Z Orthop Ihre Grenzgeb 2005; 143(5): 491-493
DOI: 10.1055/s-2005-919763
Orthopädie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Klinische und patientenorientierte 2-Jahres-Ergebnisse in der Knieendoprothetik - navigiert vs. konventionell - Ergebnisse einer Matched-Pair-Fallkontrollstudie

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F. Oczipka
H. Bäthis
C. Lüring
L. Perlick
J. Grifka

Orthopädische Klinik für die Universität Regensburg

Kaiser-Karl-V.-Allee 3

93077 Bad Abbach

Email: foczipka@hotmail.com

Publication History

Publication Date:
14 November 2005 (online)

 
Table of Contents
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Dr. Florian Oczipka

Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es einen Überblick darüber zu erlangen, ob die durch Einführung der navigierten Operationstechnik verbesserte postoperative Beinachse sich auch in der Patientenzufriedenheit, der postoperativen Kniegelenkstabilität und der muskulären Kraft widerspiegelt.

25 Patienten wurden aus dem Gesamtkollektiv aller bei uns im Jahr 2004 mit einer Knieendoprothese versorgten Patienten zufällig ausgewählt.. Diesen wurden 25 Patienten im Sinne einer Matched-Pair-Studie zugeordnet. Dieses Kollektiv wurde neben einer umfangreichen Befragung mittels WOMAC und KSS einer Reihe klinischer Untersuchungen unterzogen.

Der Womac-Score und der Knee-Society-Score zeigte sowohl im navigiert unterstützt operierten als auch im konventionell operierten Kollektiv ähnliche Ergebnisse. Bezüglich der postoperativen Stabilität zeigte sich eine leichte Überlegenheit der navigiert operierten Gruppe. Bei der Biodex-Untersuchung fand sich eine geringgradig bessere Kraftentfaltung der mittels Navigation operierten Patienten.

Im kurz- bis mittelfristigen Verlauf konnte kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Kollektiven gezeigt werden. Inwieweit sich die Navigation positiv im langfristigen Verlauf bewährt, bleibt abzuwarten.

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Relevanz der postoperativen Beinachse

Die Implantation einer Knietotalendoprothese zählt heutzutage zu den Standardoperationen. In über 90% der Fälle werden Standzeiten von 10 Jahren erreicht (Font-Rodriguez et al. 1997, Rodriguez et al. 2001). In verschiedenen Arbeiten konnte neben weiteren Ursachen ein positiver Zusammenhang zwischen der Rekonstruktion einer neutralen, geraden Beinachse und der Überlebenszeit der Endoprothese nachgewiesen werden. Eine Achsabweichung von mehr als drei Grad konnte als prognostisch ungünstig im Hinblick auf eine Lockerung identifiziert werden (Jeffery et al. 1991, Ritter et al. 1994, Bäthis et al. 2004). Daher haben sich die bildfreien Navigationssysteme als Implantationshilfe etabliert. Sie erlauben dem Operateur eine intraoperative Kontrolle über den Prothesensitz (Bäthis et al. 2004, Bäthis et al. 2003, Perlick et al. 2004, Saragalglia et al. 2001, Sparmann et al. 2003, Miehlke et al. 2002). Es war Ziel, der von uns durchgeführten Untersuchung, herauszufinden, ob im Hinblick auf die postoperative Kniegelenksstabilität, die muskuläre Kraftentwicklung, des Bewegungsumfangs und der subjektiven Patientenzufriedenheit zwischen der navigationsgestützten bandsspannungsadaptierten und der konventionellen Implantationstechnik im 2-Jahres-Vergleich Unterschiede bestehen.

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25 Patienten im Jahr 2004

Aus dem Patientenkollektiv, das in unserer Klinik im Jahr 2004 mit einer Knie-Total-Endoprothese versorgt worden ist, wählten wir im Zeitraum von Mai bis August 25 Patienten zufällig aus und ordneten ihnen nach dem Matched- Pair-Prinzip 25 Patienten zu (Tab. [1]). Die Patienten erhielten drei Wochen vor dem geplanten Untersuchungszeitpunkt einen WOMAC-Fragebogen (Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (Bellamy et al. 1988) zusammen mit dem Einladungsschreiben zugesendet. Die Untersucher befragten die Patienten, erhoben den Knee-Society-Score, der als Standardverfahren zur Beurteilung von Patienten, die sich einer Kniegelenkersatzoperation bei Gonarthrose unterzogen haben, bezeichnet wird (Insall et al. 1989) und vervollständigten, sofern notwendig, den WOMAC-Fragebogen. Der Knee-Societey-Score kombiniert funktionelle (Stabilität, ROM, Gehstrecke, Fähigkeit zum Treppensteigen) und subjektive Parameter (Schmerz).

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Tab. 1 Durchschnittliches Patientenalter und Anteil der Männer bzw. der Frauen im jeweiligen Kollektiv in Prozent

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Fluoroskopische Stabilitätsmessung der Extensions- und Flexionsstabilität

Anschließend wurde eine fluoroskopischen Untersuchung des operierten Kniegelenkes zur Beurteilung der Kollateralbandstabilität in Extension und Flexion nach der von Staehelin eingeführten Methode durchgeführt (Staehelin et al. 2003).

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Abb. 1: Varusstress in Flexion (klinisch).

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BIODEX®

Es folgte eine Messung der muskulären Kraft am Kniegelenk an einem isokinetischen Trainingsgerät vom Typ BIODEX® (BiodexTM-3 Dynamometer; Biodex Medical Systems, Inc., New York, USA). Dabei griffen wir auf ein standardisiertes, etabliertes Untersuchungsprotokoll zurück (Knieß et al. 2000). Hierbei wurden zwei verschiedene Winkelgeschwindigkeiten (60° und 180°/s) untersucht.

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Statistische Auswertung

Die statistische Analyse wurde mit dem gepaarten Student t-Test durchgeführt (p < 0,05). Die weitere Datenanalyse erfolgte durch die Erstellung von Box-Plots unter Verwendung von SPSS (Version 11,5, SPSS Inc., Chicago, USA). Daneben kam das Programm Excel (Microsoft, USA) zum Einsatz.

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WOMAC

Sowohl für die Subscores (Schmerzintensivität, Steifigkeit, Funktion) beider Gruppen als auch für den Gesamt- Score konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (Abb. [2]).

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Abb. 2: WOMAC A, B, C, Gesamt (ausreißer- und extremwertbereinigt).

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Knee-Society-Score

Obwohl wir keine statistisch signifikanten Unterschiede nachweisen konnten, zeigt sich im direkten Vergleich der Mittelwerte für alle drei Teilbereiche eine Tendenz zum besseren Abschneiden der navigierten Gruppe (Abb. [3]).

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Abb. 3: Knee-Society-Score (ausreißer- und extremwertbereinigt).

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Postoperative Stabilität

Für die Kollateralstabilität ließen sich ebenfalls keine als signifikant zu bezeichnenden Unterschiede im direkten Vergleich der beiden Patientenkollektive finden (Abb. [4]).

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Postoperative Beweglichkeit

Die durchschnittliche postoperative Beweglichkeit der Patienten wurde klinisch unter Zuhilfenahme eines Winkelmessers bestimmt und betrug in dem navigiert unterstützt operierten Kollektiv 113,8° (SD: 12,91) und bei der konventionell operierten Gruppe 108,8 (SD: 13,73; p = 0,06). Die durchschnittliche Beweglichkeit beider Gruppen umfasste eine Flexionsmöglichkeit von 111,3 (SD: 13,56). Die Extension war lediglich bei 2 Patienten mit 5° eingeschränkt.

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Abb. 4: BIODEX-Untersuchung (ausreißer- und extremwertbereinigt). (Maximal mögliche Kraftentfaltung der Knieextensoren bzw. Flexoren in Abhängigkeit der Bewegungsgeschwindigkeit (180°/sek. bzw. 60°/sek).

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BIODEX®

Bei der BIODEX®-Untersuchung zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede, es lässt sich jedoch ein Trend hin zur besseren Kraftentfaltung in der nav. Gruppe ablesen.

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Ist die Navigation überlegen?

Innerhalb der letzten Jahre hat sich die Navigation in der klinischen Routine etabliert und erlaubt eine höhere Achsgenauigkeit bei der Implantation von Knie-Total-Endoprothesen. Die damit verbundenen hypothetischen Vorteile im kurz- und mittelfristigen Verlauf sind noch nicht geklärt. Wir legten daher die erste Nachuntersuchungsstudie nach konventionell versus navigiert unterstützter Implantation im 2-Jahres-Verlauf vor, um herauszufinden, ob sich postoperative Ergebnisse bei Parametern, wie Patientenzufriedenheit, Kraftentwicklung, Beweglichkeit und Bandstabilität voneinander unterschieden. Hierzu benutzten wir objektive und etablierte Untersuchungsverfahren (WOMAC, KSS) sowohl hochstandatisierte, technische Untersuchungsverfahren (BIODEX) und kollaterale Bandstabilität.

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WOMAC

Betrachtet man die maximal erreichbare Punktzahl der Einzeltests in Abbildung 2 von 20, 8 und 68 Punkten, so zeigt sich, dass die meisten unserer Patienten sehr gut mit dem operierten Kniegelenk zurechtkommen. Ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist nicht zu erkennen, das heißt, dass es für die Patienten in Bezug auf die oben genannten Kriterien keinen Unterschied macht mit welchem der beiden Operationsverfahren sie operiert worden sind. Im Literaturvergleich zeigt sich, dass die von uns gefundenen Werte der aktuellen Literatur entsprechen und damit eine ähnliche Patientenzufriedenheit besteht (Bachmeier et al. 2001).

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Knee-Society-Score

Beide Patientenkollektive kommen gut bis sehr gut mit der Knieprothese zurecht. Insgesamt wurde von beiden Gruppen eine durchschnittliche Punktzahl von 164 erreicht. Diese Werte sind mit anderen Untersuchungen unter einer ähnlichen Fragestellung zu vergleichen (Najibi et al. 2003, Udumkiat et al. 2001).

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Postoperativer Bewegungsumfang

In anderen Studien, die sich mit der postoperatven Beweglichkeit nach Knieendoprothesen beschäftigten, wurden Werte von 111° bis 117° gefunden (Woolson et al. 2004). Dies entspricht dem durchschnittlichen bei uns gemessenen Wert von 111°.

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Postoperative Stabilität

Die Stabilität des Gelenkes in Extension kann hierbei unabhängig von der Situation in Beugestellung sein. Während die Stabilität in Extension, bzw. extensionsnaher Beugung (20°) auch klinisch gut zu untersuchen ist, existierte bislang kein valides Verfahren für eine suffiziente Untersuchung in Beugestellung. Erst Stähelin et al. konnten 2003 eine Untersuchungstechnik darstellen, mit der auch eine Beurteilung der Stabilität in Beugestellung möglich ist. Aus diesem Grund führten wir neben der Varus- und Valgusmessung in Extension auch eine Wiederholung des Versuches in 80° Flexion durch. In unserer Untersuchung konnten wir nachweisen, dass es in beiden Gruppen weder in Extension noch in Flexion zu einem signifikanten Unterschied in der Seitenbandstabilität kam. Es zeigt sich jedoch, dass es wie zuvor vermutet zu einer erheblichen Erhöhung der Aufklappbarkeit und damit der Instabilität des Kniegelenkes unter Flexionsbedingungen kommt. Dies könnte daran liegen, dass in Extensionsstellung die stabilisierende Kraft des Kapselbandapparates überwiegt.. Vergleichbare Arbeiten liegen in der aktuellen Literatur nicht vor.

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BIODEX

Durch isokinetische Systeme zur Kraftmessung ist es möglich, mit einem für den Patienten spezifischen Belastungsmuster eine Aussage über die real auftretenden Kräfte an jedem Punkt einer ausgeführten Bewegung zu machen. In unserer Untersuchung zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den computerunterstützt operierten Patienten und den konventionell operierten. Es zeichnet sich jedoch ein Trend dahingehend ab, dass die navigierte Gruppe eine geringfügig bessere Kraftentfaltung hat als die Vergleichsgruppe.

So war es uns möglich, eventuelle Defizite der das Kniegelenk umspannenden Muskulatur nicht nur zu identifizieren, sondern auch zu quantifizieren. Insbesondere die niedrige Bewegungsgeschwindigkeit eignete sich gut, um pathologische Muskelschwäche zu enthüllen (Sapegaet et al. 1990). Bis auf einige Ausnahmen verfügten alle Patienten zwei Jahre postoperativ über eine gute Kraftentwicklung des operierten Beines, und eine gute postoperative Funktionalität. Alle waren sehr zufrieden.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass mit der navigiert unterstützten Operationstechnik keine signifikanten Unterschiede des postoperativen Outcomes, wohl aber des Trends hin zur besseren Funktionalität erreicht werden konnten. Inwiefern sich dies leichte langfristig auswirkt, bleibt abzuwarten.

Literatur beim Autor

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F. Oczipka
H. Bäthis
C. Lüring
L. Perlick
J. Grifka

Orthopädische Klinik für die Universität Regensburg

Kaiser-Karl-V.-Allee 3

93077 Bad Abbach

Email: foczipka@hotmail.com

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F. Oczipka
H. Bäthis
C. Lüring
L. Perlick
J. Grifka

Orthopädische Klinik für die Universität Regensburg

Kaiser-Karl-V.-Allee 3

93077 Bad Abbach

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Dr. Florian Oczipka

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Tab. 1 Durchschnittliches Patientenalter und Anteil der Männer bzw. der Frauen im jeweiligen Kollektiv in Prozent

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Abb. 1: Varusstress in Flexion (klinisch).

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Abb. 2: WOMAC A, B, C, Gesamt (ausreißer- und extremwertbereinigt).

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Abb. 3: Knee-Society-Score (ausreißer- und extremwertbereinigt).

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Abb. 4: BIODEX-Untersuchung (ausreißer- und extremwertbereinigt). (Maximal mögliche Kraftentfaltung der Knieextensoren bzw. Flexoren in Abhängigkeit der Bewegungsgeschwindigkeit (180°/sek. bzw. 60°/sek).