Aktuelle Urol 2005; 36(5): 375-383
DOI: 10.1055/s-2005-915498-2
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Inkontinenz und erektile Dysfunktion - Komplikationen nach radikaler Prostatektomie

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Publication Date:
15 September 2005 (online)

 
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Die radikale Prostatektomie stellt neben der Strahlentherapie die Therapiesäule beim Prostatakarzinom dar. Bislang lagen in Kanada nur wenig zuverlässige Daten über mögliche Beeinträchtigungen von Miktion und Sexualfunktion nach einer radikalen Prostatektomie vor.

US-amerikanische und kanadische Ärzte werteten die Fragebögen von 2415 Männern der kanadischen Provinz Quebec aus, die sich zwischen 1988 und 1996 wegen eines Prostatakarzinoms einer radikalen Prostatektomie unterziehen mussten (Eur Urol 46; 2004: 188-194). Die Patienten wurden insbesondere zu Miktionsbeschwerden und Störungen des Sexuallebens befragt.

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Starke Beeinträchtigung

Nahezu die Hälfte der Befragten (49,1%) berichtete über einen regelmäßigen unwillkürlichen Harnverlust. Dieser reichte von wenigen Tropfen (30,6%) bis hin zu einer Menge von mehr als einem Esslöffel (6,6%). Gehäuft traten auch erektile Dysfunktionen auf, die durchschnittliche Rate lag bei rund 75%. Hier fanden die Forscher einen signifikanten Zusammenhang zwischen den Parametern "schwere Inkontinenz" und "erektile Dysfunktion". Verengungen der Harnröhre lagen bei 16,3% der Patienten vor, verbunden mit einem zweifach erhöhten Auftreten einer schweren Inkontinenz.

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Fazit

Die Ergebnisse dieser Befragung bestätigen auch in Kanada die bisher in den USA erhobenen Daten bezüglich der Folgen einer radikalen Prostatektomie.

Uwe Glatz, Eppingen

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Erster Kommentar

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H. Huland

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Die Arbeit muss differenzierter betrachtet werden

Im European Urology wurde eine weitere populationsbasierte Evaluation nach radikaler Prostatektomie publiziert. Sie bezieht sich auf 4997 Männer, die in den Jahren 1988-1996 operiert worden sind, von denen allerdings nur 2415 die Fragebogen beantwortet haben. Im Referat werden die Zahlen sehr einfach interpretiert, indemgesagt wird, dass 49 % regelmäßig unwillkürlichen Harnverlust gehabt haben und 75 % gehäuft erektile Dysfunktion aufwiesen. Das bestätige die Daten die bekannten Folgen einer radikalen Prostatektomie.

Meines Erachtens muss man diese gute Arbeit etwas differenzierter betrachten. Natürlich ist der Wert einer solchen Studie eingeschränkt, wenn nur die Hälfte der Betroffenen geantwortet hat.

Bei genauer Analyse zeigt sich, dass lediglich 20,7 % mehr als einmal am Tag Urinverlust hatten, weitere 8 % genau einmal am Tag, weitere 18,6 % noch nicht einmal jeden Tag. Vergleicht man dies mit vielen bekannten Untersuchungen nicht operierter Männer in dieser Altersgruppe (mittleres Alter, vor der Operation 67 Jahre, mittleres Alter bei der Evaluation 67-69 Jahre) so weiß man, dass auch ohne Operation etwa 20-30 % der Männer Kontinenzprobleme von diesem minimalen Ausmaß haben. Somit kann man als Folge der Operation maximal 20,7 % gesteigerte Inkontinenz im Vergleich zu einem Normalkollektiv feststellen.

Bedrückend hoch ist die hohe Anzahl von 16,3 % Harnröhrenstrikturen, die nach eigenen Erfahrungen heute nahezu gegen Null zu sein scheint. Im Hinblick auf die erektile Funktion erstaunt, dass präoperativ 92 % potent gewesen sein sollten. Dies wird leider nicht im Detail analysiert. Nach der Operation hatten 37 % stets Erektionen nach sexueller Stimmulation, davon war die Erektion bei insgesamt 25 % der Operierten ausreichend für Geschlechtsverkehr. Bevölkerungsstudien weisen aus, dass bei Männern zwischen 67 und 69 Jahren, auch ohne Operation, die Rate der erektilen Dysfunktion weitaus höher ist, als die hier angegebenen präoperativen 7,8 %. Somit muss die postoperative 37%ige Potenzrate, respektive die 25%ige geschlechtsverkehr-fähige Potenzrate in Relation zu dieser Altersgruppe gesehen werden. Hinzu kommt, dass in den Jahren 1988-1996 ein anderes Patientenkollektiv vorlag, als zur heutigen Zeit - nämlich 10 Jahre später. Damals waren international nur etwa 30-40 % der Patienten mit einem neu entdeckten Prostatakarzinom so rechtzeitig entdeckt, dass eine nerverhaltende radikale Prostatektomie durchgeführt werden konnte. Heute beträgt die Zahl im allgemeinen 70-80 %. Hierzu gibt es in dieser Arbeit erstaunlicherweise keine Angaben. Mit anderen Worten, es steht nirgendwo geschrieben, ob überhaupt und wie oft eine nervenschonende, d. h. potenzerhaltende, Operation versucht wurde. In Anbetracht dieser Tatsache und in Anbetracht der Tatsache, dass das mittlere Alter der Patienten 67-69 Jahre war, muss man sogar positiv erstaunt sein, dass 37 % offenbar wieder normale Erektionen hatten und insgesamt 25% sogar GV-fähige Erektionen. Mit den heute üblichen PD-5-Hemmern hätten sicherlich weitere 20-30 %, also insgesamt etwa die Hälfte, GV-fähige Funktionen.

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Nicht klar, wie oft die Nerverhaltung durchgeführt wurde

Generell ist zu sagen, dass populationsbasierte Untersuchungen immer schlechtere Ergebnisse mitteilen, als unizentrische Studien, auch wenn die Evaluationsmethoden mit Hilfe validierter Fragebogen identisch und methodisch korrekt durchgeführt worden sind. Dies ist spätestens seit der bekannten Arbeit von Fowler u. Mitarb. bekannt, aber auch von vielen weiteren populationsbasierten Untersuchungen. Dahinter steht natürlich die mittlerweile sehr bekannte Tatsache, dass dort, wo sehr viele Operationen durchgeführt werden, bessere Ergebnisse erzielt werden, als in Kliniken, wo nur gelegentlich eine so komplizierte Operation, wie die nerverhaltende radikale Prostatektomie durchgeführt wird (Unterschied in den Ergebnissen in s. g. High-Volume-Center versus s. g. Low-Volume-Center). Wenn es eine Kritik an dieser Arbeit gibt, dann die, dass nicht angegeben wird, wie oft die Nerverhaltung durchgeführt wurde. Heute kann sie nach eigenen Erfahrungen in 70-80 % aller heute entdeckten Prostatakarzinome angewandt werden. Es ist selbstredend, dass danach die Rate der Erektionsfähigkeit naturgemäß höher ist. Viele Kliniken haben auch sehr harte Daten darüber publiziert, dass nach Nerverhaltung die Kontinenzrate um 10-15 % besser ist, als ohne Nerverhaltung. Somit sind die vorgelegten Daten - und ich betone noch einmal, die meines Erachtens gar nicht so negativ interpretiert werden müssten - nicht mit denen von heute und speziell nicht mit denen von Zentren zu vergleichen sind, in denen die nerverhaltende radikale Prostatektomie in großer Zahl durchgeführt wird.

Prof. Hartwig Huland, Hamburg

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Zweiter Kommentar

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F. Christoph

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Trotz hoher Patientenzahl lässt die Arbeit nur bedingt Schlüsse auf Potenz- und Kontinenzentwicklung zu

Die radikale retropubische Prostatektomie (RRP) ist in der Hand des geübten Chirurgen ein optimales Mittel zur Tumorkontrolle beim lokalisierten Prostatakarzinom. Die Aufgabe des aufklärenden Arztes ist jedoch auch eine umfassende Information über weitere Folgen des chirurgischen Eingriffes nach RRP. Im Beratungsgespräch sollte der Patient jegliche Informationen hinsichtlich drohender Inkontinenz oder erektiler Dysfunktion (ED) erhalten. Auf großen Studien basierende Daten erleichtern dem Arzt diese Tätigkeit und helfen, den meist verunsicherten Patienten zu beruhigen. Nachdem in den vergangenen Jahren mehrere Kohortenstudien aus den USA die Inkontinenz und Impotenzraten nach RRP analysierten, stellen Karakiewicz et al. in Anlehnung an die Daten der Prostate Cancer Outcomes Study eine ähnliche Untersuchung nun an einem kanadischen Patientengut (Quebec) vor.

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Auffallend hohe Rate von Kontinenzproblemen

Bei dieser retrospektiven Studie konnten Daten von 2 415 Patienten in einem Beobachungszeitraum von 17 bis 96 Monaten ausgewertet werden (1988 bis 1996). Auffallend die vermeintlich hohe Rate an Kontinenzproblemen (49,1%) bei niedriger Inkontinenzrate (6,6%) als auch die hohe Rate an erektiler Dysfunktion (55% bis 85%). Wie in anderen Studien gezeigt, sind auch in Kanada Alter und sozioökonomischer Status als unabhängige Risikofaktoren anzusehen.

Vergleicht man die vorgestellte Studie mit zitierten Arbeiten so fällt auf, dass eine Unterteilung zwischen fehlendem, unilateralem und bilateralem Nerverhalt nicht stattgefunden hat. Gerade dies hat jedoch - neben dem Patientenalter - entscheidenden Einfluss auf den Erhalt bzw. das Wiedererlangen der Potenz des Patienten. Darüber hinaus ist bekannt, dass die Rückkehr der Potenz einem zeitlichen Einfluss unterliegt, wobei 24 Monate als minimales Nachbeobachtungsintervall angesehen werden müssen. Einige Studien berichten über eine Verbesserung der Erektionsfunktion sogar noch nach 4 Jahren. Eine Verlaufsbeobachtung mit mehreren Messzeitpunkten wurde in dieser Studie nicht durchgeführt.

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Datenlage entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand

Über den Einsatz erektionsfördernder Substanzen wie SKAT (16,7%), Vakuumpumpe (5,8%) oder der Implantation einer Penisprothese (0,8%) wird berichtet. Betrachtet man den Untersuchungszeitraum, nämlich vor Einführung der Phosphodiesterasehemmer, so erstaunen die geringen Potenzraten nicht. Beachtet man jedoch das heutzutage große Angebot an selektiven Phoshodiesterasehemmern, so entspricht die dargestellte Datenlage nicht mehr dem aktuellen Stand der therapeutischen Dinge, wo z.B. bei den unter 60-Jährigen, nach beidseitiger nerverhaltender Therapie, Erektionsraten von bis zu 76% gezeigt werden konnten.

Hinsichtlich dem Auftreten von unwillkürlichem Urinverlust in geringen bis großen Mengen zeigen Karakiewicz et al. einen Zusammenhang zwischen erektiler Dysfunktion und Inkontinenz. Auch Wei et al. sahen in einer prospektiven Studie von 482 Patienten einen Zusammenhang zwischen Schonung des neurovaskulären Bündels und nachfolgend beobachteter Kontinenz sowie postoperativer Erektionsfähigkeit. Interessanterweise konnte im Gegensatz dazu die Arbeitsgruppe um Catalona keinen Zusammenhang zwischen Nerverhalt und postoperativer Inkontinenz in einer retrospektiven Studie von über 3400 Patienten sehen.

Leider wurde weder bei der Beschreibung der postoperativen Impotenz noch der Inkontinenz ein validierter Fragebogen verwendet, ebenfalls fehlen objektivierbare Tests wie z.B. der Pad-Test, welche erheblich zur Klarstellung doch oft sehr subjektiver Einschätzungen führen könnten.

Ein Rücklauf von lediglich 53% ist - wie die Autoren zugeben - gering und birgt das Risiko einer Unterschätzung der Non-responder. Insgesamt sind folgende Punkte kritisch anzumerken:

  • Das Fehlen einer stadienabhängigen Unterteilung hinsichtlich ED und Inkontinenz.

  • Das Fehlen einer Unterteilung hinsichtlich nervschonender Operationstechniken.

  • Das Risiko der Ungenauigkeit durch Erhebung von Daten des präoperativen Zustandes auf retrospektive Art, die sogn. Baseline-bias.

  • Hohe Schwankungsbreite der operativen Qualität durch unterschiedliche Operateure.

  • Das Fehlen validierter Fragebögen und die Datenerhebung zu lediglich einem prä- und einem postoperativen Zeitpunkt.

  • Unklarheit hinsichtlich zusätzlich erfolgter Therapie wie Hormonablation.

Zusammenfassend lassen die dargestellten Daten, trotz hoher Patientenzahl, nur bedingt Schlüsse hinsichtlich des wahren Einflusses auf Potenz und Kontinenz zu, ein Vergleich mit großen US-amerikanischen Datenerhebungen der Prostate Cancer Outcomes Study ist nur eingeschränkt zulässig. Die von Karakiewicz et al. dargestellten Daten reflektieren - insbesondere aufgrund neuer Erkenntnisse zum postoperativen Verlauf der ED und Inkontinenz, sowie der Etablierung neuer und effektiver Behandlungsschemata - nicht mehr den aktuellen Stand zu den postoperativen Folgen der RRP.

Die Indikationsstellung zur Art der RRP sowie ihrer Konsequenzen für den Patienten ist zu unterschiedlich, als dass Erkenntnisse eines großen ungefilterten Patientenkollektivs angewandt werden können. Gerade in der individuellen Patientenberatung muss dies berücksichtigt und sorgsam mit dem Patienten besprochen werden. Im Klartext heißt dies, dass einem 68-jährigen Patienten mit beidseits nicht nerverhaltendem Vorgehen keine Potenzraten von 75% vorgegeben werden können und vice versa kein 58-jähriger Patient mit bilateral nervschonender Technik durch Potenzraten von unter 30% verunsichert werden darf. Der Patient fordert heutzutage maximale Aufklärung, gleichzeitig wird er jedoch durch die Fülle zum Teil unreflektierter Information eher verunsichert als adäquat informiert. Es liegt in der Verantwortung des behandelnden Urologen, diese Unsicherheit zu nehmen und auf dem Boden reflektierter Studien eine umfassende Aufklärung hinsichtlich der Erfolgschancen des operativen Verfahrens und seiner zu erwartenden Folgen zu geben.

Literatur beim Autor

Dr. Frank Christoph, Berlin

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Dritter Kommentar

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P. Bader

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Studiendesign war problematisch, Ergebnis schwierig zu interpretieren

Die aufwändige kanadische Arbeit analysiert die Fragebogen von 2415 Männern, welche zwischen 1988 und 1996 aufgrund eines Prostatakarzinoms radikal prostatektomiert wurden. Die Autoren untersuchten die Lebensqualität der Patienten insbesondere in Bezug auf das Auftreten einer erektilen Dysfunktion und einer Harninkontinenz. Die Autoren hatten von 4 546 angeschriebenen Männern nur eine Rücklaufrate von 53,1 %. Dies ist eine deutliche Einschränkung des Werts der Studie. Die Nachbeobachtungszeit erstreckte sich zwischen 17 Monaten und 8,5 Jahren.

Die Autoren fanden eine Beeinträchtigung der Blasenfunktion in 49,1 % der Fälle, wobei es sich bei 35,8 % anamnestisch am ehesten um eine Belastungsinkontinenz handelte, 32,5 % berichteten über eine Urgekomponente. 6,6 % der Patienten berichteten dabei über Urinverlust von mehr als einem Esslöffel, 10,7 % von weniger als einem Esslöffel und 30,6 % klagten über Urinverlust von wenigen Tropfen. Bei 16,3 % der Patienten fanden sich Harnröhren- oder Anastomosenengen, welche behandelt werden mussten. Eine Multivariatanalyse ergab als Risikofaktoren für das Auftreten einer milden bis schweren Harninkontinenz das Vorhandensein von Strikturen, das Alter des Patienten bei Befragung und das Jahreseinkommen des Haushalts.

Die Auswertung bezüglich der sexuellen Funktion ergab, dass 92,2 % der antwortenden Patienten über eine normale Erektion vor der radikalen Prostatektomie berichteten. Postoperativ war bei 63% der Patienten eine Erektion durch sexuelle Stimulation nicht mehr erreichbar. 75 % der Patienten berichteten über nicht ausreichende Erektionen für einen Geschlechtsverkehr. In einer Multivariatanalyse ergaben sich als signifikante Vorhersageparameter für eine erektile Dysfunktion das Vorhandensein einer stärkeren Harninkontinenz und das Alter der Studienpatienten bei Befragung.

Anhand dieser kanadischen Studie lässt sich ablesen, dass die erektile Dysfunktion postoperativ nach radikaler Prostatektomie signifikant mit dem Grad der Harninkontinenz korreliert. Weitere wesentliche Faktoren, welche mit Inkontinenz als auch erektiler Dysfunktion nach radikaler Prostatektomie korrelierten, waren die Art des Beschäftigungsverhältnisses, der Bildungsgrad, das Alter am Beobachtungszeitpunkt und das Jahreseinkommen des Haushalts.

Es ergeben sich allerdings mehrere wesentliche Einschränkungen der aufwändigen Untersuchung:

1. Der relativ geringe Anteil von Rückantworten. Nur 53,1 % der angefragten Patienten antworteten auf den Fragebogen. Wären bei den verbliebenen Patienten die Antworten stark abweichend, so würde sich ein komplett anderes Ergebnis ergeben. In der Literatur wird eine Kontinenzrate von 76 - 92% (keine Vorlagenverwendung) nach radikaler Prostatektomie beschrieben. Hier ergibt sich in der kanadischen Studie ein deutlich schlechteres Ergebnis. Es ist anzunehmen, dass dies auf eine Selektion der antwortenden Patienten zurückzuführen ist.

2. Des Weiteren gehen weder das Tumorstadium noch die adjuvante Therapie wie Radiatio und Androgenblockade in die Multivariatanalyse der Risikofaktoren für eine erektilen Dysfunktion ein. Sie werden auch nicht angegeben, da sie offensichtlich nicht erfasst wurden. In der beschriebenen Studie ergibt sich ein postoperativer Anteil von 75 % mit erektiler Dysfunktion, wobei unbekannt ist, bei wie vielen Patienten eine nervenerhaltende radikale Prostatektomie versucht wurde. Laut Literatur wird in einem gemischten Kollektiv eine postoperative Potenzrate von 2-32% beschrieben. Nach unilateralem Nerverhalt wird allerdings ein Erhalt der Potenz in 13-29% und nach beidseitigem Nerverhalt sogar in bis zu 61% erreicht.

3. Fehlend ist weiterhin ein Vergleich mit dem Vorhandensein von Inkontinenz und Impotenz in einem altersmäßig ähnlich zusammengesetzten Normalkollektiv der Bevölkerung sowie der Vergleich mit Patienten, welche aufgrund eines Prostatakarzinoms mittels Strahlentherapie behandelt wurden.

Hierin wird deutlich, dass die herausgelöste Betrachtung von erektiler Dysfunktion und Inkontinenz ohne Vergleich zum Normalkollektiv ein schwierig zu interpretierendes Ergebnis darstellt. Je nach Fragebogen und angelegten Kriterien können die Ergebnisse der verschiedenen Studien massiv differieren. Letztendlich ist daher ein Vergleich zwischen verschiedenen Studien nur unzureichend möglich.

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Wissenschaftlich unpräzise

Die Einschränkungen zur Bewertung dieser Studie sind schwerwiegend: Erektile Dysfunktion nach radikaler Prostatektomie zu untersuchen ohne Tumorstadien, adjuvante Therapieformen und ohne eine nerve sparing-Technik zu differenzieren ist - neben der fehlenden Objektivierbarkeit der Erektionsfähigkeit präoperativ - wissenschaftlich unpräzise. Eine Rückantwortrate von 53% entwertet die Schlussfolgerung, da der Bias der Patientenselektion, die geantwortet haben, unbekannt ist.

Dieses Studiendesign hat ein Problem: Der hohe Aufwand steht zum zuverlässigen Nutzen des Ergebnisses in keinem günstigen Verhältnis.

Dr. Pia Bader, Karlsruhe

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Vierter Kommentar

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K. Jünemann

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C. v. d. Horst

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Studie hat methodische Einschränkungen vorzuweisen

Die radikale Prostatektomie als potenziell kurative Behandlungsoption muss bis heute als Goldstandard hinsichtlich Tumorkontrolle akzeptiert werden. Alle weiteren Therapieoptionen müssen sich an den derzeit verfügbaren Langzeitdaten bezüglich Überlebenszeit messen.

Aber nicht allein das rezidivfreie Überleben ist für die Therapieauswahl des individuellen Patienten oder seinen behandelnden Urologen entscheidend. Argumentativ stehen Lebensqualität beeinträchtigende Nebenwirkungen wie der operativ bedingte Erektionsverlust und die Harninkontinenz bei der Entscheidung zu einer Radikaloperation entgegen, gerade bei immer jüngerem Alter mit einem Prostatakarzinom diagnostizierten Männern.

Das Langzeitüberleben muss also mit einem möglichen Erhalt der Lebensqualität einhergehen, um diesen Patienten in den nächsten Jahrzehnten ein "lebenswertes" Leben zu gewährleisten. Nun stellt sich für den behandelnden Urologen die Frage, "Was kann ich meinem jungen und informierten Patienten heute also raten?" Optimal erscheint grundsätzlich eine Beratung in einer interdisziplinären Sprechstunde, um dem Patienten Gelegenheit zu geben, sich unterschiedliche Meinungsansätze kritisch anzuhören.

Studien wie die von Karakiewicz et al. aus dem Jahr 2004 konfrontieren uns Urologen hart mit der Realität der radikalen Prostatektomie. In einer retrospektiven fragebogengestützten Analyse haben die Autoren etwa 4 500 Männer, die in den Jahren von 1988 bis 1996 in der Provinz Quebec auf jegliche Art radikal prostatektomiert wurden, befragt. Die Fragebögen wurden mit der Post versand, auf eine Anonymisierung wurde jedoch nicht hingewiesen.

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Was kann ich meinem jungen und informierten Patienten heute raten?

Bei einer Rücklaufquote von 53 % gingen die Daten von 2415 Männern in die endgültige Auswertung ein. Von den präoperativ potenten Männern gaben etwa 75 % eine eingeschränkte Erektionsfähigkeit postoperativ an und etwa 49 % von allen Analysierten beklagten eine therapiebedingte Harninkontinenz. Zahlen, bei denen sich kein kritischer Mann einer radikalen Prostatektomie unterziehen würde. Ist damit die Frage, "Was kann ich meinem jungen und informierten Patienten heute also raten?" beantwortet?

Methodisch hat die Studie sicherlich einige Einschränkungen vorzuweisen, welche jedoch von den Autoren adäquat diskutiert werden und hier nicht Gegenstand des Kommentars sein sollen. Zwei Punkte erscheinen jedoch erwähnenswert: Zur Erhebung wurde ein bereits in den USA eingesetzter Fragebogen benutzt. Um international vergleichbare Studienergebnisse zu erhalten und um die nicht mehr zu überschauende Vielzahl von Evaluationsbögen einzugrenzen, wurde in der Vergangenheit dafür plädiert, sinnvollerweise international validierte und annerkannte Fragebögen einzusetzen. In der Literatur der Sexualitätsforschung - nicht zuletzt in Europa - hat sich der International Index of erectile function (IIEF-Score) durchgesetzt.

Anders sieht es aus in der Erhebung der Harninkontinenz. Hier sind wir von einem Standard noch weit entfernt und so können die Häufigkeit der Inkontinenzepisoden, die Menge des Urinverlustes nach objektiven als auch nach subjektiven Kriterien abgefragt werden, wir können Fragen zur Lebensqualität stellen, internationale Vergleiche fallen jedoch schwer. Es muss Aufgabe der entsprechenden Arbeitskreise sein, auch für die Harninkontinenz nach radikaler Beckenchirurgie einen einfachen, international validierten Score zu etablieren, um Ergebnisse wie aus der präsentierten Erhebung beurteilen zu können. Es muss nachvollziehbar werden, ab wann ein Urinverlust, sei er nun gering oder stark ausgeprägt, als relevant gewertet wird.

Nach Definition der International Incontinence Society (ICS) ist bekanntlich jedweder unwillkürlicher Urinverlust als Harninkontinenz zu werten. Wann ist aber die Lebensqualität der Männer nach radikaler Prostatektomie dadurch beeinträchtigt? Sind die Männer mit einer geringgradigen Harninkontinenz (gelegentlich tropfenweiser Urinverlust) glücklich, dass es nicht schlimmer gekommen ist und deshalb zufrieden? Stellen die Männer mit einer stärkeren Inkontinenz die Tumorheilung in den Vordergrund ihrer Lebensqualität?

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Intensive Aufklärung bleibt oberstes Ziel

Zentraler Punkt in der Beratung der Patienten muss die prä- und postoperative wiederholte und intensive Aufklärung über die bevorstehenden Konsequenzen und deren Therapiemöglichkeiten darstellen. In Zeiten von oral verfügbaren Medikamenten sowohl für die Behandlung der Impotenz als auch für die Therapie der Harninkontinenz werden die informierten Patienten diese Therapiemöglichkeiten in Anspruch nehmen und damit eine verbesserte Therapiezufriedenheit erlangen. Helfen diese nicht, wird in der nächsten Stufe mittels minimalinvasiver Chirurgie die Behandlung fortgesetzt. Hier sollte dem von Nebenwirkungen geplagten Patienten Kompetenz aus einer Hand angeboten werden können. Kein Patient wird sich wieder bei seinem Arzt vorstellen, den er für den ihn betreffenden Bereich für nicht kompetent hält. Auf der anderen Hand wird der Chirurg die von ihm produzierten Nebenwirkungen ungern zur Nachbarklinik zur weiteren Therapie schicken.

Hier beginnt der Vorteil der in der vorliegenden Studie zitierten Kompetenzzentren, die eine optimale präoperative Aufklärung eine qualitativ anspruchsvolle Prostatektomie als auch ein gutes postoperatives Management der Nebenwirkungen gewährleisten können. Die radikale Prostatektomie ist weltweit, so auch in Deutschland, ein lukrativer Eingriff und jeder versucht, sich auf diesem Markt zu positionieren. Es ist zu diskutieren, ob es in den großen Zentren lediglich die Untersucherabhängigkeit ist, welche die deutlich besseren Resultate erzielt oder, ob eine hohe Anzahl von durchgeführten Operationen ein Garant für hohe Qualität ist. Sicherlich nur, wenn der Operateur weiß was er tut. Es gibt deutliche Unterschiede zwischen Prostatektomie und Prostatektomie. Aus den in der vorliegenden Studie zitierten Arbeiten konnten viele Erkenntnisse zur Neuroanatomie des kleinen Beckens gewonnen und die Operationstechniken seit der anatomischen radikalen Prostatektomie beständig weiterentwickelt werden. Werden in 10 - 20 Jahren diese Evaluationen wiederholt, werden die Ergebnisse möglicherweise eine deutliche Verbesserung bestätigen können.

Wenn wir die schlechten Ergebnisse dieser Studie sehen, können wir uns nur aufgefordert sehen, unsere eigene Technik ständig zu überprüfen und all unsere Energie in die Verbesserung der funktionelle Ergebnisse dieser potenziell kurativen aber auch potenziell verstümmelnden Operation einzubringen. Mittels der geforderten international standardisierten Fragebögen müssen diese Daten sowohl auf wissenschaftlicher als auch auf Patientenebene jederzeit verfügbar und eben vergleichbar sein.

So kann der beratende Urologe als auch der interessierte Patient auf handfeste Daten zurückgreifen und muss sich nicht in der Flut von pro- und retrospektiven Analysen aus uni- oder multizentrischen Studien verlaufen.

Wenn es gelänge auf dieser Ebene einen international hohen Standard zu setzten, werden sich die übrigen Therapieoptionen nicht nur im Langzeitüberleben, sondern auch bezüglich der Nebenwirkungen mit dem Goldstandard radikale Prostatektomie messen müssen.

Dr. Christof van der Horst, Prof. Dr. Klaus-Peter Jünemann, Kiel

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Fünfter Kommentar

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D. Kröpfl

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Studie erlaubt keine Aussage über die Folgen der radikalen Prostatektomie

In der Schlussfolgerung der zu kommentierenden Untersuchung wird von den Autoren folgende Aussage getroffen: Mit einer erektilen Dysfunktion von 75 % und einer schweren Belastung oder Dranginkontinenz soll nach radikaler Prostatektomie gerechnet werden. Diese Aussage wird im Referat als eine Bestätigung der bisher in den USA erhobenen Daten bezüglich der Folgen einer radikalen Prostatektomie als Statement wiedergegeben.

Im folgenden Text möchte ich diese Aussage widerlegen, die Arbeit kommentieren und insbesondere auf die Gefahr hinweisen, die von Veröffentlichung undifferenzierter Zusammenfassungen von wissenschaftlichen Arbeiten ausgeht.

Die in European Urology publizierte Arbeit ist eine retrospektive Studie an 4546 Patienten, die zwischen 1988 und 1996 einer radikalen Prostatektomie unterzogen wurden. Informationen über deren Zustand zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung wurden erhoben mittels eines an die Patienten gerichteten Fragebogens, der gut durchdacht war, aber nur von 50% der Patienten beantwortet wurde. Es wurden keine Daten analysiert, die sich mit der Technik der radikalen Prostatektomie beschäftigen, insbesondere, ob sie nervensparend oder nichtnervensparend durchgeführt wurde. Darüber hinaus sind keine Daten erhoben worden, in welchem Stadium der Erkrankung sich die Patienten zum Zeitpunkt der Erhebung befanden. Die "schwere Inkontinenz" wurde bezeichnet als Verlust von mehr als "einem Esslöffel Urin" am Tag. Diese Definition ist äußert unüblich und von der International Continence Society sicherlich nicht als solche empfohlen. Darüber hinaus kann ich mir schlecht vorstellen, wie die Patienten diese Aussage treffen sollen. Des Weiteren wissen wir nicht, ob in z.B. in frankophonen und anglophonen Bereichen Kanadas die Esslöffel die gleiche Größe haben.

In der Multivariations-Analyse wurde der Zeitpunkt der Operation als möglicher Einflussfaktor auf die Ursache der Harninkontinenz nicht berücksichtigt, was die Aussage verzerrt. Darüber hinaus wissen wir nicht, wie viele Patienten postoperativ einer adjuvanten Bestrahlung oder einer adjuvanten hormonellen Behandlung unterzogen worden sind. Die im Rahmen dieser Untersuchung von den Patienten angegebene, präoperative Potenzrate von annährend 100% weicht von den Daten aus Quebec ab, wo 34 % der Patienten einer Prostata-Stanzbiopsie unterzogen wurden, über eine erektile Dysfunktion berichten. Das gleiche Problem betrifft die Harninkontinenz, die in einer gewissen Pävalenz ohnehin bei Männern dieser Altersgruppe auch ohne Durchführung einer radikalen Prostatektomie zu erwarten gewesen wäre.

Nach meiner Meinung erlaubt die zitierte Arbeit keine Aussage über die Folgen der radikalen Prostatektomie, weil dazu die wesentlichen Informationen fehlen. Sie bezieht sich auf einen Zeitraum, in dem die Technik der Operation mit großer Wahrscheinlichkeit nicht dem heutigen Standard oder dem Standard der letzten 10 Jahre entspricht.

Die Definition der Harninkontinenz ist sehr problematisch. Darüber hinaus gibt es keine Daten über die präoperativ vorhandene Belastungs- oder Dranginkontinenz, die in der beobachteten Altersgruppe sowieso zu erwarten wäre. Aussagen über die versuchte Nervensparung fehlen. Es gibt keine Daten über den präoperativen Status der Tumorerkrankung und keine Daten über die postoperative Behandlung der Patienten oder das Stadium der Erkrankung zum Zeitpunkt der Erhebung der Untersuchung.

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Krasse Diskrepanz zwischen Diskussion und Schlußfolgerung

Verwunderlich ist aus meiner Sicht die krasse Diskrepanz zwischen einer sehr guten Diskussion einerseits, in der die meisten in diesem Kommentar erwähnten Kritikpunkte diskutiert worden sind, und andererseits einer Schlussfolgerung, die vortäuscht, mit der durchgeführten Untersuchung die wahren Folgen der radikalen Prostatektomie objektiv beurteilt zu haben.

Prof. Dr. Darko Kröpfl, Essen

 
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H. Huland

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F. Christoph

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P. Bader

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K. Jünemann

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C. v. d. Horst

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D. Kröpfl