Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2005; 40(4): 191-198
DOI: 10.1055/s-2005-861249
Aktuelle Medizin und Forschung
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Geschlechterforschung - Einführung und anästhesiologische Aspekte

Sex/Gender Research - Introduction and Anesthesiological AspectsLj.  Verner1 , A.  Voß2
  • 1 Abteilung Anästhesiologie (Direktor: Prof. Dr. S. Piepenbrock), Medizinische Hochschule Hannover
  • 2 Abteilung Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin (Direktorin: Prof. Dr. B. Lohff), Medizinische Hochschule Hannover
Dieser Beitrag wird von einem Editorial von T. Koch begleitet.Wegen der besseren Lesbarkeit bei gleichzeitiger Rücksicht auf eine geschlechtssensible Sprache haben wir uns auf einen Wechsel zwischen männlicher und weiblicher Personenbezeichnung geeinigt: Ärztin steht entsprechend für Arzt, Patient ebenso für Patientin oder umgekehrt.
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Publication Date:
15 April 2005 (online)

Zusammenfassung

Über die in der Geschlechterforschung verankerte biologische (sex) und soziale (gender) Differenzierung hinaus wird Geschlecht in den Gesundheitswissenschaften als bio-psycho-soziale Entität aufgefasst. Um die Komplexität des Terminus „Geschlecht” in der Medizin zu verstehen, sind verschiedene Perspektiven erforderlich. Neben der Verunsicherung, die sich aus einer veränderten Perspektive auf Geschlecht ergeben mag, birgt diese - wie jede Neuerung in den Wissenschaften - auch für die Anästhesiologie ein Potenzial für neue Handlungskonzepte. „Gender-based medicine” verfolgt das Ziel einer optimierten, individuell angepassten medizinischen Versorgung. Voraussetzung zur Realisierung dieses Anspruchs ist das Verständnis für die Entstehung, die Verfestigung und Behebung von Gender-Biases in allen Forschungsbereichen sowie in Publikationen und in der Ausbildung. Der Transfer von Methoden und Leitlinien geschlechtssensibler Forschung aus den Gesundheitswissenschaften erlaubt es, die Bedeutung von Geschlechtsspezifika und -differenzen zu erkennen, ihre klinische Relevanz zu prüfen und die Ergebnisse praxisnah anzuwenden. Mit den Methoden der geschlechtssensiblen Forschung sollen nicht nur Forschungslücken geschlossen, sondern auch methodische Standards für die geschlechtssensible Forschung in der Medizin weiterentwickelt und in die medizinische Ausbildung implementiert werden. Defizite im Hinblick auf geschlechtsspezifische Differenzen in Pharmakokinetik und Pharmakodynamik sowie unerwünschte Arzneimittelinteraktionen können so z. B. durch neue Forschungsansätze beseitigt werden, was wiederum zur Individualisierung und Optimierung der Anästhesie beiträgt. Ein zentrales Problem bei der Umsetzung von Geschlechterforschung in der Medizin ist die Detektierung der Grenzen geschlechtssensibler biomedizinischer Aussagen. Dennoch können die bereits vorhandenen Methoden aus den Gesundheitswissenschaften in der klinischen Praxis geprüft und weiterentwickelt werden. Mit der vorliegenden Übersicht werden verschiedene Aspekte der Geschlechterforschung für die Medizin vorgestellt. Sie sollen zu einem allgemeinen Verständnis ihrer Relevanz auch für die Anästhesiologie beitragen und gehen über die bereits vorliegenden klinischen Studien zur biomedizinischen Geschlechterdifferenz hinaus.

Abstract

On the one hand gender studies are based on the differentiation of biological (sex) and social (gender) identities. Above all, gender studies in public health research are seen as an biological, psychological and social entity. To understand the complexity linked to the term “gender” in medicine, different perspectives are required. Apart from the uncertainty, which may occur by the changing perspective on gender, it also holds the option for innovation in anesthesiology, too. The goal of gender based medicine is an optimised, individual adjusted medical care. Precondition to realise this aim is the understanding of the genesis, the consolidation, and the elimination of gender biases in all fields of research, publications and education. The transfer of methods and guidelines for gender sensitive research, adapted from the public health research, allows an access to detect the meaning of gender specifica and gender differences, to verify its clinical relevance and to exercise the results in clinical daily work. With gender sensitive methods desiderata should be reduced, and methodological standards for gender sensitive medical/clinical research can be developed and implemented into medical education. In the light of knowledge about sex specific differences in pharmacokinetic and pharmakodynamic as well as undesired drug interactions, basic research may help to overcome the gender gap and to individualise and optimise the anesthesiological aproach as well. A main problem in implementing gender studies into medicine is the limitation of sex sensitive biomedical significance. Nevertheless, the already existing measures in public health should be evaluated and modified for clinical practice. The current review is to be read as an introduction into different aspects of gender studies in medicine, in order to extend the understanding of its importance for anesthesiology, too. It shows that the relevance trancends still existing studies based on biomedical gender diversities.

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Dr. med. Ljiljana Verner

Abteilung Anästhesiologie, Medizinische Hochschule Hannover

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