Rofo 2006; 178(7): 739-740
DOI: 10.1055/s-2006-947104
Mitteilungen der DRG
Radiologie und Recht
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Zur Haftung des Arztes bei unterbliebener Mammographie zur Früherkennung - Vorliegen eines Diagnosefehlers bei Nichtanwendung einer umstrittenen neuen Methode

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Rechtsanwälte Wigge & Kleinke

Rechtsanwalt Dr. Peter Wigge
Rechtsreferendar Christian Schluckebier

Münster/Westfalen

URL: http://www.ra-wigge.de

Email: kanzlei@ra-wigge.de

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Publication Date:
03 July 2006 (online)

 
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Die Frage nach dem Sinn der Einführung eines flächendeckenden Mammographiescreenings hat in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion der letzten Jahre Wellen geschlagen. Vor allem vor dem Hintergrund der Vorschriften der Röntgenverordnung, nach denen ein Überwiegen des gesundheitlichen Nutzens gegenüber dem Strahlenrisiko Voraussetzung einer Indikation für die Röntgenbehandlung ist (siehe § 25 Abs. 1 Satz 1 RöV alter Fassung bzw. § 23 Abs. 1 Satz 2 RöV in der Fassung seit dem 18.06.2002), war die Mammographie zur Früherkennung umstritten. In einem Schadensersatzprozess in der Berufungsinstanz vor dem OLG Hamm war die Tatsache dieses Streits um die Behandlungsmethode nun für die Richter ein wesentlicher Grund für die Abweisung der Klage.

Das Oberlandesgericht stellte in seinem Urteil vom 31.08.2005 (Az.: 3 U 277/04) fest, dass im Jahre 2000 das Unterlassen einer Mammographie bei einer 58-jährigen Patientin ohne Auffälligkeiten keinen Behandlungsfehler darstellte. Der zu fordernde Qualitätsstandard einer ärztlichen Behandlung war nach Ansicht des Gerichts nicht unterschritten, da zu jenem Zeitpunkt der Nutzen dieser Methode zur Früherkennung noch in Zweifel gezogen wurde.

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1. Der dem Urteil zugrundeliegende Fall

Die am 28.04.1942 geborene Klägerin verlangte von dem Beklagten, der sie bis Dezember 2000 als niedergelassener Gynäkologe behandelte, Schadenersatz, mit dem Vorwurf, bei ihr unzureichende Krebs-Früherkennungsmaßnahmen durchgeführt und dadurch ein Mammakarzinom zu spät erkannt zu haben.

Der beklagte Arzt hatte bei der Patientin zuletzt im Mai 1998 eine Mammographie durchgeführt, ohne dabei Hinweise auf eine Tumorbildung befundet zu haben. Als sich die Klägerin im Februar 2000 wegen einer Ausschabung und im Oktober 2000 im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung wieder in Behandlung des Beklagten begab, empfahl ihr dieser nicht die erneute Durchführung einer Mammographie.

Ende Dezember 2000 wurde bei ihr ein Tumor diagnostiziert und entfernt, woran sich eine Chemotherapie anschloss. Die Klägerin hielt das Unterlassen einer Empfehlung durch den Beklagten für einen groben Behandlungsfehler, denn sie sei aufgrund ihrer Einnahme eines Medikaments zur Behandlung von Östrogenmangelsymptomen und des Darmkrebsleidens ihrer Mutter eine Risikopatientin für Brustkrebs gewesen. Daher hätte ihr Gynäkologe, so die Patientin, jedenfalls anlässlich der etwa 2 Jahre nach der letzten Mammographie durchgeführten Behandlung, eine erneute Mammographie veranlassen oder sie zumindest darauf hinweisen müssen. Durch die verspätete Diagnose des Karzinoms habe sich ihre Überlebensprognose verschlechtert und die Therapie und deren Nebenwirkungen seien gravierender ausgefallen als bei frühzeitiger Entdeckung mittels Mammographie nötig.

Der Beklagte war demgegenüber der Ansicht, es habe im Behandlungszeitpunkt nicht dem guten fachärztlichen Standard entsprochen, ohne bestehende Verdachtsmomente, wozu die von der Klägerin vorgetragenen Faktoren nicht ausreichend seien, eine Mammographie durchzuführen.

Der vom LG Detmold erstinstanzlich bestellte Sachverständige verneinte zwar eine besondere Indikation aufgrund der genannten Anamnese und Medikation der Klägerin für die Durchführung einer Mammographie, zumal zum damaligen Zeitpunkt die Verabreichung von Östrogenen nicht mit Karzinogenen in Verbindung gebracht worden sei. Er erblickte jedoch in dem Überschreitens des 2-jährigen Untersuchungsintervalls ein pflichtwidriges Unterlassen, da nach seiner Ansicht aufgrund der seit 1996 vorliegenden wissenschaftlichen Studien der Nutzen der Methode nicht mehr ernsthaft zu bestreiten gewesen sei. Das Landgericht wies die Klage ab. Das OLG Hamm bestätigte in seinem Berufungsurteil, dass ein Anspruch gegen den beklagten Gynäkologen nicht besteht und schloss sich hinsichtlich des Vorliegens eines Behandlungsfehlers - ebenso wie das LG Detmold - dem Votum des Sachverständigen nicht an.

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2. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Diagnosefehlers

Das Oberlandesgericht stellte zunächst unter Hinweis auf die insoweit bereits erstinstanzlich geklärte und hier nicht näher ausgeführte Sach- und Rechtslage fest, dass die Behandlung durch den Beklagten bis zum Jahre 2000, also insbesondere die negative Befundung der Mammographie aus 1998, nicht fehlerhaft war. Danach setzte es sich mit der Frage auseinander, ob das Unterlassen einer erneuten Mammographie bzw. eines Hinweises hierauf die Anforderungen erfüllte, die die Rechtsprechung für die Annahme eines Behandlungsfehlers entwickelt hat. Hierzu führt das Urteil aus:

"Ein Behandlungsfehler setzt voraus, dass der Beklagte in der streitgegenständlichen Behandlungssituation nicht das Verhalten zeigte, welches nach dem anerkannten und gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft von ihm erwartet werden musste. Dies ist dann nicht mehr der Fall, wenn sich die vorgenommene Behandlung angesichts des Wissenstandes in Praxis, Forschung und Lehre als nicht mehr vertretbar darstellt. Allein das Vorhandensein neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse führt hingegen noch nicht zwangsläufig dazu, eine bestimmte Behandlungsmethode als überholt und nicht mehr vertretbar anzusehen. Vielmehr ist eine Unterschreitung des zu fordernden Qualitätsstandards erst dann gegeben, wenn die Vorzugswürdigkeit der neuen Methode im Wesentlichen unumstritten ist."

Dass anno 2000 der Nutzen einer regelmäßigen Mammographie zur Früherkennung bei Frauen im Alter ab 50 Jahren, die keine "besondere" Indikation im Sinne der RöV aufweisen, noch nicht außer Streit war, ist durch zahlreiche Publikationen belegt.

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3. Überwiegender Nutzen der Mammographie zur Früherkennung

Das Gericht bezieht sich unter anderem auf das Positionspapier des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) aus dem Jahre 2002, aus dem hervorging, dass selbst zu diesem Zeitpunkt noch eine Diskussion über den Nutzen der Mammographie im Hinblick auf das verbundene Strahlenrisiko stattfand und die Aussagekraft der Studien, die den Nutzen der Mammographie belegt hatten, von verschiedenen Wissenschaftlern in Zweifel gezogen wurden. Nach dem Bundestagsbeschluss vom 28. Juni 2002 zur Einführung eines qualitätsgesicherten Mammographiescreening-Programms für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren und der entsprechenden Änderung der RöV, wurde eine Stellungnahme des Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) veröffentlicht. Darin vertrat das BMU die Auffassung, dass das Lebensalter als einziges Kriterium zwar gegebenenfalls die Teilnahme an einem auf die Gesamtbevölkerung bezogenen, genehmigten Screeningprogramm nach § 25 Abs. 1 Satz 2 RöV neuer Fassung rechtfertigen könne, nicht jedoch die Durchführung einer individuellen Mammographie. Für eine individuelle, rechtfertigende Indikation außerhalb eines Screeningprogramms müssten konkrete Verdachtsmomente wie zusätzliche Risikofaktoren oder ein Tastbefund vorliegen, ohne die ein überwiegender Nutzen der Mammographie nicht anzunehmen sei (vgl. Henkel, Der Radiologe 2003, 56, kritisch Wigge RöFo 2003, 608).

Da das OLG Hamm das Vorliegen solcher konkreten Verdachtsmomente unter Berufung auf den Sachverständigen verneinte und auch ein Screeningprogramm noch nicht eingeführt war, hat es folgerichtig einen Behandlungsfehler abgelehnt. Entsprechend der Veröffentlichung des BMU wäre die Durchführung einer Mammographie in dem geschilderten Fall sogar als rechtswidrig anzusehen gewesen, von einer im Wesentlichen unumstrittenen Vorzugswürdigkeit der Methode konnte also keine Rede sein. Die insoweit entgegenstehende Auffassung des Sachverständigen begründete das Gericht mit dessen fehlerhafter Beurteilung der oben zitierten rechtlichen Voraussetzungen.

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4. Ausblick

Das OLG Hamm ließ offen, ab welchem Zeitpunkt nach dem Jahr 2000 im Unterlassen einer Mammographie im 2-jährigen Abstand ein Unterschreiten des gebotenen Facharztstandards anzunehmen ist. Mit der Einführung eines Programms zur Früherkennung von Brustkrebs durch Mammographiescreening zum 01.01.2004 durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, wonach Frauen im Alter von 50 Jahren bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres alle 24 Monate Anspruch auf eine Teilnahme an dem Programm haben, stellt sich die Frage nach der Haftung in veränderter Form.

Der überwiegende Nutzen das Screening-Programms dürfte zwar spätestens seit diesem Zeitpunkt bei den Gerichten als medizinisch anerkannt gelten. Aufgrund der organisatorischen Trennung des Screeningprogramms von der fachärztlichen Behandlung kann der nicht in das Programm eingebundene Facharzt jedoch nicht selbst eine Mammographie im Rahmen des Screenings durchführen oder veranlassen. Seine ärztliche Pflicht muss daher insoweit darauf beschränkt sein, eine Patientin, die keine besonderen Auffälligkeiten bzw. Verdachtsmomente zeigt, auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem solchen Programm hinzuweisen. Ob eine solche Pflicht überhaupt besteht, könnte wegen des Systems der flächendeckenden Einladung zu dem Screeningprogramm zweifelhaft sein.

Wann der fachärztliche Standard die Durchführung einer individuellen Mammographie gebietet, ist weiterhin wesentlich von dem Vorliegen einer rechtfertigenden Indikation nach § 23 Abs. 1 Satz 2 RöV abhängig. Es ist denkbar, eine solche Indikation auch bei Patientinnen ohne Verdachtsmoment anzunehmen, die sich freiwillig einer Mammographie zur Früherkennung unterziehen wollen (vgl. Wigge RöFo 2003, 608), aber mangels Versorgung mit einer hinreichend nahegelegenen programmbezogenen Mammographieeinheit bisher nicht an dem Programm teilnehmen konnten oder können. Lehnt der Arzt in dieser Situation die Erbringung der Leistung trotz angebotener Kostenübernahme durch die Patientin ab, besteht die Möglichkeit der Haftung.

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