Aktuelle Dermatologie 2006; 32(7): 329-333
DOI: 10.1055/s-2006-925366
Von den Wurzeln unseres Fachs
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Unser Wolferl war aber schon nicht recht wie sonst”

Mozarts Krankheiten in dermatologischer Perspektive”Already our Wolferl was not quite himself”. Mozart's Diseases from the Point of DermatologyA.  W.  Bauer1
  • 1Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
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Prof. Dr. med. Axel W. Bauer

Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin · Fakultät für Klinische Medizin Mannheim der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg ·

Im Neuenheimer Feld 327 · 69120 Heidelberg ·

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Publication History

Publication Date:
17 July 2006 (online)

Table of Contents #

Mozart war vor 1791 selten krank

Wolfgang Amadé Mozart (1756 - 1791) starb am 5. Dezember 1791 im Alter von 35 Jahren und zehn Monaten an einer bis heute nicht sicher identifizierten akuten Krankheit. Bis zu diesem Zeitpunkt war der junge Komponist meistens gesund gewesen. Seine wenigen schweren Erkrankungen fielen vor allem in die Zeit zwischen 1762 und 1767, in der das damalige „Wunderkind” zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester Maria Anna (1751 - 1829) - genannt Nannerl - anstrengende Konzertreisen quer durch Europa unternahm: Ein 1762 in Wien aufgetretenes Erythema nodosum, der 1765 in Den Haag durchgemachte Typhus abdominalis und die 1767 in Olmütz erlittenen Pocken waren auffälligerweise solche Krankheiten, die jeweils mit dermatologischen Effloreszenzen einhergingen. Auch der Name seiner letzten Krankheit, des hitzigen Frieselfiebers, deutet eine erhebliche Beteiligung der Haut an dem tödlich endenden pathologischen Geschehen an. Alle seine schweren gesundheitlichen Belastungen ereilten Mozart jeweils im Oktober oder November. Anscheinend war er im Herbst besonders krankheitsanfällig.

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Erythema nodosum im Oktober 1762

Im Folgenden sollen die Lebensumstände von Wolfgang Amadé Mozart mit der Medizin zur Zeit des aufgeklärten Absolutismus kontrastiert werden. Was durfte, was musste ein Patient oder eine Patientin damals von der Heilkunde und ihren Repräsentanten erwarten, zumal wenn es sich um einen kleinen Jungen handelte, der als musikalisches „Wunderkind” auf zahlreiche lange und beschwerliche Reisen durch mehrere Länder Europas geschickt wurde? Bereits im Januar 1762 reiste die vierköpfige Familie Mozart unter der Leitung des ebenso fürsorglichen wie ehrgeizigen Vaters Leopold (1719 - 1787) zu Konzertauftritten an den Hof des bayerischen Kurfürsten Maximilian III. Joseph (1727 - 1777) nach München, und von Mitte September 1762 an führte die zweite Tournee nach Passau, Linz, Wien und Preßburg. Im Wiener Schloss Schönbrunn kamen zwei Audienzen bei Kaiserin Maria Theresia (1717 - 1780) und Kaiser Franz I. Stephan (1708 - 1765) zustande. Doch schon am Abend des zweiten Vorspiels wurde der kleine Wolfgang krank und musste zehn Tage das Bett hüten. Leopold Mozart berichtete seinem Salzburger Hausbesitzer Johann Lorenz Hagenauer (1712 - 1792) in einem Brief über diese Erkrankung:

„Den 21. [Oktober] waren wir Abends um sieben Uhr abermals bey ihrer Kaiserinnen Maiest: unser Wolferl war aber schon nicht recht wie sonst, und ehe wir dahin fuhren, wie auch, da er zu Bette gieng, klagte er S(chmerzen) v(on) den Hintern und die Füsse. Als er im Bette war, untersuchte ich die orte, wo er die Schmerzen zu füllen vorgab; und ich fand etliche Flecken in der Grösse eines Kreutzers, die sehr roth und etwas erhaben waren, auch bey dem Berühren ihm Schmerzen verursachten. [...] Er hatte Hitzen, und wir gaben ihm Schwarz Pulver und Margrafen Pulver. [...] Den folgenden Freytag wiederholten wir die Pulver in der Frühe und Abends, und wir fanden, daß sich die Flecken mehr ausgebreitet hatten. [...] Er bekam zu gleicher zeit einen Stockzahn, das ihm eine Geschwulst in dem Linken Backen verursachte. [...] diese Scharlach = Flecken sind hie denen Kindern als eine Mode Krankheit gefährlich: und ich hoffe, daß sich der Wolferl nun naturalisirt hat; denn nur die Luftveränderung war daran die Haupt Ursache” [4] [10].

Aufgrund der exakten Beschreibung des charakteristischen Hautausschlags durch Leopold Mozart geht man heute davon aus, dass Wolfgang nicht an einem Scharlach, sondern an einem Erythema nodosum litt [6] [8] [14] [18]. Diese Hautkrankheit, die erst 1842 von dem britischen Hautarzt William James Erasmus Wilson (1809 - 1884) und 1860 von dem Wiener Dermatologen Ferdinand von Hebra (1816 - 1880) beschrieben wurde, verläuft als akute Entzündung des Unterhautfettgewebes. Es handelt sich jedoch nicht um ein kausal homogenes Krankheitsbild, sondern um ein sichtbares Symptom, dem unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen können. Der schmerzhafte Durchbruch des Backenzahns könnte in Verbindung mit dem nicht zu unterschätzenden psychischen Stress durch die Audienz mit Klavierdarbietung vor der Kaiserin einen Auslöser für das zehntägige Krankenlager des kleinen Virtuosen gebildet haben.

Leopold Mozart hatte nicht unerhebliche medizinische Grundkenntnisse, und er besaß eine ordentlich sortierte Reiseapotheke. Ständig war er um die Gesundheit seiner beiden Kinder und seiner Ehefrau Anna Maria (1720 - 1778) bemüht. Von den in Apotheken anzufertigenden Arzneien schätzte er besonders das Markgrafenpulver, das Schwarze Pulver und das Antispasmodische Pulver. Das bei fieberhaften Erkrankungen verwendete Markgrafenpulver oder Pulvis epilepticus marchionis galt als Heilmittel gegen Epilepsie und Übelkeit. Es bestand aus einer Mischung von Eichenmistel, Magnesiumkarbonat, Pfingstrosenwurzel, Iriswurzel, präparierten Korallen und Blattgold. Sehr viel hielten die Mozarts auch vom Pulvis epilepticus niger, das aufgrund der durch Lindenholzkohle hervor gerufenen dunklen Färbung Schwarzpulver genannt wurde. Es bestand aus pflanzlichen und tierischen Stoffen, darunter waren Bernstein und das legendäre Einhorn. Man nahm das Schwarzpulver bei Erkältungen und Übelkeit ein [17].

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Typhuserkrankung im November 1765

In den Jahren 1764 und 1765 weilten die Mozarts in Paris und in London. Wolfgang und seine Schwester Nannerl gaben zahllose Konzerte und spielten auch dem französischen und dem englischen Königspaar vor. Auf der Rückreise von London nach Paris im August 1765 erkrankte Wolfgang bereits in Lille an einer schweren Angina, doch erst im September in Den Haag begann eine wirklich dramatische Zeit für die beiden jungen Künstler: Zunächst bekam die vierzehnjährige Maria Anna einen hoch fieberhaften Typhus abdominalis. Das als Krankheitserreger im 18. Jahrhundert noch unbekannte Bakterium Salmonella typhi konnte durch verunreinigtes Trinkwasser oder kontaminierte Nahrungsmittel übertragen werden. Gemäß der damals noch dominierenden medizinischen Krankheitstheorie, der Humoralpathologie, wurde bei Nannerl ein Aderlass vorgenommen, durch den das angeblich verdorbene Blut entfernt werden sollte. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand des Mädchens auf diese Weise noch verschlechterte. Während sie am 21. Oktober 1765 schon die letzte Ölung erhielt, vertrieb sich ihr ahnungsloser Bruder im Nebenzimmer mit seiner Musik die Zeit.

Erstaunlicherweise erholte sich Nannerl aber doch wieder von der lebensbedrohlichen Krankheit, wenn auch sehr langsam. Doch nun kam die Reihe an Wolfgang, der sich wohl bei ihr angesteckt hatte. Leopold Mozart schrieb nach Salzburg: „Kaum war meine Tochter 8 Täge aus dem Bette und hatte gelernt allein über den Stuben Boden zu gehen; so überfiel den Wolfgangerl den 15. Novb: eine Unbässlichkeit, die ihn in Zeit von 4 Wochen in so elende Umstände setzte, daß er nicht nur absolute unkantbar ist, sondern nichts als seine zarte Haut und kleine Gebeine mehr an sich hat, und nun seit 5 Tägen aus dem Bette täglich in einen sessl gebracht wird. […] Es fieng mit Hitzen an. Kein schwarzes Pulver hatten wir mehr, wir gaben ihm demnach nach gewohnheit, 3 mahl hintereinander etwas Margrafen Pulver; allein es that keine Wirkung […] nachdem er fast 8 Tag geschlaffen, und nichts gesprochen; so kamen endlich die geister wieder zu Kräften. […] Unter seiner Krankheit muste man immer für die Zunge sorg tragen, die die meiste Zeit wie Holz so trocken und unrein ware und oft muste gesäubert werden; Die Lippen verloren 3 mahl ihre Haut die Hart und schwarz wurde” [4] [14].

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Die Pocken im Oktober/November 1767

Im September 1767 begann eine weitere Reise, die erneut nach Wien führte, wo der sechzehnjährige König Ferdinand I. von Neapel-Sizilien (1751 - 1825) aus dynastischen Gründen die gleichaltrige Erzherzogin Maria Josepha (1751 - 1767), eine Tochter von Kaiserin Maria Theresia und Kaiser Franz I. Stephan, heiraten sollte. Anfang Oktober 1767 erhielt Maria Josepha ein mit Diamanten geschmücktes Porträt ihres Verlobten, den sie jedoch nicht heiraten wollte. Selbst die Aussicht, Königin zu werden, konnte ihre trübe Stimmung nicht aufheitern. Maria Josepha erkrankte am 4. Oktober an den Pocken und starb am 15. Oktober, dem Tag ihrer vorgesehenen Trauung. Noch auf dem Sterbebett bat die Prinzessin ihre Mutter Maria Theresia um Verzeihung dafür, dass sie dieser durch ihr Leiden so viel Kummer bereite.

Leopold Mozart verließ aus Furcht vor der nun in Wien herrschenden Pockenepidemie mit seiner Familie am 23. Oktober die Metropole und fuhr über Brünn nach Olmütz, wo er sich in Sicherheit wähnte. Doch der elfjährige Wolfgang bekam am 26. Oktober die ersten Symptome der Blattern, wie man die Pocken damals nannte. Trotz der Gabe der bewährten Arzneien, Markgrafenpulver und Schwarzpulver, verschlechterte sich der Zustand des Jungen, der im Fieber zu fantasieren begann. Nun musste Leopold Mozart handeln. Doch der skeptische und sparsame Hausvater rief keinen Arzt herbei, sondern suchte geistlichen Beistand in Gestalt des Domdechanten Leopold Anton Graf von Podstatzky (1717 - 1776), der ihn „mit grosser Gnade empfieng; und als ich ihm sagte, daß mein Kleiner kranck geworden, und ich vorsehe, daß er etwa Blattern bekommen möchte, so sagte er mir, daß er uns zu sich nehmen wollte, indem er die Blattern gar nicht scheuete. Er ließ gleich den Hausmeister ruffen, befahl ihm 2 Zimmer in Ordnung zu bringen, schickte gleich zu seinem Medico”. Zum Glück verliefen die Pocken bei Wolfgang, der „alle 6 Stund ein Pulver” erhielt, nicht besonders dramatisch, und er behielt sogar seinen Humor: „Da er erstaunlich geschwollen, und eine dicke Nase hatte, und sich im Spiegel besache, so sagte er: nun sehe ich den Mayrl gleich, er verstunde den Herrn Musicum Mayr”. Allerdings hinterließen die glücklich überstandenen Pocken dauerhafte Narben in Wolfgangs Gesicht, während seine Schwester Nannerl, die sich kurz darauf ebenfalls ansteckte, ohne solche bleibenden Spuren davonkam [4] [12] [14].

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Fast ein Vierteljahrhundert lang physisch sehr robust

Überblickt man die weitere Lebensgeschichte, so kann man zu dem Resümee gelangen, dass Wolfgang Amadé Mozart in den folgenden 24 Jahren, in denen er den Zenit seines kompositorischen Schaffens erreichte, körperlich nicht mehr lebensbedrohlich krank gewesen ist. Im Verhältnis zu den drei schweren Erkrankungen, die der Elfjährige bereits hinter sich gebracht hatte, kam in den nächsten knapp zweieinhalb Jahrzehnten jedenfalls nichts Dramatisches mehr hinzu. Angesichts der zahlreichen, lang dauernden und strapaziösen Konzertreisen, die Mozart vor allem als Jugendlicher nach den Plänen seines Vaters unternahm, sowie vor dem Hintergrund der mangelhaften hygienischen Verhältnisse und der therapeutischen Insuffizienz der damaligen Medizin kann man Wolfgang Amadé sogar eine ziemlich robuste physische Konstitution zubilligen (Abb. [1]).

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Abb. 1 Wolfgang Amadé Mozart im Alter von 33 Jahren. Silberstiftzeichnung von Johanna Dorothea Stock (1760 - 1832), entstanden in Dresden am 16. oder 17. April 1789 (im Besitz der Internationalen Stiftung Mozarteum, Salzburg).

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Depressive Stimmungsschwankungen im Herbst 1791

Noch im Oktober 1791, kurz nach der Uraufführung seiner beiden Opern Titus (am 6. September in Prag) und Die Zauberflöte (am 30. September in Wien) deutete nichts darauf hin, dass der emsig arbeitende Komponist körperlich krank gewesen wäre. In einem Brief an seine in Baden bei Wien zur Kur weilende Ehefrau Constanze (1762 - 1842) vom 9. Oktober 1791 heißt es: „Sonntag um 7 uhr früh. - Ich habe recht gut geschlafen, hoffe daß du auch recht gut wirst geschlafen haben. - ich habe mir mein halbes kapaunel, so mir freund Primus nachgebracht hat, herrlich schmecken lassen” [13]. Im Kontrast zu dieser zumindest vordergründig unbekümmerten Selbstbekundung steht allerdings eine - in ihrem Wahrheitsgehalt nur durch Constanzes retrospektive Angaben verbürgte - Bemerkung in der 1798 erschienenen ersten Mozart-Biografie des Prager Gymnasiallehrers und Musikschriftstellers Franz Xaver Niemetschek (1766 - 1849), die sich auf den Herbst 1791 bezieht. Mit Bezug auf die schon im Sommer 1791 aufgetretenen Anflüge depressiver Stimmungsschwankungen heißt es dort: „Bey seiner Zurückkunft [aus Prag] nach Wien nahm er sogleich seine Seelenmesse vor, und arbeitete mit viel Anstrengung und einem lebhaften Interesse daran: aber seine Unpäßlichkeit nahm sichtbar zu, und stimmte ihn zur düstern Schwermuth. Seine Gattin nahm es mit Betrübniß wahr. Als sie eines Tages mit ihm in den Prater fuhr, um ihm Zerstreuung und Aufmunterung zu verschaffen, und sie da beyde einsamm saßen, fing Mozart an vom Tode zu sprechen, und behauptete, daß er das Requiem für sich setze. Thränen standen dem empfindsamen Manne in den Augen: ’Ich fühle mich zu sehr’, sagte er weiter, ’mit mir dauert es nicht mehr lange: gewiß, man hat mir Gift gegeben! Ich kann mich von diesem Gedanken nicht los winden. -’ Zentnerschwer fiel diese Rede auf das Herz seiner Frau; sie war kaum im Stande ihn zu trösten, und das Grundlose seiner schwermüthigen Vorstellungen zu beweisen. Da sie der Meynung war, daß wohl eine Krankheit im Anzuge wäre, und das Requiem seine empfindlichen Nerven zu sehr angreife, so rief sie den Arzt, und nahm ihm die Partitur der Komposition weg. Wirklich besserte sich sein Zustand etwas” [15].

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Das „hitzige Frieselfieber” im November/Dezember 1791

Mozarts Arbeitskraft war objektiv gleichwohl ungebrochen. Noch im November komponierte er die Freimaurerkantate „Laut verkünde unsre Freude” für zwei Tenöre, Bass, Männerchor und Orchester, sein letztes abgeschlossenes Werk, dessen Uraufführung er am 18. November 1791 anlässlich der Einweihung des neuen Tempels der Loge „Zur gekrönten Hoffnung” leitete. Doch zwei Tage danach, am 20. November, wurde Mozart plötzlich akut krank und musste sich ins Bett legen. Zwei Wochen später starb er. Die detailreichste Beschreibung dieser letzten Krankheit gab Constanzes jüngere Schwester Sophie Haibel (1763 - 1846) in einem Bericht, den sie am 7. April 1825, also mehr als 33 Jahre nach den Ereignissen, an Constanzes zweiten Ehemann Georg Nikolaus Nissen (1761 - 1826) schrieb, der damals für seine - 1828 posthum erschienene - Mozart-Biografie recherchierte [16]. Sophie und ihre Mutter Cäcilia Weber (1727 - 1793) hatten sich Ende November 1791 um den erkrankten Mozart gekümmert. Sophie erinnerte sich an die damaligen Geschehnisse:

„Nun, als M. erkrankte, machten wir beyde ihm die Nacht-Leibel, welche er vorwärts anziehen konnte, weil er sich vermög Geschwulst nicht drehen konnte; und weil wir nicht wussten, wie schwer krank er seye, machten wir ihm auch einen wattirten Schlafrock [...], dass, wenn er aufstehete, er gut versorgt sein möchte, und so besuchten wir ihn fleissig” [5]. Dem englischen Musikverleger Vincent Novello (1781 - 1861) und seiner Frau Mary (+ 1854) erzählte Sophie Haibel bei deren Besuch in Salzburg im Juli 1829, dass Mozarts Arme und Beine sehr entzündet und geschwollen gewesen seien. Der Komponist und Mozart-Schüler Joseph Leopold Eybler (1765 - 1846) wiederum schrieb in seiner Autobiografie, Wolfgang Amadé habe unter einer „schmerzvollen Todeskrankheit” gelitten. Nissen zog folgendes Resümee: „Seine Todeskrankheit, wo er bettlägerig wurde, währte 15 Tage. Sie begann mit Geschwulst an Händen und Füßen und einer beynahe gänzlichen Unbeweglichkeit: derselben, der später plötzliches Erbrechen folgte, welche Krankheit man ein hitziges Frieselfieber nannte. Bis zwey Stunden vor seinem Verscheiden blieb er bey vollkommenem Verstande” [14].

Fasst man diese Aussagen zusammen, so starb Mozart nach einer akuten, etwa zwei Wochen andauernden fieberhaften Erkrankung, die durch schmerzhafte Schwellungen insbesondere der Extremitäten gekennzeichnet war. Bis in seine allerletzten Stunden blieb er jedoch bei Bewusstsein. Die von Carl Bär und Anton Neumayr begründete Hypothese, dass es sich dabei in moderner Terminologie um ein durch Streptokokken ausgelöstes Rheumatisches Fieber gehandelt haben könnte, das man heute mit Antibiotika behandeln würde, ist angesichts der beschriebenen Krankheitssymptome durchaus plausibel, wenngleich nicht definitiv beweisbar [2] [14].

Der mit den Mozarts seit 1789 bekannte und befreundete Hausarzt konnte das Schicksal seines Patienten nicht mehr wenden: Dr. Thomas Franz Closset (1754 - 1813) war ein fachlich sehr gut und auf der Höhe des Wissens seiner Zeit ausgebildeter Arzt, der seit 1777 in Wien arbeitete. Seinen konsiliarischen Rat holten sogar die Leibärzte der kaiserlichen Familie wiederholt ein. Im Fall von Mozarts lebensbedrohlicher Erkrankung zog Closset seinerseits am 28. November 1791 einen Konsiliarius zu, mit dem er sich beriet: Dr. Mathias Edler von Sallaba (1764 - 1797), damals erst 27 Jahre alt, war mit Closset befreundet. Closset behandelte Mozart mit mehreren Aderlässen, zuletzt am 3. Dezember 1791, gemäß den tradierten Vorstellungen der Humoralpathologie, wonach sich die schädliche „Krankheitsmaterie” im Blut befand und mit diesem aus dem Körper entfernt werden musste, damit sie sich nicht im Kopf festsetze und das Bewusstsein auslösche. Der durch die Therapie verursachte Blutverlust dürfte den Eintritt des Todes beschleunigt haben. Am Abend des 4. Dezember befand sich Closset im Theater. Nach dem Ende der Vorstellung begab er sich noch einmal zu Mozart, an dessen Krankenbett er gerufen worden war. Laut Sophie Haibel verordnete Closset ihm noch „kalte Umschläge über seinen glühenden Kopfe, welche ihm auch so erschütterten, dass er nicht mehr zu sich kam, bis er nicht verschieden” [14].

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Die Grenzen der retrospektiven Diagnostik

Die Versuche, Mozarts Todeskrankheit diagnostisch auf die Spur zu kommen, sind mittlerweile Legion. Während für den Musikwissenschaftler Ulrich Konrad „kein vernünftig begründbarer Zweifel” an einer natürlichen Todesursache [12] besteht, ist vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart immer wieder die These aufgestellt worden, Mozart sei an einer Quecksilbervergiftung gestorben. Zu den Autoren, die eine solche tödliche Intoxikation für wahrscheinlich hielten, gehörte jüngst der Mathematiker Ludwig Köppen. Dieser vertrat 2004 die Ansicht, dass Mozart eine angeblich seit dem Sommer 1791 bestehende Syphilis-Erkrankung mit einem quecksilberhaltigen Arzneimittel aus dem Vorrat eines Freundes, des Arztsohns Gottfried Baron van Swieten (1733 - 1803), selbst behandelt und dabei wohl am 18. oder 19. November 1791 irrtümlich eine zu hohe, akut toxische Dosis eingenommen habe [11]. Köppen erklärt die ungeklärten Umstände von Mozarts Sterben, der nachfolgenden Beisetzung außerhalb der Öffentlichkeit und die späteren widersprüchlichen Berichte darüber als Versuche zahlreicher Beteiligter, die wahre Todesursache zu vertuschen und stattdessen falsche Spuren zu legen. Die Studie leidet jedoch darunter, dass der Autor das Schweigen der historischen Quellen zu bestimmten Sachverhalten ebenso im Sinne seiner Verschleierungs-Theorie interpetiert wie Äußerungen von Zeitgenossen, die mit der Quecksilber-Hypothese inkompatibel sind. Dadurch wird diese gegen mögliche Kritik immunisiert und ist somit theoretisch kaum noch falsifizierbar. Eine praktische Überprüfung scheidet ohnehin aus, da Mozarts Leiche nicht mehr untersucht werden kann.

In der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts sind ansonsten beispielsweise der mit Mozart konkurrierende italienische Komponist und Wiener Hofkapellmeister Antonio Salieri (1750 - 1825), Mozarts Ehefrau Constanze (1762 - 1842), sein Kompositionsschüler Franz Xaver Süßmayr (1766 - 1803) und mehrere andere Zeitgenossen als potenzielle Mörder dargestellt worden. Bei keiner dieser Personen sind jedoch die aus kriminalistischer Sicht erforderlichen drei Elemente - Motiv, Mittel und Gelegenheit - alle gleichzeitig nachweisbar, so dass die posthume Überführung eines Täters oder einer Täterin schon an diesem Mangel scheitert. In einer 2005 publizierten amüsanten Studie des Salzburger Musikwissenschaftlers Rudolph Angermüller werden 15 fiktive Prozesse gegen „mordverdächtige” Personen aus Mozarts Umfeld geführt, die jedoch alle mit einem Freispruch für die Angeklagten enden [1].

Aus methodischen Gründen meidet der Medizinhistoriker das unsichere Terrain der retrospektiven Diagnostik [3], denn zu einer soliden Diagnose gehört eine unmittelbare körperliche Untersuchung des Patienten durch den Arzt. Zudem erhöht sich diese Schwierigkeit in Mozarts Fall durch die große zeitliche Distanz, denn die am Ende des 18. Jahrhunderts gültigen Krankheitstheorien und deren Terminologie sind von Denkweise und Fachsprache der Medizin am Beginn des 21. Jahrhunderts völlig verschieden. Wir können nicht exakt angeben, was die Diagnose hitziges Frieselfieber im Jahre 1791 bedeutete. Zwar war in der Medizin des 18. Jahrhunderts der Begriff Friesel geläufig, und auch der Ausdruck hitziges Fieber wurde in einer Zeit, in der man die zahlreichen Formen des Fiebers für jeweils eigenständige Krankheiten hielt, sehr wohl verwendet. Die Kombination hitziges Frieselfieber gibt die Kombination eines hoch fieberhaften Krankheitsverlaufs mit einem sichtbaren Hautausschlag wieder.

In dem 1735 erschienenen neunten Band des Grossen vollständigen Universal-Lexicons aller Wissenschafften und Künste findet sich eine ausführliche Beschreibung des Begriffs Friesel (Abb. [2]): „Friesel, Purpura, ist eine Kranckheit, oder vielmehr eine besondere Art der Befleckung der Haut, mit Aufschüßung kleiner scharffen Blätterlein als Hirse-Körner; dahero sie sonsten auch Febris miliaris, oder militaris, Hirse-Fieber, ingleichen morbilli ignei genennet wird. Es werden diese Patienten von einem bösen Fieber angegriffen, und zwar mit einem Schauer” [7]. Mit Friesel wurde jeder akute, mit Schüttelfrost einher gehende, meist rote, hirsekornähnliche, diffuse Hautausschlag bezeichnet. Dahinter konnten sich Röteln, Masern, Scharlach, Fleckfieber oder einfache Hitzebläschen verbergen [9].

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Abb. 2 Beschreibung des Friesels [7].

Die Diagnose hitziges Frieselfieber löst das Rätsel um Mozarts Todesursache nicht, vielmehr stellt sie selbst ein medizinhistorisches Problem dar. Die Hypothese der Quecksilbervergiftung kann auf diese Weise weder erhärtet noch falsifiziert werden. Entsprechendes gilt für zahlreiche weitere Diagnosen, die im Nachhinein für den Tod des Komponisten verantwortlich gemacht worden sind. Darunter finden sich Nierenversagen, Herzversagen, Therapiefehler (Aderlass), Infektionskrankheiten, Rheumatisches Fieber, Arthritis und entzündliches Gallenfieber. Wenn so viele Experten - angeblich sind es mehr als hundert - zu derart divergierenden Schlussfolgerungen gelangt sind, dann spricht dies gegen die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der retrospektiven Diagnostik. Viele Details im Zusamenhang mit Mozarts Ende werden sich nicht mehr klären lassen. Zahlreiche Fragen bleiben offen, was weiterhin Raum für Spekulationen und Legenden lassen wird.

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Literatur

  • 1 Angermüller R. Mozart muss sterben. Ein Prozess. Salzburg; ecowin Verlag 2005
  • 2 Bär C. Mozart. Krankheit - Tod - Begräbnis. Schriftenreihe der Internationalen Stiftung Mozarteum, 1. 2. Aufl. Salzburg; Internationale Stiftung Mozarteum 1972
  • 3 Bauer A W. Möglichkeiten und Grenzen der retrospektiven Diagnostik am Beispiel der Pathografie von Wolfgang Amadé Mozart (1756 - 1791).  Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. 2006;  25 im Druck
  • 4 Böhme G. Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791). In: Böhme G Medizinische Porträts berühmter Komponisten. Stuttgart, New York; Gustav Fischer 1979: 1-35
  • 5 Deutsch (Hrsg) O E . Mozart. Die Dokumente seines Lebens. 2. Aufl. Kassel; Bärenreiter 1979: 450-451
  • 6 Greither A. Wolfgang Amadé Mozart. Seine Leidensgeschichte in Briefen und Dokumenten dargestellt. Heidelberg; Lambert Schneider 1958
  • 7 Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, 9. Leipzig, Halle; Johann Heinrich Zedler 1735: 2113-2118
  • 8 Handrick W, Nenoff P, Paasch U, Mügge C, Berthold F. Erythema nodosum.  Aktuelle Dermatologie. 2005;  31 504-509
  • 9 Höfler M. Deutsches Krankheitsnamen-Buch. München; Piloty und Loehle 1899: 169
  • 10 Kerner D. Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791). In: Kerner D Krankheiten großer Musiker. 4. Aufl. Stuttgart, New York; Schattauer 1986: 3-89
  • 11 Köppen L. Mozarts Tod. Ein Rätsel wird gelöst. Köln; Ludwig Köppen Verlag 2004
  • 12 Konrad U. Wolfgang Amadé Mozart. Leben, Musik, Werkbestand. Kassel, Basel, London, New York, Prag; Bärenreiter 2005
  • 13 Mozart W A. Briefe. Neu ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Wolfgang Hildesheimer. Frankfurt am Main, Leipzig; Insel 1995
  • 14 Neumayr A. Wolfgang Amadeus Mozart. In: Neumayr A Musik und Medizin am Beispiel der Wiener Klassik. 4. Aufl. Wien; J&V Edition 1990: 49-120
  • 15 Niemetschek F X. W. A. Mozart’s Leben nach Originalquellen beschrieben. Facsimiledruck der ersten Ausgabe [1798], mit den Lesarten und Zusätzen der zweiten vom Jahre 1808 und Einleitung von Dr. Ernst Rychnovsky. Prag; Taussig 1905: 34
  • 16 Nissen G N. Biografie W. A. Mozarts. 4. unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1828. Hildesheim; Olms 1991
  • 17 Nowotny O. Die medikamentöse Versorgung der Familie Mozart. Von Markgrafen- und Schwarzem Pulver.  Österreichische Apotheker-Zeitung. 2006;  60 132-135
  • 18 Rothman S. Erythema nodosum in the eighteenth century.  Archives of Dermatology and Syphilology. 1945;  52 33-34

Prof. Dr. med. Axel W. Bauer

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Literatur

  • 1 Angermüller R. Mozart muss sterben. Ein Prozess. Salzburg; ecowin Verlag 2005
  • 2 Bär C. Mozart. Krankheit - Tod - Begräbnis. Schriftenreihe der Internationalen Stiftung Mozarteum, 1. 2. Aufl. Salzburg; Internationale Stiftung Mozarteum 1972
  • 3 Bauer A W. Möglichkeiten und Grenzen der retrospektiven Diagnostik am Beispiel der Pathografie von Wolfgang Amadé Mozart (1756 - 1791).  Würzburger medizinhistorische Mitteilungen. 2006;  25 im Druck
  • 4 Böhme G. Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791). In: Böhme G Medizinische Porträts berühmter Komponisten. Stuttgart, New York; Gustav Fischer 1979: 1-35
  • 5 Deutsch (Hrsg) O E . Mozart. Die Dokumente seines Lebens. 2. Aufl. Kassel; Bärenreiter 1979: 450-451
  • 6 Greither A. Wolfgang Amadé Mozart. Seine Leidensgeschichte in Briefen und Dokumenten dargestellt. Heidelberg; Lambert Schneider 1958
  • 7 Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, 9. Leipzig, Halle; Johann Heinrich Zedler 1735: 2113-2118
  • 8 Handrick W, Nenoff P, Paasch U, Mügge C, Berthold F. Erythema nodosum.  Aktuelle Dermatologie. 2005;  31 504-509
  • 9 Höfler M. Deutsches Krankheitsnamen-Buch. München; Piloty und Loehle 1899: 169
  • 10 Kerner D. Wolfgang Amadeus Mozart (1756 - 1791). In: Kerner D Krankheiten großer Musiker. 4. Aufl. Stuttgart, New York; Schattauer 1986: 3-89
  • 11 Köppen L. Mozarts Tod. Ein Rätsel wird gelöst. Köln; Ludwig Köppen Verlag 2004
  • 12 Konrad U. Wolfgang Amadé Mozart. Leben, Musik, Werkbestand. Kassel, Basel, London, New York, Prag; Bärenreiter 2005
  • 13 Mozart W A. Briefe. Neu ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Wolfgang Hildesheimer. Frankfurt am Main, Leipzig; Insel 1995
  • 14 Neumayr A. Wolfgang Amadeus Mozart. In: Neumayr A Musik und Medizin am Beispiel der Wiener Klassik. 4. Aufl. Wien; J&V Edition 1990: 49-120
  • 15 Niemetschek F X. W. A. Mozart’s Leben nach Originalquellen beschrieben. Facsimiledruck der ersten Ausgabe [1798], mit den Lesarten und Zusätzen der zweiten vom Jahre 1808 und Einleitung von Dr. Ernst Rychnovsky. Prag; Taussig 1905: 34
  • 16 Nissen G N. Biografie W. A. Mozarts. 4. unveränderter Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1828. Hildesheim; Olms 1991
  • 17 Nowotny O. Die medikamentöse Versorgung der Familie Mozart. Von Markgrafen- und Schwarzem Pulver.  Österreichische Apotheker-Zeitung. 2006;  60 132-135
  • 18 Rothman S. Erythema nodosum in the eighteenth century.  Archives of Dermatology and Syphilology. 1945;  52 33-34

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Abb. 1 Wolfgang Amadé Mozart im Alter von 33 Jahren. Silberstiftzeichnung von Johanna Dorothea Stock (1760 - 1832), entstanden in Dresden am 16. oder 17. April 1789 (im Besitz der Internationalen Stiftung Mozarteum, Salzburg).

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Abb. 2 Beschreibung des Friesels [7].