Aktuelle Urol 2004; 35(4): 266-269
DOI: 10.1055/s-2004-832275
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Robotergestützte Prostatektomie von Vorteil

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Publication Date:
31 August 2004 (online)

 
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US-Wissenschaftler haben mit der robotergestützten Prostatektomie Fortschritte bei der Behandlung von Patienten mit lokalen Prostatakarzinomen erzielt. Im Vergleich zur herkömmlichen radikalen retropubischen Prostatetomie (RRP) ist die Komplikationsrate deutlich geringer und die Patienten erreichen schneller Kontinenz und normale Erektionsfähigkeit.

Im Vattikuti Urology Institute in Detroit wird das Da-Vinci-Robotersystem seit November 2000 bei Prostatektomien eingesetzt. Bis Dezember 2002 wurden 400 Patienten damit behandelt, berichten Dr. M. Menon und Kollegen. Die Überlegenheit des neuen Verfahrens haben die Wissenschaftler beim Vergleich der Ergebnisse bei 200 Patienten, die mit Da Vinci, und 100 Patienten, die herkömmlich operiert wurden, belegt. Alle Studienteilnehmer hatten ein lokales Prostatakarzinom mit einem Gleason-Score von mindestens 6 und eine Lebenserwartung von 10 Jahren. Die Patienten konnten sich selbst entscheiden, wie sie operiert wurden (BJU International 2003; 92: 205-210).

Die OP-Dauer war in beiden Gruppen mit im Mittel etwa 160 Minuten ähnlich, berichten die Urologen. Der Blutverlust war bei den mit Roboter operierten Patienten signifikant geringer (150 vs. 910 ml). Kein Patient benötigte eine Transfusion im Vergleich zu 67% der Patienten der RRP-Gruppe. Auch die Komplikationsrate (5 vs. 20%) und die postoperativen Schmerzen waren bei den Patienten der roboter-gestützten OP-Gruppe deutlich geringer. Im Mittel konnten die Patienten nach 1,2 Tagen aus der Klinik entlassen werden, die übrigen Patienten erst nach 3,5 Tagen. Die Dauer der Katheterisierung war in der RRP-Gruppe etwa doppelt so lang (15,8 vs. 7 Tage). Das onkologische Ergebnis war in beiden Gruppen ähnlich. Jedoch wurde in der RRP-Gruppe häufiger ein positiver Rand nachgewiesen (23 vs. 9%).

In einer späteren telefonischen Befragung von 120 Studienteilnehmern wurde belegt, dass das robotergestützte Verfahren auch Vorteile für die Lebensqualität der Patienten bot. Im Mittel waren die Patienten 44 Tage nach dem Eingriff kontinent und hatten nach 180 Tagen eine normale Erektionsfähigkeit. Bei den Patienten der RPP-Gruppe dauerte dies im Mittel 160 und 440 Tage.

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Fazit

Die robotergestützte Prostatektomie ist sicher und bietet Vorteile im Vergleich zur RRP, betonen die Autoren. Das Verfahren kann von Chirurgen, die in der konventionellen RRP erfahren sind, leicht erlernt werden.

Roland Fath, Frankfurt

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Erster Kommentar

Der Einsatz von Operationsroboter in der Urologie nimmt auch in Deutschland zu. Diese Operationsrobotern werden seit der Etablierung der laparoskopischen radikalen Prostatektomie für die Urologie attraktiv. In der Arbeit von Tewari et al. wird der Einsatz des Da-Vinci-Robotersystems (Intuitive Surgical, Sunyvale, CA, USA) im Bereich der radikalen Prostatektomie der offenen retropubischen Prostatektomie gegenüberstellt. Die Arbeit unterstreicht die Schwierigkeit einer randomisierten Studie, die abgebrochen werden musste, weil die Patienten klare Vorstellungen für ihre Operationsmethode hatten. Obwohl diese keine randomisierte Studie ist, sind die Patientencharakteristika nicht signifikant unterschiedlich. Die Autoren weisen auf keine bewusste Patientenselektion in beiden Gruppen hin.

Kommentar: Der Untertitel der Arbeit verspricht eine Bewertung von Komplikationen der laparoskopischen radikalen Nephrektomie im Vergleich zur laparoskopischen Nierenteilresektion. Die klinischen Daten wurden retrospektiv erhoben. Die Autoren berichten nicht, inwieweit die Erhebung von Komplikationen standardisiert erfolgte. Auch eine Abstufung nach Schweregrad einer Komplikation wird nicht vorgenommen. Eine Aussage über Anzahl und Qualifikation der Operateure fehlt. Ferner sind die genauen Kriterien, die zur Selektion des jeweiligen Eingriffes geführt haben, nicht erwähnt. Allein aufgrund der gerade genannten Punkte ist eine Bewertung der Ergebnisse im Hinblick auf Komplikationen im Vergleich zu anderen Serien nicht möglich. An dieser Stelle sein angemerkt, dass die Komplikationsraten in den verfügbaren Serien zur laparoskopischen Nierenteilresektion erfreulich gering sind.

Die Operationszeiten waren fast gleich, in der Gruppe mit der roboterassistierten Prostatektomie waren nicht nur der Blutverlust, die Bluttransfusionsrate signifikant besser, sondern auch die Krankenhausverweildauer, die intraoperativen Komplikationen sind deutlich geringer. Man kann die telefonische Abfragung kritisieren, aber die Autoren räumen ein dass Ergebnisse eines validierten Fragebogens in Aussicht. Ein weiterer Kritikpunkt ist, warum man bei Patienten mit der offenen Technik das Zystogramm später durchgeführt hat, dies könnte einem logistisches Problem ähneln.

Diese Daten unterstreichen für mich die Vorteile der minimal invasiven Chirurgie im Bereich der radikalen Prostatektomie. In der Arbeit bleiben die Autoren schuldig warum die positive Schnittränder in der Gruppe der retropubischen Prostatektomie so schlecht sind. Wenn man davon ausgeht dass diese Arbeit eine "single center Arbeit" ist muss man davon ausgehen dass die Pathologen identisch sind. Die Erklärung dass man mit dem Robotersystem 2-3 mm extra-margin gewinnen kann erscheint subjektiv.

Die Arbeit belegt die Vorteile in dieser Institution so eindeutig dass man auf die Frage nach den Kosten der Beschaffung des Robotersystems und Kosten des Einsatzes pro Operation in Vergleich zu anderen Methoden gar nicht kommt. Die Autoren stellen jedoch diese Gegenüberstellung in Aussicht. Dabei werden die Vorteile der frühen Entlassung, frühere Entfernung des Harnblasenkatheters, geringe Bluttransfusion in den Vordergrund treten.

Ein wichtiger Aspekt dieser Arbeit ist in meinen Augen, dass Robotersysteme Operateuren, die keine oder wenig Erfahrung mit laparoskopischer urologischer Chirurgie haben, die Möglichkeit bietet, in das Gebiet der komplizierten Eingriffen wie die radikale Prostatektomie einzudringen.

Dr. Serdar Deger, Berlin

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Zweiter Kommentar

Die Arbeit vergleicht prospektiv die Ergebnisse von 100 offenen retropubischen radikalen Prostatektomien (Oktober 1999 bis Dezember 2002) mit den letzten 200 telechirurgischen laparoskopischen radikalen Prostatektomien (Dezember 2001 bis Dezember 2001) unter Einsatz des Operationsrobotersystems Da Vinci. Beide Verfahren wurden am Vattikuti Institute für Urologie in Detroit eingesetzt. Die untersuchten Parameter umfassen sowohl perioperative Daten als auch kurzfristige postoperative funktionelle Ergebnisse (Potenz, Kontinenz), wobei sich deutliche Vorteile zu Gunsten der Roboterchirurgie finden.

Obwohl die Studie 300 Patienten umfasst, müssen die Aussagen der Arbeit aus folgenden Gründen erheblich relativiert werden:

Beide Kollektive sind schwer vergleichbar. Die Arbeit betont, dass es sich um eine Untersuchung an einer Institution handelt und die Basisdaten der Patienten (Alter, PSA-Wert, Tumorstadium, Glea- son Score) differieren nicht signifikant, aber dafür stellt sich die Ausgangslage beider Gruppen sehr unterschiedlich dar. Die offene retropubische radikale Prostatektomie wurde von 8 unterschiedlichen Operateuren in einem deutlich längeren Rekrutierungszeitraum (ca. 3 J.) durchgeführt, während für das roboterunterstützte laparoskopische Verfahren die letzten in etwa 1 Jahr von einem einzigen Operateur durchgeführten Eingriffe ausgewertet wurden. Dies wird zwar von den Autoren in der Diskussion angesprochen, aber mit Hinweis auf die insgesamt vorliegende offene Erfahrung von über 1400 Fällen abgetan. Gerade für die radikale Prostatektomie jedoch scheint die Häufigkeit des Eingriffs eine entscheidende Rolle für die Qualität des Operationsergebnisses zu spielen, wobei von dem Medizinökonomen Prof. Lauterbach ja bekanntlich eine Zahl von 55 Eingriffen pro Jahr angesetzt wird. Diese Zahlen divergieren in der vorliegenden Studie eklatant (5 vs. 200 Eingriffe pro Operateur).

Das prospektive Studiendesign ist unklar. Bei der Durchsicht der Arbeit muss der prospektive Charakter der Datenerhebung angezweifelt werden. Dies mag sicherlich für die Laparoskopiegruppe gelten, die offen operierten Patienten wurden jedoch zu einem Zeitpunkt erfasst (Oktober 1999), wo am Vattikuti Institute weder klassisch noch roboterassistierte laparoskopische radikale Prostatektomien erfolgten. Dies legt die Vermutung nahe, dass die offenen Patienten zumindest in den ersten beiden Jahren retrospektiv erfasst wurden. So unterscheidet sich auch das postoperative Management grundlegend: Während die offen operativ operierten Patienten nach 48 h entlassen wurden und der Dauerkatheter nach 14 Tagen entfernt wurde, verblieben die roboterassistierten Kranken nur maximal einen Tag stationär und ein Zystogramm erfolgte nach 4-7 Tagen. Auch wenn eigene retrospektive Erfahrungen ebenfalls gezeigt haben, dass die Katheterdauer nach dem laparoskopischen Eingriff kürzer ist, bedeutet dies im angeblich prospektivem Studiendesign schon per se eine Benachteiligung der offenen Gruppe. Auch die Beurteilung der positiven Ränder differiert in beiden Gruppen: Während in der offenen Gruppe die Bestimmung auf dem klassischen Stanford-Protokoll (zweifarbige Tuschefärbung der beiden Prostatalappen mit Großflächenschnitten), werden in der Roboter-Laparoskopie-Gruppe nur positive Randbiopsien gewertet mit Argument, die optische Vergrößerung erlaube eine bessere Beurteilung. Damit sind die Daten zu positiven Rändern nicht zu verwerten. Auch können die PSA-Nachsorgedaten bei nahezu doppelt so langem Beobachtungszeitraum der offenen Gruppe (556 vs. 236 Tage) nicht gegenübergestellt werden. Auch weicht hier der Text von der Tabelle ab: Im Text wird über einen signifikanten Unterschied des Anteils der PSA-negativen Patienten zu Gunsten der Laparoskopiegruppe berichtet, der sich in Tabelle 2 als nicht signifikant (92 vs. 85 %) herausstellt.

Unklare Subkollektive in der Nachsorge. Die Autoren berichten über die Ergebnisse eine Quality of Life-Studie in der Nachsorge der Patienten. Interessanterweise benötigt das zitierte und angewandte Instrument (Fragebogenevaluation) laut den Autoren 140 vollständig ausgefüllte Antworten in beiden Gruppen. Die Daten der vorgelegte Studie basieren aber nur auf 120 interviewten Patienten, wobei unklar bleibt, wie viele davon zu jeder Gruppe gehören und wie repräsentativ das nachuntersuchte Kollektiv ist. Gerade bezüglich Kontinenz und Potenz könnte sich auch der bestehende, aber nicht signifikante Altersunterschied zu Gunsten der Laparoskopie (60 vs. 63 Jahren) vorteilhaft auswirken. Beispielsweise sind die bisher unerreichbaren Potenzraten von Patrick Walsh (86 %) an einem präselektierten Kollektiv (Altersdurchschnitt 57 Jahre) erzielt worden.

Zusammenfassend erlaubt die vorliegende Arbeit nur wenige Rückschlüsse im Vergleich der verschiedenen Techniken. Betrachtet man die gesamte aktuelle Literatur, so lassen sich keine wesentlichen Unterschiede bezüglich der Komplikationsraten, funktionellen Ergebnisse und onkologischen Frühergebnissen zwischen laparoskopischer und offener retropubischer Prostatektomie an mit der jeweiligen Technik erfahrenen Zentren finden. Die Vorteile der Laparoskopie liegen naturgemäß in der Reduktion der perioperativen Morbidität, etwas kürzerer Liegedauer des Katheters, geringeren Spätkomplikationen und vor allem einer früheren Rehabilitation der Patienten.

Aus eigener Erfahrung mit dem Da-Vinci-System, wiegen die in der Arbeit zitierten Vorteile der roboterassistierten Chirurgie (3D-Endoskop, 6 Freiheitsgrade der Instrumente, 10fache Vergrößerung, Tremorfilter) zumindest für den erfahrenen Laparoskopiker dessen Nachteile (Operateur nicht am Tisch, schwierige Assistenz zwischen Roboterarmen, fehlendes taktiles Feedback) nicht auf und rechtfertigen daher auch nicht die hohen Investitions- und Unterhaltskosten des Gerätes. Kaum jemand ist in der glücklichen Situation von Mani Menon, der über einen millionenschweren Sponsorenetat eines am Prostatakarzinom erkrankten Patienten verfügen kann. Außerdem benötigen wir inzwischen für die Harnröhrenanastomose zwischen 20 und 30 Minuten, eine Zeit, die wir auch kaum mit Da-Vinci unterbieten könnten.

Offen bleibt die Frage, ob Da-Vinci dem Laparoskopie-Unerfahrenen den Einstieg zur Schlüssellochchirugie erleichtert. Dies wird zumindest neben der Detroit- Gruppe noch von einigen anderen Autoren (Universitätsklinik Frankfurt, University of California Irvine) angeführt. Die vorliegenden Arbeit liefert hierzu leider auch keine validen Daten.

Prof. Dr. Jens Rassweiler, Heilbronn

Literatur beim Autor

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Dritter Kommentar

Die Autoren vergleichen prospektiv zwei operative Methoden zur Therapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms. Dabei kam zum einen die klassische radikale retropubische offene Prostatektomie (RRP) und zum anderen die laparoskopische radikale Prostatektomie zur Anwendung. Hier wurde das OP-Team von erfahrenen französischen Laparoskopikern trainiert, so dass offensichtlich die sog. Lernkurve schnell durchschritten werden konnte. So finden die Autoren hinsichtlich der OP-Zeit keinen Unterschied im Vergleich beider Verfahren, wenn auch die durchschnittliche OP-Zeit der offenen RPE mit 163 min relativ lang erscheint. In Deutschland liegen hier die durchschnittlichen OP-Zeiten in zahlreichen Klinken bei 2 Stunden.

Die laparoskopische Prostatektomie wurde als roboterassistierte Operation durchgeführt, was durch die dreidimensionale Visualisierung des Operationsgebietes, insbesondere den technisch schwierigsten Teil der Operation - das Nähen der urethrovesikalen Anastomose - für viele Operateure erleichtert.

Ansonsten besitzt die roboterassistierte Chirurgie bisher keine nachgewiesenen Vorteile gegenüber der klassischen "zweidimensionalen" Laparoskopie. Das Nähen einer wasserdichten Anastomose ist lediglich eine Frage der Übung und nicht der dritten Dimension. So liegen beispielsweise die durchschnittlichen OP-Zeiten für eine endoskopische extraperitoneale radikale Prostatektomie (EERPE) in der Leipziger Klinik bei 140 Minuten. Zudem fehlt bei der roboterassistierten Laparoskopie die taktile Kontrolle während der gesamten Operation.

Die Ergebnisse der Autoren zeigen ausschließlich Vorteile der roboterassistierten Laparoskopie gegenüber der offenen Prostatektomie. Sicherlich bietet die laparoskopische oder endoskopische Technik Vorteile hinsichtlich der Morbidität des Verfahrens (niedrigere Transfusionsrate, weniger postoperative Schmerzen, kürzere Krankenhausverweildauer, schnellere Rekonvaleszenz). Auch konnte von verschiedenen Arbeitsgruppen gezeigt werden, dass bei minimalinvasien Verfahren die Verweildauer der Katheter mit 3-6 Tagen kurz ist. Warum aber die mittlere Katheterverweildauer bei der offenen Prostatektomie in dieser Klinik 15,8 Tage beträgt, wird nicht deutlich. In Deutschland ist mittlerweile auch bei der offenen Prostatektomie eine Katheterverweildauer um die 10 Tage üblich.

Hinsichtlich der drei wichtigen Parameter (Tumorfreiheit respektive positive Schnittränder, Kontinenz, Potenz) konnte bisher in keiner Studie eine Überlegenheit der minimalinvasiven Verfahren nachgewiesen werden. Es mag deshalb verwundern, dass in der vorliegenden Arbeit die roboterassistierte Technik solch eindeutigen Vorteile besitzt. Insbesondere der Unterschied in der Rate der positiven Schnittränder (9 vs. 23%) ist sehr fraglich, zumal anfänglich die Laparoskopie höhere Raten positiver Schnittränder als die RRP zeigte. Die bisher umfassendste Arbeit zu onkologischen Ergebnissen der laparoskopischen Prostatektomie nach 1000 Eingriffen zeigt nahezu identische Ergebnisse nach drei Jahren im Vergleich zur offenen Prostatektomie.

Zusammenfassend muss sicherlich die Bedeutung der laparoskopischen/endoskopischen Prostatektomie als weniger invasives Verfahren im Vergleich zur offenen Prostatektomie hervorgehoben werden. Zahlreiche Publikationen zeigen hin- sichtlich der onkologischen und funktionellen Parameter jedoch keine Unterschiede zwischen beiden Verfahren bzw. gleich gute Ergebnisse an sog. "high volume centres".

PD Dr. Jens-Uwe Stolzenburg, Leipzig