Aktuelle Urol 2003; 34(7): 429-430
DOI: 10.1055/s-2003-814723
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Radikale Zystektomie - Vergleich der „Hautmann-” und „Studer-Neoblase”

Anke Diehl1
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Dr. Anke Diehl

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
04. Dezember 2003 (online)

 
Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Die operative Therapie des Blasenkarzinoms mit radikaler Zystektomie und nachfolgender Anlage einer Neoblase wurde stetig erweitert. Es gibt 2 international verbreitete operative Verfahren zur Schaffung der Neoblase: die Verfahren nach Studer oder nach Hautmann. Neben individuellen anatomischen und lokalen Faktoren suchten Lee et al. nach Unterschieden in Krankenhausaufenthalt, Heilungs- und Kontinenzverhalten als Entscheidungshilfe für den Operateur (J Urol 2003; 169: 2188-2191).

Von März 1995 bis September 2000 wurden bei 130 Patienten aufgrund eines Blasenkarzinoms eine Neoblase angelegt. Dabei wurde bis August 1999 bei 93 Patienten eine Rekonstruktion nach Studer durchgeführt (75 Männer und 18 Frauen) und danach in 37 Fällen eine Neoblase nach Hautmann (26 Männer und 11 Frauen) angelegt. Retrospektiv wurden Länge des Krankenhausaufenthaltes, Komplikationen sowie Tag- und Nachtkontinenz evaluiert. Die demographischen Daten waren ebenso wie der intraoperative Blutverlust der beiden Gruppen ähnlich. Die Hautmann-Gruppe hatte eine kürzere OP-Zeit (5,3 vs. 5,9 Stunden, p = 0,003) und einen kürzeren Krankenhausaufenthalt (7,0 vs. 8,3 Tage, p = 0,02). Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht bezüglich des Karzinombefundes (Lokalbefund versus extravesikale Ausbreitung). Ebenso war die Komplikationsrate ähnlich, wobei an erster Stelle in beiden Gruppen die frühe oder späte Wundinfektion und die Entwicklung von Strikturen stand. In beiden Gruppen waren 67 % der Patienten tagsüber komplett kontinent, nachts zeigten 47 % der Hautmann Gruppe und 40 % der Studer Patienten eine vollständige Kontinenz. Die verkürzte OP-Zeit der Hautmann-Gruppe könnte durch die Technik der Ureterimplantation bedingt sein. Der verkürzte Krankenhausaufenthalt der Hautmann Kohorte ist wahrscheinlich durch die allgemeine Entwicklung Krankenhausaufenthalte generell zu verkürzen zu erklären und nicht durch lokale Faktoren bestimmt.

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Gleiches Kontinenzverhalten in beiden Gruppen

Die retrospektive Analyse zeigte, dass die Einführung der W-konfigurierten Neoblase nach Hautmann keine Verbesserung der Kontinenz in dem Patientengut zeigte. Dies ist nicht in Übereinstimmung mit den von Hautmann et al. (95-96 %, tagsüber und nachts) und Studer et al. (92 % tagsüber und 80 % nachts) veröffentlichten Kontinenzraten. Dies könnte an den in der vorliegenden Studie zu kurzen und heterogenen Follow-up-Zeiträumen von nur 6 Monaten in der Hautmann- Gruppe und 23 Monaten der Studer-Kohorte liegen. Lediglich eine prospektive, randomisierte Untersuchung kann daher helfen, postoperative Unterschiede der beiden Verfahren zu validieren und somit eine echte Entscheidungshilfe für den Operateur darstellen.

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Kommentar zur Studie

Der Vergleich zweier Operationstechniken zur Anlage einer ilealen Ersatzblase zeigt lediglich einen signifikanten Unterschied bezüglich Operationszeit und Hospitalisationsdauer, wobei diese Unterschiede kaum echt sind. Mit zunehmender Erfahrung der Operateure werden Eingriffe und Hospitalisationsdauer mit der Zeit immer kürzer. Nachdem die Ulmer Schule auf Initiative von Herrn Kleinschmidt auf die antirefluxive Einpflanzung des Harnleiters verzichtete, sind beide Verfahren sehr ähnlich: Die ileale Ersatzblase wird aus vierfach gefaltetem, längs eröffnetem, ca. 45 cm langen Dünndarm konstruiert. Wir verwenden ein einziges, tubuläres afferentes Segment mit offener Implantation der Harnleiter (im Falle von Komplikationen, Rezidiven in der Harnröhre etc. ist der Ileum-Conduit schon bereit), die Ulmer haben 2 kürzere tubuläre afferente Segmente, ebenfalls mit offener Harnleiteranastomose. Beide Operationsverfahren dauern nur unwesentlich länger als die Anlage eines klassischen Ileum Conduits zur Haut. Dünndarmresektion und Wiederherstellung der Darmkontinuität, sowie die Ureteranastomosen nach Nesbit sind gleich wie beim Ileum-Conduit, für die Konstruktion des Reservoirs und der Anastomose zur Urethra werden 20-30 min benötigt, nicht viel länger als für die Anlage des Hautstomas beim Ileum Conduit. Interessanter als der Vergleich zwischen den Techniken ist die Tatsache, dass die Harnkontinenz, insbesondere nachts, nicht so gut ist, wie in den Händen der erstberichtenden Autoren. Dies zeigt einmal mehr, dass funktionell optimale Ergebnisse nicht so sehr von der Technik des ilealen Reservoirs, sondern vom Operateur (Schonung des Sphinkters, seiner Innervation und Blutversorgung) sowie von der postoperativen Nachbetreuung durch kundiges Personal abhängen.

Die Miktion muss restharnfrei erfolgen, der Urin muss steril sein. Damit der Patient nachts trocken wird, muss er angehalten werden, tagsüber systematisch seine Blasenkapazität bis auf 500 ml aktiv zu erhöhen, indem die Miktionsintervalle trotz gegebenenfalls auftretender Harn- inkontinenz von 2 auf 3, später 4 Stunden erweitert werden. Wegen fehlendem sensorischen Detrusor-Sphinkter-Feedback ist auf die Einnahme von Alkohol vor dem Zubettgehen wie auch Schlafmitteln zu verzichten und der Patient ist anzuhalten, sich nachts zunächst 2 mal, nach Erreichen der funktionellen Kapazität von 500 ml wecken zu lassen.

Wichtig ist auch zu wissen, dass Patienten, welche nicht perfekt kontinent sind, deswegen nicht an einer schweren Form einer Harninkontinenz leiden müssen. Kein einziger unserer Patienten, die wir in fast 20 Jahren operiert haben, benötigt eine Sphinkterprothese. Meist handelt es sich bei den unkontrolliert abgegangenen Urinportionen um wenige ml, die gut mit einer Einlage aufgefangen werden können. Ungeachtet, ob ein U doppelt gefaltet wird oder die Ersatzblase aus einem W gemacht wird, entscheidend ist, dass postoperativ die 3 Schlüsselkriterien erreicht werden: restharnfreie Miktion, steriler Urin, funktionelle Kapazität 500 ml. Werden diese Regeln befolgt, sind sehr gute Langzeitergebnisse die Regel.

Prof. Urs E. Studer, Bern

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Kommentar zur Studie

Der Vergleich über Ausmaß und Häufigkeit von Miktionsstörungen, die nach orthotopem Blasenersatz auftreten können, wird durch die hohe Variabilität von Definitionen, Endpunkten, Länge des Follow-up, Patientenalter, Patientengeschlecht und chirurgischer Technik sehr erschwert. Des Weiteren wurden diese Miktionsstörungen, Inkontinenz oder Harnverhaltung nicht nach validierten Kriterien untersucht. Trotz dieser offensichtlichen Limitierungen und Einschränkungen können einige generelle und prinzipielle Aussagen gemacht werden:

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1. Theoretische Überlegungen

Die Prinzipien einer Neoblase, einschließlich Konfiguration, Akkommodation, Viskoelastizität und Kontraktilität wurden umfassend von Hinman 1988 beschrieben. Das Gesetz von la Place sagt aus, dass mit der Zunahme der Reservoirkapazität, also des Reservoirradius, die Wandspannung proportional ansteigt. Zu bedenken bleibt jedoch, dass der Reservoirdruck so lange konstant bleibt, bis die Elastizitätsgrenze der Wand erreicht ist. Ein größeres Reservoir wird bei gleichem Druck größere Volumina beherbergen als ein kleineres Reservoir, aber auf Kosten einer höheren Wandspannung. Die entscheidende Verbesserung, die durch ein 2fach gefaltetes, detubularisiertes, kugeliges Reservoir erreicht wird, liegt im größeren Radius, dem größeren Volumen und dem signifikanten niedrigen Druck bei gleichzeitigem Fehlen koordinierter Wandkontraktionen. Der niedrigere Reservoirdruck erlaubt die Entstehung eines größeren Widerstands in der Kontinenzzone, was schlussendlich in Trockenheit endet. Vereinfacht gesagt, bedeutet ein größeres Reservoir stets und unabänderlich einen niedrigeren Druck bei gleicher Wandspannung.

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2. Kontinenzverhalten des Reservoirs beim orthotopen Blasenersatz in Abhängigkeit von Reservoirgröße beziehungsweise Länge des verwendeten Darmsegmentes:

Optimalerweise muss der Inkontinenzparameter so gewählt werden, dass er durch den Patienten selbst und nicht durch die Einschätzung des Operateurs determiniert wird. Ein geeignetes Maß für die nächtliche Inkontinenz ist somit der Prozentsatz derjenigen Patienten, die nur so lange trocken sind, wie sie mehr als einmal pro Nacht aufstehen, beziehungsweise den Wecker stellen. In einer Vergleichsstudie der verschiedenen Reservoirtypen mit unterschiedlich verwendeter Dünndarmlänge zeigt sich, dass mit Zunahme der geometrischen Kapazität des verwendeten Reservoirs die Zahl derjenigen Patienten absinkt, die nachts mehr als einmal aufstehen müssen, um trocken zu sein. Selbst ein Reservoir, welches aus 20 cm Ileum konstruiert ist, gestattet Trockenheit, jedoch nur so lange, als ein Patient nachts 6- bis 8-mal aufsteht. Die Ileum-Neoblase als größtes Reservoir hat erwartungsgemäß die geringste Enuresisrate. Dieses Ergebnis kommt auch in der Arbeit von Lee et al. zum Ausdruck, bei der nachts 47 % der Ileum-Neoblase-Patienten und nur 40 % der Studer-Patienten eine vollständige Kontinenz aufweisen.

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3. Maturation

Das Phänomen der Maturation spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung eines orthotopen Blasenersatzes bis dieser seine volle Funktionsreife erreicht. Die strukturellen und ultrastrukturellen Veränderungen in der Ileumwand und die pharmakologischen Veränderungen des implantierten Ileums sind ein zeitabhängiger Prozess. Dieses muss in der vorliegenden Arbeit mit sehr unterschiedlich langem follow-up der Ersatzblasen bedacht werden.

Prof. R. Hautmann, Ulm

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Abb. 1 Lokalrezidiv nach Zystektomie und Anlage einer Ileumneoblase (aus: Praxis der Urologie, GTV, 2003).

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Dr. Anke Diehl

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Dr. Anke Diehl

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Abb. 1 Lokalrezidiv nach Zystektomie und Anlage einer Ileumneoblase (aus: Praxis der Urologie, GTV, 2003).