Pneumologie 2004; 58(4): 272-273
DOI: 10.1055/s-2004-818438
Workshop
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Influenza - eine klassische virale Zoonose

J.  Süss1 , C.  Schrader2
  • 1Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, Standort Jena
  • 2Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin
Further Information

PD Dr. med. Jochen Süss

Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, Standort Jena,

Naumburger Straße 06a

07743 Jena

Email: j.suess@jena.bfav.de

PD Dr. med. Christina Schrader

Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)

Diedersdorfer Weg 1

12277 Berlin

Email: c.schrader@bfr.bund.de

Publication History

Publication Date:
20 July 2005 (online)

Table of Contents

    Bei den in Deutschland relevanten viralen Zoonosen ist die Influenza sicher die bedeutungsvollste, gefolgt von der Frühsommer-Meningoenzephalitis, der Tollwut, der Hantavirus-Infektion und eventuell noch von einer der sehr seltenen Infektionen mit dem Virus der Lymphozytären Choriomeningitis.

    Das Influenza-A-Virus verursacht weltweit Krankheitsausbrüche bei Mensch und Tier, die als Epidemien oder in größeren Zeitabständen als verheerende Pandemien auftreten können. Seine Bedeutung soll zunächst an zwei Beispielen demonstriert werden.

    (1) So zeigte sich z. B. die letzte Influenzasaison 2002/2003 in Deutschland wieder als sehr schwer verlaufend. Die AG Influenza schätzt, dass in dieser Saison 4,5 - 5 Mill. zusätzliche Arztkonsultationen wahrgenommen, 1,5 - 2 Mill. Influenza-assoziierte Fälle von Arbeitsunfähigkeit registriert, 25 000 - 30 000 Krankenhausbehandlungen benötigt und 12 000 - 20 000 Sterbefälle beklagt wurden.

    (2) Besonders spektakulär verlief die Pandemie 1918/19, die als „Spanische Grippe” oder „Hungergrippe” bekannt geworden ist und global geschätzte 20 - 40 Mill. Tote forderte. Einschneidend für die weitere Entwicklung der Weltbevölkerung für Jahrzehnte war außerdem bei dieser Pandemie die ungewöhnliche Tatsache, dass besonders häufig die jungen Menschen im Alter von 20 - 40 Jahren starben, während bei anderen Pandemien in der Regel besonders die älteren, multipel vorgeschädigten Menschen versterben. Und diese Influenzawelle trat in einer Situation auf, in der ohnehin, bedingt durch den 1. Weltkrieg, die Zahl der jungen Männer erheblich reduziert worden war.

    Das Influenzavirus A zeichnet sich als RNA-Virus mit einem segmentierten Genom durch eine große genetische Variabilität in Form von Mutation, Rekombination und Reassortment aus. Es wurde außer vom Menschen von verschiedenen Tieren, Schwein, Pferd, Wal, Robbe, Nerz und aus Vögeln isoliert. Die Vögel, insbesondere die Wasservögel, stellen das Hauptreservoir für die Influenza-A-Viren dar. Alle bisher charakterisierten Subtypen, 15 für das Hämagglutinin und 9 für die Neuraminidase, wurden beim Vogel nachgewiesen. In der Humanpopulation zirkulieren nur die Subtypen H1 bis H3, sehr seltene Ausnahmen bilden die Subtypen H5 und H9, die vom Vogel kommend, in Hong Kong kurzfristig direkt in die menschliche Population eingedrungen sind. Und gegenwärtig zeigt die seit Mitte Dezember 2003 bereits in 9 Ländern Südostasiens grassierende H5N1-Epidemie des Geflügels erneut dieses Potenzial. Dabei sind inzwischen auch mehr als 10 Menschen gestorben; zum Glück ist aber auch dieses Mal wahrscheinlich noch keine Übertragung von Mensch zu Mensch abgelaufen.

    In Schweinen zirkulieren unterschiedliche Varianten der Subtypen H1 und H3, selten beschrieben auch H9(N2) sowie H4(N6) und in Pferden H3 und H7. Auch die bisher identifizierten 9 Neuraminidase-Subtypen (N) zeigen distinkte Verteilungsmuster. Bei Mensch und Schwein kommen die N1 und N2 (im Schwein selten auch N7) vor, beim Pferd die N7 und N8 und beim Wassergeflügel auch wieder alle 9 Neuraminidase-Subtypen. Aufgrund des segmentierten Influenzavirusgenoms kann es bei der Infektion einer Zelle mit zwei oder drei verschiedenen Viren durch Reassortierung der jeweils 8 Gensegmente zur Herausbildung völlig neuer Viren kommen. Für den Menschen kann das besonders problematisch werden, wenn humane und animale Isolate sich vermischen. Die epidemiologisch und infektologisch bedeutungsvollen Interspeziestransmissionen von Influenzaviren laufen zwischen Mensch und Schwein, Schwein und Mensch, Vogel und Schwein sowie Wassergeflügel und anderen Vögeln ab. Solche zwischen Seevögeln, Walen und Robben sind identifiziert worden, weitere werden vermutet. Bei diesen Vorgängen sind aufgrund der Rezeptorverhältnisse im Respirationstrakt bzw. bei Vögeln auch im Darmtrakt, die Interspeziesbarrieren für Influenzaviren unterschiedlich hoch, z. B. sehr hoch zwischen Pferd und Mensch, sehr niedrig zwischen Schwein und Mensch bzw. zwischen verschiedenen Vogelpopulationen und in einer Mittelstellung zwischen Vogel und Mensch (s. u.).

    Die Pandemien von 1957 (H2N2) und 1968 (H3N2) wurden von Influenzaviren verursacht, die humane und aviäre Gene enthielten. Als möglicher Mechanismus für die Entstehung neuer, für den Menschen pathogener evtl. pandemischer Stämme, kommt die direkte Übertragung vom Vogel auf den Menschen mit nachfolgender Adaptation oder Reassortment für die Weiterverbreitung in Betracht, was allerdings ein höchst seltenes Ereignis mit begrenzter Auswirkung zu sein scheint. Beispiel dafür sind die jüngsten H5- und H9-Virusübertragungen vom Geflügel auf den Menschen in Hongkong 1997 - 1999 und 2003/04.

    Die Übertragung von aviären Viren über das Schwein zum Menschen wird schon seit längerem diskutiert und ist für das Virus ein erfolgreicher Weg. Die unterschiedlichen Rezeptorspezifitäten der Viren verschiedener Herkunft verursachen eine gewisse Wirtsspezifität. Die meisten aviären Influenza-Viren besitzen die Rezeptorspezifität NeuAcα2,3Gal, während die humanen die Rezeptorspezifität NeuAcα2,6Gal auf dem Hämagglutinin besitzen. Die Trachea des Schweins enthält Rezeptoren (NeuAcα2,6Gal und NeuAcα2,3Gal) für beide, aviäre und humane Viren. Dem Schwein kommt beim Reassortment aviärer und humaner Viren deshalb als so genanntes „mixing vessel”, sowie als intermediärer Wirt bei der Adaptation der Viren eine besondere Bedeutung als Ausgangspunkt für neue, eventuell auch für den Menschen pathogener Stämme zu. Obwohl beim Schwein nur zwei Influenzavirus-A-Subtypen - H1N1 bzw H3N2 - persistieren (neben dem neuen Subtyp H1N2, s. u.), sind diese doch in ihrer molekularen Struktur unterschiedlich. Je nachdem, von welchen animalen Elternviren sie ihre Gene für die Oberflächenprojektionen bzw. internen Proteine bekommen haben, werden sie als „human-like”-, „avian-like”- oder classic-swine-Stämme bezeichnet.

    Die Beziehungen zwischen Mensch und Schwein sind „influenzavirologisch” sehr eng, der infizierte Mensch kann sehr leicht mit einem humanen Stamm Schweine infizieren wie auch das infizierte Schwein den Menschen mit porcinen Stämmen.

    Um solche zoonotischen Beziehungen zu erkennen, wurden in unserer Arbeitsgruppe Isolate vom Schwein gewonnen und umfassend charakterisiert. Zur Anzucht kommen Nasenabstriche und Lungenproben. Daneben erfolgt mit einer von uns entwickelten RT-PCR subtypunabhängig der Nachweis des für alle Influenza-A-Viren spezifischen M-Protein-Gens. Die Typisierung erfolgt serologisch mittels HAHT und spezifischen Primern in weiteren RT-PCR-Reaktionen. Ausgewählte Isolate wurden sequenziert und Basenpaare und Aminosäuren des HA1 insbesondere im Bereich der Antigenbindungsorte und der Rezeptorbindungsstellen verglichen. Die H3-Isolate vom Schwein konnten im Hämagglutinin (HA1) als „human-like” entsprechend den publizierten italienischen und niederländischen Daten charakterisiert werden. Die HA1-Sequenzabschnitte der H3-Gene der porcinen Isolate von 1982 - 2001 lassen sich in 4 differente Cluster unterteilen, wobei die Sequenzhomologien in den Clustern auf bp-Niveau 93,7 - 100 % betragen, zwischen den Clustern unter 90 %. Die H1-Stämme wurden als „avian-like” typisiert. Die Sequenzhomologien im HA1-Anteil der H1-Stämme von 1982 - 2001 variierten zwischen 87,7 und 100 %.

    Neben diesen H3N2 und H1N1-Subtypen in den deutschen bzw. europäischen Schweinebeständen etabliert sich gegenwärtig in einigen europäischen Ländern eine neue Linie - H1N2 -, die wir 2000 aus einem deutschen Schweinebestand isolieren konnten. Sequenzanalysen der Gene für HA, NA und Matrixprotein zeigten, dass es sich bei diesem Subtyp um eine Reassortante aus drei unterschiedlichen Ausgangsstämmen, zwei humanen (H1N1 und H3N2) sowie einem aviären, der das M-Proteingen beisteuerte, handelt.

    Bei diesem Wissensstand, den zur Verfügung stehenden molekularbiologischen Techniken und den verheerenden Folgen der Pandemie von 1918 war es natürlich naheliegend, das international der Versuch gestartet wurde, die molekulare Struktur dieses Pandemiestammes und eventuell seine Herkunft zu bestimmen bzw. zu rekonstruieren. Dafür suchte die Arbeitsgruppe um Jeffry Taubenberger in Washington in Lungengewebe von 1918 Verstorbenen aus dem Permafrostboden Alaskas als auch in Paraffinblöckchen in Gewebebanken von Instituten für Pathologie der US-Armee nach dem Virus bzw. seiner Nukleinsäure. Es gelang u. a., die RNA des HA, der NA und des Nichtstruktursegments von drei Stämmen (Alaska, South Carolina, New York) zu rekonstruieren, die untereinander einen äußerst hohen Homologiegrad hatten. Eine vollständige Beantwortung der gestellten Fragen gelang bisher noch nicht. Eine Möglichkeit ist, dass dieses Virus aviärer Herkunft vor seiner Entwicklung zum Pandemiestamm sich eine zeitlang in einem Mammalierwirt adaptierte (Schwein oder Mensch?) und dabei diesen für den Menschen so außerordentlich aggressiven Stamm entwickelte. Die Gründe für die hohe Virulenz konnten bisher nicht eindeutig geklärt werden. Das verwundert nicht, da nach wie vor gültig ist, dass eine bestimmte Genkonstellation die Virulenz entscheidend bestimmt.

    Jüngste Geflügelpest-Ausbrüche in den Niederlanden und Belgien von Ende Februar bis Mitte Mai 2003 mit einem für Geflügel hochpathogenen Stamm H7N7 verliefen dramatisch und zeigten exemplarisch die zoonotische Potenz dieser Viren. Der Seuchenzug eines aviären Influenzastammes führte allein in den Niederlanden zur Keulung von ca. 30 Millionen Stück Geflügel. Die Gesundheitsbehörden und Experten waren aber auch besorgt, weil mehrere hundert Fälle mit H7N7 infizierter Menschen auftraten. Es handelte sich dabei um Konjunktivitiden bzw. Keratokonjunktivitiden bei Personen, die direkt an der Tötung und Beseitigung des Geflügels beteiligt waren. Bei einer Reihe Infizierter trat auch eine grippeähnliche Symptomatik auf. Einer dieser Patienten verstarb und in der bronchoalveolären Lavage konnte der H7N7-Stamm nachgewiesen werden. Die Situation wurde alarmierend, als auch 3 Kontaktpersonen von Beschäftigten, die keinen direkten Kontakt zum infizierten Geflügel hatten, erkrankten. Zum Glück endete hier die Infektkette, die Ursachen liegen in den Eigenschaften des Virusstammes, im effektiven Seuchenmanagement und in der Verfügbarkeit neuer wirksamer Medikamente für Prophylaxe und Frühtherapie (Neuraminidaseinhibitoren). Die H5N1-Epidemie in Südostasien 2003/04 verläuft hoffentlich in ähnlicher Weise und es kommt nicht zu einem Reassortment mit humanen Influenzaviren.

    Unsere Untersuchungen und die weiterer Arbeitsgruppen machen sehr anschaulich, dass, ähnlich wie im humanen Bereich, auch die Schweinepopulation und das Geflügel hinsichtlich der dort auftretenden Influenzaviren ständig überwacht werden müssen, um Epidemiestämme rechtzeitig zu isolieren und zu charakterisieren. Diese neuen molekularen Einsichten haben genauso gezeigt, dass auch auf dem veterinärmedizinischen Sektor an der ständigen Aktualisierung von Impfstoffen (und natürlich auch Diagnostika) gearbeitet werden muss, wie dies im humanen Bereich seit Jahrzehnten gute und wirksame Praxis ist.

    PD Dr. med. Jochen Süss

    Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, Standort Jena,

    Naumburger Straße 06a

    07743 Jena

    Email: j.suess@jena.bfav.de

    PD Dr. med. Christina Schrader

    Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)

    Diedersdorfer Weg 1

    12277 Berlin

    Email: c.schrader@bfr.bund.de

    PD Dr. med. Jochen Süss

    Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten der Tiere, Standort Jena,

    Naumburger Straße 06a

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    Email: j.suess@jena.bfav.de

    PD Dr. med. Christina Schrader

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    Diedersdorfer Weg 1

    12277 Berlin

    Email: c.schrader@bfr.bund.de