Z Orthop Ihre Grenzgeb 2004; 142(5): 498-499
DOI: 10.1055/s-2004-835144
Orthopädie aktuell

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"Navigieren wir morgen jede Endoprothese?"

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Oktober 2004 (online)

 
Inhaltsübersicht

Um mit den Worten von Prof. Jürgen Krämer in einem Editorial im Herbst letzten Jahres zu sprechen "navigare necesse est", damit wäre die Frage in der Überschrift bereits beantwortet. - Doch nun zum eigentlichen Thema:

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PD Dr. Rolf Haaker

Die Möglichkeit der kinematischen Navigation existiert seit dem Jahr 1996, in Grenoble, wo die Arbeitsgruppe Dominique Saragaglia, Frederic Picard und Jean-Eve Jenny, die erste computergestützte kinematische Knienavigation erfolgreich durchführten. Seitdem wurden mit dem bald darauf zur Marktreife gelangten Orthopilot-System der Firma Aesculap mittlerweile weltweit mehr als 5000 Knie-Totalendoprothesen navigiert. Auf dem Umweg über die vermeintlich exaktere CT-basierte Navigation, die zwischenzeitlich von den Firmen Brainlaß mit dem CT-basierten Vektor Vision-System und Medivision mit dem CT-basierten Surgate-System entwickelt wurden, haben sich nunmehr alle Navigationssystemhersteller wieder der kinematisch basierten Navigation zugewandt. Damit wurde neben der Vermeidung einer teuren präoperativen Bildgebung und Strahlenbelastung für die Patienten auch die Alltagstauglichkeit der Systeme deutlich verbessert.

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Navigationssysteme der zweiten Generation

Wurde in der ersten Generation der Navigationssysteme der Tenor hauptsächlich auf die Wiederherstellung der Tragachse bei der Knietotalendoprothetik und der Hüftpfannenposition bei der Hüfttotalendoprothetik gelegt, was natürlich nur ein Teilziel in der Endoprothetik von Knie und Hüfte bedeutet, sind die Navigationssysteme der zweiten Generation in der Lage, das so genannte "Weichteilbalancing" bei der Knieprothese und das Offset sowie die Beinlänge im Bereich der Hüftendoprothese navigationsassistiert zu realisieren. Insofern sind die Navigationssysteme gewissermaßen erwachsen geworden. Aus rein geometrischen Hilfsmitteln sind echte Operationsplanungs- und Realisierungsassistenten geworden.

Zwar ist die Zahl der wirklich gelisteten randomisierten Veröffentlichungen zur Implantationsgenauigkeit mithilfe von Navigationssystemen derzeit noch überschaubar, doch es gibt mittlerweile Veröffentlichungen in allen namhaften angloamerikanischen Journalen, die die Überlegenheit der Navigationssystems bei der exakten Implantation - insbesondere der Knietotalendoprothesen - nachweisen. Zusätzlich existieren insbesondere im deutschsprachigen Raum verschiedene Einzelfalldarstellungen sowie einige Multicenterstudien zu Genauigkeit der Knieund der Hüftpfannennavigationssysteme.

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Siegeszug nicht aufhaltbar

Folgt man diesen Publikationen, so müsste an sich die Verwendung eines Navigationssystems mittlerweile zum Standard werden. Doch offensichtlich ist ein starkes Hemmnis für die Weiterverbreitung der Systeme die in Deutschland derzeit durch die Kostenträger verweigerte Honorierung ihrer Anwendung. Dennoch wird der Siegeszug der Navigation im Gegensatz zu den Roboter-Systemen nicht aufzuhalten sein, weil mittlerweile auch im angloamerikanischen Sprachraum - insbesondere in der Kombination mit den minimalinvasiven Zugängen für Knie- und Hüfttotalendoprothetik - der Gebrauch eines Navigationssystems wegen der ansonsten ungünstigeren intraoperativen Übersicht mehrheitlich empfohlen wird.

Dies wurde besonders deutlich auf der AAOS-Tagung im Februar 2004 in San Francisco, auf der alleine zwei Workshops und mannigfaltige Einzelvorträge dem Thema "Navigation in Hüft- und Knieendoprothetik" gewidmet waren. Dabei konnte der Autor selbst neben weiteren deutschen Referenten an einem dieser Workshops aktiv mitwirken.

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Positionsdifferenzen zwischen Hand- und Computernavigation

Zurückkommend zu der eingangs gestellten Frage sei festzuhalten, dass wir sicherlich morgen nicht jede Endoprothese navigieren. So scheint sich der Bedarf der Navigation im Bereich der Hüfttotalendoprothetik auf die so genannten Dysplasie-Hüften und schwierige Pfannenverhältnisse zu beschränken. Die Erfahrung des Autors zeigt jedoch, dass beim Vergleich handimplantierter und computernavigiert implantierter Hüftpfannen erhebliche Positionierungsdifferenzen zu beobachten sind.

Offensichtlich ist nur die Bandbreite der vom Gesamtsystem Hüfttotalendoprothese tolerierten Abweichungen von der als ideal zu bezeichnenden Pfannenposition derart groß, dass in der Alltagsanwendung der klinische Vorteil - sprich die geringere Luxationsrate - den Operateuren nicht ausreichend zu sein scheint. Über längere Implantatstandzeiten bei vermutetem geringeren PE-Abrieb der Pfanneninlays bei exakterer Pfannenposition kann derzeit noch nicht berichtet werden.

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Knieendoprothetik

In der Knietotalendoprothetik hingegen scheint sich ein Trend zur immer breiteren Anwendung der Navigationssysteme abzuzeichnen. Dies sicherlich nicht zuletzt aufgrund der weit exakteren Rekonstruktionsmöglichkeit der Tragachse (ca. 90% + 3° in der Mikulicz-Linie). Auch andere Beinachsen-orientierte Operationsverfahren, wie Tibiakopfumstellung, suprakondyläre Umstellung am Kniegelenk sowie auch die Implantation des Monoschlittens, werden zunehmend navigiert möglich sein.

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Fazit

Somit wird die eingangs gestellte Frage so zu beantworten sein, dass wir sicherlich nicht jede Hüfttotalendoprothese navigieren, sicherlich aber die minimalinvasiv zu implantierenden Hüfttotalendoprothesen. Darüber hinaus werden wir zunehmend alle Knie-totalendoprothesen navigieren, da der eindeutige Nachweis einer kürzeren Standzeit der Knietotalendoprothese bei Abweichungen von mehr als 5° aus der Mikulicz-Linie in der Literatur bereits häufig geführt wurde. Insofern stellt hier die Navigation ein bereits heute realistisches Qualitätskriterium dar. Über die verlängerte Standzeit nach Navigation wird sich möglicherweise mithilfe des BQS-Systems der Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung in etwa 5-10 Jahren eine Aussage treffen lassen, da die verpflichtende Verschlüsselung bei Erstimplantation von Hüft- und Knieendoprothesen bereits heute die Eingabe über eine etwaige Navigationsunterstützung möglich macht. Sicherlich bleibt ein Problem die mangelnde Honorierung dieses doch erheblichen zusätzlichen Aufwandes durch die Kostenträger. Gelingt es hier nicht, für ein Mehr an Qualität auch ein Mehr an Erlös zu erzielen (oder in der heutigen Zeit besser ausgedrückt "Abschläge zu vermeiden"), werden die nicht eben billigen Systeme mit ebenfalls nicht eben unerheblichen Folgekosten zunehmend weniger angeschafft, was ihr Überleben im deutschsprachigen Raum sicherlich nicht unerheblich gefährdet.

Literatur beim Verfasser.

PD Dr. Rolf Haaker, St. Vinzenz-Hospital, Brakel

 
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PD Dr. Rolf Haaker