Aktuelle Urol 2005; 36(5): 385-387
DOI: 10.1055/s-2005-915498-3
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hormonrefraktäres metastasiertes Prostatakarzinom - Kombination verbessert Überleben

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Publikationsdatum:
15. September 2005 (online)

 
Inhaltsübersicht

Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigte , dass eine Kombinationstherapie aus dem Taxan Docetaxel und Prednison das Überleben im Vergleich zu Mitoxantron und Prednison verlängert und sich günstig auf die Schmerzen und die Lebensqualität der Patienten auswirkt (NEJM 2004; 351: 1502-1512).

Im Rahmen einer randomisierten, unverblindeten Studie erhielten 1 006 Männer mit metastasiertem, hormonrefraktärem Prostatakrebs entweder 12 mg Mitoxantrone/m2 alle drei Wochen oder 75 mg Docetaxel/m2 alle 3 Wochen bzw. 30 mg Docetaxel/m2 wöchentlich über 6 Wochen. Alle Patienten erhielten 5 mg Prednison 2-mal täglich. Die Behandlung beinhaltete insgesamt zehn Zyklen (Docetaxel alle 3 Wochen und Mitoxantrone-Gruppe) beziehungsweise 5 Zyklen (Docetaxel wöchentlich). Die Patienten wurden im Mittel 20 Monate nachbeobachtet.

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Seltener Schmerzen und bessere Lebensqualität

Die mediane Überlebensrate war signifikant höher bei Patienten, die alle drei Wochen Docetaxel erhielten im Vergleich zu Krebskranken, die wöchentlich Docetaxel oder Mitoxantron bekamen (p = 0,009). Patienten der dreiwöchentlichen Docetaxel-Gruppe berichteten seltener über Schmerzen als Patienten der wöchentlichen Docetaxel- oder der Mitoxantrone-Gruppe (p = 0,01). Die PSA-Werte wurden bei beiden Docetaxel-Gruppen signifikant stärker gesenkt als in der Mitoxantrone-Gruppe (45% bei dreiwöchentlicher Gabe, 48% bei wöchentlicher Gabe vs. 32%, p < 0,001). Patienten der Mitoxantron-Gruppe beendeten häufiger die Therapie wegen einer Progression der Tumorerkrankung, während Patienten der Docetaxel-Gruppen die Behandlung häufiger wegen abgeschlossener Behandlung oder unerwünschten Wirkungen wie Müdigkeit, Veränderungen am Muskel- und Skelettsystem, sensorische Neuropathie oder Infektionen abbrachen. Patienten der Docetaxel-Gruppen berichteten häufiger über eine gebesserte Lebensqualität als Studienteilnehmer der Mitoxantron-Gruppe (p = 0,009).

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Fazit

Eine Therapie mit 75mg Docetaxel/m2 alle 3 Wochen in Kombination mit Prednison verbessert bei Patienten mit hormonrefraktärem metastasiertem Prostatakarzinom das Überleben und ist einer Therapie mit Mitoxanton und Prednison auch hinsichtlich Schmerzreduktion und Lebensqualität überlegen.

Dr. Felicitas Witte, Mannheim

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Erster Kommentar

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R. Paul

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Neuer Standard beim hormonrefraktären Prostatakarzinom

Ein Meilenstein in der Therapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms ist erreicht mit der ersten und bisher einzigen Chemotherapie die zu einer Lebensverlängerung unserer Patienten führt. Der Gewinn von knapp 3 Monaten mag gering erscheinen, aber die Suche nach Kombinationspartnern für Docetaxel wird dieses Ergebnis in Zukunft weiter verbessern. Eine Verlängerung des Überlebens und eine Überlegenheit bezüglich Schmerzreduktion und Lebensqualität gegenüber Mitoxantron machen Docetaxel eindeutig zum neuen Standard in der Therapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms.

PD Dr. Roger Paul., München

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Zweiter Kommentar

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J. Lehmann

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Neue Therapie ist auch nebenwirkunsgreicher

Seit der Beschreibung des lebensverlängernden Androgenentzugs bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom vor über 60 Jahren durch Huggins und Hodges ließ sich bislang für keine Therapie beim fortgeschrittenen Prostatakarzinom ein positiver Einfluss auf die Überlebenszeit nachweisen. Das änderte sich erstmals wieder mit der von Tannock et al. 2004 publizierten Phase-III-Studie zur systemischen Chemotherapie des hormonrefraktären Prostatakarzinoms (HRPCA) mit Docetaxel versus Mitoxantron plus jeweils täglich 2 ¥ 5 mg Prednison. In dieser Zulassungsstudie mit 1006 Patienten wurde unter der Docetaxel-Therapie mit einer Dosierung von 75 mg/m2 alle 3 Wochen eine signifikante Überlebensverlängerung gegenüber Mitoxantron 12 mg/m2 mit gleichen Dosisintervallen verzeichnet. Der mediane Überlebensvorteil lag allerdings nur bei moderaten 2,4 Monaten (16,5 versus 18,9 Monate). Ein dritter Studienarm mit wöchentlicher Gabe von Docetaxel in der 30 mg/m2 Dosierung zeigte keinen signifikanten Überlebensvorteil (17,4 Monate mediane Gesamtüberlebenszeit) gegenüber der Mitoxantron Behandlung.

In der Vergangenheit hatte die systemische Chemotherapie mit Mitoxantron zwar keinen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber der alleinigen Prednisongabe zeigen können, galt aber aufgrund seiner palliativen Eigenschaften in Kombination mit Prednison für über eine Dekade als die Standardtherapie des HRPCAs.

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Blick auf Patienteneigenschaften....

Im Hinblick auf die Etablierung der Docetaxel-Chemotherapie als neue Standardtherapie des HRPCAs lohnt es sich, einen Blick auf Patienteneigenschaften sowie Nebenwirkungsspektrum dieser Therapiestudie zu werfen: Das Alter der Studien-Patienten lag zwischen 36 und 92 Jahren. Ein Fünftel der Patienten war über 74 Jahre alt. Der mediane PSA-Wert zu Beginn der Studie lag in den drei Gruppen zwischen 108 und 123 ng/ml. Fünfundvierzig Prozent der Patienten hatten Schmerzen bei Eintritt in die Studie. Über 90% der Patienten hatten Knochenmetastasen und rund 23% viszerale Metastasen. Zwischen 66 und 72% hatten einen steigenden PSA-Wert zum Zeitpunkt des Studienbeginns. In der Umsetzung der Protokollvorgaben haben letzlich nur ein Viertel der Patienten im Mitoxantron-Arm und etwas weniger als die Hälfte der Patienten im dreiwöchigen Docetaxel-Arm alle 10 vorgesehenen Infusionen erhalten. Eine Krankheitsprogression zeigte sich unter der Therapie bei mindestens einem Drittel der Patienten in den Docetaxel-Armen (35 und 38%) und bei mehr als der Hälfte der Patienten im Mitoxantron Arm (56%). Bei jedem zehnten Patient (8-12%) musste die Dosis im Laufe der Studie reduziert und bei 21 bis 34% der Patienten die Chemotherapie mindestens einmal verschoben werden. Jeder fünfte Patient im Mitoxantron-Arm erhielt anschließend Docetaxel und etwa jeder vierte erhielt Mitoxantron nach Docetaxel-Therapie. Leider wurde in der Publikation über Ergebnisse bez. Tumoransprechen und Verträglichkeit nach Wechsel in das jeweils andere Therapieregime nicht weiter berichtet.

Die Rate der Patienten mit einem mindestens um die Hälfte reduzierten PSA-Wert unter der Therapie war in beiden Docetaxel-Armen signifikant höher als unter Mitoxantron (45 vs. 48 vs. 32%), wobei das Ansprechen bis zu 8 Monaten vorhielt. Dabei ist das PSA-Ansprechen allerdings nicht unmittelbar mit der weiteren Überlebenszeit der Patienten assoziiert, wie eine spätere Analyse der Studiendaten zeigen konnte.

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....und Nebenwirkungsprofil

Die Nebenwirkungen der Docetaxeltherapie umfassten Grad-III/IV-Neutropenie (< 1000/µl) bei fast jedem dritten Patienten im 3-Wochen-Arm im Gegensatz zu nur 2% bei wöchentlicher Gabe. Überraschenderweise führte diese hohe Neutropenie-Rate zu keinem signifikanten Unterschied zwischen den Studienarmen bez. neutropenischem Fieber bzw. Infektionen. Ein Fatigue-Syndrom stellte sich bei der Hälfte und Übelkeit/Erbrechen bei 40% der Patienten mit Docetaxel-Therapie ein. Weitere signifikant höhere Nebenwirkungsraten für Docetaxel im Vergleich zu Mitoxantron ergaben sich für Alopezie bei über der Hälfte der Patienten, Diarrhön bei jedem dritten, Geschmacksveränderungen sowie Stomatitis bei jedem fünften, sowie Myalgie Dyspnope, Augentränen, periphere Ödeme und Thrombopenie-unabhängiges Nasenbluten bei etwa jedem siebten Patienten. Sensorische Neuropathien fanden sich bei einem Drittel der Docetaxel-Patienten, ebenso wie Nagelveränderungen bis zur kompletten Onycholyse. Dabei können die subjektiv störenden Nagelveränderungen bzw. Onycholyse durch spezielle Kühlhandschuhe bzw. durch das Baden der Nägel im Eiswasserbad während der Infusion sowie UV-dichten Nagellack reduziert werden.

Als mögliche Einflussgröße auf die Ergebnisse der Studie ist eine fast doppelt so hohe Gesamt-Kortikosteroiddosis in den Docetaxel-Armen gegenüber Mitoxantron aufgrund einer obligatorischen Prämedikation mit Dexamethason kritisch zu diskutieren. Ein zusätzlicher palliativer und somit womöglich Lebenszeit-verlängernder Effekt durch eine zusätzliche Dexamethason-Gabe von bis zu 3 x 8 mg in den 12 Stunden vor der Docetaxel-Gabe ist nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen.

Schwankende Literaturangaben zur medianen Überlebenszeit von Patienten mit HRPCA, z. B. unter Mitoxantron-Chemotherapie mit Ergebnissen zwischen 12 und 23 Monaten, erklären sich offensichtlich durch die Ausprägung prognostischer Faktoren in den verschiedenen Patientenkollektiven. In der Publikation von Tannock stellt sich die Verteilung üblicher Risikofaktoren idealerweise als ausgeglichen zwischen allen drei Studienarmen dar. Als eindeutig ungünstige prognostische Faktoren haben sich in dieser Studie viszerale Metastasen, erhöhte alkalische Phosphatase, niedriger Hämoglobin-Wert bzw. ein Gleason- Score des Primärtumors von über 7 herausgestellt. Als günstig hingegen erwies sich ein alleiniger Anstieg des PSA-Wertes als Indikator für die Krankheitsprogression vor Einleitung der Studientherapie. In einer Subgruppenanalyse, die im Rahmen der Erstpräsentation der Studiendaten auf dem amerikanischen Onkologenkongress 2004 vorgestellt wurde, wiesen vor allem asymptomatische Patienten sowie Männer unter 65 Jahren und Patienten mit gutem Allgemeinzustand (Karnofsky-Index mindestens 80) jeweils signifikante Überlebensvorteile gegenüber entsprechenden Patienten im Mitoxantron-Arm auf. Das darf allerdings nicht automatisch dazu führen, die Indikation zur Docetaxel-Therapie bei jungen asymptomatischen Patienten mit HRPCA unkritisch zu stellen.

Leider liegt für die Docetaxel-Zulassungsstudie keine Subgruppenanalysen der Ergebnisse in Abhängigkeit von den lokalen Vorbehandlungen vor. In einer zeitgleich durchgeführten Phase-III-Studie mit Docetaxel/Estramustin versus Mitoxantron bei 770 Männern hatte sich gezeigt, dass Patienten mit einer radikalen Prostatektomie in der Vorgeschichte ein signifikant besseres medianes Gesamtüberleben von etwa 27 Monaten erreichten. Insgesamt hat sich aber im Quervergleich der beiden Studien die Kombination von Docetaxel plus Estramustin nicht als vorteilhaft gegenüber der alleinigen Docetaxel-Therapie dargestellt.

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Neuer Standard bei HRPCA

Zusammenfassend hat sich in der Zulassungsstudie trotz signifikanter Überlegenheit von Docetaxel gegenüber Mitoxantron in den Bereichen Gesamtüberleben, Schmerzreduktion und Lebensqualität auch eine deutlich nebenwirkungsreichere Therapie als Standard etabliert.

Grundsätzlich stellt sich vor Einleitung einer palliativen Therapie bei Krebspatienten immer die Frage, inwieweit Nebenwirkungen und Einschränkung der Lebensqualität durch die Therapie mit palliativen Effekten und einem möglichen Zugewinn an Lebenszeit aufgewogen werden können. Um eine näherungsweise Antwort auf diese Frage geben zu können, wurde in den letzten Jahren der Begriff der QALYs (quality-adjusted life years) eingeführt, die definiert sind als das arithmetische Produkt aus verbliebener Lebenszeit und Messwerten der Lebensqualität während dieser Zeit. Wenngleich diesem Ansatz im deutschsprachigen Raum derzeit allenfalls theoretische Bedeutung zukommt, findet der QALY- Begriff in anderen Ländern wie Großbritanien auch aus gesundheitsökonomischen Gründen zunehmend praktische Anwendung.

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Offene Fragen

Die systemische Chemotherapie mit Docetaxel 75 mg/m2 alle 3 Wochen ist der neue Standard in der Behandlung von Patienten mit HRPCA. Dabei sollten zukünftig folgende offene Fragen im Rahmen klinischer Untersuchungen geklärt werden:

  • Zeitpunkt des Therapiebeginns (asymptomatische versus symptomatische Patienten).

  • Welche Therapiesequenz bei zu erwartender Therapierefraktärität (Docetaxel vor oder nach Mitoxantron oder gar eine Kombination aus beiden [3]).

  • Stellenwert der wöchentlich Gabe von Docetaxel mit 30-35 mg/m2 insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Verträglichkeit der hohen Dosierung

  • Indikation von Docetaxel bei nicht-hormonrefraktären Patienten bzw. in der adjuvanten Anwendung bei Patienten nach lokaler Therapie eines Prostatakarzinoms mit hohem Rezidivrisiko

Literatur beim Autor

Dr. Jan Lehmann, Homburg/Saar

 
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J. Lehmann