Rofo 2005; 177(3): 476-477
DOI: 10.1055/s-2005-864764
Mitteilungen der DRG
Radiologie und Recht
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"Hinauskündigung" eines Partners aus der Gemeinschaftspraxis

Weitere Informationen
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Rechtsanwälte Wigge Kleinke Frehse

Rechtsanwalt Michael Frehse

Münster/Westf.

URL: http://www.ra-wigge.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
03. März 2005 (online)

 
Inhaltsübersicht

In ärztlichen Gemeinschaftspraxisverträgen finden sich häufig Bestimmungen, welche einseitig die Stellung des oder der Praxisgründer bzw. Altgesellschafter im Verhältnis zu hinzukommenden Gesellschaftern bevorzugen sollen. Dieses Anliegen der Altgesellschafter ist sachlich in der Regel dadurch begründet, dass einerseits deren Leistungen bei Gründung und Aufbau der Praxis angemessen berücksichtigt werden sollen. Andererseits sehen Gemeinschaftspraxisverträge häufig vor, dass der Neugesellschafter für seinen Eintritt in die Praxis keine Einlage zahlen muss und das Gesellschaftsvermögen bei den Altgesellschaftern verbleibt. In den Ausscheidensbestimmungen von Gemeinschaftspraxisverträgen wird daher zur Stärkung der Stellung der Altgesellschafter häufig eine gesellschaftsvertragliche Regelung aufgenommen, die dem oder den Altgesellschaftern das Recht einräumt, Mitgesellschafter ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes aus der Personengesellschaft auszuschließen.

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Bisherige BGH-Rechtsprechung

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) wurde jedoch ein solches "Hinauskündigungsrecht" grundsätzlich als Verstoß gegen § 138 BGB angesehen, weil das freie Kündigungsrecht des oder der anderen Gesellschafter von dem von der Kündigung bedrohten Gesellschafter als Disziplinierungsmittel empfunden werden könne, mit der Folge, dass er nicht frei von seinen Mitgliedschaftsrechten Gebrauch mache oder seinen Gesellschafterpflichten nicht nachkomme, sondern sich jeweils den Vorstellungen der anderen Seite beuge. Der BGH hat von diesem Grundsatz in der Vergangenheit Ausnahmen nur dann anerkannt, wenn wegen "außergewöhnlicher Umstände" die Vereinbarung einer Hinauskündigung sachlich gerechtfertigt sei. Da der BGH die "außergewöhnlichen Umstände" nicht näher konkretisiert hatte, bestand bei in Gemeinschaftspraxisverträgen vereinbarten "Hinauskündigungsrechten" bisher keine Rechtssicherheit hinsichtlich der Rechtmäßigkeit entsprechender gesellschaftsvertraglicher Regelungen.

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Urteil des OLG Hamm vom 17.3.2004 (Az.: 8 U 29/03)

So hatte beispielsweise das Oberlandesgericht Hamm mit Urteil vom 17.3.2004, Az.: 8 U 29/03, ein vertraglich vereinbartes "Hinauskündigungsrecht" für zulässig erachtet. Dem Urteil lag eine Klausel in einem Gesellschaftsvertrag zwischen seit 7 Jahren gemeinsam praktizierenden HNO-Ärzten zu Grunde, die für den Praxisgründer das Recht begründet hat, den neu hinzugekommenen Gesellschafter ohne wichtigen Grund hinaus zu kündigen.

Dem Vorbringen des gekündigten Arztes, dass diese Klausel sittenwidrig und damit nichtig sei, ist das OLG Hamm nicht gefolgt, da das Gericht die Hinauskündigung des Klägers wegen "außergewöhnlicher Umstände" als ausnahmsweise sachlich gerechtfertigt angesehen hat. Die von der bisherigen Rechtsprechung des BGH aufgeführten Gründe, die regelmäßig Veranlassung geben, ein solches "Hinauskündigungsrecht" als sittenwidrig anzusehen, seien aufgrund der Besonderheiten der Fallgestaltung nicht gegeben. Den Gesichtspunkten, denen der BGH nach seiner eingangs angeführten bisherigen Rechtsprechung veranlasst haben, das "Hinauskündigungsrecht" als Verstoß gegen § 138 BGB zu bewerten, hat das OLG Hamm im Streitfall nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Nach Ansicht des OLG Hamm werde der Kläger nämlich durch die Geltendmachung des Ausschließungsrechts nicht wesentlich gegenüber der Situation benachteiligt, die gegeben wäre, wenn die Gesellschaft nach den gesetzlichen Regeln gekündigt und liquidiert würde. Hätte der Beklagte ohne Geltung der streitgegenständlichen Klausel nach 723 Abs. 1 BGB gekündigt, wäre die Gesellschaft zu liquidieren gewesen. Das hätte nach Ansicht des OLG zur Folge gehabt, dass Verbindlichkeiten der Praxis beglichen und eventuell dem Personal gekündigt worden wäre, das Vermögen verteilt und die Einlagen zurückgewährt worden wären. Faktisch hätte jedoch nur der Beklagte die Praxis am bisherigen Standort alleine weiterführen können, da nur der Beklagte alleiniger Mieter der Praxisräume und Eigentümer des Praxisinventars gewesen ist. Da insoweit auch bei der gesetzlich vorgesehenen Auflösungskündigung der Kläger der weichende Gesellschafter gewesen wäre, liege in der Möglichkeit des Beklagten, ein tatsächlich und wirtschaftlich vergleichbares Ergebnis durch die faktische Ausschließung nach der vertraglichen Vereinbarung im Gemeinschaftspraxisvertrag zu erreichen, keine derart erhebliche Belastung des Beklagten, die zur Sittenwidrigkeit der Klausel nach § 138 BGB führe. Dies gelte nach Ansicht der Berufungsinstanz jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall der Kläger seine Zulassung als Vertragsarzt behält und ihm damit die Möglichkeit eröffnet ist, im Planungsbereich seine Berufstätigkeit in eigener Praxis fortzusetzen oder sich einer anderen Facharztpraxis anzuschließen. Gerade diese fortbestehende Zulassung als Vertragsarzt bot nach Ansicht des OLG Hamm die realistische Chance, auch außerhalb der Gesellschaft mit dem Beklagten den bisherigen Beruf erfolgreich auszuüben.

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Anmerkung zum Urteil des OLG Hamm

Die Feststellungen des OLG Hamm vermögen nicht zu überzeugen, weil das OLG Hamm dem Gesichtspunkt, dass durch die Möglichkeit eines jederzeitigen und unter Umständen willkürlichen Ausschlusses in nicht zu billigender Weise Druck auf den betroffenen Gesellschafter ausgeübt werden kann, nur aus rein faktischen Gründen zum Zeitpunkt der Ausübung des Hinauskündigungsrechts untergeordnete Bedeutung beimisst. Die bisherige Rechtsprechung des BGH berücksichtigt demgegenüber jedoch ausschließlich "außergewöhnliche Umstände" bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages, da die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäftes nach den Umstände bei Abschluss dieses Rechtsgeschäftes beurteilt werden muss. Darüber hinaus erachtet die Rechtsprechung des BGH allein die Möglichkeit, dass ein "Hinauskündigungsrecht" als Disziplinierungsmittel genutzt werden kann, als ausreichend, eine entsprechende vertragliche Regelung als sittenwidrig zu beurteilen.

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Urteil des BGH vom 8.3.2004 (Az.: II ZR 165/02)

Gegen das vom OLG Hamm vertretene Ergebnis spricht aber insbesondere, dass die Gemeinschaftspraxis zum Zeitpunkt der Kündigung zwischen beiden Ärzten schon ca. sieben Jahre bestanden hatte, also eine Zeitspanne, in der nach der neueren Rechtsprechung des BGH davon auszugehen ist, dass ein einseitiges Ausschließungsrecht eines Gesellschafters im Grundsatz nicht mehr anerkannt werden kann. Insoweit hat nämlich der BGH erstmals mit Urteil vom 8.3.2004 (Az.: II ZR 165/02) entschieden, dass in einer "seit Jahren" bestehenden ärztlichen Gemeinschaftspraxis Gründe vorliegen können, die es bei Abwägung der allseitigen Interessen als gerechtfertigt erscheinen lassen, dass die Altgesellschafter auch ohne Vorhandensein eines in der Person des anderen Gesellschafters liegenden wichtigen Grundes, dessen Gesellschafterstellung einseitig beendigen können. Zur Begründung hat der BGH unter anderem angeführt, dass die bisherigen Gesellschafter, die einen ihnen weitgehend unbekannten Partner aufgenommen haben, erheblichen Gefahren ausgesetzt sein können, wenn sich erst nach einer gewissen Zeit der Zusammenarbeit herausstellt, dass das zwischen den Gesellschaftern notwenige Vertrauen nicht besteht und sie in ihrer Berufsausübung nicht miteinander harmonieren. Zwar hat der BGH für die nach seiner Auffassung zulässige "Probezeit" keinen festen Zeitraum vorgegeben, jedoch klargestellt, dass jedenfalls eine Prüfungsfrist von zehn Jahren den als gerechtfertigt anzuerkennenden zeitlichen Rahmen des "Hinauskündigungsrechts" bei weitem überschreite.

Insoweit wird man in Anknüpfung an die zivilrechtliche Rechtsprechung zu den zeitlich zulässigen Grenzen eines vertraglichen Wettbewerbsverbot zumindest eine Zeitspanne von 2-3 Jahren ohne Bedenken für zulässig erachten dürfen, nicht jedoch einen Zeitraum von über sieben Jahren, welcher dem vom OLG Hamm zu entscheidenden Sachverhalt zugrunde lag.

Da der BGH mit seinem neuen Urteil offensichtlich den Bedürfnissen der Praxis nach einer Richtschnur für die Lösung der sich in der Praxis regelmäßig stellenden Frage nach der Zulässigkeit eines Hinauskündigungsrechts geben wollte, sollte entsprechend der neuen Rechtsprechung des BGH ein vertraglich vereinbartes Hinauskündigungsrecht auch nur dann als zulässig angesehen werden, wenn dieses dazu dient, dass den alten Gesellschaften binnen einer angemessenen Frist die Prüfung ermöglicht wird, ob zu dem neuen Partner das notwendige Vertrauen hergestellt werden kann und ob die Gesellschaft auf Dauer in der für die gemeinsame Berufsausübung erforderlichen Weise harmonisieren kann.

Es bleibt daher zu hoffen, dass der BGH seine Rechtsprechung im Rahmen des bereist anhängigen Revisionsverfahrens weiter konkretisieren wird, um zu vermeiden, dass Vertragsgestaltungen, in denen das Praxisinventar im Sonderbetriebsvermögen des Praxisgründers bleibt und auch der Mietvertrag nicht von der neu gegründeten Gemeinschaftspraxis fortgeführt wird, dazu führen, im (zahn-)ärztlichen Gemeinschaftspraxisvertrag vereinbarte einseitige "Hinauskündigungsrechte" auch ohne sachlich zeitliche Beschränkung für zulässig zu erachten.

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Rechtsanwälte Wigge Kleinke Frehse

Rechtsanwalt Michael Frehse

Münster/Westf.

URL: http://www.ra-wigge.de

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