Aktuelle Urol 2006; 37(3): 175-178
DOI: 10.1055/s-2006-948102
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Pudendusneuralgie - Behandlung durch Dekompression und Transposition des Nervs

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Publication Date:
26 July 2006 (online)

 
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Bei Patienten, die unter perinealen Schmerzen leiden, wird häufig eine Prostatadynie, eine Prostatitis, eine Vulvodynie, ein so genanntes chronisches Schmerzsyndrom des Beckens, ein Levator-ani-Syndrom oder eine idiopathische oder psychogene Genese angenommen. Eine französische Forschergruppe macht darauf aufmerksam, dass perineale Schmerzen auch durch ein Pudendus-Tunnel-Syndrom verursacht werden können, und dass dieses durch eine einfache Operation wirksam behandelt werden kann (Eur Urol 2005; 47: 403-408).

In einer Klinik in Nantes/Frankreich werden seit vielen Jahren Patienten, die unter einer Pudendusneuralgie leiden, mit einer Dekompressionsoperation des Nerven behandelt. Nun legen Roger et al. eine Studie vor, die die Wirksamkeit dieser Behandlungsmethode belegen soll. Sie schlossen insgesamt 32 Patienten mit Pudendusneuralgien in die kontrollierte, randomisierte Untersuchung ein. Für die Diagnose einer Pudendusneuralgie forderten die Autoren das Vorliegen folgender Kriterien: Chronische perineale Schmerzen, die im Sitzen verstärkt und im Stehen abgeschwächt auftreten, das Fehlen nächtlicher Schmerzen, Normalbefunde in der Bildgebung und die Unwirksamkeit üblicher Schmerzmittel. Die Patienten mussten außerdem auf eine Probeblockade des Nervus pudendus positiv ansprechen und es mussten zuvor mindestens 2 Steroidinjektionen in den Alcock-Kanal oder im Bereich der Spina ischiadica ohne nachhaltigen Erfolg durchgeführt worden sein. 16 der 32 Patienten wurden in den operativen Arm randomisiert, die anderen 16 Patienten fasste man zur Gruppe der rein konservativ behandelten Patienten zusammen.

Die konservative Behandlung bestand aus antikonvulsiven und antidepressiven Medikamenten, Nervenblockaden mit Steroiden und Physiotherapie. 14 der 16 Patienten in der operativen Gruppe wurden tatsächlich operiert. Im Rahmen der Operation wurden mögliche Einengungen des Nervus pudendus aufgesucht, gegebenenfalls wurden Bänder durchtrennt und bei Bedarf wurde der Nerv transponiert.

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Dekompressionsoperation ist der konservativen Therapie überlegen

Nach 3 und 12 Monaten wurden die Patienten beider Gruppen mithilfe einer visuellen Analogschmerzskala und eines Lebensqualitätsmessinstrumentes nachuntersucht. Als Behandlungserfolg wurde eine Verbesserung von mindestens 30 mm auf der Schmerzskala gewertet und zur Lebensqualität mindestens die Angabe, dass der Schmerz zwar vorhanden und nicht ignorierbar sei, aber die täglichen Verrichtungen nicht beeinträchtigt werden. In der Analyse der nach Protokoll behandelten Patienten zeigte sich, dass nach 3 Monaten 57,1% der operierten Patienten eine solche Befundverbesserung angaben. In der Gruppe der rein konservativ Behandelten fand sich nur bei 6,7% der Patienten ein Behandlungserfolg nach den genannten Kriterien. Nach 12 Monaten zeigten 71,4% der operierten, jedoch nur 13,3% der nicht operierten Patienten den gewünschten Therapieeffekt.

Die Autoren merken an, dass Pudendusneuralgien bei Frauen häufiger vorkommen als bei Männern und dass manche sportliche Betätigungen, wie zum Beispiel Fahrradfahren, zur Entwicklung einer solchen Neuralgie prädisponieren.

Als mögliche Gründe, warum die Operation nicht bei 100% der Patienten erfolgreich ist, nennen die Autoren eine lang bestehende Kompression mit irreversibler Schädigung des Nerven, die Entwicklung einer postoperativen Fibrose, technische Grenzen der Operation durch die schlechte Erreichbarkeit des Nerven im distalen Bereich des Alcock-Kanals, das Übersehen einer kontralateralen Nervenkompression und psychische Faktoren bei der Verarbeitung des chronischen Schmerzes durch den Patienten.

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Fazit

Chronische perineale Schmerzen können durch Pudendusneuralgien verursacht werden. Die guten Erfolge einer operativen Dekompression und Transposition des Nerven bestätigen, dass es sich bei dem Krankheitsbild um ein so genanntes Tunnelsyndrom handelt, bei dem der Nerv mechanisch irritiert wird.

Dr. Katharina Franke, Frankfurt/Main

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Erster Kommentar

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Klare und überzeugende Publikation

Die Publikation "Dekompression und Transposition des Nervus pudendus bei der Pudendus-Neuralgie" von Roger Robert ist ein sehr eindrucksvoller und didaktisch erfolgreicher Überblick über Indikation, Technik und Erfolgsrate der Entlastung und Verlagerung des Nervus pudendus beim Krankheitsbild der Pudendusneuralgie.

Sie beginnt mit einer prägnanten Darstellung des Krankheitsbildes mit seinen Symptomen und Ursachen, fährt fort mit einer adäquaten Beschreibung des Studiendesigns und der Behandlungsmethode, stellt im Anschluss in sehr ansprechender Form die Behandlungsergebnisse dar und diskutiert abschließend durchaus selbstkritisch Vor- und Nachteile des gewählten Untersuchungsweges.

Das Krankheitsbild der Pudendusneuralgie ist selten. Die Autoren stellen im Rahmen ihrer Studie die relativ große Zahl von 32 Patienten vor, von denen 16 operiert und weitere 16 als nicht operativ behandelte Kontrollgruppe untersucht werden. Das Design der Studie ist klar, die Ergebnisauswertung der Fragestellung adäquat.

Konsequent wird aus den überzeugend gewonnenen Ergebnissen gefolgert, dass die Dekompression und Transposition des Nervus pudendus eine sichere und effektive Methode zur Behandlung von Patienten mit konservativ therapieresistenten Pudendusneuralgien ist. Voraussetzung für eine erfolgreich operative Behandlung ist - so die Autoren - eine adäquate klinische Diagnostik unterstützt durch neurophysiologische Testung.

Den Autoren muss für diese klare und überzeugende Publikation gedankt werden, die eine wichtige Hilfestellung bei der Behandlung der therapeutisch oftmals nicht oder nur schwierig zu beeinflussenden Pudendusneuralgie gibt.

PD Dr. R. Filippi, Mainz

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Zweiter Kommentar

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Hervorragende Operationsergebnisse

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J. Koehler

Die Arbeitsgruppe um O. Hamel untersuchte bei 32 Patienten mit ein- oder beidseitiger Pudendusneuralgie den therapeutischen Effekt einer operativen Vorgehensweise im Vergleich zu einer konservativen Schmerzbehandlung. Primärer Endpunkt war das Outcome drei Monate postoperativ. Sekundäre Zielparameter waren die klinische Verbesserung 12 Monate und 4 Jahre nach Operation.

Als Ergebnis der Intention-to-treat-Analyse fanden Labat u. Mitarb., bei jedem 2. operierten Patienten 3 Monate nach Operation signifikant häufiger eine klinische Besserung der Schmerzen im Vergleich zu einer Besserung der Beschwerden bei jedem 15. Patienten mit konservativer Schmerztherapie. Nach 12 Monaten gaben über 70% der operierten und 13% der nicht operierten Patienten eine Besserung an. Bei der 4-Jahres-Auswertung wurden lediglich die operierten Patienten erfasst, wobei 50% der Patienten eine weiter bestehende Verbesserung angaben. Aus diesen Ergebnissen folgerten die Autoren, dass eine operative Dekompression des N. pudendus eine effektive und sichere Methode zur Behandlung von Patienten mit unzureichender Response auf konservative Therapiestrategien darstellt. Einschränkend bemerken sie, dass es notwendig ist, postoperativ eine weitere Schmerzmedikation zu verabreichen.

Die "Pudendusneuralgie" ist eine seltene Erkrankung mit zum Teil stärksten einschießenden Schmerzen in Genital- und Dammbereich, gelegentlich mit Ausstrahlen in das Bein und den Bauch. Verstärkt wird die Symptomatik häufig durch eine sitzende Position. Als mögliche Ursachen werden Druckschädigungen oder Entzündungsreaktionen am Nerven diskutiert. Die Autoren führten randomisiert entblindet nach unzureichender konservativer Schmerztherapie bei 14 Patienten eine operative Transposition des Nervus pudendus durch. Eine nicht operierte Gruppe von 15 Patienten mit konservativer medikamentöser Behandlung diente als Kontrollgruppe. Bei der Darstellung der in die Studie eingeschlossenen Patienten wird leider nicht auf die bisherige Schmerzmedikation eingegangen. Dies ist jedoch von erheblicher Bedeutung, da häufig eine unzureichende Ausdosierung suffizienter Wirkstoffe, wie zum Beispiel Carbamazepin, Gabapentin oder in neuerer Zeit auch Pregabalin zu einem vermeintlich unzureichenden Erfolg führen kann. Hier wäre es auch interessant zu wissen, welche Therapie im Einzelnen im Follow-up gewählt wurde.

Erwähnt wird der Einschluss von Patienten sowohl mit ein- als auch beidseitiger Symptomatik. Vermisst werden im Weiteren Angaben zur Anzahl oder Vorgehensweise bei diesen Patienten mit beidseitiger Pudendusneuralgie. Hierbei hätte die Möglichkeit bestanden, diese Patienten als eigenes Kontrollkollektiv bei zweizeitigem operativen Vorgehen zu evaluieren. War der positive Effekt der operativen Dekompression zeitlich versetzt ebenfalls nachzuweisen? Waren die Erfolgsraten bei diesen Patienten gleichzusetzen zu Patienten mit einseitigen Beschwerden? Der Effekt so genannter "sham"-Operationen wird spätestens seit der Publikation von Moseley et al. (N Engl J Med. 2002; 347: 81-8) eingehend diskutiert. Bei Patienten mit beidseitiger Symptomatik wäre möglicherweise eine "sham"-Operationen einer Seite auch unter ethischen Gesichtspunkten vertretbar gewesen. Damit wäre ein psychologischer Effekt der Operationen bei diesen chronischen Schmerzpatienten exakter beurteilbar gewesen.

Unabhängig von diesen Anmerkungen ist das sehr positive Ergebnis der operierten Gruppe hervorzuheben und unterstützt die Indikation zur Operation nach ungenügendem Therapieerfolg der rein medikamentösen Behandlung. Es sollte jedoch auch weiterhin präzise darauf geachtet werden, dass ein nicht operatives Therapieregime gut dokumentiert trotz suffizienter Dosierungen bis zum Auftreten von möglichen Nebenwirkungen keine ausreichend Effizienz zeigte. Dies wird auch nicht durch die hervorragenden Operationsergebnisse der Arbeitsgruppe mit nicht aufgetretenen Komplikationen infrage gestellt. Bei Manipulationen am Nerven besteht prinzipiell die Gefahr einer Verletzung mit Funktionseinbußen, insbesondere mit drohender Harn- und Stuhlinkontinenz, sodass ein notwendiger invasiver Eingriff einem erfahrenen Operateur vorbehalten bleiben sollte.

PD Dr. Jürgen Koehler, Mainz

 
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J. Koehler