Aktuelle Urol 2004; 35(5): 361-362
DOI: 10.1055/s-2004-834358
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Hohes Latexallergierisiko bei Kindern mit urologischen Fehlbildungen

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Publication Date:
22 September 2004 (online)

 
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Naturlatex wird zur Herstellung zahlreicher Gegenstände des täglichen Lebens und des medizinischen Bereichs verwendet. Leider können seine Proteine die Bildung spezifischer IgE-Antikörper induzieren, also eine Latexallergie verursachen.

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Bis zu 60% aller Kinder mit Blasenextrophie, Spina bifida und anorektalen Anomalien haben eine Prävalenz für diese Allergie. Eine Studie aus der Schweiz zeigt nun, dass auch Kinder mit chronischen Nierenversagen eine hohe Prävalenz für diese Allergie haben.

G. Sparta und Kollegen wurden auf das Studienthema aufmerksam, als ein Junge mit Prune belly syndrome während einer Nierentransplantation eine schwere Grad-IV-Anaphylaxie auf Latex entwickelte. Daraufhin untersuchten sie die Prävalenz einer Latexallergie bei Kindern mit chronischem Nierenversagen anhand von 57 Jungen und 28 Mädchen mit einem Durchschnittsalter von 10,5 Jahren (The Journal of Urology 2004; 171: 1647 -1649). Latexreaktionen wurden mittels spezifischer IgE-Antikörper, Pricktest und beobachteter Atopie (Rhinitis, Asthma und Neurodermitis) und allergischer Reaktionen auf Latexprodukte und Nahrungsmittel, die mit Latex kreuzreagieren, dokumentiert.

Reaktionen auf Latex konnten bei 19 Kindern (22%) nachgewiesen werden. Davon hatten 8 eine Allergie mit klinischen Symptomen und 11 waren sensibilisiert. Elf dieser 19 Patienten hatten urologische Fehlbildungen. Die Analyse der Risikofaktoren für die Entstehung einer Latexallergie erbrachte, dass häufige Operationen, geringes Alter zum Operationszeitpunkt und eine bestehende Atopie signifikant das Risiko für eine Latexallergie steigern. Dabei sind es insbesondere urologische Operationen, die im Vergleich zu nichturologischen Operationen das Latexallergierisiko steigern.

Ein Drittel aller in dieser Studie untersuchten Kinder mit urologischen Fehlbildungen hat eine Latexallergie oder ist sensibilisiert. Die Autoren fordern deshalb, dass generell bei Kindern mit diesem Krankheitsbild, wie auch schon für Kinder mit Spina bifida, Blasenextrophie und anorektalen Anomalien, eine primäre Latexprävention einzuhalten ist.

Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas

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Kommentar zur Studie

Gibt man in eine Suchmaschine des World Wide Web den Begriff "Latexallergie" ein, bekommt man etwa 23 000 Beiträge geliefert, und die Latexallergie gewinnt zunehmend an Bedeutung und Beachtung. Was eigentlich jeder Kinderchirurg und Kinderurologe schon weiß, wird einem in dem vorliegenden Artikel von Giuseppina Sparta et al. noch einmal eindrücklich vor Augen gehalten: Die wichtigsten derzeit bekannten Faktoren für die Entwicklung einer Latexallergie.

Dabei erscheint die Schlussfolgerung nach einer Latexprävention nur allzu logisch. Allgemein anerkannt war dies bisher bei Kindern mit Spina bifida, Blasenekstrophie und anderen komplexen Fehlbildungen aus dem anorektalen Formenkreis. Dabei scheint der Kontakt von latexhaltigem Material wie z.B. den Operationshandschuhen, aber auch Kathetern u.ä., mit Schleimhäuten und anderen nicht verhornenden Epithelien das Allergierisiko zu erhöhen. Auch die Häufigkeit und das Alter bei den wiederholten operativen Eingriffen spielen bei der Allergisierung unbestreitbar eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund wundern die Ergebnisse der vorliegenden Studie der Kollegen Sparta nicht, wenn sie eben das sehr hohe Allergisierungsrisiko gegen Latex auch bei Kinder nachweisen konnten, die im frühen Lebensalter und mehrfach urologischen Eingriffen unterzogen wurden. Dabei sind rund ein Drittel aller Kinder mit urologischen Fehlbildungen nach Operation gegen Latex sensibilisiert oder zeigen bereits eine manifeste Allergie. Es würde nicht verwundern, wenn in weiteren Studien andere Erkrankungsbilder hinzukämen und dabei wieder die gleichen Risikofaktoren - Alter bei Operation, und wiederholte Operationen sich herauskristallisieren würden. Ein Kind mit z.B. nekrotisierender Enterokolitis (NEC), welches als Frühgeborenes laparotomiert und in der Folge noch mehrmals operiert wird, ist wahrscheinlich genauso gefährdet, eine Latexallergie zu entwickeln, wie ein Kind mit Blasenekstrophie.

Vieles ist noch unbekannt. Fragen nach der genetischen Disposition oder eines bestimmten Schwellenwertes des Allergens sind weit gehend unbeantwortet. Auch der hier vorliegende Artikel kann dazu keine Neuigkeiten beitragen. Die Autoren sprechen von "multiplen Operationen", ohne die genaue Anzahl der Operationen zu nennen. Vielleicht ist das nicht so wichtig. Vielleicht müssen wir davon ausgehen, dass bereits bei einer einmaligen Ureteropyeloplastik beispielsweise bei einem Säugling mit Ureterabgangsstenose einer gewissne Allergisierung Vorschub geleistet wurde. Wundern würde es nach dem vorliegenden Datenmaterial nicht. Multizentrische und vor allem fachübergreifende Studien der verschiedenen Fachgesellschaften wie den Deutschen Gesellschaften für Allergologie und klinische Immunologie (DGAI), für Kinder und Jugendmedizin (DGKJ), für Urologie (DGU) und für Kinderchirurgie (DGKCH), sind heute dringend geboten, um Antworten auf viele noch offene Fragen zu erhalten.

Latexhaltige Materialien müssen und werden über kurz oder lang aus dem medizinisch-operativen Bereich, zumindest in der Kindermedizin, verdrängt werden.

Die Forderung nach Latexprävention für diese im vorliegenden Artikel beschriebene Patientengruppe, die wie gesagt sicher noch zu erweitern ist, erscheint deshalb nur sinnvoll. Was bedeutet das für kinderchirurgische Kliniken oder kinderurologische Abteilungen, die diese Risikopatienten betreuen? Latexprävention bedeutet eine Operation in einer latexfreien Umgebung. Nach den derzeit gültigen Richtlinien müssen diese Operationen an erster Stelle des OP-Programmes stehen. Parallel dazu dürfen keine nichtlatexfreien Operationen stattfinden. Rein aus logistischen Gründen und aus Gründen der Sicherheit ist das an Kliniken, in denen diese Risikokinder häufig und oft nicht planbar operiert werden, nur durch eine komplette Umstellung des gesamten OP-Bereiches auf latexfreie Materialien möglich.

An unserer eigenen Klinik ist der gesamte Operationsbereich latexfrei, bis auf eine entscheidende Ausnahme: Den sterilen Operationshandschuhen. Latexfreie Handschuhe werden nur bei den derzeit anerkannten Risikokindern benutzt und die Operateure scheuen sie wie der Teufel das Weihwasser. Angesichts oben angestellter Überlegungen muss dies erneut streng überdacht werden.

Latexhaltige Materialien müssen und werden über kurz oder lang aus dem medizinisch-operativen Bereich, zumindest in der Kindermedizin, verdrängt werden. Nur so ist echte Prävention zu gewährleisten. Das hat auch ökonomische Konsequenzen, da latexfreies Material egal welcher Art, grundsätzlich teuerer ist als vergleichbares mit Latex. Doch dieses Argument wird und darf kein übermäßiges Gewicht bekommen wie jenes des schlechten Tragekomforts latexfreier Operationshandschuhe. An dieser Stelle ist die Industrie aufgefordert, kostengünstigere und, wie im Falle der Handschuhe, brauchbarere Materialien auf den Markt zu bringen, um dieser wichtigen Prävention nicht im Wege zu stehen.

Dr. Maximilian Stehr, München

 
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