der Primärversorgung des Kolikpatienten wird von diesem wahrscheinlich wenig dankbar aufgenommen. Hier empfiehlt es sich, einen "Roten Faden" beizubehalten. Alternativkonzepte sollten nur dort zur Anwendung kommen, wo eine entsprechende Erfahrung damit vorliegt.

Literatur beim Autor

Michael Straub, Ulm

 
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Nierenkoliken sind extrem schmerzhaft. Mit Opioiden und NSAR können die Schmerzen gut behandelt werden, Probleme bereiten jedoch oft die Nebenwirkungen (Bild: Archiv).

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T. Strunk

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M. Straub

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Proximaler Harnleiterstein. Pfeil: Konkrement am Ende des dilatierten Harnleiters (Bild: Praxis der Urologie, Thieme, 2002).