Laryngorhinootologie 2003; 82(5): 370-371
DOI: 10.1055/s-2003-39723
Aktuelle Habilitation
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lässt sich die obstruktive Schlafapnoe durch Analysen der Muskelaktivität des Mundbodens und der sympathischen Aktivität auch am Tage diagnostizieren?

Identification of Patients with Obstructive Sleep Apnoea by Analysing the Muscle Activity of the Floor of the Mouth and the Sympathetic Activity in Men During WakefulnessT.  Verse1
  • 1Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik Mannheim (Direktor: Prof. Dr. med. Karl Hörmann)
Further Information

Publication History

Publication Date:
11 June 2003 (online)

Standard in der Diagnostik schlafbezogener Atmungsstörungen (SBAS) ist die komplette, überwachte, d. h. in der Regel stationäre, nächtliche Polysomnographie (PSG). Ob des erheblichen personellen, apparativen und damit auch finanziellen Aufwands der PSG wird nach Alternativen gesucht. Eine Möglichkeit hierfür bieten ambulante, kardiorespiratorische Screeninggeräte, die der Patient nachts selbst anlegt. Beide Verfahren ermitteln den Schweregrad einer SBAS durch Messungen der Anzahl nächtlicher Atemstillstände anhand des Apnoe-Hypopnoe-Index.

Aus der Literatur ist bekannt, dass sich Gesunde und Schlafapnoiker aber auch bezüglich anderer elektrophysiologischer Parameter unterscheiden. Teilweise sind diese Unterschiede auch tagsüber im Wachzustand nachweisbar. Ziel dieser Untersuchungsreihe war es daher, vier dieser Parameter an einem größeren Kollektiv von Patienten, bei denen der klinische Verdacht auf das Vorliegen einer SBAS bestand, doppelt verblindet von der diagnostischen PSG zu ermitteln. Es handelt sich dabei 1. um die Bestimmung der sympathischen Aktivität aus dem Pulsoximetersignal, 2. die Bestimmung des Ruhemuskeltonus der Mundbodenmuskulatur, 3. um den Einfluss der Atemroute auf den Ruhemuskeltonus der Mundbodenmuskulatur und 4. um die Charakterisierung des EMG-Frequenzspektrums.

Zwei Fragestellungen wurden verfolgt: 1. Lassen sich die aus der Literatur bekannten Unterschiede mit der eigenen Messapparatur im untersuchten Kollektiv nachweisen? und 2. Sind diese Unterschiede groß genug, um sie diagnostisch - z. B. für die Entwicklung eines Screeninggerätes für die obstruktive Schlafapnoe (OSA) - nutzbar zu machen?

Zusätzlich zu einer kompletten, überwachten PSG konnten insgesamt 200 Ableitungen der sympathischen Aktivität und 145 Ableitungen des Mundboden-EMG ohne Messabbrüche und ohne Auftreten unerwünschter Ereignisse vorgenommen werden. Die Messapparatur hat sich dabei als einfach und robust für den klinischen Einsatz empfohlen.

Die aus der Literatur angenommenen Unterschiede elektrophysiologischer Parameter zwischen Patienten mit primärem Schnarchen einerseits und obstruktiver Schlafapnoe andererseits konnten mit der vorgestellten Messmethode nur zum Teil reproduziert werden.

Die sympathische Aktivität wurde mittels Autoregression aus dem Pulsoximetersignal von 200 Patienten (65 primäre Schnarcher und 135 Patienten mit OSA) bestimmt. Zwar wiesen die Schlafapnoiker erwartungsgemäß eine höhere sympathische Aktivität auf als die Kontrollpersonen, allerdings erreichte dieser Unterschied keine statistische Signifikanz. Die Unterschiede waren am Morgen um 8.30 Uhr stärker ausgeprägt als am Abend um 20.30 Uhr.

Zusätzliche Analysen des Mundboden-EMG konnten bei 145 der insgesamt 200 Patienten (39 primäre Schnarcher und 106 Patienten mit OSA) vorgenommen werden. Die gewonnenen Datensätze wurden dabei in dreierlei Hinsicht analysiert: Höhe des Ruhemuskeltonus, Einfluss der Atemroute aus dem Ruhemuskeltonus und Breite des Frequenzspektrums.

Dabei zeigte der Ruhemuskeltonus der Mundbodenmuskulatur im Wachzustand erwartungsgemäß höhere Werte bei Schlafapnoikern als bei den primären Schnarchern. Auch diese Unterschiede waren am Morgen deutlicher ausgeprägt als am Abend, wenngleich die Unterschiede auch im Gesamtkollektiv statistisch signifikant waren. In der Gruppe der Schlafapnoiker konnte eine kontinuierliche Zunahme des Ruhemuskeltonus mit steigendem AHI bis zu Werten zwischen 40 und 50 beobachtet werden. Oberhalb dieser Werte zeigte sich ein Rückgang des Ruhemuskeltonus. Dieses Ergebnis legt den Schluss nahe, dass es sich bei der kompensatorischen Erhöhung des Ruhemuskeltonus der Zunge und des Mundbodens um eine ermüdbare Größe handelt.

Der Einfluss der Atemroute auf die Aktivität der Muskeln des oberen Luftweges ist bereits mehrfach untersucht worden. Hierbei ist die Aktivität des Mundboden-EMG bei Patienten mit OSA während Nasenatmung höher als bei Mundatmung, bei Gesunden umgekehrt. Diese Gesetzmäßigkeit ließ sich im vorgelegten Untersuchungskollektiv nicht reproduzieren. Vielmehr ergab sich ein parabelförmiger Kurvenverlauf mit einem relativen Maximum des EMG bei Mundatmung in der Gruppe der Patienten mit einem AHI zwischen 20 und 30.

Die Analyse des Frequenzspektrums ist im Zusammenhang mit der Differenzierung von Patienten mit und ohne OSA nach Wissen des Autors noch nicht untersucht worden. In der vorliegenden Arbeit wurde das Frequenzspektrum durch die mittlere Frequenz charakterisiert, welches das Spektrum in zwei gleich große Hälften trennt. Entsprechend der Annahme weisen Patienten mit OSA - vermutlich infolge von Ermüdungserscheinungen der Muskulatur - eine niedrigere mittlere Frequenz auf als die Kontrollen. Diese Unterschiede waren statistisch signifikant, und entsprechend den anderen Ergebnissen am Morgen deutlicher ausgeprägt als am Abend.

Für die zweite Fragestellung der Arbeit, nämlich ob die festgestellten Unterschiede groß genug sind, um sie diagnostisch nutzbar zu machen, kamen also nur der Ruhemuskeltonus und das Frequenzspektrum des EMG infrage. Zur Vorhersage einer OSA erreichte jede Methode für sich allein ob der großen Streubreite der Ergebnisse keine ausreichenden Werte für Sensitivität und Spezifität. Durch die Kombination beider Ansätze ließ sich zwar die Sensitivität der Vorhersage einer OSA auf 95 % steigern, allerdings nur zu Lasten der Spezifität (45 %). Zusammenfassend muss daher festgestellt werden, dass die ermittelten Unterschiede bezüglich der untersuchten elektrophysiologischen Parameter nicht groß genug sind, um sie im Sinne eines Screenings für OSA diagnostisch nutzbar zu machen. Inwieweit sich diese neue Technik eventuell für kurzfristige Therapiekontrollen eignet, wird derzeit überprüft.

Dr. med. Thomas Verse, Jahrgang 1966.

Priv.-Doz. Dr. med. Thomas Verse

Universitäts-HNO-Klinik Mannheim

68135 Mannheim ·

Email: thomas.verse@hno.ma.uni-heidelberg.de