Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(14): 746-749
DOI: 10.1055/s-2003-38412
CME
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Harninkontinenz - Diagnostik

Urinary incontinence - diagnosticC. Hader1 , A. Welz-Barth2 , T. Keller1
  • 1Zentrum für Innere Medizin, Kliniken St. Antonius, Wuppertal
  • 2Klinik für geriatrische Rehabilitation, Kliniken St. Antonius, Wuppertal
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Dr. med. Claus Hader

Zentrum für Innere Medizin, Kliniken St. Antonius

Hardtstraße 46

42107 Wuppertal

Phone: 0202/299 4910

Fax: 0202/299 4015

Email: claushader@hotmail.com

Publication History

eingereicht: 19.1.2003

akzeptiert: 21.3.2003

Publication Date:
03 April 2003 (online)

Table of Contents

Harninkontinenz ist definiert als Unfähigkeit, den Harn willkürlich zurückzuhalten. Sie wird nicht als Krankheit, sondern als Symptom verschiedener Erkrankungen gesehen. Vor allem bei älteren Patienten tritt eine Harninkontinenz selten isoliert auf. Sie ist häufig assoziiert mit zerebralen Durchblutungsstörungen, eingeschränkter physischer Mobilität, rezidivierenden Infekten und chronischen obstruktiven Lungenkrankheiten [7]. Eine besondere Bedeutung haben auch Stoffwechselerkrankungen wie der Diabetes mellitus.

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Epidemiologie

Gemäß aktueller Daten haben 20-35 % der über 40-Jährigen eine Urininkontinenz [1] [11]. Die epidemiologischen Daten hängen von Untersuchungsmethoden, verwendeter Definition und Patientenalter ab. Bei zu Hause lebenden Frauen im Alter zwischen 45 und 64 Jahren liegt die Prävalenz der Urininkontinenz bei 8-15 %, bei den über 65-Jährigen bei 10-20 % (Abb. [1]) [6]. Bei Pflegebedürftigen ist die Prävalenz deutlich höher: Bei den akut Pflegebedürftigen zu Hause sind es bis zu 35 %, im Krankenhaus ca. 30-35 % und in Pflegeheimen ca. 70 % [6].

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Abb. 1 Häufigkeit und Altersabhängigkeit der Harninkontinenz.

Die Altersabhängigkeit der Inkontinenz hat bei unserer derzeitigen Bevölkerungsentwicklung enorme Bedeutung, auch unter dem Aspekt der Multimorbidität (Tab. [1]). Die Prävalenz ist bei Frauen höher als bei Männern. Darüber hinaus zeigen viele ältere Patienten zwar keine Harninkontinenz, haben aber bereits andere irritative oder obstruktive Blasensymptome, die bei Verschlechterung einer vorliegenden Grunderkrankung oft dekompensieren [8]. Hinzu kommt die ausgeprägte Tabuisierung der Erkrankung bei den Betroffenen. Eine Untersuchung in allgemeinmedizinischen Praxen ergab, dass über 40 % der Patienten vorhandene Symptome einer Inkontinenz nicht mitteilten. Inkontinenz ist nicht nur ein klinisches und hygienisches, sondern auch ein ökonomisches Problem.

Tab. 1 Erkrankungen und Zustände, die Inkontinenz fördern können.

  • Höheres Lebensalter

  • M. Parkinson, Multiple Sklerose, Querschnittslähmung

  • Zerebrovaskuläre Erkrankungen, Schlaganfall

  • Diabetes mellitus

  • Adipositas, Bindegewebserkrankungen

  • Multiparität, Geburtsfolgen, Voroperationen im Beckenbereich

  • Östrogenmangel

  • Bestrahlung

  • Benigne Prostatahyperplasie, Blasensteine, Tumoren

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Pathogenese

Die Harnblase soll den kontinuierlich anfallenden Urin speichern, so dass eine Entleerung größerer Portionen in Abständen möglich ist. Die klassischen Eigenschaften der glatten Detrusormuskulatur ermöglichen dabei eine Akkomodation unterschiedlicher Füllungsvolumina, ohne dass eine wesentliche Erhöhung des Blaseninnendruckes auftritt. Dabei wird in der Speicherphase durch den Sympathikus die Motorik des Detrusors inhibiert (β-Rezeptoren), gleichzeitig der glatt muskuläre Sphinkter als Verschlussapparat tonisiert (α-Rezeptoren). Der Dehnungsreiz wird über die vegetativen Nerven im Hirn weitergeleitet und als Harndrang bewusst wahrgenommen. Die Steuerung der Füllungsphase und der Entleerungsphase erfolgt durch verschiedene Hirnareale (Abb. [2]). Die unterschiedlichen Bereiche koordinieren die muskuläre Tonuserhöhung im Beckenboden mit steigendem Blasenvolumen, sowie die Unterdrückung von Detrusorkontraktionen während der Speicherphase. Nur wenn hemmende und aktivierende Impulse transmittervermittelt zwischen Blase und Verschlussorgan synchronisiert gesteuert sind, ist man kontinent (Abb. [3]) [3] [10]. Bei einer Inkontinenz ist dieses System gestört. Vier Mechanismen können alleine oder in Kombination zu Harninkontinenz führen:

  • nervale Steuerungsdefekte (z. B. Schlaganfall, Diabetes)

  • lokale Veränderungen (Prostatahyperplasie, Uterus myomatosus)

  • Koordinationsstörungen des Miktionsablaufs (Multiple Sklerose)

  • iatrogene Einflüsse auf die Miktion (Multimedikation)

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Abb. 2 Steuerungszentren des Miktionsablaufes.

Prädisponierend wirken altersphysiologische Veränderungen wie die Reduktion der Blasenkapazität, häufigerer Harndrang und ungewollte Detrusorkontraktion durch degenerative Veränderungen der Harnblase. Auch Umgebungseinflüsse spielen eine Rolle.

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Abb. 3 Nervale Steuerung des Miktionsablaufes.

Die Klassifikation der International Continence Society (ICS) unterscheidet insgesamt fünf Hauptformen. Wegen der Häufigkeitsverteilung wird nur auf die ersten vier näher eingegangen (Urinary Incontinence Guideline 1992).

  • Stressinkontinenz

  • Urge-(Drang)inkontinenz

  • Reflexinkontinenz

  • Überlaufinkontinenz

  • Extraurethrale Inkontinenz


kurzgefasst: Harninkontinenz ist ein Symptom, das mit zahlreichen Erkrankungen assoziiert ist und häufiger bei Frauen sowie gehäuft im höheren Lebensalter auftritt. Ca. 4 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen. Unterschieden werden Stress-, Urge-, Reflex-, Überlauf- und extraurethrale Inkontinenz.

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Formen und Ursachen der Harninkontinenz

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Stressinkontinenz

Wenn beim Lachen, Husten oder Niesen Harn abgeht, ohne dass Harndrang besteht, spricht man von Stress- oder Belastungsinkontinenz. Sie tritt auf, wenn der Druck im Bauchraum (und damit auch in der Blase) den Druck des Blasenverschlussmechanismus übersteigt. Die Diagnose darf rein theoretisch nur gestellt werden, wenn unwillkürliche Detrusorkontraktionen urodynamisch ausgeschlossen wurden. Eine erschlaffte Beckenbodenmuskulatur ist häufig für den Harnverlust verantwortlich [9]. Ist diese durch Geburten, Operationen oder Alter geschwächt, kann sie dem plötzlichen Druck nicht mehr standhalten. Schwere körperliche Arbeit, Fettleibigkeit, anlagebedingte Bindegewebsschwäche, chronische Verstopfung verbunden mit starkem Pressen sowie ein Östrogenmangel jenseits der Wechseljahre können dieses Symptom verstärken (Tab. [2]). Von der Stressinkontinenz sind aufgrund der anatomischen Gegebenheiten fast ausschließlich Frauen betroffen.

Tab. 2 Zustände, die vorübergehend zu Inkontinenz führen können.

Obstipation, Husten

Psychiatrische Erkrankungen, Delir

Medikamente

Schwere Allgemeinerkrankungen, Bettlägerigkeit

Der Verschlussmechanismus kann auch durch Veränderungen von Harnröhre oder Blasenhals gestört sein. Fibrosierungen nach Operation, Entzündung oder Bestrahlung führen zur Harnröhrenhypotonie. Bindegewebsschwäche und Östrogenmangel wirken sich ebenfalls auf Funktion und Morphologie der Harnröhre aus. Auch neurogene Störungen (Schädigung des N. pudendus) können die Schließmuskelfunktion der Harnröhre beeinflussen. In diesen Fällen, jedoch v.a. nach transurethraler Prostataresektion sind auch Männer betroffen.

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Urge-(Drang)inkontinenz

Die Dranginkontinenz ist die häufigste Form der Inkontinenz im Alter [10]. Die Blasenmuskulatur zieht sich unwillkürlich zusammen, so dass Harn austritt. Der Betroffene erreicht die Toilette oft nicht früh genug. Begleitend tritt häufig eine Nykturie auf. Bei der motorischen Form ist der Detrusormuskel hyperaktiv. Liegt eine neurogene Ursache vor, dann spricht man von Detrusorhyperreflexie. Jede Form zentralnervöser und spinaler Erkrankungen kann zu einem Defizit der zentralnervösen Hemmung des Miktionsreflexes führen. Die genaue Lokalisation der dabei degenerierten neuronalen Strukturen ist noch weitgehend unbekannt [2]. Es sind jedoch zahlreiche Strukturen an der Hemmung des Miktionsvorganges beteiligt. Die Wahrnehmung für die gefüllte Blase ist gestört, und es kommt erst bei irreversiblem Beginn der Detrusorkontraktion zu einem Gefühl des Harndrangs. Auch Medikamente kommen als Ursache in Frage [12]. Bei Störungen auf Rückenmarkebene oberhalb des Sakralmarkes kommt es zu einer Störung der Koordination von Sphinkter und Detrusor. Eine Dranginkontinenz tritt dann bereits bei gering gefüllter Blase auf. Bei nicht neurogener Ursache spricht man von Detrusorinstabilität (instabile Blase). Auslöser sind ungehemmte Nervenimpulse im Bereich des Miktionsreflexbogens, die durch verschiedene Erkrankungen verursacht werden können, wie z. B. Blasenentzündung, Tumoren, Bestrahlung, Blasensteine oder degenerative Erkrankungen [5]. Eine leichtere Form der Dranginkontinenz ist die so genannte Reizblase bzw. instabile Blase. Sie zeichnet sich durch imperativen Harndrang ohne Einnässen aus.

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Reflexinkontinenz

Die Reflexinkontinenz entsteht durch eine Unterbrechung der Nervensteuerung, bei der das Rückenmark oberhalb des Sakralmarkes oder das Gehirn betroffen ist (z.B. durch Querschnittslähmung, Multiple Sklerose). Sie wird als „Urinverlust durch Detrusorhyperreflexie und/oder unfreiwillige Relaxation des Blasenhalses bei Abwesenheit einer Empfindung” definiert. Durch den Verlust der willentlichen Kontrolle über das Blasenzentrum verhält sich die Blase wie bei einem Säugling reflektorisch. Als Komplikation können hohe intravesikale Drücke auftreten. Diese können zu sekundärem Reflux mit Dilatation des oberen Harntraktes und ggf. zur Niereninsuffizienz führen.

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Dysurie

Unter dem Begriff Dysurie werden alle Formen des erschwerten Wasserlassens zusammengefasst. Hierzu zählen der abgeschwächte Harnstrahl, der verzögerte Miktionsbeginn, unterbrochene Miktion, Harnnachträufeln, Algurie und jede Art von Sensationen im Bereich von Blase, Blasenhals und Harnröhre. Die Dysurie kann auf mechanischen oder funktionellen Widerstandserhöhungen beruhen. Auch eine Detrusorstörung kann Ursache für eine Dysurie sein.

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Überlaufinkontinenz

Bei der Überlaufinkontinenz ist häufig der Urinabfluss bei intaktem Blasenverschlussmechanismus behindert. Dadurch ist die Blase ständig überfüllt und presst unkontrolliert kleine Urinmengen ab (Harnträufeln). Ursachen können eine Vergrößerung der Prostata, Blasensteine, Harnröhrenstenosen oder Tumoren sein. Diese Form der Inkontinenz betrifft vor allem ältere Männer. Seltener kommt auch eine Detrusorhypoaktivität oder eine Überaktivität des Sphinkters als Ursache in Frage. Diese kann ihre Ursache in einem Diabetes mellitus, aber auch vielen anderen neurogenen Störungen haben (neurogene Blase). Eine solche atone Blase manifestiert sich oft oligosymptomatisch, z.B. durch sich ändernde Miktionsintervalle, Schwäche des Harnstrahls, dem Gefühl unvollständiger Blasenentleerung und sehr spät erst durch rezidivierende Infekte. Diese Form der Blasenfunktionsstörung wird deshalb häufig nicht erkannt [4].

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Extraurethrale Inkontinenz

Die extraurethrale Inkontinenz kommt durch eine angeborene Fehlbildung oder erworbene Fistelbildungen der Harnwege zustande. Urin aus der Harnblase geht nicht über die Harnröhre ab.

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Gemischte Inkontinenz

Der Begriff „gemischte Inkontinenz“ wird v.a. für das gleichzeitige Auftreten von Stress- und Dranginkontinenz verwendet. Die Häufigkeit ist nach wie vor unklar. Schätzungen gehen jedoch von ca. 30 % aller Inkontinenzformen aus. Eine eindeutige Zuordnung eines Beschwerdebildes nach der ICS-Klassifikation kann schwierig sein, da aufgrund der Komorbidität und Ursachenkomplexe sowie der Symptomschilderung viele Kombinationen von Inkontinenzformen in Frage kommen können. Die Treffsicherheit der klinischen Diagnose ist in diesen Fällen oft schlecht, da z. B. eine Dranginkontinenz durch Husten und Pressen getriggert und somit verstärkt werden kann, in der Symptomatik jedoch als Stressinkontinenz imponiert.

Auch die Übergänge zwischen Drang- und Überlaufinkontinenz können fließend sein. Deshalb werden vor Beginn einer spezifischen Therapie zunehmend weitergehende Untersuchungen gefordert. Sie sind jedoch nur dann indiziert, wenn ein Therapieversuch keinen ausreichenden Erfolg gezeigt hat.

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Schweregrade der Inkontinenz

Im Laufe der letzten Jahre wurden zahlreiche Schweregradeinteilungen entworfen. Es existiert keine allgemein gültige Einteilung. Es wird empfohlen, eine Inkontinenz nach der Häufigkeit und Menge ungewollter Miktionen zu beurteilen (z. B. Wiegen der Vorlagen).


kurzgefasst: Eine Stressinkontinenz hat häufig ihre Ursache in einer erschlafften Beckenbodenmuskulatur und äußert sich durch Urinverlust beim Husten oder Pressen. Bei der Urge-(Drang)inkontinenz erreichen die Patienten wegen unkontrollierter Detrusorkontraktionen die Toilette nicht schnell genug. Eine Überlaufinkontinenz verläuft häufig oligosymptomatisch, Ursache ist häufig ein Prostataleiden.

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Diagnostik der Harninkontinenz

Die differentialdiagnostische Abklärung einer Harninkontinenz erfolgt im Rahmen einer individuell angepassten Stufendiagnostik. Zu der einfach durchführbaren Basisdiagnostik gehören gezielte Anamneseerhebung, ggf. mit Miktionsprotokoll, klinische Untersuchung, Urinanalyse und Sonographie. Mit diesen Mitteln lässt sich häufig bereits ein Therapiekonzept erstellen. Ist keine eindeutige Zuordnung zu einer Inkontinenzform möglich, ist eine weiterführende ggf. auch invasive Diagnostik, wie die Urodynamik, notwendig.

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Basisdiagnostik

In jeder Anamnese sollte bei entsprechendem Risikoprofil die gezielte Frage nach einer Inkontinenz nicht fehlen, da viele Patienten sich scheuen, diese selbst anzusprechen. Neurologische Vorerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus können kausal oder als Kofaktor das Krankheitsbild beeinflussen. Nach Medikamenten, welche die Blasenfunktion beeinflussen, ist zu forschen (Tab. [3]). Ein standardisierter Fragebogen kann bei der Anamneseerhebung hilfreich sein. Auch ist ein Miktionsprotokoll, in dem Häufigkeit und Menge dokumentiert sind, über mehrere Tage sinnvoll. Es dient zur Objektivierung der Inkontinenz und als Grundlage für einen späteren Therapieansatz [13]. Neben der allgemeinen körperlichen Untersuchung ist auch ein neurologischer Status und ggf. eine gynäkologische oder urologische Untersuchung notwendig. In der Urinuntersuchung wird ein möglicherweise vorhandener Infekt, der die Symptomatik auslösen oder verstärken kann, nachgewiesen. Isolierte Mikrohämaturien müssen immer umgehend urologisch abgeklärt werden. Sonographisch lässt sich neben der Suche nach morphologischen Veränderungen des unteren Harntraktes eine Restharnbestimmung durchführen.

Tab. 3 Medikamente, die Inkontinenz auslösen / verstärken können.

Diuretika

Über eine zu schnelle oder tageszeitlich gestörte Blasenfüllung, aber auch über tageszeitlich geänderte Unrinkonzentrationen kann eine Inkontinenz ausgelöst werden.

Anticholinergika

Die Detrusorkontraktion kann geschwächt werden.

Sedativa

Störungen für das Empfinden der Blasenfüllung können auftreten, ebenso Koordinationsstörungen oder Verwirrtheitszustände.

Narkotika

Die Detrusorkontraktion kann geschwächt werden.

α- Rezeptor-Agonisten

können den Sphinkter-Tonus erhöhen

α-Rezeptor Antagonisten

können den Sphinkter-Tonus senken

Lässt sich mit dieser Basisdiagnostik eine erste Diagnose bezüglich der Inkontinenzform stellen, ist ein Therapieversuch ohne weitergehende invasive Diagnostik, insbesondere bei älteren, oft multimorbiden Patienten, gerechtfertigt. Unklare Befunde oder das Versagen der medikamentösen Therapie nach ca. 4 Wochen müssen Anlass zu weiteren Untersuchungen geben.

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Urodynamische Diagnostik

Zur weiteren Differenzierung der Inkontinenz stehen verschiedene urodynamische Methoden zur Verfügung. Die Uroflowmetrie (Harnflussmessung) misst den Harnfluss pro Zeiteinheit. Der Patient entleert dabei die Harnblase in einen Messtrichter. Es handelt sich um eine nicht-invasive Screening-Untersuchung, d. h. sie erfasst einen pathologischen Miktionsverlauf ohne die Möglichkeit einer weiteren Differenzierung. Die Zystometrie wird einerseits als Füllungszystometrie während der Harnspeicherphase und als Miktionszystometrie während der Entleerung der Blase durchgeführt. Über einen Messkatheter wird die Blase gefüllt, dabei werden Detrusorkontraktionen, Kapazität, Füllungsgefühl und die Compliance unter Durchführung von Provokationsmanövern bestimmt. Im Anschluss an die Füllung kann in Kombination mit einer Uroflowmetrie eine Druck-Fluss-Messung während der Miktionsphase durchgeführt werden. Die Indikation für eine Füllungszystometrie besteht bei einem Verdacht auf Detrusorinstabilität und einer neurogenen Blasenfunktionsstörung. Die Funktion des Harnröhrenverschlussmechanismus kann mit der Urethradruckprofil-Messung in Ruhe und als Stressprofil überprüft werden. Dabei wird ein in der gefüllten Blase platzierter Messkatheter mit einem externen Rückzuggerät mit konstanter Geschwindigkeit zurückgezogen. So können u. a. der maximale Harnröhrenverschlussdruck und der „leak point pressure” (Druck, bei dem es zu Inkontinenz kommt) bestimmt werden. In Kombination mit der Zystometrie besteht die Indikation z. B. in der differentialdiagnostischen Klärung einer Stressinkontinenzsymptomatik.

Bei jeder dieser Untersuchungen kann zusätzlich eine Elektromyographie des Beckenbodens durchgeführt werden, um die Aktivität des externen Sphinkters und eine mögliche Detrusor-Sphinkter-Dyssynergie zu beurteilen. Außerdem besteht die Möglichkeit einer simultanen Röntgenkontrolle in der Videourodynamik. Dabei wird die Blase mit einer kontrastmittelhaltigen Flüssigkeit gefüllt. Morphologische Veränderungen können so gleichzeitig beurteilt werden. Detrusor-Sphinkter- oder Beckenboden-Dyssynergien können exakter differenziert werden.

Die Indikation der Untersuchungsmethoden ist abhängig von den klinischen Befunden und der Zielsetzung. Vor einer Kontinenzoperation besteht eine zwingende Indikation zur genauen Abklärung, um ein optimales Resultat zu gewährleisten. Auch in der Verlaufskontrolle postoperativ oder unter medikamentöser Therapie ist eine urodynamische Evaluation hilfreich. Bei älteren multimorbiden Patienten ohne Hinweis für eine andere organische Erkrankung des Urogenitaltraktes (z. B. Tumor, Stein) ist die Indikation hinsichtlich der Konsequenzen zu überprüfen.


kurzgefasst: Die Diagnostik der Inkontinenz stützt sich auf Anamnese und klinischen Befund (internistisch, neurologisch, urologisch/gynäkologisch). Urodynamische Untersuchungen sind erst nötig, wenn eine probatorische Therapie nicht erfolgreich ist oder Operationen am Kontinenzapparat geplant sind.

Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben, deren Produkt in dem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).

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Literatur

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  • 4 Ellenberg M, Weber H. Diabetic neurogenic vesical dysfunction.  Arch Intern Med. 1966;  117 348
  • 5 Fall M, Geirsson G, Lindstrom S. Toward a new classification of overactive bladders.  Neurourol Urodyn. 1995;  14 635-646
  • 6 Goepel M, Schwenzer T, May P, Soekeland J, Michel M C. Harninkontinenz im Alter.  Dtsch Arztebl. 2002;  99 A2614-2624
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  • 8 Molander U. Urinary incontinence and related urogenital symptoms in elderly women.  Acta Obstet Gynecol Scand. 1993;  158 (Suppl) 1-22
  • 9 Pannek J, Haupt G, Sommerfeld H J. et al . Urodynamic and rectomanometric findings in urinary incontinence.  Scand J Urol Nephrol. 1996;  30 457-460
  • 10 Resnick N M. Urinary incontinence.  Lancet. 1995;  346 94-99
  • 11 Welz-Barth A. Harninkontinenzversorgung in der BRD.  Geriatrie-Forschung. 1998;  3 138-142
  • 12 Steele A C, Kohli N, Mallipeddi P. et al . Pharmacologic causes of female incontinence.  Int Urogynec J of pelvic floor dsyfunction. 1999;  10 106-110
  • 13 Fusgen I. Harninkontinenz im Alter.  Urologe A. 1991;  30 235-238

Dr. med. Claus Hader

Zentrum für Innere Medizin, Kliniken St. Antonius

Hardtstraße 46

42107 Wuppertal

Phone: 0202/299 4910

Fax: 0202/299 4015

Email: claushader@hotmail.com

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Literatur

  • 1 Brocklehurst J C. Urinary incontinence in the community - analysis of a MORI poll.  Brit Med J. 1993;  306 832-834
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Abb. 1 Häufigkeit und Altersabhängigkeit der Harninkontinenz.

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Abb. 2 Steuerungszentren des Miktionsablaufes.

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Abb. 3 Nervale Steuerung des Miktionsablaufes.