Pneumologie 2006; 60(7): 408-416
DOI: 10.1055/s-2006-932137
Serie Beatmungsmedizin (3)
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ethische Betrachtungen zur Beatmungsmedizin unter besonderer Berücksichtigung des Lebensendes

Ethics of Mechanical Ventilation in End of LifeB.  Schönhofer1 , D.  Köhler2 , K.  Kutzer3
  • 1Abteilung für Pneumologie und internistische Intensivmedizin, Klinikum Region Hannover, Krankenhaus Oststadt - Heidehaus, Hannover
  • 2Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft, Schmallenberg
  • 3Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a. D., Karlsbad-Spielberg
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Prof. Dr. med. Bernd Schönhofer

Abteilung für Pneumologie und internistische Intensivmedizin · Klinikum Region Hannover · Krankenhaus Oststadt - Heidehaus

Podbielskistraße 380

30659 Hannover

Email: Bernd.Schoenhofer@t-online.de

Publication History

Publication Date:
30 June 2006 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

In der Intensivmedizin nimmt die Invasivität der Interventionen, Komplexität der Krankheitsbilder und das Alter der Patienten ständig zu. Besonders am Lebensende eines kritisch Kranken muss sich die Intensivmedizin ethisch und juristisch brisanten Themen stellen. Im Grenzbereich zwischen Intensiv- und Palliativmedizin begegnen wir zunehmend Patienten mit vital bedrohlicher Atmungsinsuffizienz. Moderne Beatmungsverfahren bieten die Chance, die insuffiziente Atmung und damit Lebensqualität zu verbessern. Diese Behandlungsformen bergen aber die Gefahr, ein würdevolles Sterben am Ende einer langen Krankengeschichte zu verhindern und damit das Leiden des Patienten unnötig zu verlängern. Im Gegensatz zur Intubation mit invasiver Beatmung erlaubt es die nicht-invasive Beatmung dem Patienten, an den Entscheidungsprozessen aktiv teilnehmen zu können. Auch wenn der Patient als autonomes Wesen prinzipiell die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung selber trifft, ist dies in der Intensivmedizin aus unterschiedlichen Gründen selten zu realisieren. Der chronisch kranke Patient hat jedoch die Möglichkeit, durch frühe Aufklärung und gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Arzt seinen Willen bzgl. der intensivmedizinischen Therapieform der führenden Organerkrankung, wie z. B. Beatmung, zu formulieren. Unter besonderer Berücksichtigung ethischer und juristischer Aspekte des Lebensendes behandelt dieser Artikel die Möglichkeiten der Beatmung, aber auch deren Begrenzung und Abbruch.

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Abstract

Invasiveness of interventions, complexity of diseases and patients' age are increasing in intensive care medicine. Ethical and legal issues are particularly challenging at the end of life of critically ill patients. At the borderline between intensive care and palliative medicine a significant amount of patients suffer from respiratory failure. Modern modes of mechanical ventilation may be able to improve ventilation and quality of life. On the other hand they may oppose a dignified death at the end of a long lasting chronic disease and e. g. prolong the suffering. In contrast to endotracheal intubation and invasive mechanical ventilation NIV enables patients to participate in the decision making process. While under normal circumstances, ethical standards dictate that patients themselves participate in the medical decision making process. For several reasons this is not always possible in intensive care medicine. However, chronically ill patients should get information from experts already at an early stage of the disease, go through a shared decision process and declare their will concerning interventions of intensive care medicine, e. g. mechanical ventilation. With respect to ethical and legal aspects of end of life this paper deals with chances of mechanical ventilation, including its withdrawal and withholding.

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Hintergrund

In den vergangenen Jahrzehnten nahmen die technischen Möglichkeiten und die Bedeutung der Intensivmedizin ständig weiter zu. Parallel hierzu stiegen Invasivität der Interventionen, Komplexität der Krankheitsbilder und das Alter der Patienten. Besonders am Lebensende eines kritisch Kranken begibt sich die Intensivmedizin mit der Therapie vital bedrohlicher Organausfälle in einen problematischen Bereich, der vor allem zu ethischen, aber auch juristischen Konflikten und zwischenmenschlichen Spannungen der Beteiligten führen kann [1]. Im Grenzbereich zwischen Intensiv- und Palliativmedizin begegnen wir zunehmend Patienten mit vital bedrohlicher Atmungsinsuffizienz. Moderne Beatmungsverfahren, auch in Form der Heimbeatmung, bieten hier einerseits die Chance, die insuffiziente Atmung und damit Lebensqualität zu verbessern, sie bergen aber auch die Gefahr, ein würdevolles Sterben am Ende einer langen Krankengeschichte zu verhindern und damit das Leiden des Patienten unnötig zu verlängern [2]. Konkret bedeutet Leiden hierbei z. B. geistige und körperliche Immobilität, fehlende Kommunikationsfähigkeit, Gewebe- und Gelenkschmerzen und Dekubitalulzera, die häufig trotz optimaler Pflege nicht zu verhindern sind.

Chronische Lungenerkrankungen im fortgeschrittenen Stadium sind per se mit einer deutlich eingeschränkten Lebensqualität und -erwartung verbunden [3]. Sind zusätzlich hohes Alter und Komorbidität vorhanden, kommt es zur weiteren Verschlechterung der Prognose [4]. Bei Patienten mit COPD verdoppelt sich nach Intubation und einer Beatmungsdauer von länger als 3 Tagen die Mortalitätsrate [5]. Zusätzlich kann sich die Lebensqualität von chronisch kranken Patienten nach Beatmung verschlechtern [6]. Pochard u. Mitarb. untersuchten 43 Patienten nach Beatmung und fanden vermehrt Depressionen, Kommunikationsprobleme, Todesängste und Schmerzen [7]. Auf diesem Hintergrund kommt der Limitierung intensivmedizinischer Maßnahmen eine wachsende Bedeutung zu. Unter besonderer Berücksichtigung ethischer und juristischer Aspekte des Lebensendes behandelt dieser Artikel Möglichkeiten, aber auch die Begrenzung bzw. den Abbruch intensivmedizinischer Interventionen, vor allem der maschinellen Beatmung.

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Relevanz einer frühen und umfassenden Aufklärung

Bei Patienten mit chronischen Erkrankungen der Atmungsorgane und drohender Atmungsinsuffizienz ist eine möglichst frühzeitige Aufklärung über die vorhandenen Therapieoptionen erforderlich. Bei langsam progredient verlaufenden Erkrankungen mit chronisch respiratorischer Insuffizienz (z. B. infolge neuromuskulärer Erkrankung oder Thorakorestriktion) führt die Heimbeatmung (d. h. nächtliche Beatmung unter häuslichen Bedingungen) zur Stabilisierung des klinischen Verlaufes, Verbesserung der Lebenserwartung und -qualität [8]. Demgegenüber ist bei Erkrankungen mit rascher Progredienz der Ateminsuffizienz, wie z. B. amyotropher Lateralsklerose (ALS), neben einem möglichst frühzeitigen Beginn der Heimbeatmung [9] die engmaschige Verlaufskontrolle durch einen Beatmungsexperten empfehlenswert [10]. Oft ist der Krankheitsprozess dynamisch und macht mehrfach im Krankheitsverlauf eine Neujustierung des geplanten Krisenmanagements notwendig. Von zentraler Bedeutung ist hier die kompetente und patientenorientierte Informationsübermittlung. Im Dialog mit dem Patienten, seinen Angehörigen oder ihm sonst nahestehenden Personen informiert der spezialisierte Arzt über drohende respiratorische Notfallsituationen und therapeutische Optionen im Endstadium der Erkrankung. Die Einbeziehung von Bezugspersonen des Patienten in diesen Kommunikationsprozess setzt natürlich voraus, dass der Patient hiermit einverstanden ist. Sind Betreuer oder Gesundheitsbevollmächtigter (vgl. § 1904 Abs. 2 BGB) bestellt, so müssen diese an der Informationsübermittlung und dem ärztlichen Dialog beteiligt werden. Der juristische Kommentar hierzu: Der Arzt darf die Angehörigen des Patienten und diesem nahestehende Personen nur informieren, wenn anzunehmen ist, dass dies dem Willen des Patienten entspricht. Außerdem muss der Arzt den Gesundheitsbevollmächtigten und den Betreuer in den Dialog einbeziehen, soweit sie bestellt und erreichbar sind. Gemeinsam mit dem Arzt entscheiden sie als rechtsgeschäftliche (Bevollmächtigte mit schriftlicher Vollmacht) oder gesetzliche Vertreter (vom Vormundschaftsgericht bestellte Betreuer) des einwilligungsunfähigen Patienten über die Behandlung im Endstadium der Erkrankung. Die Angehörigen des Patienten haben dagegen, sofern sie nicht Gesundheitsbevollmächtigte oder Betreuer sind, kein eigenes, den Patienten betreffendes Entscheidungsrecht.

Fragen zu Prozessen und Entscheidungen am Lebensende sind komplex und benötigen eine besondere Sensibilität aller Beteiligten. Es ist bedauerlich, dass es chronisch kranke Patienten häufig versäumen, sich trotz ausreichender Information für oder gegen intensivmedizinische Maßnahmen, wie z. B. maschinelle Beatmung in Gänze oder bestimmte Formen der Beatmung, auszusprechen. Aber auch wenn hierzu vom Patienten definitive Entscheidungen getroffen wurden, ist deren sachgerechte Übermittlung nicht immer gewährleistet. So war aufgrund unterschiedlicher Ursachen die weitere Kommunikation hierzu in 50 % der Fälle inadäquat [11].

Den Patienten mit Erkrankungen, die zur Atmungsinsuffizienz führen können, und deren Angehörigen und Bezugspersonen muss frühzeitig vermittelt werden, dass sich nur durch eine präzise Willenserklärung mit konkreten Verhaltensvorgaben zur drohenden respiratorischen Notfallsituation die nicht gewollte Intubation bzw. die sich anschließende Langzeitbeatmung verhindern lassen. Diese Interventionen können allerdings im begründeten Einzelfall auch ohne Einwilligung des Patienten unterbleiben, wenn sie im Einvernehmen mit dem Vertreter des einwilligungsunfähigen Patienten wegen der nachteiligen Folgen als medizinisch nicht oder nicht mehr indiziert angesehen werden können und ihre Unterlassung dem mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Es gehört zum Inhalt des ärztlichen Informationsgespräches, neben der Beatmung alternative Therapieoptionen zur Linderung von schwerer Dyspnoe, wie z. B. Opiate, Sauerstoff und Physiotherapie zur Sekretmobilisation zu erläutern [12]. Diese Themen lassen sich allerdings nicht in einem einmaligen Gespräch erschöpfend abhandeln, so dass der Dialog unter besonderer Berücksichtigung der jeweils neuen Entwicklungen fortgesetzt werden muss. Es ist darüber hinaus anzustreben, dass auch Ärzte und Institutionen aus der direkten Umgebung des Patienten in diesen Prozess integriert werden. Es ist nicht sinnvoll, wenn sich zwar Experten aus einem Beatmungszentrum und Patient einig sind, dass eine Notfallintubation nicht infrage kommt, der zuständige Hausarzt jedoch in diese Entscheidungsfindung nicht einbezogen wird (z. B. „weil der Hausarzt sich ja mit dieser seltenen Erkrankung doch nicht auskennt”). Erschwerend kommt hinzu, dass die Kommunikation zwischen Arzt und Patient bzgl. Therapievorgaben gerade in der Endphase einer chronischen Erkrankung vor allem bei ablehnender Haltung des Patienten gegenüber intensivmedizinischen Maßnahmen beeinträchtigt ist. So realisierten Ärzte die Entscheidung der Patienten für Wiederbelebungsmaßnahmen in 86 %, eine ablehnende Patienteneinstellung hierzu jedoch nur in 46 % adäquat [13].

Erfahrungen zur Aufklärung bzgl. drohender Intubation und Beatmung sind veröffentlicht. So wurden Patienten mit schwergradiger COPD (FEV1 : 33 % Soll) hierüber standardisiert (mit Kassetten und Buch) informiert [14]. Anhand von Fragebogen wurde die Einstellung der Patienten (10 Männer und 10 Frauen) im Zeitverlauf, z. B. zur Intubation, verglichen. Bei der Ausgangsbefragung direkt nach der Informationsübermittlung lehnten zwei Männer und alle Frauen die Beatmung ab. Nach einem Jahr änderten lediglich 2 Patienten ihre ursprüngliche Meinung, so dass bei einem schwerkranken Kollektiv eine relativ hohe Meinungskonstanz vorhanden ist.

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Fremdbestimmung versus Autonomie und Willen des Patienten

Besteht ein Patient mit progredienter Lungenerkrankung und schwergradiger Atmungsinsuffizienz nicht ausdrücklich, z. B. in Form einer Patientenverfügung, auf der Maximaltherapie, so sollte eine maschinelle Beatmung nur durchgeführt werden, wenn der Patient nach der Krisenintervention eine realistische Chance auf Überleben mit akzeptabler Lebensqualität und Autonomie hat. Diese Idealvorstellung ist im konkreten Einzelfall aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht oder nur partiell zu realisieren. Daher sollte beim genannten, in der Praxis häufig vorkommenden, Szenario kurzfristig versucht werden, die aus medizinischen, psychosozialen, ethischen und juristischen Einzelaspekten bestehende komplexe Gesamtsituation zu erfassen. Es ist ein praktikables Konzept zum weiteren Prozedere unter primärer Berücksichtigung des tatsächlichen bzw. des mutmaßlichen Willens des Patienten zu formulieren. Hierbei sind die Einschätzungen des Behandlungsteams, der Bezugspersonen des Patienten und - wenn vorhanden - seiner Vertreter mit einzubeziehen. Der vom Gericht bestellte Betreuer sowie der vom Patienten bestellte Gesundheitsbevollmächtigte sind gehalten, den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen eines entscheidungsunfähigen Patienten zum Ausdruck zu bringen. Der juristischer Kommentar hierzu: Der Gesundheitsbevollmächtigte wird nicht vom Gericht, sondern vom Patienten durch eine schriftliche Urkunde bestellt. Die Entscheidung des Vertreters (also des Betreuers oder Gesundheitsbevollmächtigten) ist maßgeblich, wenn der Patient „entscheidungsunfähig” oder - was juristisch dasselbe ist - „einwilligungsunfähig” ist. Auf die allgemeine Geschäftsunfähigkeit kommt es dagegen nicht an. Entscheidungs- bzw. einwilligungsfähig ist ein Patient, wenn er Umfang, Bedeutung und Tragweite der in Rede stehenden ärztlichen Maßnahmen beurteilen kann (Ziffer 5 der Handreichungen der Bundesärztekammer für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen [15] . Siehe auch den Zwischenbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Ethik und Recht der modernen Medizin”, Drucksache 15/3700 S. 16 mit Nachw. aus Lit. u. Rspr. in Fußn. 54)

Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die in einer Patientenverfügung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung einer Behandlung für den Arzt bindend, sofern die konkrete Situation derjenigen entspricht, die der Patient in der Verfügung beschrieben hat, und keine Anhaltspunkte für eine nachträgliche Willensänderung erkennbar sind. Die Verbindlichkeit nimmt mit dem Maß der Konkretheit des geäußerten Willen zu, jedenfalls wenn er nach sachkundiger, insbesondere ärztlicher Beratung formuliert worden ist. Je allgemeiner die schriftliche Aussage, wie z. B. „ich wünsche keine Apparate und Schläuche”, desto weniger hilfreich ist sie bei der Entscheidungsfindung in der konkreten Situation auf der Intensivstation.

Besteht eine Diskrepanz zwischen der ärztlichen Position bzgl. Weiterführung der Maßnahmen und der Entscheidung des Patientenvertreters, so bedarf die Entscheidung des Patientenvertreters der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung, wenn der Patient aufgrund der Vornahme oder der Unterlassung der ärztlichen Maßnahme einen schweren und länger andauernden gesundheitlichen Nachteil erleiden oder sterben kann (§ 1904 BGB). Auch sonst kann der Arzt jederzeit die Überprüfung der vom Vertreter des Patienten angeordneten Maßnahmen durch das Vormundschaftsgericht anregen, wenn er der Auffassung ist, dass die Vertreter-Entscheidung dem Wohl oder dem mutmaßlichen Willen des Patienten widerspricht. Der juristische Kommentar hierzu: Seine Einwilligung in eine ärztlicherseits angebotene lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung kann der Betreuer (oder Bevollmächtigte) nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts wirksam verweigern. Für eine Einwilligung des Betreuers (oder Bevollmächtigten) und eine Zustimmung des Vormundschaftsgerichts ist kein Raum, wenn ärztlicherseits eine solche Behandlung oder Weiterbehandlung nicht angeboten wird - sei es, dass sie von vornherein medizinisch nicht indiziert, nicht mehr sinnvoll oder aus sonstigen Gründen nicht möglich ist (Bundesgerichtshof, XII. Zivilsenat, Beschl. v. 17. März 2003, Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Bd. 154 S. 205).

In diesem Zusammenhang besteht ein zum Teil gravierendes Wissensdefizit der Beteiligten zur geltenden Rechtssprechung [16]. Insbesondere ist das Wissen der Ärzte und des Pflegepersonals zu den unterschiedlichen Begriffen „aktive, passive und indirekte Sterbehilfe” unzureichend. So wurde in einer Befragung unter onkologisch und palliativmedizinisch ausgebildeten Ärzten das Abstellen einer Beatmung bei Sterbenden in 22,8 % aus juristischen Gründen für illegal gehalten und in 48,8 % in die Kategorie „aktive Sterbehilfe” eingeordnet [17], obwohl die aktuelle Rechtslage dieses erlaubt. Der Bundesgerichtshof hat schon 1991 entschieden, dass bei aussichtsloser Prognose Sterbehilfe entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen durch die Nichteinleitung oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen (u. a. Beatmung) geleistet werden darf, um dem Sterben - ggf. unter wirksamer Schmerzmedikation - seinen natürlichen, der Würde des Menschen gemäßen, Verlauf zu lassen (3. Strafsenat, Urt. v. 8. Mai 1991, Entscheidungen des BGH in Strafsachen Band 37 S. 376).

Ein weiteres Problemfeld ist die Gabe von Morphin. Sie kann zur Beschleunigung des Sterbeprozesses führen, ohne damit in die Kategorie „aktive Sterbehilfe” zu fallen, wenn die Behandlung der Symptome Schmerzen und Dyspnoe die primäre Zielsetzung ist. Der Bundesgerichtshof hat dies 1996 wie folgt formuliert (3. Strafsenat. Urt. v. 15. Nov. 1996, Entscheidungen des BGH in Strafsachen Band 42 S. 301): „Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, dass sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann.”

Bei infauster Prognose eines beatmeten Patienten ist die ethische Bewertung der Diskonnektion des Patienten vom Beatmungsgerät eigentlich eindeutig. Unter juristischer Betrachtung ist die Beendigung der Beatmung im Sinne des „Therapieabbruches” keine aktive Sterbehilfe oder Tötung auf Verlangen [18] [19], sondern passive Sterbehilfe und damit entsprechend unserer Rechtssprechung legal. Der Abbruch der Beatmung ist hierbei die Beendigung einer durch ärztliche Tätigkeit begonnenen medizinischen Maßnahme und daher gesetzeskonform.

Intensivmedizinische Maßnahmen, wie z. B. die Fortsetzung maschineller Beatmung gegen den Willen des Patienten durchzuführen, stellt den juristischen Tatbestand einer rechtswidrigen Körperverletzung dar. Demgegenüber ist eine unzureichende und/oder inkompetente ärztliche Patientenaufklärung, die zur Beatmung führt, als solche keine strafbare Handlung. Sie ist aber eine arztrechtliche Pflichtwidrigkeit, die eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung begründen kann, wenn bei ordnungsgemäßer Aufklärung die Einwilligung zu dieser Intervention unterblieben wäre. Unserer Erfahrung nach wird hiergegen in der Praxis häufig verstoßen.

Sogar bei ansonsten verwirrten und desorientierten Patienten ist eine „natürliche Willensfähigkeit” dann gegeben (und damit die Entscheidungen des Patienten für den Arzt verbindlich), wenn abzusehen ist, dass der Patient die aktuell vorliegende Situation und die unmittelbaren Konsequenzen adäquat einschätzen kann. Ist dies nicht der Fall, so ist die Entscheidung des Patientenvertreters (d. h. des Betreuers bzw. Bevollmächtigten) maßgeblich. Kann diese nicht rechtzeitig herbeigeführt werden, hat der Arzt soweit wie möglich den mutmaßlichen Willen in eigener Zuständigkeit zu ermitteln. Hierbei muss auch beachtet werden, dass im Einzelfall vegetative Äußerungen eines verwirrten Patienten (z. B. aktives Wegdrehen und Verschließen des Mundes bei Nahrungsangebot) als Ausdruck seines natürlichen Willens angesehen werden können.

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Nicht invasive Beatmung (NIV) als palliative Intervention

In der terminalen Phase unterschiedlicher Erkrankungen kommt es häufig zur Beteiligung der Lunge mit konsekutiver Atmungsinsuffizienz. Karzinompatienten mit Atmungsinsuffizienz werden häufig in der Endphase ihrer Krankheit nicht mehr auf die Intensivstation aufgenommen, da eine Intubation mit einer hohen Mortalität einhergeht [20] [21]. In dieser Situation besteht die Option, eine Intubation durch NIV zu verhindern [22]. In einer aktuellen Pilotstudie wurde gezeigt, dass NIV als Palliativmaßnahme bei Krebspatienten in der Terminalphase durchaus sinnvoll eingesetzt werden kann [23] [24]. Die retrospektive Untersuchung von zwei Patientenkollektiven mit hämatologischen Erkrankungen und akuter Atmungsinsuffizienz, die im Zeitraum von 1990 - 1995 ohne NIV und von 1996 - 1998 mit NIV auf der Intensivstation behandelt wurden, ergab, dass die Überlebensrate mit NIV deutlich zunahm [25]. In retrospektiven und unkontrollierten Studien wurde gezeigt, dass NIV bei Patienten mit akuter Atmungsinsuffizienz, die nicht mehr intubiert werden sollten, durchaus praktikabel ist [26] [27] [28] [29]. Im Wesentlichen fanden die Autoren, dass NIV zur Reduktion der Dyspnoe führt und eine gewisse Autonomie ermöglicht. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass partnerschaftliche Sexualität durch Heimbeatmung auch bei polymorbiden Patienten wieder ermöglicht wird [30].

Auch wenn der Begriff „nicht-invasiv” eine gewisse Harmlosigkeit suggeriert, ergibt sich hierbei ein häufig unterschätzter Konflikt und es stellen sich in diesem Zusammenhang kritische Fragen vor allem zu ethischen Aspekten [31]. Bei der NIV handelt es sich definitiv um eine vollwertige Beatmung, die sich in der Akutsituation von der invasiven Beatmung zunächst nur durch den Beatmungszugang unterscheidet. Wenn Beatmung in einer Patientenverfügung generell als intensivmedizinische Maßnahme oder entsprechend dem auf aussagekräftige Indizien gestützten mutmaßlichen Willen des Patienten abgelehnt wird, ist auch NIV kontraindiziert. Wenn immer möglich, muss daher vor Beginn einer NIV das Einverständnis des sterbenskranken Patienten bzw. des Patientenvertreters zur Durchführung dieser Intervention eingeholt werden. Ansprechbare Patienten sollten mit einfachen Sätzen (wie z. B. „Sind Sie mit einer Maskenbeatmung einverstanden oder nicht?”) nach ihrem Willen befragt werden. Besonders wenn der Einsatz der NIV zur Routinemaßnahme einer spezialisierten Abteilung gehört, besteht die Gefahr, dass die Maskenbeatmung bei multimorbiden Patienten - fast im Sinne eines Automatismus - ohne weitere Rücksprache erfolgt, d. h. im Einzelfall regelrecht aufgezwungen wird. Hier führt die Anwendung der NIV zur Entmündigung des Patienten. Die Maskenbeatmung kann zu relevanten Nebenwirkungen, wie z. B. Reduktion der Kommunikationsfähigkeit, schmerzhaften Druckstellen im Gesichtsbereich oder Aerophagie führen [32] [33]. Eventuell verlängert NIV sogar den Leidensweg und den Sterbevorgang und hat in dieser Situation keine Berechtigung mehr.

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Gemeinsame Entscheidungsfindung („Shared decision”)

Zur Verdeutlichung der Relevanz dieser Thematik folgen zunächst vier Kasuistiken:

  • Ein chronisch lungenkranker Patient hat sich mündlich oder in einer Patientenverfügung gegen jede Form der Beatmung entschieden. Da diese Informationen dem Notarzt nicht vorliegen, wird der Patient in der respiratorischen Notfallsituation zuhause intubiert und beatmet auf die Intensivstation eingeliefert. Ziel: Es ist umgehend zu klären, ob der Atmungsinsuffizienz eine überbrückbare Krisensituation (z. B. prinzipiell heilbare Pneumonie) zugrunde liegt, die Indikation zur maschinellen Beatmung damit wahrscheinlich nur kurzfristig besteht und zeitnah dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprochen werden kann. Besteht demgegenüber eine bleibende Beatmungsabhängigkeit, ist diese Therapie zu beenden.

  • Ein Patient mit metastasierendem Bronchialkarzinom und damit infauster Prognose wird infolge akut respiratorischer Insuffizienz zuhause intubiert; eine Patientenverfügung existiert nicht. Ziel: Ist der Wille des Patienten nicht bekannt, muss geprüft werden, ob durch Reduktion der Sedierung die Kommunikationsfähigkeit des Patienten ermöglicht und eine bewusste Entscheidung des Patienten für oder gegen die Fortsetzung der Beatmung herbeigeführt werden kann.

  • Zur Therapie der chronisch ventilatorischen Insuffizienz eines Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (ALS) wird Heimbeatmung durchgeführt. Bei schneller Progredienz der Grunderkrankung verlängert sich die notwendige Beatmungszeit kontinuierlich und beträgt schließlich 24 Stunden/d, die NIV stößt an ihre praktischen Grenzen und kann nicht länger fortgesetzt werden. Ziel: Es muss geklärt werden, ob der Patienten von NIV auf eine invasive Beatmung via Tracheostoma umgestellt werden will. Da diese therapeutische Option mit tiefgreifenden Konsequenzen für Patienten und Angehörige einhergeht (z. B. Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit), muss der Entscheidungsprozess möglichst frühzeitig begonnen und mit kompetenten ärztlichen Gesprächspartnern geführt werden [34]. Wenn die invasive Beatmung abgelehnt wird, stehen palliativmedizinische Maßnahmen vor allem zur Therapie der Dyspnoe (z. B. Morphintherapie) zur Verfügung.

  • Ein bewusstseinsklarer Patient ist seit Wochen über Tracheostoma beatmet und definitiv nicht vom Respirator entwöhnbar. Ziel: Klärung des Patientenwillens. Sollte der Patient die Fortsetzung der Beatmung wünschen, ist die invasive Langzeitbeatmung in häuslicher Umgebung oder einer Pflegeeinrichtung zu organisieren. Will der Patient die Beatmung nicht mehr fortsetzen, dann muss zeitnah ein „terminales Weaning” [35] ermöglicht werden, d. h. Sterben nach kontinuierlicher Reduktion der maschinellen Atmungsunterstützung des sedierten und zunehmend hyperkapnisch werdenden Patienten und finaler Beendigung der maschinellen Beatmung.

Die aufgeführten Szenarien gehen häufig mit einer erheblich gestörten Interaktion aller Beteiligten, d. h. Patienten, Patientenvertreter, Angehörigen, Ärzte und Pflegekräfte, einher. Auch aus ärztlicher Sicht geht es in dieser kritischen Phase nicht mehr primär um die Bereiche Management der Organerkrankungen oder medizintechnische Herausforderung, sondern um Sozialkompetenz und Fähigkeit zur Kommunikation. In der Kommunikation zwischen Arzt und Patient ist es in jüngerer Vergangenheit zum Paradigmenwechsel gekommen, der allerdings noch nicht generell vollzogen ist. An die Stelle des früher vorherrschenden paternalistischen Konzeptes der Arzt-Patienten-Beziehung, was die Fremdbestimmung des Patienten durch den betreuenden Arzt als Autorität beinhaltete, tritt zunehmend der Dialog des Arztes mit dem mündigen und autonomen Patienten. Auch in der letzten Lebensphase ist die zeitgemäße Arzt-Patient-Beziehung partnerschaftlich, wobei die ärztliche Kompetenz, aber auch klare Äußerungen zur Prognose gerade bei Fragen zum Lebensende und die ärztliche Fürsorgepflicht weiter unverzichtbar bleiben. In den im Jahr 2004 veröffentlichen Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung heißt es: „Die Unterrichtung des Sterbenden über seinen Zustand und mögliche Maßnahmen muss wahrheitsgemäß sein, sie soll sich aber an der Situation des Sterbenden orientieren und vorhandenen Ängsten Rechnung tragen.” Grundvoraussetzung für die gemeinsame Entscheidungsfindung sind Informationsaustausch und Wissensvermittlung zwischen Arzt und Patient. Die auch durch soziale Aspekte bestimmten Fähigkeiten des Patienten bestimmen natürlich das Niveau der Arzt-Patient-Kommunikation bzw. der gemeinsamen Entscheidungsfindung. In einer gelungenen Kommunikation werden jedoch nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Ängste des Patienten angesprochen [36]. In diesem Zusammenhang wurden in der Literatur folgende „Domänen” bzgl. des Umgangs mit Patienten am Lebensende und den Bezugspersonen formuliert (Tab. [1]) [37] [38].

Tab. 1 Domänen im Umgang mit Patienten am Lebensende
Patienten- und familienorientierte Entscheidungsfindung
emotionale und praktische Unterstützung
Symptom- und komfortorientierte Pflege
adäquate Schmerz- und Symptomtherapie
Vermeidung der unnötigen Verlängerung des Sterbens
Autonomie des Patienten
Reduktion der Belastung und Unterstützung der Beziehung zu den Angehörigen
spirituelle, emotionale und organisatorische Unterstützung durch das Behandlungsteam

Auch in der Endphase des Lebens ist die gemeinsame Entscheidungsfindung anzustreben. Es liegt in der Natur der Sache, dass Patienten und Angehörige oft mangels ausgewogener Sachkenntnis zum Krankheitsbild und -verlauf primär nicht zum partnerschaftlichen Gespräch in der Lage sind. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Ärzte in dieser Situation mit überzogener Medizin- und Technikgläubigkeit der Laien auseinandersetzen müssen. Es wurde in diesem Zusammenhang gezeigt, dass die Vorstellung und Urteilsbildung bzgl. Prognose nach kardiopulmonaler Reanimation (CPR) durch Fernsehsendungen (wie z. B. Emergency Room, Chicago Hope und Rescue 911) beeinflusst wird [39]. In diesen Sendungen liegt die Überlebensrate nach CPR deutlich höher als aufgrund der vorhandenen Fachliteratur zu erwarten ist. In einer Zeit, in der eine wachsende Flut ungefilterter „Information” zu therapeutischen Optionen vor allem durch das Internet und TV jedem Patienten bzw. Angehörigen zugänglich ist, sind die fachlich kompetente Moderation und klare Positionierung des Intensivmediziners zu Möglichkeiten, aber vor allem auch Grenzen der Intensiv- und Beatmungsmedizin unverzichtbar. Der betreuende Arzt darf sich auch unter Berücksichtigung der Patientenautonomie seiner Verantwortung im Sinne einer „Ethik der Fürsorge” nicht entziehen, die infauste Prognose eines beatmeten Patienten und die hieraus resultierenden Konsequenzen in Form von Therapiebegrenzung bzw. -abbruch gegenüber den Betroffenen anzusprechen. Der Arzt sollte sich hierbei nicht in eine, formaljuristisch betrachtet, neutrale Position zurückziehen, obwohl dieses Verhalten infolge zunehmender Verunsicherung und Autoritätskonflikten tendenziell zunimmt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die ärztliche Kommunikationsfähigkeit und Kompetenz zu Aspekten von „End of life” in der Intensivstation von Angehörigen und Pflegekräften gering eingestuft werden [40] [41]. Die Ursachen sind komplex und können hier nicht weiter abgehandelt werden. Das ärztliche Gespräch mit Verwandten von nicht kommunikationsfähigen Patienten wird im Gegensatz zu den Niederlanden (85 %) und Belgien (77 %) in Schweden und Italien (39 %) nicht gepflegt. In den letztgenannten Ländern werden Entscheidungen am Lebensende der Patienten in mehr als 50 % ohne Absprache mit Patienten und Angehörigen getroffen [2]. In einer französischen Erhebung wurde gefunden, dass Familienangehörige nur in 44 % der Fälle in den Entscheidungsprozess involviert wurden und darüber hinaus „Do not resuscitate” (DNR) Entscheidungen nur in 42 % in der Patientenakte schriftlich vermerkt waren [40]. Auch wenn Verwandte erfahrungsgemäß das Gespräch mit dem Behandlungsteam suchen, ist die ärztliche Informationsübermittlung zur Entscheidung, nicht wiederzubeleben, häufig unzureichend. Das Gespräch mit dem Arzt hierzu dauerte im Mittel nur etwa 10 Minuten und wurde anteilsmäßig vom Arzt dominiert, was zur Unzufriedenheit der Angehörigen führte [42].

Die Bedeutung von Seelsorgern, Sozialarbeitern und Psychologen in der Betreuung von Patienten am Lebensende wird unterschiedlich eingestuft: Mehr als die Hälfte der befragten Ärzte sieht keine Notwendigkeit, die genannten Berufsgruppen zu integrieren. Demgegenüber wünschen 73 % der Pflegekräfte die Einbindung von Psychologen, nicht aber die 2. Meinung eines Arztes oder einer Ethikkommission [40].

Auf die Bedeutung der spirituellen Begleitung weisen von Lo u. Mitarb. explizit hin. Insbesondere empfehlen sie, die Patienten in der präfinalen Lebenssituation bzgl. ihres Wunsches nach spiritueller Begleitung zu befragen [43]. Wenn Letzteres gewünscht wird, sollten Klinikseelsorger in die Betreuung der Patienten einbezogen werden.

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Grenzen der Selbstbestimmung

Es besteht kein Zweifel daran, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ein hohes Individualgut ist. Hat der Patient selbst eine „Maximaltherapie”, z. B. in einer Patientenverfügung, gefordert, so ist diesem Wunsch im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten und soweit noch von ärztlicher Seite vertretbar nachzukommen. Auch in der Intensivmedizin stößt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten allerdings aus strukturellen oder medizin-ethischen Gründen manchmal an seine Grenzen. Entbehrt z. B. eine von den Angehörigen erwünschte Fortsetzung der Beatmung eines unheilbar kranken Patienten jeder Aussicht auf Besserung, ist es ärztliche Aufgabe, diese Diskrepanz aufzuzeigen und ggf. dem Wunsch der Angehörigen auf Fortsetzung der Therapie zu widersprechen. Der Arzt kann eine prinzipiell mögliche Behandlung verweigern, wenn sie ohne jede Erfolgsaussicht ist, obwohl der Patient und/oder sein Vertreter sie verlangen (Lipp in „Patientenautonomie und Lebensschutz”, Universitätsverlag Göttingen 2005 S. 13 mit Nachw. aus der Lit. in Fußn. 42; Bericht der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende” des Bundesjustizministeriums vom 10. Juni 2004 unter Ziff. 2.5 Buchst. a). Im Zweifelsfall benötigt der Arzt in dieser Situation juristischen Beistand. Auch lässt sich eine von Patienten und/oder Angehörigen gewünschte häusliche Langzeitbeatmung im Einzelfall mangels familiärer oder institutioneller Betreuungsmöglichkeiten oder Finanzierungskonzepte nicht realisieren, auch wenn sie formaljuristisch zulässig ist.

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Abbruch und Begrenzung der Beatmung

Es ist offensichtlich und internationaler Konsens, dass primäres Ziel aller intensivmedizinischen Maßnahmen, und so auch der Beatmung, die Wiederherstellung der körperlichen und seelischen Integrität des Patienten sein muss. Sicherlich hat die Intensivmedizin auch ihre Existenzberechtigung in der Behandlung von Krankheiten, die nicht komplett ausheilen, sondern mit einer Defektheilung einhergehen. Besteht jedoch bei einem beatmeten Patienten mit fortgeschrittener Lungenerkrankung und Multiorganversagen keine Hoffnung zumindest auf relative Genesung, dann ist es in dieser Situation ethisch und moralisch vertretbar, Therapiebegrenzung und -abbruch durchzuführen. Therapieabbruch („withdrawing”) bedeutet hierbei, dass eine laufende Therapie (z. B. Beatmung, Sauerstoffgabe oder Katecholamingabe) reduziert und schließlich beendet wird. Therapiebegrenzung („withholding”) bedeutet, dass eine in anderen Fällen indizierte Therapie nicht begonnen wird (z. B. Intubation, Dialyse, Gabe von Katecholaminen oder künstliche Ernährung). Da der Patient in einer solchen Situation häufig weder kommunikations- noch willensfähig ist, wird er vom Betreuer oder Gesundheitsbevollmächtigten, die in der Regel ebenfalls medizinische Laien sind, vertreten. Ethisch provokativ bleibt in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Arzt, wenn es seiner ethischen Überzeugung entspricht, gegebenenfalls die Beatmungstherapie auch gegen den Willen des Patienten abbrechen oder begrenzen darf. Dem wird man nur zustimmen können, wenn die Therapiebegrenzung in derartigen Fällen nach allgemeiner ärztlicher Auffassung medizinisch indiziert ist.

In USA wurde Therapiebegrenzung und -abbruch erstmals durch den „Quinlan”-Fall in der breiten Öffentlichkeit diskutiert [44]. Hier wurde vom Supreme Court das Recht der handlungsunfähigen Patientin auf Beendigung der Beatmung ausgesprochen. In Europa ist die Vorgehensweise hierzu von Land zu Land unterschiedlich [2] [45] [46] [47]. Esteban u. Mitarb. fanden, dass Entscheidungen zu withholding/-drawing in 6 spanischen Intensivstationen in 7 % der Fälle getroffen wurden („withdrawal” 66 %, „withholding” 34 % in 226 Patienten) [48]. In über 90 % dieser Fälle wurden die Maßnahmen durch Ärzte initiiert.

In der französischen Studie erfolgte „withholding/-drawing” in 11 % der Patienten auf Intensivstationen [49]. In 53 % der Sterbefälle ging withholding/-drawing voraus. In 44 % der Fälle war die Familie involviert; nur in 8 % existierte eine Willenserklärung der Patienten.

Die europäische Erhebung zu withholding/-drawing bei mehr als 4000 Patienten in 17 europäischen Ländern fand, dass die withholding Praxis mit 38 % in den untersuchten Ländern etwa gleich verbreitet war [45]. Bzgl. „withdrawal” divergierten die Zahlen: Nordeuropa (48 %), Zentral- und Südeuropa (34 % bzw. 18 %). Auch die Religionszugehörigkeit der Ärzte beeinflusste die Entscheidung: Ärzte mit protestantischem und römisch-katholischem Glauben führten häufiger Therapieabbruch durch als griechisch-orthodoxe, jüdische oder muslimische Ärzte.

Der Entscheidungsprozess zu Therapiebegrenzung und -abbruch sollte nicht unter Zeitdruck stehen. Die Betroffenen, d. h. vor allem der Patient, sein Vertreter, Angehörige, Pflegende und Ärzte, sollten das offene Gespräch miteinander führen, um so neben sachlichem Informationsaustausch, kritische Fragen, Ängste und vorhandene Widerstände formulieren und aufarbeiten zu können. In manchen Fällen kann es hilfreich sein, eine Ethikkommission oder den Palliativdienst einzuschalten, bevor endgültige Entscheidungen hierzu getroffen werden, die den Sterbeprozess in absehbarer Zeit ermöglichen [50].

Unter ethischen Aspekten bleibt in diesem Zusammenhang die Tatsache eine Herausforderung, dass keine exakten Prädiktoren bzgl. individueller Vorhersagbarkeit der Lebenserwartung bzw. Lebensqualität des polymorbiden Patienten auf der Intensivstation existieren. Auch Scores zur Erfassung des Schweregrades der Erkrankung (wie z. B. Simplified Acute Physiology Score „SAPS” oder Acute Physiology and Chronic Health Evaluation „APACHE”) sind zur individuellen Prognoseeinschätzung nicht tauglich [51]. Sie sind keine individuellen Prädiktoren für Outcome, sondern nur für Patientenkollektive valide und damit keine Entscheidungshilfe im Einzelfall bei der Frage, ob eine Therapie begrenzt oder abgebrochen werden soll. Damit bleibt die Entscheidung zu Therapiebegrenzung und -abbruch im Wesentlichen abhängig von der ärztlichen Einschätzung. So ergaben aktuelle Untersuchungen, dass die ärztliche Einschätzung des angenommenen Patientenwillens (und weniger der Schweregrad der Erkrankung oder das Alter der Patienten) das relevante Entscheidungskriterium für den Therapieabbruch der Beatmung war [52].

Auch wenn die Wahrscheinlichkeit im Einzelfall sehr hoch ist, dass das Leben des Patienten nach menschlichem Ermessen nicht mehr zu retten ist, bleibt eine gewisse Unsicherheit. Gelingt es den Beteiligten nicht, mit dieser Unsicherheit rational umzugehen, d. h. die sehr hohe Wahrscheinlichkeit der Nutzlosigkeit („Futility”) weiterer intensivmedizinischer Maßnahmen zu akzeptieren, und wird die Fortsetzung der Behandlung und insbesondere der Beatmung gefordert, dann kommt es häufig zu großen Spannungen zwischen Pflege, Ärzten und Angehörigen. Der Intensivmediziner muss mit der Tatsache leben, dass die eigene Einschätzung der infausten Prognose und damit die Empfehlung zur Therapiebegrenzung und -abbruch im Einzelfall falsch sein kann. Das Wissen um diese Ungewissheit ist eine Provokation, die einerseits hohe Aufmerksamkeit bei jeder individuellen Entscheidung zu Therapiebegrenzung und -abbruch fordert, andererseits aber nicht die ärztliche Entscheidungsfähigkeit lähmen darf.

Auch wenn es unter ethischen und juristischen Aspekten problematisch ist, sei an dieser Stelle auf die Diskussion um die Wirtschaftlichkeit der Intensivmedizin hingewiesen. Das in diesem Zusammenhang bestehende Dilemma wurde von Wagner formuliert [53]: Bestimmte Kosten der Akutmedizin überschreiten die ökonomischen Möglichkeiten der Gesellschaft. Unter wachsendem Kostendruck im Gesundheitswesen, und damit auch in der Intensivmedizin, ist eine Entwicklung zu beobachten, dass Entscheidungen, bei chronisch Kranken in der Endphase des Lebens mit einer teuren Intervention zu beginnen oder nicht, primär unter Berücksichtigung medizinischer, aber auch ökonomischer Aspekte getroffen werden. Im Zeitalter der gedeckelten Budgets ist hierbei zu berücksichtigen, dass Geld, das außerhalb des Budgets einer Intensivstation ausgegeben wird, an anderer Stelle fehlt und dieser Mangel ebenfalls Leid erzeugen kann (so genannte „Ressourcenallokation”). Maßstab für eine Allokation darf aus medizinethischen und rechtlichen Gründen nicht allein das Alter des Patienten sein. Maßgeblich ist vielmehr die größtmögliche medizinische Wirksamkeit der nur begrenzt verfügbaren Mittel und Verfahren. So genießt eine Behandlung, durch die ein unmittelbar bevorstehender Tod abgewendet und die frühere Gesundheit wiederhergestellt werden kann, größere Priorität als eine Behandlung, die nur eine minimale Lebensverlängerung und keine Verbesserung der Lebensqualität zur Folge hat. Im Hinblick auf die zunehmende Ressourcenknappheit erscheint es uns im gut begründbaren Einzelfall vertretbar, auf kostenintensive Interventionen zu verzichten, die in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem für den Patienten erzielbaren Nutzen stehen.

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Der Sterbeprozess während oder nach Beatmung

Mit der Diskonnektion vom Beatmungsgerät ist nicht zwanghaft das unmittelbar eintretende Sterben des Patienten verbunden. Nicht wenige Patienten stabilisieren sich nach der Diskonnektion vom Beatmungsgerät auf niedrigem Niveau, werden aus der Intensivstation verlegt und sterben erst nach Tagen oder sogar Wochen auf Normalstation, in pflegerischen Einrichtungen oder im Idealfall in vertrauter häuslicher Umgebung [54] [55]. In einer Minderheit dieser Patientengruppe kommt es nach Therapieabbruch wider Erwarten sogar zur längerfristigen klinischen Stabilisierung der Patienten [52].

Da die Mehrheit der Patienten jedoch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang nach Therapieabbruch auf der Intensivstation oder assoziierten Stationen stirbt, sollte ein gesonderter Bereich vorhanden sein, wo Patienten im Beisein ihrer Angehörigen und ohne vom Umfeld gestört zu werden ein würdiges Sterben ermöglicht wird. Von diesem Ziel ist die Realität jedoch weit entfernt und die Verantwortlichen dürfen nicht nachlassen, solche Räumlichkeiten einzufordern.

Es existieren - abhängig vom kulturellen Umfeld - in der Literatur unterschiedliche Empfehlungen zum pharmakologischen Management des terminalen Weaning. In den USA werden teilweise konkrete Anweisung zum Umgang mit Opiaten, Sedativa und Barbituraten umgesetzt [56] [57]. Auch wenn vergleichbare Protokolle im Europa nicht weit verbreitet sind, gilt auch hier, dass Dyspnoe, Agitation und Schmerzen durch Gabe von potenten Analogosedativa konsequent zu therapieren sind. Es ist aus mehreren Gründen vernünftig, die Beatmung nicht abrupt zu beenden, sondern den Grad der maschinellen Unterstützung allmählich zu reduzieren, es damit zur Hyperkapnie und Azidose und Zunahme der Sedierung kommen zu lassen und so das Sterben zu ermöglichen.

Wurde bei Patienten entschieden, die Beatmung zu beenden, sollten alle Möglichkeiten und die in Tab. [2] aufgeführten Prinzipien der Palliativmedizin genutzt werden [58].

Tab. 2 Wichtige Prinzipien der Palliativmedizin [58]
Freiheit von Schmerz und Agitation
Keine Beschleunigung, aber auch keine Verzögerung des Sterbens
Anerkennung von Leben und Sterben als physiologischen Prozess
Integration von psychologischen und spirituellen Aspekten
Unterstützung des Lebens bis zum Ende und Unterstützung der Angehörigen
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Literatur

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Prof. Dr. med. Bernd Schönhofer

Abteilung für Pneumologie und internistische Intensivmedizin · Klinikum Region Hannover · Krankenhaus Oststadt - Heidehaus

Podbielskistraße 380

30659 Hannover

Email: Bernd.Schoenhofer@t-online.de

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Prof. Dr. med. Bernd Schönhofer

Abteilung für Pneumologie und internistische Intensivmedizin · Klinikum Region Hannover · Krankenhaus Oststadt - Heidehaus

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Email: Bernd.Schoenhofer@t-online.de