Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2005-915393
Aktuelle Entwicklungen in der psychotherapeutischen Versorgung - was hätte Adolf-Ernst Meyer dazu wohl gesagt?
Current Developments in Psychotherapeutic Care - What would Adolf-Ernst Meyer have Thought?Publication History
Publication Date:
18 January 2006 (online)
Am 9.12.2005 fand im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) eine Gedenkveranstaltung zu Ehren von Adolf-Ernst Meyer, dem langjährigen Leiter der Abteilung für Psychosomatische Medizin am UKE und Vorsitzenden des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) statt. „Dolf”, wie ihn seine Freunde nannten starb vor zehn Jahren (am 23.12.1995). Kurz vor seinem Tod nahm er, schon schwer gezeichnet von den Folgen seiner Krankheit, von seinen zahlreichen akademischen Weggefährten, Freunden und Schülern im Rahmen eines vom UKE ausgerichteten wissenschaftlichen Symposiums Abschied.
Frühe Forschungsarbeiten von A.-E. Meyer fokussierten u. a. die Themen Hirsutismus und Anorexia nervosa, sein späteres Engagement galt dagegen vornehmlich der Psychotherapieforschung. Hier war er vor allem an der vergleichenden Wirksamkeitsforschung unterschiedlicher Formen der Kurzzeitpsychotherapie interessiert. Bezogen auf die psychotherapeutische Versorgung engagierte sich A.-E. Meyer aber nicht nur wissenschaftlich, sondern auch gesundheitspolitisch: An der Schnittstelle zwischen wissenschaftlichem und gesundheitspolitischem Engagement ist das von ihm zusammen mit Rainer Richter, Klaus Grawe, J.-Matthias Graf von der Schulenburg und Bernd Schulte im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit erstellte und 1991 vorgelegte „Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeutengesetzes” einzuordnen [1]. Das Gutachten sollte die Entscheidungsgrundlagen vor allem zu zwei Fragen verbessern: Zum einen, ob durch die Schaffung eines neuen Heilberufes, den Fachpsychologen für Psychotherapie, die gesundheitliche Versorgung in Deutschland verbessert werden könnte und zum anderen, wie die Leistungen eines solchen neuen Berufs in die kassenärztliche und von den gesetzlichen Krankenkassen getragene Versorgung integriert werden könnte.
Die Gutachter bejahten in ihren Empfehlungen grundsätzlich die Einführung des Fachpsychologen für Psychotherapie als neuen Heilberuf und die Möglichkeiten diesen mit seinen Leistungsangeboten in das bestehende Versorgungssystem einzubetten. Die gutachterlichen Aussagen basierten auf zahlreichen aufwändigen und sorgfältig durchgeführten Recherchen. Die Autoren verweisen aber auch auf die oft von ihnen festgestellten Unsicherheiten der zur Verfügung gestellten bzw. erreichbaren Datengrundlagen. Sie sahen deshalb die Notwendigkeit eines problemadäquaten und interdisziplinären Begleitforschungsprogramms.
Seit der Veröffentlichung des Gutachtens sind fast 15 Jahre vergangen. Es hat ohne Zweifel auf die Ausgestaltung des 1998 in Kraft getretenen Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) einen erheblichen Einfluss genommen. Seit dieser Zeit hat sich der Berufsstand des Psychologischen Psychotherapeuten vor allem in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung etabliert. So waren bereits Ende 2001 nach unseren Recherchen im Erwachsenenbereich mehr als 12 000 Psychologische Psychotherapeuten innerhalb der kassenärztlichen Versorgung tätig, neben ca. 3600 Ärztlichen Psychotherapeuten (die Auswahlkriterien und die Entscheidungsprozesse, die über die Zulassung zur Niederlassung entschieden, wurden dabei allerdings nicht von allen Beteiligten als sachgerecht und fair eingeschätzt). Bundesweit entstanden inzwischen zahlreiche Ausbildungsinstitute in unterschiedlicher Trägerschaft, innerhalb der letzten Jahre haben sich auf Landes- und Bundesebene Psychotherapeutenkammern konstituiert.
Wie hätte Adolf-Ernst Meyer wohl diese zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung eingeschätzt? Sicher positiv wäre sein Urteil bezüglich der Tatsache ausgefallen, dass es nunmehr für die durch Psychologen durchgeführte Psychotherapie eine stabile Rechts- und Finanzierungsgrundlage gibt. Auch die Schaffung von Ausbildungseinrichtungen mit klar definierten Curricula und von den Teilnehmern selbst zu tragenden Ausbildungskosten und die Organisation der Psychologischen Psychotherapeuten in Kammern entsprach A.-E. Meyers Vorstellungen. Die Tatsache, dass inzwischen der Großteil der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung von Psychologischen Psychotherapeuten getragen wird, hätte er vermutlich mit eher gemischten Gefühlen betrachtet. Er stand in dieser Frage wohl eher für ein paritätisches Modell. Entscheidendes Kriterium für die Bewertung der seit In-Kraft-Treten des PsychThGs eingetretenen Entwicklung wäre für A.-E. Meyer vermutlich auch heute noch die seinerzeit in den gutachterlichen Vorbemerkungen formulierte Forderung, dass eine solche Veränderung mit nachweislichen Verbesserungen der Versorgung der Bevölkerung verbunden sein müsse. Dies zu beurteilen ist insgesamt aber schwierig bzw. kaum möglich. Zwar existieren für die psychotherapeutische Versorgung relevante Dokumentationssysteme (z. B. bei den Kostenträgern, Verbänden oder wissenschaftlichen Gesellschaften), aber von einer Datengrundlage, die eine verlässliche Gesundheitsberichterstattung ermöglicht, sind wir, wie Erfahrungen im Rahmen eigener aktueller Recherchen zeigen, in Deutschland immer noch weit entfernt. Wichtige Erkenntnisse hätte das von A.-E. Meyer und Kollegen angemahnte wissenschaftliche Begleitforschungsprogramm liefern können. Mit erheblicher zeitlicher Verzögerung wurde hier 2004 tatsächlich ein finanziell gut ausgestattetes Psychotherapieforschungsprogramm vom Bund ausgeschrieben. Wurde in der Ausschreibung noch versorgungsforschungsbezogenen Fragestellungen ein wichtiger Stellenwert eingeräumt, so schlägt sich dieses allerdings in den inzwischen getroffenen Förderentscheidungen leider kaum nieder. So interessant und wissenschaftlich anspruchsvoll die zahlreichen experimentellen Therapiestudien der einzelnen, ab 2006 geförderten überregional organisierten Forschungsverbünde auch sein mögen, sie werden kaum substanziell zur Analyse und Optimierung der Versorgungsqualität der Psychotherapie unter Routinebedingungen beitragen können. Aber auch die Umsetzung anderer wichtiger Anliegen des Gutachtens steht noch aus.
Die Gutachter hatten auf eine gravierende Unterversorgung in der ambulanten Psychotherapie hingewiesen und gleichzeitig die starke stationäre Orientierung in der psychotherapeutischen Versorgung (vor allem durch die Gewährung von Maßnahmen der so genannten Psychosomatischen Rehabilitation) kritisiert. Die Zahl der ambulanten Behandlungsplätze ist deutlich gestiegen, die Zahl der Behandlungsplätze für stationär durchgeführte Psychotherapie hat sich aber keineswegs verringert, sondern vor allem im Rahmen der Rehabilitationsbehandlung weiter deutlich erhöht. Dennoch gibt es bisher keine belastbaren Ergebnisse empirischer Untersuchungen, die zeigen, dass sich die Wartezeiten auf eine ambulante Psychotherapie entscheidend verkürzt haben, dass Patienten mit psychischen Störungen inzwischen früher erreicht werden oder dass sich der Anteil von Patienten aus den unteren sozialen Schichten erhöht hat. Problematischer ist aber, dass das Wissen über zentrale Aspekte der Prozess- und Ergebnisqualität in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung (dies auch im Vergleich zur stationären psychotherapeutischen Versorgung) im hohen Maße defizitär ist. So fehlt es an Informationen über Art, Intensität und Qualität der im Rahmen der jeweiligen Behandlung erbrachten Leistungen und der damit erzielten Verbesserungen für die Patienten. Eine permanente Optimierung der Versorgungssituation auf der Grundlage von Ergebnissen einer Qualitätssicherungsforschung, die Struktur, Prozess und Ergebnisse gleichermaßen berücksichtigt, war eine zentrale Botschaft des von A.-E. Meyer federführend gestalteten Gutachtens. Diese Botschaft ist für die gegenwärtige ambulante (wie auch stationäre) psychotherapeutische Versorgung genau so aktuell wie vor 15 Jahren. Wer sie nicht ernst nimmt, riskiert in Zeiten einer durch Einsparungen geprägten Gesundheitspolitik Eingriffe in die Substanz des bestehenden Versorgungssystems.
Literatur
- 1 Meyer A-E, Richter R, Grawe K. et al .Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeutengesetzes im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Universitäts-Krankenhaus Hamburg-Eppendorf 1991
Prof. Dr. Uwe Koch
Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie · Zentrum für Psychosoziale Medizin · Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52 · Haus S35
20246 Hamburg
Email: koch@uke.uni-hamburg.de