Der Klinikarzt 2006; 35(3): XIV
DOI: 10.1055/s-2006-939745
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine Sache der Erfahrung und Abwägung - Therapie der heparininduzierten Thrombozytopenie

Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. April 2006 (online)

 
Inhaltsübersicht

In der Prävention und Behandlung thromboembolischer Erkrankungen mit Heparinen ist neben Blutungsereignissen die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) die gefährlichste Komplikation. Von klinischer Relevanz ist die HIT II, bei der durch den Plättchenfaktor 4 (PF4) und Heparin ein Komplex entsteht, gegen welchen wiederum Antikörper (meist IgG) gebildet werden. Dies führt letzten Endes zu einer Thrombozytopenie und vermehrter Thrombinbildung.

Die davon betroffenen Patienten haben ein hohes Risiko für neue venöse und arterielle Gefäßverschlüsse. Wie eine aktuelle Studie postuliert, entsteht das Antigen aus großen Komplexen aus PF4 und unfraktioniertem Heparin (UFH), das aus mindestens zwölf Saccharideinheiten bestehen muss ([1]).

Während bei Patienten mit großen orthopädischen oder unfallchirurgisch bedingten Operationen unter unfraktioniertem Heparin in etwa 2-3% der Fälle eine HIT II auftritt, sind unter niedermolekularem Heparin (NMH) etwa 0,3% der Patienten betroffen.

#

Breites therapeutisches Fenster und gute Evidenz

In der Diagnostik sollten ein sensitiver funktioneller Test und ein Antigentest, mit dem eine HIT weit gehend ausgeschlossen, aber nicht bestätigt werden kann, miteinander kombiniert werden. Besteht der Verdacht auf HIT II, sollte in einem ersten Schritt umgehend das Heparin abgesetzt werden. Da HIT-Patienten aber auch dann noch ein erhöhtes Thromboserisiko aufweisen, sollte möglichst sofort eine alternative antikoagulierende Behandlung beginnen.

Das Medikament mit dem längsten und am besten beschriebenen empirisch erhobenen Therapieregime ist das Heparinoid Danaparoid-Natrium (Orgaran®), das für die Prophylaxe und Therapie von Thrombosen bei HIT zugelassen ist. Das therapeutische Fenster von Danaparoid reicht von unkomplizierten postoperativen Patienten bis hin zu komplexen Intensivpatienten unter der Hämofiltration und ist, so Prof. A. Greinacher, Greifswald, deutlich breiter als bei anderen alternativen Antikoagulanzien.

Danaparoid wurde in einer umfassenden nicht standardisierten Anwendungsbeobachtung (Compassionate Use Program) bei über 1000 HIT-Patienten untersucht. Dank der langjährigen positiven Erfahrung führt das American College of Pharmacology (ACCP) Danaparoid in der Evidenzklasse 1B ([2]). Die verfügbaren Alternativen werden mit niedrigeren Evidenzgraden bewertet: Lepirudin (1C), Argatroban (1C) und Bivalirudin (2C).

Alle alternativen Antikoagulanzien, die heute zur Verfügung stehen, haben Vor- und Nachteile bei bestimmten Patientengruppen. Greinacher betonte, es könne keine eindeutige Empfehlung für das eine oder andere Therapieregime geben. Es komme auf die klinische Situation und den Patienten an. Greinacher wies zudem auf die Bedeutung der Erfahrung des Therapeuten mit der jeweiligen Substanz hin. Denn "alle diese Substanzen sind nicht trivial zu händeln".

#

Einsatz von Danaparoid bei Schwangeren

Im klinischen Alltag spielt die Indikation für eine Thromboseprophylaxe und -therapie bei Operationen und in frauenspezifischen Risikosituationen eine zunehmende Rolle. Während Schwangerschaft, Wochenbett und Stillzeit kann eine Therapie mit Antikoagulanzien aus verschiedenen Indikationen notwendig sein. Bei der Wahl des Medikaments sind die Teratogenität und das Blutungsrisiko sowohl der Mutter als auch des Fetus oder des gestillten Kindes von entscheidender Bedeutung.

Danaparoid wird bei Schwangerschaften nur in Einzelfällen, vor allem bei einer vorher bekannten HIT-Typ-II sowie bei kutan-allergischer und niedermolekularer Heparinunverträglichkeit eingesetzt. Bislang lagen hierzu nur wenige Daten vor. In einer retrolektiven Untersuchung wertete PD Edelgard Lindhoff-Last, Frankfurt, Daten von 54 Patientinnen (56 Schwangerschaften - davon zwei Zwillingsschwangerschaften), die zwischen 1981 und 2005 mit Danaparoid behandelt wurden, aus.

In 34 von 56 (61%) Fällen wurde eine HIT II diagnostiziert, in den 22 nicht HIT-II-assoziierten Schwangerschaften wurde in 19 Fällen eine kutan-allergische Heparinunverträglichkeit festgestellt. Bei allen Patientinnen lag entweder eine akute Thromboembolie vor oder war in der Vorgeschichte aufgetreten.

Bei 40 Schwangerschaften wurde die Medikation bis zur Geburt eines gesunden Kindes fortgeführt. Im Rahmen von 13 der verbliebenen 16 Schwangerschaften wurde die Medikation aufgrund unerwünschter Ereignisse unterbrochen. In 50% (28 von 56) der Schwangerschaften kam es zu unerwünschten Ereignissen. Lediglich in 12 Fällen (21%) bestand ein Zusammenhang mit der Medikation. Bei fünf Patientinnen kam es zu Blutungen, die jedoch, so Lindhoff-Last, nicht ursächlich mit der Gabe von Danaparoid in Verbindung standen. Bei HIT-Verdacht und Schwangerschaft ist Danaparoid alternatives Antikoagulans der ersten Wahl, so das Fazit von Lindhoff-Last.

Dr. D. Bomar, Linkenheim-Hochstetten

Quelle: Symposium "15 Jahre Erfahrung und Erfolg mit Danaparoid (Orgaran®)", im Rahmen der 50. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung, veranstaltet von Organon, Oberschleißheim

  • 01 Rauova L . Poncz M . McKenzie SE . et al . Ultralarge complexes of PF4 and heparin are central to the pathogenesis of heparin-induced thrombocytopenia.  Blood. 2005;  105 (1) 131-138
  • 02 Warkentin TE . Greinacher A . Heparin-induced thrombocytopenia: recognition, treatment, and prevention: the Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy.  Chest. 2004;  126 (3 suppl) 311S-337S
  • 01 Rauova L . Poncz M . McKenzie SE . et al . Ultralarge complexes of PF4 and heparin are central to the pathogenesis of heparin-induced thrombocytopenia.  Blood. 2005;  105 (1) 131-138
  • 02 Warkentin TE . Greinacher A . Heparin-induced thrombocytopenia: recognition, treatment, and prevention: the Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy.  Chest. 2004;  126 (3 suppl) 311S-337S