Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2004-828476
Kosten der Frühverrentung am Beispiel der Schizophrenie
Costs of Early Retirement - The Case of Schizophrenia Wir danken dem Verband der Deutschen Rentenversicherungsträger (Frankfurt am Main) für die Unterstützung bei der Beschaffung der Daten zum Rentenzugang nach DiagnosegruppenPublication History
Publication Date:
08 December 2004 (online)
Zusammenfassung
Die Schizophrenie ist eine schwere psychotische Krankheit, die relativ frühzeitig im Lebenszyklus auftritt und häufig die Arbeitsfähigkeit so nachhaltig herabsetzt, dass es zu einer Erwerbsunfähigkeit kommt. Die Krankheit verursacht somit nicht nur erhebliche direkte, sondern auch indirekte Kosten, die sich insbesondere in den Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) widerspiegeln. In dieser Studie werden Statistiken der GRV zur Frühverrentung ausgewertet. Jährlich werden in Deutschland weit über 6000 Männer und Frauen mit der ersten Diagnose Schizophrenie (295 nach ICD-9) neu verrentet. Das durchschnittliche Verrentungsalter mit dieser Diagnose liegt für Männer bei 39 und für Frauen bei 42 Jahren. Bei den Männern erfolgen 14,7 % aller Verrentungen der unter 40-Jährigen mit der Diagnose Schizophrenie. Entsprechend hoch sind die Ausgaben der GRV. Allein der Barwert der Rentenzahlungen für einen durchschnittlichen männlichen Rentenfall beträgt 215 000 Euro. Werden auch die Einnahmeausfälle der gesamten Sozialversicherung und der Einkommensteuer berücksichtigt, ergibt sich ein Barwert von 560 000 Euro. Eine Simulation der Bestandszahlen auf Basis der Neuzugänge ergibt für das Jahr 2000 einen Rentenbestand von 125 000 Personen im Alter unter 65 Jahren in der GRV, die ursprünglich mit der ersten Diagnose Schizophrenie verrentet wurden. Die GRV wird hierdurch jährlich mit Rentenzahlungen in Höhe von etwa 1,3 Milliarden Euro belastet; hinzukommen Einnahmeausfälle der Sozialversicherung und des Fiskus von nochmals etwa 2 Milliarden Euro. Da in der GRV nur ⅔ der Personen im Erwerbsalter pflichtversichert sind, spiegeln diese Zahlen nicht die gesamten Kosten wider.
Abstract
Schizophrenia is a severe psychic disorder that occurs at young age and often leads to a work disability. The disease not only induces direct costs in the health care system but also indirect costs that show up in the social security system. In this study, we apply statistics from the social security administration on early retirement due to disability. Over 6000-males and females per year retire with the diagnosis schizophrenia (classified as 295, ICD-9). The average retirement age is 39 for males and 42 for females. Schizophrenia is the most important single reason for early retirement before age 40. Of all male cases of disability retirement under the age of 40, 14.7 % are due to schizophrenia. The present discounted value of pensions paid out before the standard retirement age of 65 is 215 000 Euro for an average male. Moreover, the revenue loss in income taxes and payroll contributions amounts to 345 000 Euro. In the year 2000, a total of 125 000 persons under the age of 65, who originally entered retirement with the diagnosis schizophrenia, are estimated to be receiving a pension. The corresponding annual expenditures of the social security system reach 1.3 Billion Euro; the revenue loss (pay-roll plus income taxes) reaches 2 Billion Euro. Since only two thirds of the working age population is covered by the social security system, the costs of early retirement due to schizophrenia are underestimated by a factor of at least one third.
Literatur
-
1 Greiner W.
Die Berechnung von Kosten und Nutzen im Gesundheitswesen. In: Schöffski O, Schulenburg JM Graf von der (Hrsg) Gesundheitsökonomische Evaluation. Berlin; Springer Verlag 2000 - 2 Uber A. Die Kosten der Schizophrenie. Eine empirische Analyse aus versicherungsökonomischer und gesamtwirtschaftlicher Perspektive. Versicherungswissenschaft in Hannover, Hannoveraner Reihe, Band 11. Karlsruhe; Verlag Versicherungswirtschaft 2001
- 3 Häfner H. Das Rätsel Schizophrenie: Eine Krankheit wird entschlüsselt. München; Beck 2000
- 4 Bestehorn M, Tischer B, Glaser P, Mast O, Schmidt D. Repräsentative Studie zur Verteilung schizophrener Patienten auf medizinische Versorgungseinrichtungen in Deutschland. Fortschr Neurol Psychiat. 1999; 67 487-492
- 5 Schulenburg J M von der, Uber K. et al . Untersuchungen zu den direkten und indirekten Kosten der Schizophrenie. Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement. 1998; 3 81-87
- 6 Kissling W. et al . Die direkten und indirekten Kosten der Schizophrenie. Fortschr Neurol Psychiat. 1999; 67 29-36
- 7 Lichtenberg F. The Benefits and Costs of Newer Drugs: Evidence from the 1996 Medical Expenditure Panel Survey, NBER Working Paper No. 8147. 1996
-
8 VDR - Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (versch. Jahrgänge) .„VDR-Statistik Rentenzugang”. Frankfurt am Main;
- 9 VDR - Verband Deutscher Rentenversicherungsträger .Rentenversicherung in Zeitreihen. Frankfurt am Main; 2001
1 In den ersten sechs Wochen einer Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung einschließlich der Beiträge zur Sozialversicherung verpflichtet und trägt somit einen Teil der Kosten.
2 Eine alternative Sichtweise auf dieses Problem ist die Theorie der externen Effekte. Das Gesundheitswesen produziert positive externe Effekte für das Budget der GRV, die aber nicht honoriert werden, was zu einer Unterversorgung führt. Die klassische Lösung dieses Problems besteht in der Internalisierung - beispielsweise durch eine Pigou-Steuer.
3 Seit 1992 wird im Rentenrecht der Begriff „Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit” zur Abgrenzung von „Altersrenten” verwendet. Der Begriff „Frührente” wird in diesem Aufsatz der Einfachheit halber als Synonym weiterverwendet.
4 Vgl. VDR-Statistik Rentenzugang, 1999. Bis zum Jahr 1999 einschließlich wurde die Klassifikation nach ICD-9 verwendet. Im Jahr 2000 erfolgte die Umstellung auf ICD-10, doch wurde leider ein großer Teil der Meldungen nach ICD-9 abgegeben. Daher werden im Folgenden nur Daten bis zum Jahr 1999 verwendet.
5 Es ist davon auszugehen, dass Schizophrenie aufgrund von Komorbidität an weiteren Fällen von Erwerbsunfähigkeitsrenten beteiligt ist. Über die Komorbidität gibt es jedoch bisher kein publiziertes Datenmaterial, da standardmäßig nur die „erste” Diagnose statistisch ausgewertet wird. Außerdem können sich Abgrenzungsprobleme zu ähnlichen Diagnosen ergeben. Die Fallzahlen des Zugangs in eine Erwerbsminderungsrente in den Diagnosegruppen 295 - 299 betrugen 6106 Männer und 6351 Frauen.
6 Ein noch umfassenderes Maß für die volkswirtschaftlichen Kosten ist das entgangene Bruttoarbeitsentgelt einschließlich der Arbeitgeberbeiträge. Wird das durchschnittliche Arbeitsentgelt der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Jahres 2000 zugrunde gelegt, dann beträgt der volkswirtschaftliche Verlust über 33 750 € pro Jahr.
7 Eine Sensitivitätsanalyse zeigt, dass selbst bei einer 10fach erhöhten Sterblichkeit immer noch mit 99 000 Bestandsrentnern zu rechnen ist.
8 Hinzu kommen noch pensionierte Beamte, die in der Regel deutlich höhere Renten beziehen.
Johannes Clouth
Lilly Deutschland GmbH
Saalburgstraße 153
61350 Bad Homburg
Email: clouth_johannes@lilly.com