Rofo 2005; 177(12): 1724-1725
DOI: 10.1055/s-2005-923470
Mitteilungen der DRG
Radiologie und Recht
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Keine Anwendung des "Windhundprinzips" bei der Bewerberauswahl nach teilweiser Aufhebung von Zulassungssperren

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Rechtsanwälte Wigge Kleinke Frehse,

Rechtsanwalt Michael Frehse

Münster/Westf.

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Publication Date:
07 December 2005 (online)

 
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Anmerkungen zum Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. Februar 2005 (Az.: B 6 KA 81/03 R)

Wenn in einem Planungsbereich aufgrund veränderter Verhältniszahlen im Hinblick auf eine bestimmte Arztgruppe keine Überversorgung mehr besteht, dann hat der zuständige Landesausschuss nach Nr. 23 Satz 1 Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte die Möglichkeit, eine Zulassungssperre lediglich partiell aufzuheben. Diese teilweise Entsperrung eines Planungsbereiches ermöglicht es dem Landesausschuss, im Interesse einer angemessenen Bedarfsplanung Neuzulassungen nur so lange freizugeben, bis wiederum gemessen an den neuen Verhältniszahlen eine Überversorgung eintritt. Bewerben sich nach einer entsprechenden teilweisen Entsperrung mehrere Bewerber um einen neu zu besetzenden Vertragsarztsitz, dann legt die Vorschrift der Nr. 23 Satz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte bislang fest, dass über die Anträge allein nach Maßgabe der Reihenfolge ihres Eingangs beim zuständigen Zulassungsausschuss zu entscheiden ist (sog. "Windhundprinzip").

Die in der Praxis bereits heftig diskutierte Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung und nach geeigneten Kriterien für die Auswahlentscheidung war nunmehr Gegenstand eines Revisionsurteils des Bundessozialgerichts vom 23. Februar 2005 (Az.: B 6 KA 81/03 R). Das BSG hat festgestellt, dass das "Windhundprinzip" den aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) abzuleitenden Anforderungen an eine angemessene Verfahrensgestaltung nicht in vollem Umfang entspricht. Nähere Regelungen zur interessengerechten Auswahl unter mehreren Zulassungsanträgen seien erforderlich und müssen nach Auffassung des BSG vom Gemeinsamen Bundesausschuss im Rahmen der diesem zugewiesenen Normsetzungsbefugnis getroffen werden.

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Sachverhalt

Dem Revisionsurteil lag der Antrag einer Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung im Planungsbereich Jena zugrunde. Mit Beschluss vom 27. Januar 1999 hatte der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Thüringen aufgrund veränderter Verhältniszahlen den bis dahin wegen Überversorgung mit einer Zulassungssperre belegten Planungsbereich Jena für die Zulassung eines weiteren Facharztes für Gynäkologie geöffnet. Nachdem der Beschluss des Landesausschusses dem Zulassungsausschuss am 17. Februar 1999 schriftlich bekannt gegeben worden war, informierte die Kassenärztliche Vereinigung alle in die Warteliste eingetragenen Ärzte - darunter auch die klagende Gynäkologin und einen weiteren Facharzt für Gynäkologie, den Beigeladenen zu 9) - über die nunmehr eröffnete Möglichkeit, umgehend eine Zulassung zu beantragen. Der Beschluss des Landesausschusses wurde demgegenüber erst in der Aprilausgabe des Thüringer Ärzteblattes 1999 veröffentlicht.

Der Beigeladene zu 9) hatte noch vor schriftlicher Bekanntgabe des Beschlusses des Landesausschusses bereits am 5. Februar 1999 einen vollständigen Antrag auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung gestellt und diesen mit Schreiben vom 15. März 1999 erneut bekräftigt. Der Zulassungsantrag der Klägerin ging beim Zulassungsausschuss am 10. März 1999 ein, war jedoch nicht vollständig, da das polizeiliche Führungszeugnis fehlte. Am 16. März 1999 erteilte der Zulassungsausschuss dem Beigeladenen zu 9) die Zulassung als Gynäkologe für den Vertragsarztsitz in Jena. Zur Begründung wurde angeführt, dessen Antrag sei bereits am 5. Februar 1999 und damit als Erster eingegangen. Gleichzeitig lehnte der Zulassungsausschuss die Anträge der Klägerin und einer weiteren Bewerberin ab. Der hiergegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos.

Die gegen den Beschluss des Berufungsausschusses eingelegte Klage hatte vor dem Sozialgericht Erfolg, wurde jedoch in der Berufungsinstanz vor dem Landessozialgericht abgewiesen. Das Bundessozialgericht hat nunmehr die von der Klägerin angefochtene Auswahlentscheidung des beklagten Berufungsausschusses und das diese Entscheidung bestätigende Urteil des LSG aufgehoben. Zudem verurteilte es den Beklagten, über die Zulassungsanträge der Klägerin und des Beigeladenen zu 9) erneut zu entscheiden.

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Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Auswahlverfahren

Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung festgestellt, das in Nr. 23 Satz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte normierte Windhundprinzip genüge den aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuleitenden Anforderungen an eine angemessene Verfahrensgestaltung nicht in vollem Umfang und bedürfe noch einer weiteren Konkretisierung. Der Grundrechtsschutz und die Berufsfreiheit der Bewerber erfordere eine angemessene Verfahrensgestaltung, da das Auswahlverfahren in entscheidendem Maße Einfluss auf die Konkurrenzsituation und damit das Ergebnis der Auswahlentscheidung habe. Durch die Art der Verfahrensgestaltung müsse insbesondere sichergestellt sein, dass eine lediglich von zufälligen Umständen abhängige und für Manipulationen anfällige Zuteilung der Vertragsarztzulassung nicht stattfinde. Insbesondere werde der Zulassungsausschuss nach der öffentlichen Bekanntgabe der teilweisen Entsperrung einen Zeitraum von 6-8 Wochen abwarten müssen, ehe er seine Auswahlentscheidung unter den bis dahin vollständig eingegangenen Zulassungsanträgen trifft. Hierdurch werde gewährleistet, dass die potenziellen Bewerber ihr Niederlassungsvorhaben konkretisieren und entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen treffen können. Im Rahmen einer fairen und transparenten Verfahrensgestaltung werde der Zulassungsausschuss die Bewerber auch über den Zeitpunkt seiner Auswahlentscheidung unterrichten müssen, damit diese sich auf de Termin einstellen und die notwendigen Unterlagen für eine Zulassung beibringen können.

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Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Auswahlentscheidung

Aber auch die Regelung zur Auswahlentscheidung unter alleiniger Zugrundelegung des Windhundprinzips, also dem alleinigen Abstellen auf den in tatsächlicher Hinsicht von vielen Zufälligkeiten abhängigen Eingang eines vollständigen Zulassungsantrags, könne der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Auswahlentscheidung für die Berufschancen der Bewerber nicht gerecht werden. Niederlassungswillige Ärzte haben bis zur Bekanntgabe der partiellen Öffnung des Planungsbereiches keine Veranlassung, sich auf bloße Vermutungen hin Informationen über die künftige Entwicklung zu beschaffen, um auf dieser Grundlage einen Zulassungsantrag im Wettbewerb mit anderen Konkurrenten möglichst optimal zu positionieren.

Ein geordnetes Auswahlverfahren für eine exklusiv zu vergebende Position setze voraus, dass allen potenziellen Bewerbern dieselbe Frist zur Verfügung stehe, um sich zu bewerben und die hierfür erforderlichen Unterlagen beizubringen. Diesen Anforderungen genüge das sog. "Windhundprinzip" in Nr. 23 Satz 2 Bedarfsplanungs-Richtlinie-Ärzte nach Ansicht der Kasseler Richter nicht.

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Regelungsauftrag obliegt dem Gemeinsamen Bundesausschuss

Nach Ansicht des BSG könne im Rahmen eines für alle Bewerber fairen Auswahlverfahrens einerseits auf Kriterien zurückgegriffen werden, welche die bestmögliche Versorgung der Versicherten im betreffenden Planungsbereich zum Ziel haben. Insoweit könne nach Auffassung der Richter auf die berufliche Eignung oder Dauer der bisherigen ärztlichen Tätigkeit der Bewerber abgestellt werden, wie dies für die Auswahl im Rahmen einer Praxisnachfolge in § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V bereits gesetzlich normiert sei. Andererseits sei auch das Prioritätsprinzip in der Gestalt der Berücksichtigung des Approbationsalters (§ 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V) oder der Eintragung in Wartelisten (§ 103 Abs. 5 SGB V) prinzipiell ein geeignetes Auswahlkriterium. Die Festlegung, welche dieser Kriterien in welcher Weise bei der Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze in bislang gesperrten Planungsbereichen zukünftig zur Anwendung kommen sollen, obliege jedoch dem Gemeinsamen Bundesausschuss im Rahmen seines Auftrags zur näheren Ausgestaltung der Bedarfsplanung. Insoweit bleibt mit Interesse abzuwarten, welche Auswahlkriterien der Gemeinsame Bundesausschuss letztlich für maßgeblich erklären wird.

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Entsprechende Anwendung der Auswahlkriterien des § 103 Abs. 4 oder Abs. 5 SGB V in der Übergangszeit

Das BSG hat in seiner Entscheidung allerdings klargestellt, dass der zur erneuten Entscheidung über die Zulassungsanträge verurteilte Berufungsausschuss nicht verpflichtet ist, mit der Auswahl bis zu einer den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden Neuregelung der Auswahlkriterien durch den gemeinsamen Bundesausschuss abzuwarten. Dies würde nach Ansicht der Richter die Verwirklichung des Grundrechts auf Berufsfreiheit für alle Bewerber unter Umständen für längere Zeit vereiteln und damit der verfassungsrechtlichen Ordnung noch ferner stehen.

Sowohl in dem diesem Revisionsurteil zugrunde liegenden Fall als auch in sämtlichen zukünftigen und noch nicht rechtskräftig angeschlossenen Zulassungsverfahren wegen partieller Aufhebung von Zulassungssperren werden die zuständigen Zulassungsausschüsse nicht nur befugt sondern auch gehalten sein, nach pflichtgemäßem Ermessen eines der in § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V bzw. in § 103 Abs. 5 SGB V normierten und nicht spezifisch auf eine Nachfolgezulassung zugeschnittenen Auswahlkriterien zur Anwendung zu bringen. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist insoweit gehalten, möglichst umgehend dem ihm durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts auferlegten Normsetzungsauftrag nachzukommen, um zu vermeiden, dass bei den regional zuständigen Zulassungsausschüssen unterschiedliche Auswahlkriterien zugrunde gelegt werden und hiermit für die Bewerber eine zwischenzeitliche Rechtsunsicherheit entsteht.

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Rechtsanwälte Wigge Kleinke Frehse,

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