Psychiatr Prax 2005; 32(2): 102-103
DOI: 10.1055/s-2005-863780
Fortbildung und Diskussion
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neurologie, Psychiatrie und Sport

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Publication Date:
18 February 2005 (online)

 

Dass sich die Menschen in den westlichen Industrienationen zu wenig bewegen, zu einem Gutteil falsch ernähren, deswegen schon in jungen Jahren verfetten und im Alter vielfach Krankheiten entwickeln, denen man hätte vorbeugen können, ist sattsam bekannt. Spätestens seit der amerikanischen Filmsatire Supersize me, weiß man auch, dass, wer sich im Wesentlichen von Hamburgern und Coca Cola ernährt, nicht nur dick wird und träge, sondern auch impotent und depressiv. Damit kommt die Psychiatrie ins Spiel, Antidepressiva, kognitive Verhaltenstherapie sowie Psychotherapie in all ihren Spielarten werden nachgefragt.

Neuerdings kommt noch der Sport hinzu. Zwar gehört es schon seit Hippokrates und dem evangelischen Pfarrer Sebastian Kneipp zu den gesicherten Grundlagen ärztlichen Handelns, dass körperliche Aktivität zur Erhaltung und Wiedergewinnung von Gesundheit ebenso beiträgt wie ausgewogene Ernährung und ausreichender Schlaf, welche neuromolekularen Prozesse durch sportliche Betätigung in Gang gesetzt oder wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden, beginnt man allerdings erst allmählich zu begreifen. Durch die Laienpresse geistert immer wieder das sog. "jogger's high", das mit einer erhöhten Beta-Endorphin-Ausschüttung einhergehen soll. Der weithin vermutete Zusammenhang zwischen Endorphinanstieg und Stimmungsverbesserung konnte bislang jedoch experimentell nicht nachgewiesen werden.

Sehr viel gesicherter sind hingegen die neuroprotektiven Effekte unter aerober Ausdauerbelastung. Im Tierversuch kam es zu einer erhöhten Proliferation neuronaler Stammzellen im adulten Hypokampus und damit einhergehender verbesserter Lern- und Merkfähigkeitsleistungen. Ähnlich liegen die Verhältnisse im Hinblick auf den Fett- und Glukosestoffwechsel, dem bekanntlich eine große Bedeutung bez. arterieller Gefäßerkrankungen und Diabetes mellitus zukommt. Auf eine Kurzformel gebracht: Take away my food and let me run.

So viel zum ersten Teil des Buches, dem der damalige sächsische Sozial- und Gesundheitsminister ein präventionsorientiertes und somit kostendämpfendes Geleitwort mit auf den Weg gegeben hat. Im anwendungsbezogenen Teil 2 geht es um die Umsetzung der von den Autoren als gesichert angesehenen Forschungserkenntnisse auf neurologische und psychiatrische "Funktionsstörungen". Recht systematisch werden in der Neurologie die zerebrovaskulären, die traumatischen wie auch die degenerativ (-toxischen) und metabolischen Erkrankungen dargestellt und sportliche Empfehlungen, insbesondere für die Reha-Phase gegeben. Alzheimer-Demenz, depressive und Angststörungen sowie Schizophrenie und Suchterkrankungen werden unter die Psychiatrie subsumiert. Da es den Autoren nicht zuletzt darum ging, im Hinblick auf die Behandlung der genannten Erkrankungen den Stellenwert körperlich-sportlicher Aktivitäten im Rahmen eines therapeutischen Gesamtkonzepts zu bestimmen und im Wesentlichen neurobiologisch zu begründen, wurden sie an dieser Stelle Opfer ihres eigenen Tuns. "Leider", so schreibt einer der Herausgeber etwas resignierend, "wurden bisher keine kontrollierten randomisierten Studien durchgeführt, in denen die Rolle sporttherapeutischer Maßnahmen in der akuten und der längerfristigen Behandlung schizophrener Erkrankungen untersucht wurden".

Ja, möchte man da rufen, das stimmt. Aber gilt dies nicht für alle anderen therapeutischen Maßnahmen auch, einmal abgesehen von der Pharmakotherapie? Und sollten wir uns deswegen allein darauf beschränken? Nein, es gibt nun einmal Menschen, denen macht es Spaß, Sport zu treiben, egal ob sie deswegen länger leben oder früher sterben. Da geht es den schizophrenen, depressiven, ängstlichen und süchtigen Menschen nicht anders als den Gesunden unter uns. Zur Verteidigung des Stellenplans nach der PsychPV und der Forderung, dass alle psychiatrischen Kliniken über angemessene Sportstätten verfügen sollten, muss das genügen. Wer glaubt, er müsse es darüber hinaus neurobiologisch begründen, der greife nach diesem Buch.