Pneumologie 2004; 58(1): 40-41
DOI: 10.1055/s-2003-812462
Standpunkt
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Verbesserung der Compliance unter psychodynamischen Aspekten

Improving Compliance under Psychodynamic AspectsS.  Ellermann1 , U.  Schier1
  • 1Praxis für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Bochum
Herrn Prof. Dr. N. Konietzko zum 65. Geburtstag gewidmet.
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S. Ellermann
U. Schier

Praxis für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie

Kurt-Schumacher-Platz 2

44787 Bochum

Publication History

Publication Date:
20 July 2005 (online)

Table of Contents #

Einleitung

Bei chronischen Erkrankungen, wie dem Asthma bronchiale und der COPD, spielt die Patientencompliance eine wesentliche Rolle für Krankheitsverlauf, Prognose und Kosten der Erkrankung.

Im Folgenden sollen die Zusammenhänge zwischen der psychischen Struktur der Patienten und deren Compliance dargestellt und Ansätze für eine Verbesserung aufgezeigt werden.

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Compliance, Beziehung und psychische Struktur

Die Compliance ist wesentlich vom Verhalten geprägt. Dysfunktionales Verhalten führt zur Non-Compliance. Compliance und Verhalten der Patienten sind von der Qualität interpersoneller Beziehungen beeinflusst. Diese werden geprägt von frühen Lern- und Erfahrungsprozessen mit primären, wichtigen Bezugspersonen (Eltern oder versorgende Erwachsene).

Die psychische Struktur entwickelt sich unter dem Einfluss frühkindlicher interpersoneller Beziehungserfahrungen. Die Qualität der frühkindlichen Beziehungen prägt die psychische Struktur. Weitere wichtige Einflussfaktoren sind frühkindliche Traumata und/oder Deprivation sowie schmerzhafte Erkrankungen im ersten Lebensjahr.

Das frühkindliche Beziehungsmuster beeinflusst über die psychische Struktur die Art der psychischen Abwehrmechanismen. Diese bestimmen das Verhalten. Grundsätzlich kann jedes Verhalten im Sinne der Abwehr eingesetzt werden.

Abwehrmechanismen sind Überlebens- und Anpassungsleistungen des Menschen; erst der fehlende oder übermäßige Einsatz von Abwehr führt zu Störungen. Die grundlegenden Beschreibungen der Abwehrmechanismen gehen auf Anna Freud zurück [1] (Abb 1).

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Abb. 1 Psychische Struktur und Compliance.

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Psychische Struktur

Im Folgenden beziehen wir uns auf das Strukturmodell von O. F. Kernberg. Nach Kernberg bedeutet die psychische Struktur den Grad der Integration des Selbstkonzeptes und des Konzeptes von bedeutenden Bezugspersonen [2]. Es handelt sich hier um ein psychodynamisches Modell basierend auf der Objektbeziehungstheorie.

Im Gegensatz zur kategorialen Einteilung des ICD-10 und des DSM-IV teilt Kernberg die psychische Struktur in drei Dimensionen ein:

  1. normale/neurotische Persönlichkeitsorganisation

  2. Borderline-Persönlichkeitsorganisation (BPO) (nicht zu verwechseln mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung)

  3. Persönlichkeitsorganisation auf psychotischem Niveau.

zu 1.:

Die normale/neurotische Persönlichkeitsorganisation ist durch die folgenden strukturellen Charakteristika definiert:

  • eine stabile Ich-Identität

  • das Vorherrschen von Abwehrmechanismen, die um die Verdrängung zentriert sind und

  • eine intakte Realitätsprüfung.

zu 2.:

Die Borderline-Persönlichkeitsorganisation ist durch die folgenden drei strukturellen Charakteristika definiert:

  • das Syndrom der Identitätsstörung im Sinne einer Identitätsdiffusion

  • das Vorherrschen unreifer (primitiver) Abwehrmechanismen, in deren Zentrum die Spaltung steht und

  • das Aufrechterhalten der Realitätsprüfung.

zu 3.:

Die psychotische Persönlichkeitsorganisation ist gekennzeichnet durch eine durchgängig gestörte Realitätsprüfung [3] (Tab. [1]).

Tab. 1 Vgl. Kernberg, O. F.: Schwere Persönlichkeitsstörungen. Stuttgart, 2000, S. 38.
strukturelle
Kriterien
normale/neurotische OrganisationBorderline-Organisationpsychotische Organisation
Identitätsintegration: intakt Identitätsdiffusion
Abwehrmechanismen: normal pathologisch
Realitätsprüfung: intaktfehlt

Das Strukturniveau nimmt vom normalen/neurotischen Niveau über das Borderline-Niveau zum psychotischen Niveau hin ab. Mit abnehmendem Strukturniveau nimmt der Grad der Anpassungsbewältigung und die Fähigkeit zur Beziehungsaufnahme ab und damit auch die Compliance (s. Abb. [2]).

Da das psychotische Strukturniveau in der somatischen Medizin aufgrund geringer Patientenzahlen keine wesentliche Rolle spielt, werden wir dieses im Folgenden nicht weiter berücksichtigen.

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Borderline-Persönlichkeitsorganisation (BPO)

Kernberg gibt den Anteil der BPO-Patienten in der Gesamtbevölkerung mit > 10 % an [4]. Die BPO-Patienten fallen in der somatischen Medizin oft nicht auf, weil sie situativ kurzfristig gut angepasst sind, jedoch in Stresssituationen sofort instabil werden.

Mit abnehmendem Strukturniveau nimmt die Fähigkeit zur Anpassungsbewältigung und Beziehungsfähigkeit kontinuierlich ab. Im Bereich der BPO kommt es wegen der pathologischen Abwehrmechanismen (Spaltung und andere schwere Dissoziationsphänomene) zusätzlich zu einem inkongruenten Verhalten der Patienten insbesondere in der Arzt-Patienten-Beziehung und damit zu einem extremen Abfall der Compliance (s. Abb. [2]).

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Abb. 2 Compliance - Strukturmodell (psychodynamisch).

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Schlussfolgerung

Die psychische Struktur hat über das interpersonelle Beziehungsverhalten einen wesentlichen Einfluss auf die Patientencompliance.

Nach dem o. a. Strukturmodell nimmt die Compliance mit abnehmendem Strukturniveau im Bereich der normalen/neurotischen Persönlichkeitsorganisation kontinuierlich ab - im Bereich der BPO kommt es zusätzlich durch die pathologischen Abwehrmechanismen zu einer gravierenden Verschlechterung der Compliance, d. h. die niedrigste Compliance ist bei Patienten mit BPO zu erwarten.

Durch eine dimensionale Verbesserung des BPO-Strukturniveaus (auf das neurotische Strukturniveau) durch eine störungs- und strukturorientierte Psychotherapie wird das inkongruente Verhalten dieser Patienten korrigiert.

Damit wird auch die Arzt-Patienten-Beziehung stabilisiert. Dies führt bei der Patientengruppe mit der schlechtesten Ausgangscompliance bei einer erfolgreichen Therapie zu einer wesentlichen Verbesserung der Compliance (s. Abb. [2]).

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Literatur

  • 1 Schüssler G. Psychologische Grundlagen psychiatrischer Erkrankungen. In: Möller H-J. Laux G, Kapfhammer H-P. Psychiatrie und Psychotherapie München 2003: 200
  • 2 Kernberg O F, Dulz B, Sachsse U. Handbuch der Borderlinestörung. Stuttgart 2000: 46f
  • 3 Kernberg O F. Schwere Persönlichkeitsstörungen. Stuttgart 2000: 18f
  • 4 Kernberg O F, Dulz B, Sachsse U. Handbuch der Borderlinestörung. Stuttgart 2000: 4

S. Ellermann
U. Schier

Praxis für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie

Kurt-Schumacher-Platz 2

44787 Bochum

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Literatur

  • 1 Schüssler G. Psychologische Grundlagen psychiatrischer Erkrankungen. In: Möller H-J. Laux G, Kapfhammer H-P. Psychiatrie und Psychotherapie München 2003: 200
  • 2 Kernberg O F, Dulz B, Sachsse U. Handbuch der Borderlinestörung. Stuttgart 2000: 46f
  • 3 Kernberg O F. Schwere Persönlichkeitsstörungen. Stuttgart 2000: 18f
  • 4 Kernberg O F, Dulz B, Sachsse U. Handbuch der Borderlinestörung. Stuttgart 2000: 4

S. Ellermann
U. Schier

Praxis für Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie

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44787 Bochum

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Abb. 1 Psychische Struktur und Compliance.

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Abb. 2 Compliance - Strukturmodell (psychodynamisch).