Psychother Psychosom Med Psychol 2004; 54(12): 435-436
DOI: 10.1055/s-2004-834577
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leistungsorientierte Mittelvergabe (LOM) in der Medizin - sind die psychosozialen Fächer die Verlierer?

Incentive Allocation of Resources within Medicine - Are the Psychosocial Disciplines the Losers?Elmar  Brähler1 , Bernhard  Strauß2
  • 1Abt. Med. Psychologie und Med. Soziologie der Universität Leipzig
  • 2Institut für Med. Psychologie des Klinikums der Universität Jena
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Publication Date:
18 November 2004 (online)

In den letzten Jahren hat die leistungsorientierte Mittelvergabe in der Medizin erheblich an Bedeutung gewonnen. Die Motive hierfür sind einerseits innerhalb der Fakultäten zu suchen, die ihre knapper werdenden Geldressourcen möglichst fair nach objektivierbaren Kriterien verteilen wollen. Zum anderen kam der Druck auch aus der Wissenschaftspolitik: Mit der leistungsorientierten Mittelvergabe sollten Forschungsleistungen stimuliert werden, um im internationalen Wettbewerb besser mitzuhalten. Hier haben verschiedene Rankings ergeben, dass sich die medizinische Forschung in Deutschland (vorwiegend die Grundlagenforschung) im internationalen Vergleich nicht mehr so gut positioniert wie früher.

Auch einzelne Bundesländer (z. B. Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen) haben damit begonnen, die Zuschüsse für verschiedene Universitätsstandorte zum Teil leistungsorientiert zu vergeben. Auch in diesem Fall standen als Motive Leistungssteigerung, aber auch Verknappung der Mittel im Hintergrund. Nachdem sich die leistungsorientierte Mittelvergabe zunächst vor allem auf die Forschung bezogen hatte, wurde die Bewertung in den letzten Jahren auch auf die Lehre ausgedehnt.

Im Sommer diesen Jahres haben wir bei einer Umfrage an deutschen Medizinischen Fakultäten (ohne Witten-Herdecke) herausgefunden, dass es immerhin noch 7 Medizinische Fakultäten gibt, die keine leistungsorientierte Mittelzuweisung (LOM) betreiben. Im Gegensatz dazu gibt es 10 Medizinische Fakultäten in Deutschland, die LOM bereits länger als 5 Jahre betreiben. Darunter sind vor allem die Medizinischen Fakultäten in den neuen Bundesländern, denen LOM zur Auflage gemacht wurde bezüglich der Förderprogramme für die Medizin in den neuen Bundesländern. 14 der Medizinischen Fakultäten führen momentan LOM noch ohne die Berücksichtigung der Lehre durch. Weitere 14 Fakultäten beziehen die Lehre inzwischen mit ein.

Bei der Lehre ist das Spektrum der Indikatoren für die Leistungsbewertung sehr breit gefächert: Es werden teilweise Selbst- und Fremdevaluationen durchgeführt, die Ergebnisse der Prüfungen durch das Mainzer Prüfungsinstitut einbezogen, aber auch die Beteiligung an medizindidaktischer Fortbildung, die Beteiligung von Professoren an Prüfungen und nicht zuletzt auch Aspekte der Strukturevaluation, d. h. die Ermittlung der tatsächlich durchgeführten Lehre. Die psychosozialen Fächer haben zunächst keinen Grund zur Klage bei der leistungsorientierten Mittelvergabe bezüglich der Lehre, sofern es ihnen gelungen ist, die Spielräume zu nutzen, die durch die neue Approbationsordnung für diese Fächer existieren.

Bei einer Umfrage unter den psychosozialen Fächern im Sommer diesen Jahres bezüglich der Erfahrung mit LOM gab es keinerlei Befürchtungen über eine Gefährdung der Fächer durch LOM bei der Lehre. In vielen Fakultäten kam es sogar zu einer Erweiterung der Lehre in den psychosozialen Fächern, die teilweise auch mit Stellenzuweisungen kompensiert wurde. In etlichen Fällen gab es auch eine Erhöhung der Lehraufgaben, die mit wenig Personal geschultert werden muss. Die leistungsorientierte Mittelzuweisung bezüglich der Lehre wird sich dem momentanen Trend folgend in den nächsten Jahren noch verstärken. Der Fakultätentag wird sich künftig mit dieser Frage ausführlich beschäftigen. Hier besteht die Gefahr, dass bei einer konsequenten leistungsorientierten Mittelvergabe in der Lehre die psychosozialen Fächer an den Universitäten unter Druck geraten könnten bezüglich des Anteils an der Lehre. Da es ja ein zentrales Ziel unserer Fächer ist, psychosozial kompetente Ärzte und Ärztinnen auszubilden, sollten wir uns in der Lehre weiterhin sichtbar engagieren.

Mit sehr viel größerer Sorge haben in den letzten Jahren die Vertreter der psychosozialen Fächer die Einführung der leistungsorientierten Mittelvergabe für Forschungsleistungen verfolgt. Hier hat die Bibliometriekommission der AWMF (http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/awmf-frs.htm) seit 1997 schrittweise ein Modell entwickelt, das den Benachteiligungen in den psychosozialen Fächern, aber auch anderer sprach- und kulturgebundener Fächer entgegenwirkt, aber auch den Ungleichheiten zwischen Grundlagenfächern und klinischen Fächern. So sieht dieses Modell vor, dass die Impactfaktoren nicht in der Ursprungsform verwendet werden, sondern mit einem Gewichtungsfaktor versehen werden, und dass auch der psychosoziale Zitierindex (SSCI), wenn auch ungewichtet, in die Berechnung mit eingeht. Ferner sollen Buchbeiträge berücksichtigt werden, deutsche Zeitschriften, die keinen Impactfaktor haben, erhalten einen Ersatzimpactfaktor zugestanden. Für eine Übergangszeit kann der Impactfaktor von deutschen Zeitschriften verdoppelt werden (wegen Kulturunfairness). An diese Empfehlung der AWMF halten sich leider nur 13 der Medizinischen Fakultäten ganz oder teilweise. Viele Fakultäten verwenden den reinen Impactfaktor, die nordrhein-westfälischen Universitäten werden neuerdings nach den Zitierungen bewertet und nicht mehr nach den Impactfaktoren. Die Frankfurter Fakultät hat für die psychosozialen Fächer eine Sonderlösung gefunden. Diese bekommen einen gesonderten Betrag zugewiesen und müssen eigene Kriterien für die Mittelvergabe entwickeln. Praktisch alle Fakultäten, die LOM betreiben, beziehen die eingeworbenen Drittmittel mit ein, wobei begutachtete Drittmittel in der Regel stärker gewichtet werden als z. B. Industriemittel. Einige Fakultäten vergeben auch einen „Funktionärsbonus” (Tagungspräsidentschaften, Selbstverwaltungstätigkeit, Gutachtertätigkeit für die DFG etc.)

Heftig gestritten wird an vielen Medizinischen Fakultäten, wie ein mit einem Artikel „erbeuteter” Impactfaktor unter den Autoren aufgeteilt werden soll. Meistens gilt die Regel, dass Erst- und Letztautoren in gleicher Weise bewertet und die restlichen Autoren abgewertet werden. Es gibt auch das Modell, wonach durch die Zahl der Autoren dividiert wird, was dann Artikel mit bis zu 140 Autoren (!), wie sie gelegentlich vorkommen, unattraktiv macht. Es wird darüber gestritten, ob Letters - in der Regel auch mit sehr vielen Autoren - an hochkarätige Zeitschriften gewertet werden sollen oder ob sie erst ab einer Länge von einer halben oder einer ganzen Seite gewertet werden sollen. Hier wird man schnell merken, dass psychosoziale Fächer mit ihrer Tradition, mit eher weniger Autoren und eher längeren Arbeiten, benachteiligt werden.

Umso erstaunlicher war für uns, dass wir bei unserer Umfrage im Sommer diesen Jahres feststellen konnten, dass die meisten der psychosozialen Fachkollegen an den Universitäten in der leistungsorientierten Mittelvergabe keine Benachteiligung gegenüber den Zeiten zuvor sehen konnten. Die Zahl derer, die von positiven Effekten für ihr Fach berichteten, war deutlich höher als die Zahl derer, die sich durch das Verfahren benachteiligt sehen.

Diese an sich sehr erfreuliche Situation kann sich sehr rasch ändern, wenn sich die DFG mit ihren Empfehlungen zu einer leistungsorientierten Mittelvergabe an Medizinischen Fakultäten durchsetzen wird: Die Stellungnahme der Senatskommission für klinische Forschung der DFG wurde im Juli 2004 publiziert (http://www.dfg.de/aktuelles_presse/reden_stellungnahmen/2004/download/stellungnahme_klinische_forschung_04.pdf). Man kann sich fragen, warum die DFG sich bemüßigt fühlt, solche Empfehlungen abzugeben. Der Hintergrund ist, dass bei den schwindenden Ressourcen der Medizinischen Fakultäten bei DFG-Bewilligungen die Grundausstattung oft nicht finanziert werden kann. Die DFG möchte ihre Geldmittel an Orte und Einrichtungen vergeben, für die ausreichend Grundausstattung vorhanden ist. Es sollen so genannte „Leuchttürme” in der Forschungslandschaft identifiziert und gepflegt werden (die Metapher ist augenfällig schief, da Leuchttürme eher signalisieren, dass man von ihnen wegbleiben soll; vielleicht soll das Symbol auch andeuten, dass sich alle außerhalb der Leuchttürme in Seenot befinden).

Die Empfehlung der DFG geht nun an die Medizinischen Fakultäten, nur noch den reinen Impactfaktor für die Bewertung von Publikationsleistungen zu verwerten, keine Buchbeiträge, keine anderen Leistungen - Promotionen, Habilitationen, Patente etc. Während die Empfehlungen der DFG bezüglich der Drittmittelbewertung unproblematisch scheinen und vielerorts praktiziert werden, ist die Rückkehr zu reinen Impactfaktoren auch ein großer Rückschritt. Die DFG schreibt zwar in ihrer Empfehlung, dass der reine Impactfaktor ein „wenig evaluiertes grobes Maß” ist, der Einfachheit halber solle er dennoch der alleinige Maßstab werden. Falls sich die Medizinischen Fakultäten an diese Empfehlung der DFG halten sollten, wird sich die Lage für viele unserer Fachkollegen an vielen Orten drastisch verschlechtern. Die psychosozialen Fachgesellschaften sollten sich beispielsweise über AWMF und Fakultätentag engagieren und die DFG zu einer Änderung ihres Kurses bewegen.

Der „Fetisch Impactfaktor” kann rasch entzaubert werden, wenn an seine Verwendung für die Evaluation dieselben Maßstäbe gelegt würden, die wir für die Evidence Based Medicine entwickelt haben: Steigert die Verwendung des reinen Impactfaktors die Leistungsfähigkeit der medizinischen Forschung oder verändert sie nur die Publikationsgewohnheiten? Man kann sehr nachdenklich werden, wenn man sieht, welche Fakultäten eigenen Angaben zufolge noch gar keine leistungsorientierte Mittelverwertung vornehmen. Es sind dies die TU München, die Universitäten Köln, Regensburg, Hannover, Marburg, Würzburg und Essen. Man kann nicht behaupten, dass es die schlechtesten Medizinischen Fakultäten in Deutschland sind. Andererseits kann man auch nicht behaupten, dass die Fakultäten, die LOM schon länger als fünf Jahre anwenden - es sind dies Greifswald, Göttingen, Halle, Hamburg, Dresden, Jena, Leipzig, Rostock, Charité Berlin und Frankfurt - so viel besser sind, als die übrigen Fakultäten.

Mit Schnellschüssen aus der Wissenschaftspolitik, auch wenn sie von der DFG kommen, ist den Zielen, denen gerade auch die DFG verpflichtet ist, nicht unbedingt gedient.

Prof. Dr. Elmar Brähler

Universität Leipzig · Abt. Med. Psychologie und Med. Soziologie

Stephanstraße 11

04103 Leipzig

Email: brae@medizin.uni-leipzig.de