Aktuelle Dermatologie 2003; 29(7): 293-295
DOI: 10.1055/s-2003-41294
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Exazerbation einer Psoriasis vulgaris zu einer generalisierten Psoriasis pustulosa mit psychiatrischen Komplikationen als erstes Symptom eines primären Hypoparathyreoidismus

Exacerbation of a Psoriasis Vulgaris into a Generalized Psoriasis Pustulosa with Psychiatric Complications as First Symptom of a Primary HypoparathyreodismJ.  I.  A.  Laifaoui1 , E.  Guillen1 , W.  I.  Worret1 , J.  Ring1
  • 1 Klinik für Dermatologie und Allergologie der Technischen Universität München (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. phil. J. Ring)
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Prof. Dr. med. W.-I. Worret

Klinik für Dermatologie und Allergologie der Technischen. Universität München

Biedersteinerstraße 29 · 80802 München

Email: wolf-ingo.worret@lrz.tu-muenchen.de

Publication History

Publication Date:
11 August 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Die Manifestation eines primären Hypoparathyreoidismus ist ein seltenes Ereignis mit vielfältiger Symptomatik, welche oft die Diagnosestellung verzögert. Wir berichten über einen 55-jährigen männlichen Patienten, bei dem seit über 25 Jahren eine chronisch stationäre Psoriasis vulgaris bekannt war. Innerhalb von zwei Wochen kam es zur massiven Exazerbation der Hauterscheinungen mit Pustelbildung. Im Verlauf entwickelte sich eine depressive Verstimmung mit Wesensveränderung, intermittierenden Sprachstörungen und asthmoiden Symptomen. Unter der Annahme einer endogenen Depression wurde bei dem Patienten deshalb bereits eine ambulante Psychotherapie eingeleitet und eine antidepressive Medikation verordnet. Der Patient wurde mit dem Bild einer Psoriasis pustulosa generalisata notfallmäßig stationär aufgenommen. Die Bestimmung des Serumkalziums und die nachfolgenden Untersuchungen deckten einen primären Hypoparathyreoidismus als Trigger der akuten Symptomatik auf. Das Aufdecken derartiger überlagerter Krankheitsbilder ist für eine spezifische Therapie von Bedeutung.

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Abstract

Primary hypoparathyroidism is a rare condition which is not easily diagnosed. We report a 55 years old male with a stable psoriasis vulgaris since 25 years. Within two weeks he developed a massive exacerbation of the skin lesions with pustulation. In the course a depressive change of mood with character alteration, intermittent disorder of speaking and asthmoid symptoms emerged. The patient received ambulant psychotherapy with an antidepressant medication. He was admitted to the hospital as an emergency case with the clinical diagnosis of Psoriasis pustulosa generalisata. The calcium level of the peripheral blood and the further investigations revealed primary hypoparathyroidism as the trigger of the acute clinical picture. The identification of such overlapping disorders is of great importance for the proper therapy.

Die Exazerbation einer Psoriasis vulgaris trifft oft zusammen mit inneren Erkrankungen wie z. B. Streptokokkeninfekten, Alkoholabusus oder auch Störungen der Kalziumhomöostase. Oft eilen die Hauterscheinungen dabei internen Symptomen voraus, können aber wichtige Indizien zur Diagnosestellung liefern.

Wir berichten über einen Patienten mit Exazerbation einer langjährigen Psoriasis vulgaris, Laryngospasmen und Wesensveränderungen im Sinne einer Depression. Als zugrundeliegende Erkrankung ließ sich ein primärer Hypoparathyreoidismus feststellen. Eine spezifische Therapie der endokrinologischen Erkrankung führte zur prompten Rückbildung sowohl der Hautveränderungen als auch der psychiatrischen Symptomatik.

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Fallbeschreibung

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Anamnese und Vorbefunde

Seit etwa 25 Jahren leidet der Patient an einer Psoriasis vulgaris. Seit Anfang März 2001 kam es zu einer deutlichen Verschlechterung des Befundes. Zudem traten Parästhesien und Stridor auf. Bei Aufnahme fiel laborchemisch eine deutliche Hypokalziämie auf (1,05 mmol). Der Patient litt zudem an psychischen Alterationen und Wesensveränderung, sowie einem starken Krankheitsgefühl. Der Patient wurde notfallmäßig stationär aufgenommen. Er gab zudem an, sich seit etwa 2 Wochen aufgrund einer akuten Depression in einer ambulanten Psychotherapie zu befinden, im Rahmen derer er das Medikament Opipramol (Insidon®) verordnet bekommen habe. Bei Aufregung käme es zudem zu intermittierender Atemnot, Sprachstörungen und Schwindel. Die gesamte Symptomatik hätte sich kontinuierlich verstärkt.

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Klinischer Befund

55-jähriger Patient in reduziertem Allgemein- und adipösem Ernährungszustand (170 cm, 90 kg). Bei der klinischen Untersuchung fielen ein positives Trousseau-Zeichen sowie ein intermittierender Stridor auf. An Ellenbogen und Knien sieht man scharf begrenzte, erythematöse, etwa 20 cm im Durchmesser messende, infiltrierte, mit Krusten und Pusteln bedeckte Plaques. An der Kopfhaut zeigen sich zudem mit dicken Krusten belegte, schuppende und infiltrierte Hautveränderungen (Abb. [1]). Zudem bestehen am gesamten Integument disseminierte Pusteln (Abb. [2]). An beiden Händen und Füßen finden sich zudem feinlamelläre, silbrig schuppende, punktförmig erythematöse Hautläsionen, sowie an den Finger- und Zehenendgliedern bzw. periungual Pusteln und eine massive Onychodystrophie, vereinbar mit dem Bild einer Acrodermatitis continua suppurativa (Hallopeau) (Abb. [3]).

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Abb. 1 Psoriasisherde im Nacken.

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Abb. 2 Erythro-squamöse Läsionen und Pusteln am Stamm.

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Abb. 3 Pustulöse Herde an den Fingern.

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Diagnostik

Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BKS): 40/70 mm n. W.

Blutbild und Differenzialblutbild: Neutrophilie mit 79,4 %, Lymphopenie mit 12,7 % ( Gesamtleukozyten 11,8 × 109/l).

Klinisch-chemische Laborparameter:

Erniedrigt: Kalzium 1,05 mmol/l

Erhöht:Phosphat 7,7 mg/dl sowie CRP 2,6 mg/dl. Creatinkinase initial erhöht mit 875 U/l, im weiteren Verlauf Abfall bis in den Normbereich (Norm < 80U/l) CK-MB nicht nachweisbar.

Hormone:

Erniedrigt: Parathormon mit 3,4 pg/ml (Norm 15 - 65 pg/ml), im weiteren Verlauf nicht mehr nachweisbar, 25-OH-Vitamin D3 mit 9 ng/ml (Norm 20 - 100 ng/ml).

Im Oberbauchsonogramm Verdacht auf Verkalkungen an der Rindenmarkgrenze der linken Niere. In einem endokrinologischen Konsil wird ein primärer Hypoparathyreoidismus bestätigt.

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Therapie und Verlauf

Bestehende Parästhesien sowie Stridor und Tetanie lenkten den Verdacht auf eine Hypokalziämie. Wesensveränderung, Stridor und psychische Alteration hatten vorstationär bereits zur Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie geführt. Es bestätigte sich der Verdacht eines primären Hypoparathreoidismus. Die Psoriasis wurde initial systemisch mit Acitretin 50 mg (Neotigason®) 1 - 0 - 0, systemischen Steroiden in absteigender Dosierung und topischer Therapie mit externen Steroiden in absteigender Potenz, Calcipotriol, Keratolytika sowie Hand- und Fuß-Bade-PUVA behandelt. Am behaarten Kopf kamen zudem topische Steroide und Keratolytika zur Anwendung, sowie Ölbäder und Unguentum leniens zur Hautpflege. Eine konsiliarische Behandlung des Patienten erfolgte durch die endokrinologische Abteilung: Substitution mit Kalzium-Brause-Tbl. 3×1 g täglich, Calcitriol (Rocaltrol® 0,5 µg) 1 - 0-0 sowie Aluminiumhydroxid-Gel (Anti-phosphat® 600 mg) 1 - 1 - 1. Unter oben genannter Therapie kam es zu einem sukzessiven Anstieg des Serumkalziums und deutlicher Besserung des Hautbefundes. Die psychische Symptomatik, Atemnot, Stridor sowie Parästhesien verschwanden gänzlich. Nach Entlassung wurde die PUVA-Therapie ambulant fortgeführt. Eine weitere Psychotherapie war nicht mehr notwendig.

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Diskussion

Primärer Hypoparathyreoidismus ist eine sehr seltene endokrinologische Erkrankung mit anfangs oft vielfältiger, unspezifischer Symptomatik (Tab. [1]), die unbehandelt zu ernsten Komplikationen (tetanische Anfälle, Katarakt, Wesensveränderung), führen kann [1]. Bei einem gut behandelten Hypoparathyreoidismus ist die Sterblichkeit nicht erhöht. Hypoparathyreoidismus mit konsekutiver Hypokalziämie, sowie anderer Störungen der Kalziumhomöostase stellen einen Provokationsfaktor für die Psoriasis vulgaris dar. Hypokalziämien unterschiedlicher Genese sind als Trigger-Faktoren einer Psoriasis pustulosa mehrfach beschrieben worden [5] [6] [8]. Ein Anheben des Serumkalziums mittels Kalziumsubstitution und Vitamin-D3-Analoga führt in der Regel zu einer raschen und prompten Besserung des Hautbefundes [2] [3] [6] [7]. Andererseits kann durch die, bei der Psoriasis pustulosa häufig auftretenden Hypoalbuminämie, eine sekundäre Hypokalziämie resultieren [9]. Eine Elektrolytbestimmung ist daher bei allen Fällen obligatorisch. Nach einem Hypoparathyreoidismus sollte man gezielt fahnden, wenn die Hauteffloreszenzen nach Kalziumsubstitution schnell abheilen.

Tab. 1 Klinische Zeichen einer Hypokalziämie
Pfötchenstellung der Hände
Chvostek- und Trousseau-Zeichen positiv
Parästhesien im Mundbereich sowie Finger- und Zehenspitzen
Waden- und Fußbeschwerden wie „Durchblutungsstörungen”
abdominelle Spasmen, Bauchschmerzen, Obstipation
ängstliche Grundhaltung, depressive Verstimmungen

Obwohl eine gesteigerte Chemotaxis der polymorphkernigen Leukozyten bei der Psoriasis pustulosa beschrieben wurde [4], bleibt der Hauptstimulus für die Migration von polymorphkernigen Leukozyten in die Epidermis unbekannt. Hypokalziämie stellt hier, genauso wie z. B. Infektionen, Cholestase oder verschiedene Medikamente, einen bedeutenden Ko-Faktor dar.

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Literatur

  • 1 Pumarino H, Contreras P, Michelse H, Youlton R, Campino C, Aros S, Basaure J. Idiopathic hypoparathyroidism, a syndrome with various clinical expressions: analysis of 10 cases.  Rev Med Chil. 1989;  117(6) 647-652
  • 2 Moynihan G D, Ruppe J P Jr. Impetigo herpetiformis and hypoparathyroidism.  Arch Dermatol. 1985;  121 1330-1331
  • 3 Kawamura A, Kinoshita M T, Suzuki H. Generalized pustular psoriasis with hypoparathyroidism.  Eur J Dermatol. 1999;  9 574-576
  • 4 Zelickson B D, Pittelkow M R, Muller S A, Johnson C M. Polymorphonuclear leukocyte chemotaxis in generalized pustular psoriasis.  Acta Derm Venerol. 1987;  67 (4) 326-330
  • 5 Montenegro R M Jr, Alburquerque de Paula F J, Foss N T, Foss M C. Familial association of pseudohypoparathyroidism and psoriasis: case report.  Sao Paulo Med J. 2002;  120 (1) 23-27
  • 6 Steward A, Battaglini-Sabetta J, Millstone L. Hypocalcemia induced pustular psoriasis of von Zumbusch. New experience with an old syndrome.  Ann Intern Med. 1984;  100 677-680
  • 7 Boisseau-Garsaud A M, Legrain V, Hehunstre J P, Maleville J, Taieb A. Treatment of psoriasis by oral calcitriol. A study of 5 cases and review of the literature.  Ann Dermatol Venereol. 1993;  120 (10) 669-674
  • 8 Risum G. Psoriasis exacerbated by hypoparathyroidism with hypocalcaemia.  Br J Dermatol. 1973;  89 309-312
  • 9 Braverman I M. Skin signs of systemic disease. Philadelphia; WB Saunders 1981: 527

Prof. Dr. med. W.-I. Worret

Klinik für Dermatologie und Allergologie der Technischen. Universität München

Biedersteinerstraße 29 · 80802 München

Email: wolf-ingo.worret@lrz.tu-muenchen.de

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Literatur

  • 1 Pumarino H, Contreras P, Michelse H, Youlton R, Campino C, Aros S, Basaure J. Idiopathic hypoparathyroidism, a syndrome with various clinical expressions: analysis of 10 cases.  Rev Med Chil. 1989;  117(6) 647-652
  • 2 Moynihan G D, Ruppe J P Jr. Impetigo herpetiformis and hypoparathyroidism.  Arch Dermatol. 1985;  121 1330-1331
  • 3 Kawamura A, Kinoshita M T, Suzuki H. Generalized pustular psoriasis with hypoparathyroidism.  Eur J Dermatol. 1999;  9 574-576
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  • 7 Boisseau-Garsaud A M, Legrain V, Hehunstre J P, Maleville J, Taieb A. Treatment of psoriasis by oral calcitriol. A study of 5 cases and review of the literature.  Ann Dermatol Venereol. 1993;  120 (10) 669-674
  • 8 Risum G. Psoriasis exacerbated by hypoparathyroidism with hypocalcaemia.  Br J Dermatol. 1973;  89 309-312
  • 9 Braverman I M. Skin signs of systemic disease. Philadelphia; WB Saunders 1981: 527

Prof. Dr. med. W.-I. Worret

Klinik für Dermatologie und Allergologie der Technischen. Universität München

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Abb. 1 Psoriasisherde im Nacken.

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Abb. 2 Erythro-squamöse Läsionen und Pusteln am Stamm.

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Abb. 3 Pustulöse Herde an den Fingern.