Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(14): 759-763
DOI: 10.1055/s-2003-38419
Kommentare
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Grundbedingungen der Erfolgskontrolle in der ärztlichen Fortbildung

Prerequisites for monitoring success in continuing medical educationJ. Neuser1
  • 1Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen
Weitere Informationen

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Jürgen Neuser

Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP)

Große Langgasse 8

55116 Mainz

Publikationsverlauf

eingereicht: 24.2.2003

akzeptiert: 27.2.2003

Publikationsdatum:
03. April 2003 (online)

Inhaltsübersicht

In ihren Leitsätzen zur ärztlichen Fortbildung definiert die Bundesärztekammer Fortbildung als „berufsbegleitendes Weiterlernen” (Bundesärztekammer 1993/2003; http://www.bundesaerztekammer.de/30/Richtlinien/Empfidx/AerztFort.html). Ärztliche Fortbildung soll danach freizügig gestaltet sein, um motivationalen, intellektuellen sowie fach- und methodengebundenen Verschiedenheiten Rechnung tragen zu können. Mit ihren Leitsätzen gibt die Bundesärztekammer den Rahmen vor, innerhalb dessen sich Erfolgskontrolle bewegen kann. Die Leitsätze von 1993 bleiben aber weit und vermeiden es, Positionen zu beziehen, die 2003 nicht mehr ausgelassen werden können.

Die Bundesärztekammer begründet das Erfordernis von Fortbildung aus einer berufsrechtlichen Perspektive: „Das Vertrauen des Patienten gegenüber dem Arzt gründet sich unter anderem darauf, dass die medizinische Versorgung an einem anerkannten Wissensgut orientiert ist” (Vorwort). Die Fortbildung habe die Verbesserung ärztlichen Handelns als wichtigstes Ziel.

Der Ärzteschaft in Deutschland werden damit die wesentlichen Ziele ihrer Fortbildung vorgegeben. Sie könnten zur Orientierung ausreichen, wenn sie entsprechend befolgt würden. Aber auch die Bundesärztekammer hat kein unbegrenztes Vertrauen in die Freiwilligkeit der ärztlichen Fortbildung, sehen ihre Leitsätze doch nicht nur die Selbstkontrolle, sondern auch die externe Kontrolle zur Überprüfung des Fortbildungserfolges vor.

Die Erfolgskontrolle der Fortbildung ist indes keineswegs simpel. Sie bezieht sich nicht nur auf das Lernergebnis, sondern auch auf die Qualität des Fortbildungsangebots und berührt auch die Frage nach den Konsequenzen, die aus der Erfolgskontrolle gezogen werden können.

Diese Fragen sind in hohem Maße politische Fragen, die als solche hier nicht gelöst werden können. Allerdings liegen inzwischen auch einige empirische Untersuchungen zur Erfolgskontrolle von Fortbildungsmaßnahmen und Erfahrungen aus anderen Ländern vor, die es erlauben, über eine rein meinungs- und interessengeleitete Aussage hinauszugehen. Auf der Basis solcher empirischer Befunde soll hier versucht werden, die Grundbedingungen für die Erfolgskontrolle der ärztlichen Fortbildung zu kommentieren. Dabei sind vor allem drei Problembereiche zu bearbeiten:

  1. Hängt der Erfolg der Fortbildung von generellen Merkmalen der Fortbildung ab?

  2. Wie ist individueller Fortbildungserfolg zu bestimmen?

  3. Wie lässt sich Fortbildung durchführen und welche Konsequenzen soll sie haben?

Zunächst aber sind einige charakteristische Besonderheiten von Fortbildung herauszuarbeiten.

#

Lernen im beruflichen Kontext

Wenn die Bundesärztekammer in ihren Leitsätzen Fortbildung als berufsbegleitendes Weiterlernen beschreibt, so weist sie damit auf zwei wesentliche Besonderheiten der Fortbildung hin: Fortbildung baut auf bereits Gelerntem auf und findet begleitend zur beruflichen Tätigkeit statt. Die Rahmenbedingungen von Fortbildung sind für die Erfolgskontrolle von eminenter Bedeutung, da sie gegenüber den nicht berufsbegleitenden Lernbedingungen große Unterschiede aufweisen:

Während die Ausbildung an den Hochschulen an relativ wenigen Ausbildungsstätten nach einem im Rahmen verabredeten und vergleichbaren Plan verläuft, ist dies für die Fortbildung weder machbar noch sinnvoll. Fortbildung unterliegt in der Durchführung weithin der Dezentralität. Im Verlauf der ärztlichen Sozialisation nimmt der Standardisierungsgrad der Wissensinhalte ab. Sind die Studieninhalte noch hoch standardisiert (vgl. die Gegenstandskataloge des IMPP) und existieren hinsichtlich der Weiterbildung wenigstens Curricula, die zwischen den Dozenten noch im Kern konsensfähig sind, so ist der Inhalt von Fortbildungsveranstaltungen weitgehend unstandardisiert. Fortbildung bedeutet also auch, den individuell unterschiedlichen inhaltlichen Erfordernissen des Arztes gerecht zu werden (Variabilität). Aus dem Merkmal der Variabilität folgt auch, dass Fortbildung auf die spezielle Situation des Arztes abgestellt sein muss. Sie hat die Funktion, eine vorhandene Kluft zwischen aktuellen oder erwartbaren Anforderungen an den Arzt und seinen Wissens- und Handlungskompetenzen zu reduzieren (Kompensationsfunktion).

Die Diskrepanzen zwischen den Kompetenzen des Arztes und den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, können sich im Wesentlichen aus zwei Sachverhalten ergeben:

  1. Fortbildung wird einerseits als Folge veränderter Lebensbedingungen der Menschen erforderlich. Diese beinhalten einerseits neue Anforderungen, mit denen sich der Arzt bislang nicht konfrontiert sah: HIV- und Anthrax-Infektionen oder ein durch erhöhte Lebenserwartung verändertes Krankheitenspektrum sind dafür Beispiele. Der Arzt muss sich fortbilden, um diesen neuen Herausforderungen gerecht werden zu können. - Andererseits ergeben sich Diskrepanzen zum Wissen des Arztes aus der Weiterentwicklung der Wissenschaft: Neue Untersuchungs- und Therapieprinzipien rufen das Erfordernis von Fortbildung hervor. Solche Veränderungen treffen alle Ärzte (oder doch diejenigen in einem vergleichbaren Betätigungsfeld) in der gleichen Weise. So verstanden ergeben sich also generelle Fortbildungsanforderungen.

  2. Ein weiterer Bereich von Fortbildungsanforderungen leitet sich aus der spezifischen Berufssituation des Arztes her. Eine sehr wesentliche Motivation für Fortbildung ergibt sich aus der Konfrontation mit Erkrankungen oder Symptomen, die im spezifischen Krankheitenspektrum des jeweiligen Berufsfeldes ungewöhnlich oder selten sind. Fortbildung ist hier aus der Verantwortung gegenüber einzelnen betroffenen Patienten motiviert. Auch die individuellen Interessens- und Fähigkeitsschwerpunkte des Arztes bilden einen wichtigen Motivationshintergrund für Fortbildung. Diese Aspekte sind bedeutsam, weil sie die Vielfalt ärztlicher Handlungsmöglichkeiten dokumentieren und die Effizienz der ärztlichen Versorgung auf hohem Niveau garantieren. Dieser Aspekt lässt sich mit dem Begriff „spezifische Fortbildungsanforderungen” umschreiben. - Bei der Erfolgskontrolle von Fortbildung muss also eine Dimension der Generalität/Spezifität beachtet werden.

Fortbildung kann keine systematische Darstellung ganzer (Wissens-) Gebiete liefern. Der Arzt wird nicht umfassende Lehrbücher studieren können, sondern Einzelthemen behandeln, die sich sinnvoll in das ihm bekannte Wissen einfügen müssen. Fortbildung steht unter dem Problem der inhaltlichen Diskontinuität. Auch zeitliche Begrenzungen lassen es nicht zu, dass der Arzt umfangreiche Werke studiert. Die Fortbildung muss in kürzere Zeitabschnitte unterteilbar sein, die in sich abgeschlossene Wissensinhalte vermitteln. Der Arzt muss in die Lage versetzt werden, Fortbildung in viele kürzere Zeitabschnitte zu untergliedern (zeitliche Diskontinuität). Diese sicherlich unvollständige Charakterisierung von Fortbildung zeigt ihre Besonderheit gegenüber der Aus- und Weiterbildung auf.

Fortbildung muss die Vielfalt ärztlicher Kompetenzen sichern und vertiefen helfen. Sie kann nicht Gleichmacherei zum Ziel haben, sondern sichert die Qualität der medizinischen Versorgung gerade durch ihren geringen thematischen Standardisierungsgrad, den es deshalb zu erhalten gilt. Eine sinnvolle Erfolgskontrolle muss diesen Aspekten Rechnung tragen.

#

Fortbildungserfolg und die Gestaltung von Fortbildung

Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, eine Kritik didaktischer Prinzipien zu liefern, ein solches Ansinnen wäre im gegebenen Kontext auch nicht zu realisieren. Vielmehr muss sich dieser Beitrag auf die Darstellung von planungsrelevanten Aspekten der Fortbildung beschränken. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist also, ob der Erfolg von Fortbildung durch ihre Organisationsform mitbestimmt wird.

Die Leitsätze der Bundesärztekammer sehen als Vermittlungsmethoden für Fortbildung das Selbststudium und die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen vor. Das Selbststudium genügt vielen Anforderungen, die an Fortbildung zu stellen sind: Selbststudium kann dezentral und diskontinuierlich durchgeführt und spezifisch auf den Bedarf abgestimmt werden. Die hohe Spezifität des Selbststudiums als Fortbildungsinstrument erschwert die Erfolgskontrolle aber sehr, denn man findet kaum ein Merkmal, das als Messgröße für die geleistete Fortbildung allgemein anwendbar wäre. Einen kleinsten gemeinsamen Nenner stellt dabei die für Fortbildung aufgewendete Zeit dar. Die Ergebnisse von Studien, die sich dieses Parameters bedienen, belegen den Sinn solcher Fortbildung nicht einhellig. Es gibt sogar Untersuchungen, die einen negativen Zusammenhang zwischen der aufgewendeten Zeit und verschiedenen Kompetenzmaßen feststellten [1]. Sicherlich sind solche Ergebnisse nicht eindeutig interpretierbar, da die zusammengefassten Messgrößen heterogen sind. Sie könnten sogar in dem Sinne verstanden werden, dass diejenigen, die größere Defizite haben, sinnvollerweise mehr Zeit in Fortbildung investieren als diejenigen mit geringem Fortbildungsbedarf. Nicht von der Hand zu weisen ist aber auch die Interpretation, dass die Angaben zu der für Fortbildung aufgewendeten Zeit unzuverlässig sind.

Bei der Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen muss man sich verdeutlichen, dass die kognitive Verarbeitung der dargebotenen Information nicht den gewünschten Fortbildungserfolg vollends ausmacht. Von den Teilnehmern an solchen Veranstaltungen werden zusätzliche Leistungen gefordert, nämlich die aufgenommene Information in Handlungswissen zu transferieren und schließlich auch im berufsbezogenen Handlungsrepertoire fest zu verankern. So gesehen ist Fortbildung erst erfolgreich, wenn die (Be-)Handlungskompetenz des Arztes verbessert wird, und nicht schon, wenn lediglich ein Wissenszuwachs nachweisbar sein sollte [9]. Darum kann es auch nicht verwundern, wenn die einschlägige Forschungsliteratur alles in allem der als Frontalvorlesung gestalteten Fortbildungsveranstaltung geringere Effizienz bescheinigt als einer interaktiv angelegten, bei der eben auch die Einbettung des erworbenen Wissens in das Handlungsrepertoire des Arztes konkret erprobt werden kann [3]. Fraglich ist allerdings, ob sich alle Fortbildungsthemen für eine solche Herangehensweise eignen.

Fraglich ist auch, wie groß der Grad an Freiwilligkeit bei der Wahrnehmung von Fortbildung sein kann. Lässt man Ärzten die freie Entscheidung, welche Fortbildungsveranstaltungen sie besuchen wollen, so werden sie die Veranstaltungen wählen, die sie am meisten interessieren; die aber betreffen in aller Regel nicht solche Themen, bei denen Defizite bestehen - die sich möglicherweise entwickelt haben, weil diese Themen bereits früher als uninteressant empfunden und gemieden wurden. Solche Überlegungen werden durch empirische Befunde belegt. Ärzte profitieren in den von ihnen präferierten Fortbildungsveranstaltungen nicht, während sie einen signifikanten Kompetenzzuwachs durch die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen zu nicht präferierten Themen erzielten [11]. Allerdings sind auch hier die empirischen Studien, die solche Schlussfolgerungen nahelegen, besonders aus methodischen Gründen angreifbar.

Alles in allem gibt es kaum Belege dafür, dass Ärzte willens oder in der Lage wären, sich selbst ein an ihren fachlichen Defiziten orientiertes Fortbildungscurriculum zusammen zu stellen. Wenn Fortbildung vorhandene Defizite kompensieren soll, dann wird man die Ärzte in dieser Hinsicht unterstützen müssen. Voraussetzung dafür ist die Feststellung, in welchen Bereichen Ärzte Fortbildungsbedarf haben.

#

Individueller Fortbildungsbedarf

Wenn man der Grundannahme folgt, dass Fortbildung vor allem eine kompensatorische Funktion hat, dass also eine Diskrepanz zwischen der Kompetenz des Arztes und den aus dem medizinischen Wissen und veränderten Lebensbedingungen resultierenden Erwartungen an seine Kompetenz durch Fortbildung ausgeglichen werden soll, dann wird zuerst eine solche Diskrepanz zu beschreiben sein.

Diese Beschreibung setzt einerseits eine verlässliche Beschreibung des aktuellen Wissens- und Kompetenzstandes des Arztes (Ist-Zustand) und andererseits die Festlegung von Standards für ärztliche Kenntnisse voraus. Die Erfassung von Wissen und ärztlicher Kompetenz ist zwar nicht einfach, aber es gibt doch eine große Erfahrung in der Messung von medizinischem Wissen [4] und gute Methoden zur Feststellung der Handlungskompetenz [13]. Auch verfügen wir inzwischen über eine breite Forschungsliteratur zur Standardsetzung, auf die hier nur sehr allgemein Bezug genommen werden kann [2].

Die Problematik, die in der öffentlichen Diskussion häufig nicht zutreffend gesehen wird, liegt nicht so sehr in der Art und Weise der Aufgabenformate, mit der eine Prüfung durchgeführt wird: In vielerlei Hinsicht sind Multiple-Choice-Fragen und andere Fragenformate durchaus äquivalent. Vielmehr besteht das eigentliche Problem in der Festlegung einer Prüfungskonzeption, bei der sowohl die Fragenformate als auch die Probleme der Standardsetzung eine Rolle spielen.

Wenn man Prüfungsteilnehmern Aufgaben zur Bearbeitung vorlegt, so erhält man nicht mehr als ein Antwort- oder Beurteilungsprofil, das für sich genommen noch wenig besagt. Erst wenn die individuell erhobenen Daten zu einem Standard in Beziehung gesetzt werden, lassen sie eine Schlussfolgerung zu. Mit der Standardsetzung wird der Soll-Zustand beschrieben, der den Abgleich mit dem Ist-Zustand ermöglicht. Die Wahl der Methode zur Festlegung des Standards bestimmt wesentlich über Aussage und Konsequenz der Erfolgskontrolle [7] [10] [13].

Die Prinzipien des normorientierten Tests, wie sie zum Beispiel von den IMPP-Prüfungen bekannt sind, dürften für die Erfolgskontrolle in der Fortbildung weniger geeignet sein, denn sie beziehen ihr Bewertungskriterium aus den Ergebnissen der anderen Testteilnehmer. Auch ist der Bewertungsansatz, der im Sinne summativer Prüfungen feststellen will, was der Kandidat weiß, für eine auf Kompensation ausgerichtete Fortbildung nicht angemessen. Für eine solche Zielsetzung sind formative Prüfungsansätze angezeigt, bei denen der Bewertungsakzent sich eher auf die Feststellung dessen bezieht, was der Kandidat nicht weiß, was ihm bis zu einem festgelegten Ideal an Wissen und Handlungskompetenz fehlt. Dafür eignen sich insbesondere die kriteriumsorientierten Prüfungen und die in den letzten Jahren entwickelten Progress-Tests.

Bei den Progress-Tests wird die Leistung der Testteilnehmer mit der Leistung einer repräsentativen Gruppe von Personen abgeglichen, die den intendierten Zustand bereits erreicht haben. So etwa könnte man den Test einer Gruppe von Pädiatern sowie Ärzten, die sich in der Weiterbildung Pädiatrie befinden, vorlegen. Je mehr die Weiterbildung voranschreitet, um so geringer sollten die Abweichungen zu den erfahrenen Pädiatern werden. Progress-Tests werden auch für Entscheidungen über das Bestehen von Prüfungen herangezogen, wobei der Bewertungsmaßstab darin besteht, dass sich die Diskrepanz zum Kriterium gegenüber einer früheren Testung um einen festgelegten Anteil verringert haben muss, um die Prüfung bestanden zu haben. Progress-Tests sind eine interessante Weiterentwicklung von Prüfungstechniken, die aber voraussetzen, dass eine Kohorte existiert, die ein Zielkriterium bereits realisiert hat. Gemessen wird dann, inwieweit ein Kandidat schon das ist, was er werden möchte bzw. ob er sich diesem Ziel seit einer Vortestung angenähert hat. Im Detail bieten Progress-Tests eine Reihe von Tücken, die hier nicht diskutiert werden müssen, da Progress-Tests schon deshalb für die Anwendung in der Fortbildung kaum geeignet sind, weil es erstens keine geeignete Bezugsgruppe gibt und weil zweitens die Ergebnisse häufig sehr pauschal (oder unreliabel) sind, so dass die Rückmeldung an die Probanden undifferenziert ausfallen muss.

Kriteriumsorientierte Tests sind nicht am Vergleich mit anderen Testpersonen, sondern am Vergleich mit Lerninhalten ausgerichtet. Sie beurteilen das Prüfungsergebnis des einzelnen Probanden an einer a priori festgelegten Idealnorm, die sich aus einem Curriculum ergibt. Wesentliche Voraussetzung für die Anwendung kriteriumsorientierter Prüfungen ist demnach die präzise Festlegung des angestrebten Ideals. Die Prüfung kann nämlich nur dann aussagekräftig sein, wenn die gestellten Aufgaben repräsentativ sind für den zu prüfenden Wissensbereich, ein Umstand, den man als Kontentvalidität der Prüfung bezeichnet. Die Herstellung der Kontentvalidität ist das zentrale Problem kriteriumsorientierter Prüfungen. Die Frage, die es bei der Entwicklung solcher Prüfungen zu beantworten gilt, ist: Wie lassen sich Prüfungsfragen entwickeln, die mit den Lerninhalten korrespondieren und wie lässt sich das erreichte Ausmaß an Kontentvalidität abschätzen? In der Literatur finden sich zahlreiche Vorschläge für Transformationsregeln, die die Kontentvalidität der Prüfungen sicherstellen sollen. Die Qualität kriteriumsorientierter Prüfungen ist eng an die Definition des Zielkriteriums gebunden, ihre Anwendbarkeit scheitert häufig daran, dass die präzise Beschreibung des Lernkriteriums nicht möglich ist. Gut eignen sich kriteriumsorientierte Prüfungen z. B. als Abschlusstest am Ende eines Kurses mit definiertem Inhalt, vor allem wenn ausformulierte Beschreibungen - z. B. ein Skript - vorliegen.

Der größte Nachteil für die Anwendung kriteriumsorientierter Prüfungen besteht in der intensiven Vorarbeit, derer Erfolgskontrollen dieser Art bedürfen. Stets ist ein differenziertes Curriculum auszuarbeiten und den Kandidaten zur Kenntnis zu bringen. Immer stellt auch die Umsetzung der Lerninhalte in Prüfungsgegenstände ein Problem dar. Aus diesen Gründen sind kriteriumsorientierte Tests nicht weit verbreitet. Die Feststellung von Fortbildungsbedarf eines Kandidaten wäre aber ein geeignetes Einsatzfeld, da so eine differenzierte Rückmeldung über defizitäre Bereiche gegeben werden könnte. Allerdings müssten die genannten Voraussetzungen für den Einsatz kriteriumsorientierter Tests erfüllt sein. Für die Erfolgskon-trolle in der Fortbildung ist es unerlässlich, einen Wissens- und Kompetenzstandard zu erarbeiten, an dem aktuelles Wissen und aktuelle Kompetenz des Arztes abgeglichen werden können. Die dafür geeigneten Methoden sind vorhanden, sie sind aber mit einem hohen Umsetzungsaufwand verbunden. Dieser allerdings könnte sich auch auf die Qualität der Fortbildungsmaßnahmen förderlich auswirken.

#

Durchführung und Konsequenzen

Bei der Frage, wie Erfolgskontrolle in der Fortbildung umgesetzt werden könnte, mag man sich an der Vorgehensweise in anderen Ländern orientieren, auch wenn die hier beschriebenen Kriterien dort manchmal nur unzureichend erfüllt werden und man die dort gezogenen Konsequenzen nicht ziehen will. Vor allem in den angelsächsischen Ländern sind Prüfungen im Zusammenhang mit der Fortbildung eine gewohnte Übung. Dabei wird in aller Regel nach zwei Grundprinzipien verfahren: Erstens, es besteht für die Kandidaten Wahlmöglichkeit hinsichtlich der von den Kandidaten präferierten Prüfungsmethode (z. B. schriftlich, mündlich, praktisch) und, zweitens, es wird ein mehrstufiges Kontrollverfahren eingesetzt.

Die Erfolgskontrolle sollte in jedem Falle mehrere Komponenten enthalten und mehrstufig angelegt sein, beides dient der Absicherung gegen Fehlurteile. Die verschiedenen Prüfungsmodi lassen unterschiedliche Prüfungsschwerpunkte zu und sind durch verschiedene Störfaktoren irritierbar. So erfassen schriftliche Prüfungen vorrangig Wissen, praktische Prüfungen umfassen auch Handlungskompetenzen. Ängstliche Persönlichkeiten sind durch praktische Prüfungen in der Regel leichter irritierbar und auch fachliche Interessenschwerpunkte sollten Berücksichtigung finden. Will man der Vielfalt der Prüfungserfordernisse Rechnung tragen, so kann das nur durch Prüfungen geschehen, die aus mehreren Komponenten bestehen. Das mehrstufige Verfahren ist in jedem Falle dann einzusetzen, wenn an die Erfolgskontrolle Konsequenzen geknüpft werden. Ähnlich wie etwa bei einem medizinischen Screening dienen gestufte Tests dazu, die Treffsicherheit zu erhöhen und Fehlentscheidungen zu vermeiden [8].

Der Tatsache, dass die Erfolgskontrolle in der Fortbildung Persönlichkeiten betrifft, die im Berufsleben hoch erfahren sind, sollte durch Wahloptionen hinsichtlich der Kontrollmöglichkeiten entsprochen werden. Dieser Aspekt würde auch der Spezifität des heterogenen Feldes und der in den Leitsätzen der Bundesärztekammer festgelegten Freizügigkeit entsprechen.

Die Funktion von Erfolgskontrollen ergibt sich aus den Konsequenzen, zu denen sie veranlassen. Zumindest müssen sie eine Rückmeldefunktion haben, sie sollten es erlauben, dass dem Geprüften Informationen über seine Kompetenzen und Defizite, auch differenziert nach Inhaltsbereichen, zukommen. Erfolgskontrollen kann zudem eine Statusfunktion zukommen, wenn sie Auskunft darüber geben, wo der Kandidat relativ zu anderen Kandidaten in der Qualifikation steht. Sie können in Entscheidungs- und Selektionsfunktion zur Zuweisung von formalen Kompetenzen oder für die Begründung von Sanktionen herangezogen werden. Schließlich kann Erfolgskontrollen eine Steuerungsfunktion zukommen, wenn sie zum Beispiel zur Grundlage von Bedarfsentscheidungen gemacht werden. Erfolgskontrollen in der Fortbildung sind nur dann sinnvoll, wenn sie die Basis für Schlussfolgerungen abgeben. Das heißt auch, dass unzureichende Ergebnisse Konsequenzen nach sich ziehen müssen. Es wäre nicht nur eine unzumutbare zusätzliche Belastung der Ärzte, wenn Erfolgskontrollen wirkungslos verpuffen würden, sondern es wäre auch aus dem Blickwinkel der Patientenfürsorge ethisch bedenklich [5] [6]. Ob Erfolgskontrollen der Fortbildung aber über die Motivierung der Ärzte zu einer gezielten Fortbildung hinaus Sanktionen - zum Beispiel bei der Rezertifizierung von Fachärzten - nach sich ziehen sollten, liegt jedoch außerhalb des hier darzustellenden Problemspektrums.

#

Fazit

Das Dilemma der Fortbildung besteht darin, dass ihr Erfolg einerseits von Variabilität und Freizügigkeit bestimmt wird, andererseits aber curriculare Vorgaben und Standards voraussetzt.

Sollen Erfolgskontrollen in der ärztlichen Fortbildung über die grundlegenden Erfordernisse von Objektivität, Reliabilität, Validität und Fairness hinaus sinnvoll und effizient gestaltet sein, so wird man die generelle Freiwilligkeit der Fortbildung einschränken müssen. Ein rationales Konzept von Fortbildung bedarf der Möglichkeit, individuellen Fortbildungsbedarf zu identifizieren und Instrumente zur Kompensation von Defiziten bereitzustellen. Deshalb ist neben der Entwicklung bereichsspezifischer Fortbildungscurricula auch die Erfassung der Kompetenzen des Arztes in regelmäßigen Abständen unerlässlich, selbst wenn dadurch ein höherer Standardisierungsgrad im ärztlichen Berufsfeld eintritt. So wird die Voraussetzung geschaffen, dass Fortbildung sinnvoll geplant und in einer Weise eingesetzt werden kann, dass sie dem Arzt in seinem Handlungsumfeld - und damit auch seinen Patienten - zugute kommt.

#

Literatur

  • 1 Caulford P G, Lamb S B, Kaigas T B, Hanna E, Norman G R, Davis D A. Physician incompetence: Specific problems and predictors.  Academic Medicine. 1994;  69 S16-S18
  • 2 Cusimano M D. Standard setting in medical education.  Journal of Educational Measurement. 1996;  21 113-129
  • 3 Davis D A, Thomson O’Brien M A, Freemantle N, Wolf F, Mazmanian P, Taylor-Vaisey A. Impact of formal continuing medical education: Do conferences, workshops, rounds, and other traditional continuing education activities change physician behavior or health care outcomes?.  Journal of the American Medical Association. 1999;  282 867-874
  • 4 Fischer M, Neuser J. Gute MC-Aufgaben in staatlichen Prüfungen.  MTA Dialog. 2002;  11 1030-1033
  • 5 Irvine D. The performance of doctors: I. Professionalism and self regulation in a changing world.  British Medical Journal. 1997;  314 1540-1542
  • 6 Irvine D. The performance of doctors: II. Maintaining good practice, protecting patients from poor performance.  British Medical Journal. 1997;  314 1613-1615
  • 7 Klauer K J. Kriteriumsorientierte Tests. Göttingen: Hogrefe 1987
  • 8 Petrusa E R, Hales J W, Wake L, Harward D H, Hoban D, Wills S. Prediction accuracy and financial savings for four screening tests of a sequential test of clinical performance.  Teaching and Learning in Medicine. 2000;  12 4-13
  • 9 Rethans J J, Sturmans F, Drop R, van der Vleuten C PM, Hobus P. Does competence predict performance? Comparison between the examination setting and and actual practice.  British Medical Journal. 1991;  303 1377-1380
  • 10 Rost J. Lehrbuch Testtheorie Testkonstruktion. Bern:Huber 1996
  • 11 Sibley J C, Sackett D L, Neufeld M D, Gerrard B, Rudnick K V, Fraser W. A randomized trial of continuing medical education.  New England Journal of Medicine. 1982;  306 511-515
  • 12 Van der Vleuten C PM. The assessment of professional competence: developments, research, and practical implications.  Advances in Health Sciences Education. 1996;  1 41-67
  • 13 Van der Vleuten C PM, Verwijnen G M, Wijnen W HFW. Fifteen years of experience with progress testing in a problem-based learning curriculum.  Medical Teacher. 1996;  18 103-109

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Jürgen Neuser

Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP)

Große Langgasse 8

55116 Mainz

#

Literatur

  • 1 Caulford P G, Lamb S B, Kaigas T B, Hanna E, Norman G R, Davis D A. Physician incompetence: Specific problems and predictors.  Academic Medicine. 1994;  69 S16-S18
  • 2 Cusimano M D. Standard setting in medical education.  Journal of Educational Measurement. 1996;  21 113-129
  • 3 Davis D A, Thomson O’Brien M A, Freemantle N, Wolf F, Mazmanian P, Taylor-Vaisey A. Impact of formal continuing medical education: Do conferences, workshops, rounds, and other traditional continuing education activities change physician behavior or health care outcomes?.  Journal of the American Medical Association. 1999;  282 867-874
  • 4 Fischer M, Neuser J. Gute MC-Aufgaben in staatlichen Prüfungen.  MTA Dialog. 2002;  11 1030-1033
  • 5 Irvine D. The performance of doctors: I. Professionalism and self regulation in a changing world.  British Medical Journal. 1997;  314 1540-1542
  • 6 Irvine D. The performance of doctors: II. Maintaining good practice, protecting patients from poor performance.  British Medical Journal. 1997;  314 1613-1615
  • 7 Klauer K J. Kriteriumsorientierte Tests. Göttingen: Hogrefe 1987
  • 8 Petrusa E R, Hales J W, Wake L, Harward D H, Hoban D, Wills S. Prediction accuracy and financial savings for four screening tests of a sequential test of clinical performance.  Teaching and Learning in Medicine. 2000;  12 4-13
  • 9 Rethans J J, Sturmans F, Drop R, van der Vleuten C PM, Hobus P. Does competence predict performance? Comparison between the examination setting and and actual practice.  British Medical Journal. 1991;  303 1377-1380
  • 10 Rost J. Lehrbuch Testtheorie Testkonstruktion. Bern:Huber 1996
  • 11 Sibley J C, Sackett D L, Neufeld M D, Gerrard B, Rudnick K V, Fraser W. A randomized trial of continuing medical education.  New England Journal of Medicine. 1982;  306 511-515
  • 12 Van der Vleuten C PM. The assessment of professional competence: developments, research, and practical implications.  Advances in Health Sciences Education. 1996;  1 41-67
  • 13 Van der Vleuten C PM, Verwijnen G M, Wijnen W HFW. Fifteen years of experience with progress testing in a problem-based learning curriculum.  Medical Teacher. 1996;  18 103-109

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Jürgen Neuser

Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP)

Große Langgasse 8

55116 Mainz