Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2004-834356
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Risikofaktoren für Nierenkarzinom bei älteren Frauen
Publication History
Publication Date:
22 September 2004 (online)
In den USA hat sich die Inzidenz für Nierenkrebs unter Frauen kaukasischen Typs zwischen den 70er- und 90er-Jahren jährlich um mehr als 3% erhöht, was sich nicht allein durch verbesserte diagnostische Möglichkeiten erklären lässt. Im Rahmen der "IOWA WomenŽs Health Study (IWHS)" hatten US-Wissenschaftler eine großangelegte Befragungsaktion unter älteren Frauen durchgeführt, um mehr über nierenkrebsassoziierte Risikofaktoren erfahren zu können (Int J Cancer 2004; 108: 115-121).
Im Jahr 1986 war an 99 826 55- bis 69-jährige Frauen, die nach dem Zufallsprinzip aus der Liste der Führerscheininhaber des US-Staates Iowa ausgewählt worden waren, ein Basisfragebogen versandt worden. Der Rücklauf hatte 42% betragen (n = 41 836), wobei nur 34 637 Frauen in die Untersuchung aufgenommen werden konnten, bei denen initial kein Hinweis auf eine Nierenkrebserkrankung vorgelegen hatte. Über 15 Jahre wurde die Nierenkrebsinzidenz anhand des bundesstaatlichen Krebsregisters identifiziert. Für die 124 neu aufgetretenen Nierenkrebsfälle (darunter 116 Nierenzellkarzinome) wurden mögliche Zusammenhänge mit Faktoren wie z. B. dem Körpergewicht, der Ernährung, einer Vitaminsupplementation oder Hormonersatztherapie untersucht.
Im Ergebnis war - nach Abgleich verschiedener bekannter Risikofaktoren wie dem Lebensalter - Nierenkrebs eng mit dem Körpergewicht assoziiert. Eine Rolle spielte dabei zum einen eine bereits in jüngeren Lebensjahren auftretende Adipositas als auch das zum Zeitpunkt der Befragung festgestellte Verhältnis aus Taillenumfang zu Hüftumfang. Obwohl für die meisten Nahrungsmittel kein Zusammenhang zu Nierenkrebs hergestellt werden konnte, hatten Frauen mit Alkoholkonsum (zumindest 3 g/Tag) im Vergleich zu Nichttrinkerinnen grundsätzlich ein geringeres relatives Risiko (RR). Rauchen spielte eine untergeordnete Rolle (RR = 0,93). Die regelmäßige Zufuhr von Multivitaminpräparaten hatte eine Risikominderung von 37% zur Folge. Kupfer-Supplemente erhöhten das relative Risiko auf das 4,43-fache, Magnesium- Supplemente auf das 2,07fache. Die Zufuhr von Vitamin C war positiv, die von Vitamin E dagegen negativ mit dem Krebsrisiko assoziiert. Hatten Frauen in der Vergangenheit Östrogene z. B. im Rahmen einer Hormonersatztherapie eingenommen, steigerte dies ihr Risiko auf das 1,62fache. Dies traf jedoch nicht auf eine gegenwärtige Hormoneinnahme zu. Nulliparität (RR = 1,82), 3 oder 4 Geburten (RR = 1,84) und mehr als 5 Geburten (RR = 1,72) erhöhten im Vergleich zu 1 bis 2 Geburten das Risiko für Nierenkrebs.
#Fazit
Zusammenfassend waren postmenopausale Frauen insbesondere für Nierenkrebs präsdestiniert, wenn sie in jüngeren Jahren ab ca. 30 adipös gewesen waren und/oder in späteren Jahren Übergewicht vor allem um die Körpermitte hatten. Der Stellenwert weiterer möglicher Risikofaktoren wie Parität, ein niedriger Alkoholkonsum sowie die Mengen von Nahrungsergänzungsstoffen und Vitaminen sollte in weiteren Studien untersucht werden.
Dr. Katrin Appel, Essen
#Kommentar zur Studie
Die Iowa Women's Health Study: diesmal - fette Frauen und Nierenkrebs
Die "Iowa Women's Health Study" (IWHS) ist eine der großen amerikanischen, epidemiologischen Studien. In der PubMed-Datenbank werden unter dem Suchbegriff aktuell 99 Publikationen aufgelistet, in denen aus dem zentralen Daten-Pool der Studie vielfältige Rückschlüsse über die Gesundheit postmenopausaler Frauen extrahiert wurden. Es finden sich Analysen zu den 10 häufigsten Tumorerkrankungen der Frau (häufigste Krebsneuerkrankungen in Deutschland bei Frauen in absteigender Reihenfolge: 1. Mammakarzinome (24,4 %), 2. Darmkarzinome (17,6 %), 3. Lungenkarzinome (5,4 %), 4. Korpus-/Endometriumkarzinome (5,1 %), 5. Magenkarzinome (5,1 %), 6. Ovarialkarzinome (5,0 %), 7. Pankreaskarzinome (4,0 %), 8. Harnblasenkarzinome (3,6 5) 9. Zervixkarzinome (3,4 %), 10. Non-Hodgkin Lymphome (3,4 %), sowie zum Typ-II-Diabetes, der rheumatoiden Arthritis, der kardialen Ischämie, dem Schlaganfall, der Endometriose und den Schenkelhalsfrakturen.
Diesmal ging es darum, potenzielle Risikofaktoren für die Entstehung der elfthäufigsten Tumorerkrankung der Frau, des Nierenkarzinoms besser wissenschaftlich abzusichern als bisher. Das Thema muss uns interessieren, denn nach der 4., aktualisierten Ausgabe (2004) der Krebshäufigkeiten (Hrsg.: Arbeitsgemeinschaft bevölkerungsbezogener Krebsregister in Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut; s.o.) ist in der Europäischen Union die geschätzte, altersstandardisierte Häufigkeit für Frauen, an einem Nierenkarzinom zu erkranken, in Deutschland am höchsten (etwa 10/100 000). Griechische und portugiesische Frauen haben in der EU das niedrigste Erkrankungsrisiko (3-5/100 000).
Und nun ist es heraus: Junge Frauen mit schlanker Taille, die einen Führerschein besitzen und auch gerne mal ein Schlückchen Rotwein konsumieren, solche Frauen, die im Laufe ihrer reproduktiven Phase auf Östrogenpräparate verzichten und wenigstens eines, aber am besten nicht mehr als 2 Kinder gebären, Frauen mit einem solchem Profil haben nach ihrer Menopause ein signifikant niedrigeres Risiko, an einem Nierenkarzinom zu erkranken.
Diese Leitbilder sind zweifelsfrei sympathisch - für beide kaukasischen Geschlechter; und für westliche Staatsmänner und Gesundheitsökonomen.
Hinter der Arbeit von Kristin Nicodemus steht das Johns Hopkins in Baltimore und die Universität von Minnesota, sodass sicher kein Zweifel an den geistreich konstruierten und lege artis angewandten statistischen Verfahren oder an den filigran aufeinander abgestimmten epidemiologischen Berechnungs-, Vergleichs- und Wichtungsmodellen besteht. Und die Rohdaten?
Zugrunde gelegt wurden in der IWHS Informationen, die (postmenopausale) Frauen im Alter von 55-69 Jahren in einer nur ein einziges Mal durchgeführten Fragebogenaktion freimütig über sich selbst preisgegeben haben. Sensible Fragen gehörten dazu, die an das eigene Körperbild, den Lifestyle und das Konsumverhalten (Nahrungszufuhr, medizinische und komplementär-medizinische Medikamente und Präparationen) rührten. Die erbetenen Angaben umfassten Attribute, wie das konkrete Körpergewicht, die jemals maximal auf die Waage gebrachten eigenen Pfunde und den realen Bauch- und Hüftumfang; Attribute also, denen Frauen bekannterweise völlig unbefangen gegenüberstehen. Der Neigung auf eine "geschönte" Authentizität der eingetragenen Körperdimensionen wurde methodisch damit begegnet, dass dem postalisch zugestellten Fragebogen ein einheitliches Längen-Maßband aus Papier beigelegt wurde.
Beachtlich war auch das Erinnerungsvermögen der Befragten, die selbst nach vielen Jahren noch ihr konkretes Körpergewicht im Alter von 18, 30, 40 und 50 Jahren wussten.
Die so eingesammelten Daten wurden von den Wissenschaftlern (als) genauso verlässlich bei den Auswertungen berücksichtigt, wie ein "Nein" auf die Frage, ob "Frau" eine Alkohol-Trinkerin ist. Etwaige Verzerrungen der Angaben sind nicht quantifizierbar, da sie natürlich bei 41 836 Frauen, die geantwortet hatten, nicht im Detail nachvollzogen werden konnten. Schade ist, dass nicht wenigstens stichprobenweise nachgeprüft wurde.
Schließlich zeichnet es diese epidemiologische Studie zum Nierenkarzinom im Vergleich zu anderen qualitativ aus, dass sie prospektiv angelegt war und die Kohorte (seit 1986) über die folgenden 15 Jahre beobachtet wurde. Vermutlich ist die prospektiv erhobene Erkrankungshäufigkeit trotzdem unzuverlässig, da keine regelmäßigen, standardisierten und kontrollierten Nachuntersuchungen der Frauen im Beobachtungsintervall durchgeführt wurden. Bei der Erhebung der Tumorinzidenzen verließ man sich ganz darauf, ob für die Personen/Identitäten im bundesstaatlichen Krebsregister die entsprechenden ICD-Codes auftauchten. Konnten also durch die Fokussierung der Daten der IWHS auf das Nierenkarzinom tatsächlich die postulierten Risikofaktoren für Frauen besser abgesichert und neue Faktoren hinreichend valide identifiziert werden? Ich fürchte: nein.
Dennoch ist die Präsentation der Ergebnisse "konsequent", "trendy", "politisch" und "plausibel": Publizistisch "konsequent" - wie gezeigt. "Trendy", wenn man bedenkt, wie viele Beiträge der Wissenschafts- und Laienpresse sich in letzter Zeit hinsichtlich Krebsentstehung und Alterung auf die gleichen Parameter bezogen haben. "Politisch" attraktiv, weil jede Darstellung (also auch eine an einer seltenen Erkrankung, wie dem Nierenkarzinom) hilfreich ist, deren Appelle über die konkrete Entität hinaus eine breite krankheitspräventive Wirkung nach sich ziehen könnten. Sachlich "plausibel", weil für die als wichtig deklarierten Risikofaktoren (Adipositas, Alkohol, weibliche Hormone) griffige Rationalen bestehen und die zentralen Aussagen durch zahlreiche biochemische (fettgewebs-, alkohol-, schwangerschafts- und medikamentenabhängiger Östrogenmetabolismus, antioxidative Vitamine etc.), präklinische (Tiermodelle in Hamstern und Ratten) und klinisch-wissenschaftliche Beschreibungen gestützt werden (können).
Eine kleine Ungereimtheit lässt mich noch zögern: Wieso besitzen griechische und portugiesische Frauen die geringste Erkrankungshäufigkeit für ein Nierenkarzinom in der EU, obwohl der Anteil an übergewichtigen Frauen in Griechenland und Portugal mit jeweils 31% in Europa am höchsten ist? In Deutschland sind es demgegenüber nur 18,9% der Frauen.
PD Dr. Detlef Rohde, Darmstadt
Literatur beim Autor