Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(21): 1187
DOI: 10.1055/s-2003-39355
Pro & Contra
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Mikroalbuminurie-Routine-Screening bei Typ-2-Diabetes mellitus - Pro

Routine screening for microalbuminemia in type 2 diabetes mellitus: proR. Dikow1 , E. Ritz1
  • 1Medizinische Klinik-Sektion Nephrologie, Klinikum der Universität Heidelberg
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Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. E. Ritz

Medizinische Klinik - Sektion Nephrologie, Klinikum der Universität Heidelberg

Bergheimer Straße 56a

69115 Heidelberg

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Publication Date:
22 May 2003 (online)

Table of Contents

Das Auftreten einer gesteigerten Proteinausscheidung im Urin stellt einen Wendepunkt im Leben eines Diabetikers dar, denn bei Diabetikern mit einer Proteinurie ist die Mortalität im Vergleich zu Diabetikern ohne Proteinurie bis um den Faktor 100 gesteigert [1]. Es war eine der wichtigsten Entdeckungen in der klinischen Diabetologie, dass selbst die Ausscheidung von Albumin in Spurenmengen (Mikroalbuminurie) ein hohes Risiko kardiovaskulärer Zwischenfälle und des Auftretens einer Niereninsuffizienz anzeigt.

In einem Konsensus-Papier stellten 1995 Mogensen et al. [2] fest, dass „Mikroalbuminurie... das erste klinisch leicht identifizierbare Zeichen des Risikos einer diabetischen Nephropathie und anderer vaskulärer Komplikationen darstellt”... „wir glauben, dass Prävention am besten in diesem Frühstadium zu erreichen ist”. Die Autoren folgerten ferner, dass „dieses Programm... sehr kosteneffektiv ist, hauptsächlich deswegen, weil die Behandlung der Niereninsuffizienz so teuer ist”.

Die Feststellung, dass eine frühzeitige Diagnose der gesteigerten Albuminausscheidung und damit die Erkennung von Hochrisikopatienten mit hohem kardiovaskulären und renalem Risiko sinnvoll sei, schlägt sich auch in den Empfehlungen der American Diabetes Association (ADA) [3] und den Praxisleitlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) [4] nieder. Die ADA-Richtlinien besagen, dass bei Typ-2-Diabetikern... „das Screening zum Zeitpunkt der Diagnose des Diabetes beginnen soll und ... ein Mikroalbumintest in mindestens jährlichem Abstand durchgeführt werden solle”. Die Richtlinien der DDG besagen darüber hinaus, dass bei positivem Ausfall der Test in vierteljährlichem Abstand wiederholt werden solle. Wir erachten diese Vorgehensweise deshalb für außerordentlich sinnvoll, weil neuere Interventionsstudien bei Typ-2-Diabetikern zeigten, dass die Behandlung mit Angiotensin-Rezeptorblockern bei mikroalbuminurischen Patienten (IRMA-Studie) das Risiko eines renalen Endpunktes um 70 % [5], bei niereninsuffizienten Patienten (IDNT-Studie) hingegen nur um 33 % senkte [6].

Mit großem Erstaunen stellte die Fachwelt im Text des Disease-Management-Programms für Typ-2-Diabetes fest, dass das Mikroalbuminurie-Screening, entgegen der Meinung der Fachgesellschaften [3] [4], nur bei Patienten mit Retinopathie empfohlen wird - was widersinnig erscheint, da bei Diabetikern mit einer Retinopathie mit bekannten mikrovaskulären Schäden natürlich a priori mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Mikroalbuminurie zu erwarten ist.

Offensichtlich ist den uns unbekannten Autoren dieses Programmes entgangen, dass Prof. Sawicki, ein anerkannter Fachmann auf diesem Gebiet, bereits 1990 in der Münchner Medizinischen Wochenschrift [7] schrieb: „Die Messung der Proteinurie ist eine wichtige Untersuchung..., um die Entwicklung einer diabetischen Nephropathie frühzeitig zu erfassen und ihren Verlauf zu verfolgen. Darüber hinaus ist eine pathologische Ausscheidung im Urin ein wichtiger prognostischer Parameter zur Beurteilung eines erhöhten Mortalitätsrisikos selbst bei Nichtdiabetikern.... Die Bestimmung einer Mikroproteinurie bei Diabetikern ist wichtig..., denn therapeutische Interventionen können das Fortschreiten dieser Spätkomplikationen und die Mortalität der Patienten wirksam beeinflussen”. Bezüglich der Notwendigkeit der Früherkennung führte derselbe Autor aus: „Bei manifester Proteinurie kann die Behandlung den Nierenfunktionsverlust abschwächen, aber nicht aufhalten. Hingegen gestattet die aggressive Intervention mit Blutdrucksenkung und normoglykämischer Blutzuckereinstellung, den natürlichen Verlauf der diabetischen Nephropathie aufzuhalten, wenn lediglich das Stadium der beginnenden Nephropathie mit Mikroalbuminurie vorliegt” [8].

Wir haben als Nephrologen diesen Ausführungen des nicht unumstrittenen, aber einigermaßen sachverständigen diabetologischen Experten nichts hinzuzufügen und möchten uns dringend für das Screening für Typ-2-Diabetiker auf Mikroalbuminurie aussprechen, mit dem in jedem Falle erstens ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko vorhergesagt wird und zweitens - obwohl die Methode nicht absolut spezifisch ist für das Vorliegen einer diabetischen Glomerulosklerose [9] - auch ein hohes Risiko des fortschreitenden Nierenfunktionsverlustes. Um Paola Fioretto [10] abschließend zu zitieren: „Die Albuminausscheidung ist der beste nicht-invasive Prädiktor für das Risiko einer diabetischen Nephropathie und sollte nach etablierten Richtlinien regelmäßig gemessen werden.”.

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Literatur

  • 1 Borch-Johnsen K, Andersem P K, Deckert T. The effect of proteinuria on relative mortality in type 1 (insulin-dependent) diabetes mellitus.  Diabetologia. 1985;  28 590-596
  • 2 Mogensen C E, Keane W F, Bennett P H, Jerums G, Parving H H, Passa P, Steffes M W, Striker G E, Viberti G C. Prevention of diabetic renal disease with special reference to microalbuminuria.  Lancet. 1995;  346 1080-1084
  • 3 American Diabetes Association . Diabetic nephropathy.  Diabetes Care. 2002;  25 S85-S89
  • 4 Praxis-Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG).  Diabetes und Stoffwechsel. 2002;  11 1-40
  • 5 Parving H H, Lehnert H, Bröchner-Mortensen J B, Gomis R, Andersen S, Arner P. The effect of irbesartan on the development of diabetic nephropathy in patients with type 2 diabetes.  N Engl J Med. 2001;  345 870-878
  • 6 Lewis E J, Hunsicker L G, Clarke W R, Berl T, Pohl M A, Lewis J B, Ritz E, Atkins R C, Rohde R, Raz I. Renoprotective effect of the angiotensin-receptor antagonist irbesartan in patients with nephropathy due to type 2 diabetes.  N Engl J Med. 2001;  345 851-860
  • 7 Heinemann L, Hohmann A, Sawicki P T. Proteinurie-Bestimmung.  Münch Med Wschr. 1990;  132 530-532
  • 8 Sawicki P T, Heinemann L, Berger M. Comparison of methods for determination of microalbuminuria in diabetic patients.  Diabetic Medicine. 1989;  6 412-415
  • 9 Fioretto P, Mauer M, Brocco E, Velussi M, Frigato F, Muollo B, Sambataro M, Abaterusso C, Baggio B, Crepaldi G, Nosadini R. Patterns of renal injury in NIDDM patients with microalbuminuria.  Diabetologia. 1996;  39 1569-1576
  • 10 Caramori M L, Fioretto P, Mauer M. The need for early predictors of diabetic nephropathy risk: is albumin excretion rate sufficient?.  Diabetes. 2000;  49 1399-1408

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. E. Ritz

Medizinische Klinik - Sektion Nephrologie, Klinikum der Universität Heidelberg

Bergheimer Straße 56a

69115 Heidelberg

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Literatur

  • 1 Borch-Johnsen K, Andersem P K, Deckert T. The effect of proteinuria on relative mortality in type 1 (insulin-dependent) diabetes mellitus.  Diabetologia. 1985;  28 590-596
  • 2 Mogensen C E, Keane W F, Bennett P H, Jerums G, Parving H H, Passa P, Steffes M W, Striker G E, Viberti G C. Prevention of diabetic renal disease with special reference to microalbuminuria.  Lancet. 1995;  346 1080-1084
  • 3 American Diabetes Association . Diabetic nephropathy.  Diabetes Care. 2002;  25 S85-S89
  • 4 Praxis-Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG).  Diabetes und Stoffwechsel. 2002;  11 1-40
  • 5 Parving H H, Lehnert H, Bröchner-Mortensen J B, Gomis R, Andersen S, Arner P. The effect of irbesartan on the development of diabetic nephropathy in patients with type 2 diabetes.  N Engl J Med. 2001;  345 870-878
  • 6 Lewis E J, Hunsicker L G, Clarke W R, Berl T, Pohl M A, Lewis J B, Ritz E, Atkins R C, Rohde R, Raz I. Renoprotective effect of the angiotensin-receptor antagonist irbesartan in patients with nephropathy due to type 2 diabetes.  N Engl J Med. 2001;  345 851-860
  • 7 Heinemann L, Hohmann A, Sawicki P T. Proteinurie-Bestimmung.  Münch Med Wschr. 1990;  132 530-532
  • 8 Sawicki P T, Heinemann L, Berger M. Comparison of methods for determination of microalbuminuria in diabetic patients.  Diabetic Medicine. 1989;  6 412-415
  • 9 Fioretto P, Mauer M, Brocco E, Velussi M, Frigato F, Muollo B, Sambataro M, Abaterusso C, Baggio B, Crepaldi G, Nosadini R. Patterns of renal injury in NIDDM patients with microalbuminuria.  Diabetologia. 1996;  39 1569-1576
  • 10 Caramori M L, Fioretto P, Mauer M. The need for early predictors of diabetic nephropathy risk: is albumin excretion rate sufficient?.  Diabetes. 2000;  49 1399-1408

Prof. Dr. med. Dr. h. c. mult. E. Ritz

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69115 Heidelberg