Aktuelle Urol 2004; 35(1): 8-10
DOI: 10.1055/s-2004-819036
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Höhere Überlebenschancen mit neoadjuvanter Chemotherapie

Invasives Blasenkarzinom
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Publication Date:
15 July 2004 (online)

 
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Eine neoadjuvante Platin-basierte Kombinationschemotherapie verbessert die Überlebenschancen von Patienten mit lokal fortgeschrittenem Blasenkarzinom. Das ergab eine Metaanalyse, die von der Medical Research Council (MRC) Clinical Trials Unit initiiert und koordiniert wurde (Lancet 2003; 361: 1927-1934).

Obwohl in den letzten 20 Jahren zahlreiche randomisierte Kontrollstudien mit mehr als 3000 Patienten durchgeführt wurden, existiert nach wie vor Unsicherheit hinsichtlich der Effektivität einer neoadjuvanten Chemotherapie bei Patienten mit invasivem Blasenkarzinom.

C. Vale et al. von der Advanced Bladder Cancer Meta-analysis Collaboration veröffentlichten jetzt eine Metaanalyse, in der sie die Ergebnisse von 10 randomisierten Phase-III-Studien und die Daten von 2688 Patienten mit invasivem Blasenkarzinom (T2-T4a) analysierten. In 9 Studien wurde eine Cisplatin-basierte Mono- (n=3) bzw. Kombinationschemotherapie eingesetzt, in einer Studie eine Kombination auf Carboplatin-Basis. Die anschließende Lokaltherapie bestand in radikaler Zystektomie und/oder Radiotherapie. Primärer Studienendpunkt war das Gesamtüberleben.

Für die Platin-basierte Kombinationschemotherapie zeigte sich eine relative Verbesserung des Gesamtüberlebens um 13 % (kombinierte Hazard Ratio 0,87; 95 %-KI 0,78-0,98; p=0,016). Das entspricht einem Anstieg der 5-Jahresüberlebensrate um absolut 5 % bzw. einem Anstieg der Gesamtüberlebensrate von 45 % auf 50 %. Das Ergebnis war signifikant und unabhängig von der Art der Lokaltherapie. Für die Platin-basierte Monotherapie bestand dagegen ein Trend zu einer 5 %-igen Verschlechterung des absoluten Benefits. Für alle Chemotherapien zusammen errechnete sich eine nicht signifikante relative Steigerung der Gesamtüberlebensrate um 9%, entsprechend einem Anstieg der 5-Jahresüberlebensrate um absolut 3%. Die Analysen der übrigen Studienendpunkte (krankheitsfreies, lokoregionales und metastasenfreies Überleben) ergaben ein ähnliches Bild. Die Lokalrezidivrate betrug 28 %.

Die Studie zeigt einen klaren Überlebensvorteil zugunsten der neoadjuvanten Kombinationschemotherapie, berücksichtigt aber weder Toxizität noch Lebensqualität. Gleichwohl sollten die Ergebnisse nach Ansicht der Autoren dazu ermutigen, die Therapie einzusetzen und in weiteren Studien mit neuen Therapieregimen zu vergleichen.

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Blasenteilresektion. Das Tumorareal wird nach Eröffnen der Harnblase unter Wahrung eines Sicherheitsabstandes zum gesunden Gewebe exzidiert (Bild: Praxis der Urologie, GTV, 2003).

Renate Ronge, Münster

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Kommentar

Den Autoren der Advanced Bladder Cancer (ABC) Meta-Analysis Collaboration (London, UK) gelingt es mit ihrer sehr aufwändigen Meta-Analyse von über 2880 Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Harnblasenkarzinom weiteres Licht ins Dunkel zu bringen, inwieweit eine neoadjuvante Chemotherapie, zumeist platinbasiert, Überlebensvorteile für diese Patientenpopulation bietet.

Hierzu wurden die Daten von 10 randomisierten Phase-III-Studien re-analysiert. Die separate Auswertung der einzelnen Untersuchungen konnte in der Mehrzahl der Fälle keinen signifikanten Überlebensvorteil des neoadjuvanten Therapieansatzes herausarbeiten. Erst die Re-Analyse aller Phase-III-Studien zusammen zeigte einen signifikanten Benefit, namentlich dem Anstieg der 5-Jahres-Überlebensrate um 5 % und einer Verminderung des "risk of death" um 13 %.

Dies unterstreicht in beeindruckender Weise die Bedeutung nationaler und internationaler Kooperation. Nur so können in relativ kurzer Zeit valide Patientenzahlen eingebracht werden.

Kritisch anzumerken ist die Tatsache, dass einige der Phase-III-Studien der Evaluation der Toxizität bzw. Lebensqualität eher nur Randbedeutung beigemessen haben, nur so ist die fehlende Auswertung dieses für den Patienten wichtigen Teilaspektes zu erklären. Dies gerät dann umso mehr in den Vordergrund, wenn nur marginale Verbesserungen hinsichtlich des Überlebensvorteils durch eine hohe Toxizität bzw. Einschränkungen der Lebensqualität "erkauft" werden.

Die Autoren werden durch eine kürzlich im New England Journal of Medicine publizierte Arbeit der Gruppe um Grossman unterstützt. Hier wurden 317 Patienten mit einem invasiven Blasenkarzinom randomisiert (Zystektomie vs. Zystektomie plus MVAC neoadjuvant). Auch hier zeigte sich ein Überlebensvorteil der vorbehandelten Gruppe. Dies ging einher mit einem geringeren Auftreten von Residuen im Beobachtungszeitraum.

Einige Fragen bleiben aber noch offen und müssen durch weiterführende Studien beantwortet werden: Welchen Einfluss hat die definitive lokale Tumortherapie, sei es nun Zystektomie oder Radiotherapie, auf den Überlebensbenefit nach neoadjuvanter Chemotherapie? In der Meta-Analyse lag die Lokalrezidivrate insgesamt bei 28 %. Andere Autoren bestätigen jedoch eine signifikant niedrigere lokale Rezidivrate für die Zystektomie mit ausgedehnter pelviner Lymphadenektomie.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Einsatz der neoadjuvanten Chemotherapie, insbesondere der platin-basierten Kombinationstherapie, aufgrund der Datenlage routinemäßig Einzug in die Therapie des lokal fortgeschrittenen Harnblasenkarzinoms halten sollte, man kann sogar weiter gehen und sagen Einzug halten muss. Hierzu kann die vorliegende Arbeit, nicht zuletzt auch wegen ihrer detaillierten statistischen Auswertung, sicherlich als Grundlage dienen.

Dr. F. Reiher, Magdeburg

Literatur beim Autor

 
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Blasenteilresektion. Das Tumorareal wird nach Eröffnen der Harnblase unter Wahrung eines Sicherheitsabstandes zum gesunden Gewebe exzidiert (Bild: Praxis der Urologie, GTV, 2003).