Aktuelle Urol 2003; 34(7): 420-423
DOI: 10.1055/s-2003-814719
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Unilaterale Dilatation der Niere - Welche Kinder profitieren vom Eingriff?

Renate Leinmüller1
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Dr. Renate Leinmüller

Wiesbaden

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Publication Date:
04 December 2003 (online)

 
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Zusammenfassung

Die Entscheidung darüber, welche Kleinkinder von einer operativen Korrektur bei einer subpelvinen Stenose profitieren würden, ist nicht so einfach zu beantworten wie gedacht - zumindest in den Fällen, in denen bei der pränatalen Diagnostik eine unilaterale Dilatation des Nierenbeckens festgestellt wurde. Bei asymptomatischen Kindern scheint die Halbwertzeit im Nierenfunktionsszintigramm als Kriterium einer gestörten Ausscheidung eher ungeeignet.

Diese Auffassung vertreten Londoner Ärzte und untermauern ihre These mit einer Studie an 24 Kindern, die im Mittel 3 Jahre nachbeobachtet wurden (J. Urol. 2003; 169: 1828-1831). Insgesamt wurden 91 Nephrogramme nach forcierter Diurese ausgewertet. Alle Kinder wiesen eine stabile Nierenfunktion auf, das Nierenbecken erweiterte sich bei sequenziellen Ultraschalluntersuchungen nie um mehr als 9 mm. Diesen Kindern wurden deshalb die Diagnose einer „nicht obstruktive Dilatation der Niere” gestellt. Es wurden verschiedene Untersuchungen und Untersuchungsmethoden angewandt, um Kriterien zu finden, anhand derer die weitere konservative Therapie festgemacht werden kann.

Die Wissenschaftler gingen folgenden Fragen nach: Was ist wichtiger: die Analyse der provozierten Diurese im Furosemidtest - oder die gestörte Ausscheidung? Wie müssen die Tests durchgeführt werden, um aussagekräftig zu sein? Beim Furosemidtest wurde die Halbwertzeit im Nierenszintigramm bestimmt - eine deutlich verlängerte Drainagezeit gilt bei Erwachsenen und symptomatischen Kindern als klares Zeichen einer Obstruktion. Daneben wurden die kleinen Patienten nach der provozierten Diurese gemessen, einmal im Liegen oder Sitzen, dann im Stehen. Eine verzögerte Ausscheidung wurde über die Nierenbecken-Ausscheidungsfunktion definiert, wenn die Halbwertzeit über 20 Minuten oder die Effizienz nach Entleerung bei weniger als 71 % lag.

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Halbwertzeit kein guter Parameter

Die Ergebnisse: Bei den betroffenen Nieren war zu 68 % eine gestörte Entleerung zu objektivieren, wenn die Halbwertzeit als Parameter herangezogen wurde. Die entsprechenden Werte der Ausscheidungsfunktion lagen bei 80 % vor und 44 % nach Entleerung.

Nach herkömmlicher Interpretation der Nephrogramme würden damit trotzdem 44 % der untersuchten Patienten eine pathologische Entleerung aufweisen. Deshalb stufen die Londoner Kollegen die Halbwertzeit als wenig brauchbaren Parameter ein, wenn bei dieser selektionierten Patientengruppe die Diagnose einer Obstruktion gesichert oder ausgeschlossen werden soll.

Besser geeignet zur Identifizierung der Fälle, bei denen langfristig Schäden durch die unilaterale Dilatation im ampullären Nierenbecken drohen, sind nach Ansicht der Autoren deshalb Techniken, bei denen die renale Ausscheidungsfunktion mit und ohne Einfluss der Schwerkraft auf die Blase, die renale Ausscheidungseffizienz, die Exkretionsfähigkeit des Nierenbeckens oder die normalisierte Restaktivität berücksichtigt werden.

Eine Herausforderung für die Zukunft bleibt damit, eine eindeutige Korrelation zu finden von hydronephrotischer Nierendrainage zur absoluten Clearance des Blutes, der absoluten Harnflussrate und dem Nierenbeckenvolumen. Nur so kann die Kohorte von Kleinkindern identifiziert werden, die aufgrund eines hohen Risikos im Hinblick auf einen Verlust von Nierenfunktion von einem operativen Eingriff tatsächlich profitieren würde.

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Kommentar zur Studie

Es gibt keine „obstruktive” Auswaschkurve im Isotopennephrogramm, denn der Effekt einer Furosemid-Stimulation auf den Abfluss des Tracers hat keine ausreichende prognostische Bedeutung bei Kindern mit unilateraler, antenatal diagnostizierter Harntransportstörung. So einfach, aber auch so wichtig ist die Aussage der oben referierten Arbeit.

Nicht, dass wir es nicht schon irgendwie geahnt hätten: Eine ganze Reihe von kinderurologischen Papern hatte in den letzten Jahren die Fähigkeit der Auswaschkurve in Zweifel gezogen: zwischen fehlender und existenter Obstruktion im Sinne von Koff (J Urol 1987; 138: 390) und Peters (J Urol 1995; 154: 1874- 1883), also einer Abflussbehinderung, die unbehandelt das ultimative funktionelle Potenzial der sich entwickelnden Niere limitiert, zu differenzieren. In einer Verlaufsbeobachtung der unbehandelten subpelvinen Stenose an unserer Klinik (J Urol 2003; 169 (4 suppl): 1723) beispielsweise kam es bei 2 von 20 Patienten mit „obstruktivem” Auswasch zu einer Funktionsverschlechterung - und auch bei 2 von 28 Nieren mit vermeintlich „nicht oder fraglich obstruierter” Abflusskurve. 18 der 20 nach der Auswaschkurve „obstruierten” Nieren waren eben dieses - nämlich obstuiert - gerade nicht, entsprechend einem positiven Vorhersagewert von jämmerlichen 10 %, einer Sensitivität von 50 % und einer Spezifität von 59 %.

Aber neu und wichtig an dieser Arbeit ist die Tatsache, dass die Auswaschkurve als prognostischer Parameter für kongenitale Harntransportstörungen hier von einem Nukleramediziner (I. Gordon) mit internationaler Reputation als Experte für die kindliche Isotopennephrographie zu Grabe getragen wird. Was wurde zuvor nicht alles versucht, um die offensichtliche Insuffizienz dieses Parameters zu verbessern: In wenigstens 5 internationalen Konsensuskonferenzen wurde um das richtige Alter, die Hydrierung, die Dosis und das Timing der Furosemid-Gabe, die Blasenentleerung mit oder ohne Katheter und die korrekte Position der Kinder gerungen und die Ergebnisse dann in - durchaus differierenden - Leitlinien festgeschrieben. Dass es auch durch alle diese Standardisierungen es nicht gelungen ist, die intra- und interindividuellen Schwankungen des Abflusses ausreichend zu minimieren, zeigen die referierten Ergebnisse von Amarante et al. deutlich. Die physikalische Grundlage für diese kaum kontrollierbare Variabilität hat die gleiche Arbeitsgruppe bereits vor 2 Jahren an einer eindrucksvollen Modellrechnung zeigen können (BJU Int 2001; 87: 551-555). Bereits kleine Änderungen von tubulärer Reabsorptionsrate oder Nierenbeckenvolumen hatten völlig differente Auswaschkurven zur Folge.

Was also bleibt uns nach dem Ende der Auswaschkurve noch an prognostischen Parametern für kongenitale Harntransportstörungen? Sicher am viel versprechendsten sind molekulare Marker, die frühe Stadien des Umbaus in der Niere und damit der Obstruktion anzeigen können. Bis solche Marker klinisch einsatzbereit sind, besitzt in der Bildgebung einzig die Weite des Hohlsystems eine gewisse, wenn auch limitierte, prognostische Bedeutung.

Dr. S. Conrad, Hamburg

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Kommentar zur Studie

Die heute eingesetzten Verfahren zur weiterführenden Diagnostik bei konnataler Dilatation der oberen Harnwege dienen in erster Linie der Differenzierung zwischen einer Dilatation und einer korrekturbedürftigen Obstruktion. Es besteht Einigkeit darüber, dass eine Obstruktion korrekurbedürftig ist - Uneinigkeit herrscht jedoch über das, was als „Obstruktion” zu bezeichnen ist.

Die Definition einer urodynamisch und funktionell relevanten Harnabflussbehinderung ist schwierig und bis heute umstritten. Die Unsicherheit der szintigraphischen und urodynamischen Parameter führte zu einer pragmatischen Vereinfachung der Definition durch Koff (1987): „Jegliche Harnabflussbehinderung, die, falls unbehandelt, eine progrediente Verschlechterung der Nierenfunktion verursacht” („Any restriction to urinary outflow which, left untreated, will cause progressive deterioration”).

Die vorliegende Arbeit verwendet diesen Obstruktionsbegriff als Maßstab für die Vorhersagequalität der Diureseszintigraphie. Die Autoren können zeigen, dass bei 68 % aller Niereneinheiten mit einer Nierenbeckendilatation über 15 mm, die ihrer Definition einer Obstruktion (Minderung der anteiligen Nierenfunktion um mehr als 10 % oder/und Zunahme der Nierenbeckenweite > 9 mm in der Beobachtungszeit) nicht genügten, nach den konventionellen Kriterien der Diureseszintigraphie als obstruktiv hätten eingeordnet werden müssen. (In der Diureseszintigraphie wird ein Abfall von weniger als 50 % der Nuklidaktivität über der „region of interest” innerhalb von 20 min nach Furosemidapplikation als „obstruktiv” gewertet). Lediglich die Verwendung eines von den Autoren empfohlenen Parameters der „pelvic excretion efficiency” nach Orthostase und Miktion erbrachte nur noch 44 % „falsch positive” Resultate.

Es mag sein, dass dieser Prozentsatz hätte weiter vermindert werden können, wenn man zur Beurteilung des Nuklidabflusses Altersnormwerte verwendet hätte - immerhin war ein nicht näher bezeichneter Anteil der untersuchten Säuglinge beim ersten Diureseszintigramm deutlich weniger als 4 Wochen alt. In diesem Alter ist die Furosemidantwort noch erheblich verzögert und nicht mit älteren Kindern vergleichbar. Zwar gehen die Autoren auf dieses Problem ein; sie vergleichen jedoch die Ergebnisse von Kindern unter 6 Monaten mit denen über 6 Monate und finden keinen signifikanten Unterschied - ein viel zu grobes Zeitraster für die Fragestellung des Alterseinflusses auf das Ergebnis des Diureseszintigramms. Ein für die Praxis wichtiges Ergebnis der Follow-up-Studie mit zahlreichen repetitiven Diurese-Szintigrammen ist die Darstellung der recht hohen intraindividuellen Variabilität der Untersuchungsbefunde. Es bestätigt das in Deutschland in einem breiten Konsens erarbeitete Konzept, bei szintigraphisch relevanter Harnabflussstörung mindestens eine Verlaufskontrolle vor der definitiven Therapieentscheidung durchzuführen.

Die Erkenntnis, dass ein großer Teil der nach konventionellen szintigraphischen Kriterien relevanten Harnabflussbehinderungen über lange Beobachtungsphasen nicht mit einer Einschränkung der Nierenfunktion einhergeht, ist nicht neu. Unglücklicherweise gibt es bis heute keine Messmethode, mit der eine Vorhersage möglich wäre, welche Niere mit szintigraphisch definierter „Obstruktion” potenziell eine Funktionsminderung entwickeln und welche Niere eine operative Korrektur benötigen und davon profitieren wird. I. Grodon brachte seine Skepsis bereits 1991 etwas provozierend zum Ausdruck: „Diuretic renography is only of value when it excludes obstruction.” Die Arbeitsgruppe um I. Grodon und P. Ransley im Great Ormond Street Hospital für Children macht daher schon seit langem das Management unilateraler, asymptomatischer ureteropelviner Stenosen in erster Linie von der seitengetrennten Nierenfunktion, nicht jedoch vom Nuklidabfluss im Diureseszintigramm abhängig. Nach ihren inzwischen langjährigen Erfahrungen ist die einzig unzweifelhafte Diagnose einer Obstruktion lediglich retrospektiv zu stellen - dann nämlich, wenn es im unbahandelten Fall zu einer Einschränkung der Nierenfunktion kommt: „The only unequivocal diagnosis of obstruction is a retrospective one.”.

Hauptziel der Therapie ist die Verhinderung einer Nierenschädigung. Das Problem liegt also weniger in der Diagnose einer szintigraphisch relevanten Harnabflussstörung als in der Beurteilung, ob und wann sie zu einer Funktionsminderung oder zu einem verminderten Nierenwachstum führen wird. Dazu sind häufige sonographische und szintigraphische Verlaufskontrollen notwendig. Der Zeitrahmen, in welchem sich der Einfluss der Harnabflussbehinderung bemerkbar macht, ist unvorhersehbar. Unter Umständen dauert es sehr lange, bis eine Funktionsverschlechterung eintritt. Es bleibt die Frage, wie lange man es sich leisten kann, Kinder mit einer relevanten Harntransportstörung zu überwachen.

Wie emotional teilweise die Diskussion geführt wird, zeigt das Zitat aus dem viel beachteten Editorial von Allen (1992): „Somehow, it makes no more sense to wait for evidence of progressive renal damage before making a diagnosis of obstruction than it does to wait for a tumor to metastazise before calling it a cancer.” Es wäre ideal, sensible tubuläre Funktionen und Parameter bestimmen zu können, die sich früher als die glomeruläre Funktion ändern. Bis heute existieren jedoch keine Methoden, um frühzeitig erkennen zu können, inwieweit sensible Teilfunktionen oder Reservekapazitäten der Niere durch eine konnatale Harntransportstörung in Mitleidenschaft gezogen werden. Gerade beim Neonaten ist jedoch der Aspekt der Nierenfunktionsentwicklung in allen ihren Bereichen von besonderer Bedeutung. Aus diesem Blickwinkel modifizierte Peters (1995) die KoffŽsche Definition der Obstruktion: „Obstruktion ist der Zustand einer Harntransportstörung, die - wenn unbehandelt - das funktionelle Entwicklungspotenzial der Niere begrenzt.” Die vorliegende Studie nimmt uns einmal mehr die Illusion, allein mit einfachen szintigraphischen Paramtern den Einfluss einer Harnabflussstörung auf die Nierenfunktion vorhersagen zu können. Diese Parameter zu negieren und das therapeutische Konzept lediglich von der Entwicklung einer Nierenfunktionseinbuße abhängig zu machen, wäre jedoch die falsche Schlussfolgerung aus dieser wertvollen Arbeit. Sie stimuliert vielmehr dazu, im Einzelfall unter Hinzuziehung aller verfügbaren diagnostischen Kriterien und des individuellen Verlaufs differenziert zu entscheiden und weiter intensiv nach neuen, aussagefähigeren Untersuchungsmethoden zu suchen.

PD Rolf Beetz. Mainz

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Abb. 1 Diese Frage ist noch unbeantwortet: Welche Kinder profitieren von einer operativen Korrektur bei einer subpelvinen Stenose? (Bild: Archiv)

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Dr. Renate Leinmüller

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Dr. Renate Leinmüller

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Abb. 1 Diese Frage ist noch unbeantwortet: Welche Kinder profitieren von einer operativen Korrektur bei einer subpelvinen Stenose? (Bild: Archiv)