Dtsch Med Wochenschr 2003; 128(9): 421-422
DOI: 10.1055/s-2003-37547
Serie Prävention
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Prävention der Demenzen: Stand der Dinge

Prevention of dementias: State of the art Isabella Heuser1
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Berlin
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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Isabella Heuser

linik und Poliklinik für Psychiatrie, Universitätsklinikum Benjamin, Franklin Freie Universität Berlin

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14050 Berlin

Phone: 030 8445-8701

Fax: 030 8445-8726

Email: isabella.heuser@medizin.fu-berlin.de

Publication History

Publication Date:
28 February 2003 (online)

Table of Contents

Summary: Dementias of late life constitute a major public health challenge. Alzheimer disease (AD) is the most common form. Epidemiological studies suggest that the use of nonsteroidal anti-inflammatory drugs, wine and coffee consumption and regular physical activity may delay onset of AD or reduce rate of progression. Preclinical research in animals and epidemiological studies in humans have shown that estrogene substitution strategies and lipid lowering statins may be beneficial. Thus, despite the lack of prospective studies and, therefore, consensus, different pharmacological strategies for persons at high risk for Alzheimer's disease are discussed.

Demenzen - und unter ihnen insbesondere die Alzheimer-Demenz (AD) - sind eine der invalidisierendsten Erkrankungen des höheren Alters. Die Inzidenz steigt mit zunehmendem Alter, hauptsächlich handelt es sich dabei um die AD und die vaskuläre Demenz (vasD) sowie Mischformen. Aus neueren Erkenntnissen zur Ätiologie lassen sich mögliche Strategien zur primären und sekundären Prävention ableiten. Da hierzu zurzeit keine großen, randomisierten Studien existieren, besteht kein Konsensus zur Primärprävention von AD.

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Prävention der Alzheimer-Demenz

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Genetische Faktoren

Ca. 3-5% der AD-Fälle sind vom sog. „familiären Typ“. Hier sind Mutationen der Chromosomen 21, 14 und 1 die kausalen genetischen Faktoren dieser autosomal dominant vererbbaren Erkrankung. Sog. Suszebilitätsgene, insbesondere Polymorphismen des Apolipoproteins E (ApoE) zählen zu den genetischen Risikofaktoren. Von den drei Formen des ApoE (2,3,4) begünstigt das Allel 4, besonders bei Homozygotie, die Entwicklung einer AD. Für die Prävention der AD hinsichtlich genetischer Faktoren ist zurzeit und vermutlich auch in den nächsten Jahrzehnten keine Strategie verfügbar.

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Östrogene

Eine Metaanalyse zu Inzidenzraten von AD aus 7 geschlechtsspezifischen Studien ergab eine 1,5-fach erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit älterer postmenopausaler Frauen im Vergleich zu Männern. Verminderte Östrogenspiegel nach der Menopause scheinen die klinische Manifestation zu beschleunigen. Neurobiologische Untersuchungen konnten eine Verbindung zwischen Östrogenen und Gedächtnisfunktionen herstellen. Ein wichtiger Mechanismus, durch den Östrogene vor neuronalen Schäden zu schützen scheinen, ist das Abfangen von freien Radikalen (Behl et al. Free Radic Biol Med 2002; 33 (2): 182).

Eine große, randomisierte, doppelblinde prospektive Einjahresstudie, die zwei unterschiedliche, zusätzlich zu einem Acetylcholinesterase(AChe)-Hemmer gegebene Östrogendosen, in leicht- bis mittelgradigen Fällen einer AD bei Frauen untersuchte, fand jedoch keine positive Auswirkung auf die Progression (Mulnard et al. JAMA 2000; 283: 1007).

Zur primärpräventiven Verwendung von Östrogenen besteht zur Zeit kein Konsensus, da große randomisierte Studien fehlen.

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Antiinflammatorische Substanzen

Bei der AD tritt ein Entzündungsprozess im Gehirn auf. Dies zeigt sich durch aktivierte Mikroglia in Läsionen von Patienten, die das immunkompetente Protein HLA-DR exprimieren. Auch wurden verschiedene Moleküle, die als Schlüsselmediatoren von peripheren Immunreaktionen bekannt sind, in hohen Konzentrationen im Gehirn von AD-Patienten gefunden. Interessanterweise stellte sich heraus, dass die Zellen des Gehirnes, Astrozyten, Mikroglia und selbst Neurone, ein breites Spektrum von Immunmediatoren, Komplementproteinen, deren Inhibitoren, inflammatorische Zytokine und ihre Rezeptoren, Pentraxine und Proteasen sowie Proteaseinhibitoren bilden können.

Aus ca. 20 epidemiologischen Studien entstand klare Evidenz dafür, dass Personen, die über lange Zeit antiinflammatorische Substanzen einnehmen, seltener bzw. später an einer AD erkranken.

Cyclooxygenase-2-Inhibitoren wurden entsprechend in einer großen, prospektiven randomisierten doppelblinden Multicenterstudie in den USA untersucht. Hier zeigen vorläufige Ergebnisse keine Verbesserung durch diese antiinflammatorische Substanz. Eine vergleichbare Situation existiert für Steroidhormone, potente periphere antiinflammatorische Substanzen, die aber negative Effekte auf Neurone haben. Hier scheiterte der klinische Versuch mit Prednison (Aisen et al. Neurology 2000; 54: 588).

Eine neue Herangehensweise in der Prävention der AD ist eine Impfung, die mit hohen Serumtitern gegen Amyloid einhergeht und die bei einem Mäusestamm experimentell durchgeführt wurde (Schenk et al. Nature 1999; 400: 173). Eine Impfung beim Menschen wurde getestet, musste aber wegen erheblichen „serious adverse events“ (Meningoenzephalitis) abgebrochen werden.

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AChe-Hemmer und Memantin

AChe-Hemmer gelten als erste Wahl bei der Behandlung leichter und mittelschwerer Demenzen vom Alzheimer-Typ. Memantin, ein NMDA-Antagonist wurde kürzlich zur Behandlung von mittelschweren bis schweren AD zugelassen.

Tacrin, der älteste der AChe-Hemmer, spielt wegen des gehäuften Auftretens von Leberwerterhöhungen und unpraktischer Pharmakokinetik (Einnahme alle 4-6 Stunden) kaum noch eine Rolle. Die zur Zeit benutzten AChe-Hemmer, Donepezil, Rivastigmin und Galantamin, werden auf Drängen von Betroffenen zunehmend mehr auch schon bei frühesten Anzeichen kognitiver Einbußen, insbesondere Gedächtniseinbußen (Mild Cognitive Impairment, leichte kognitive Störung) eingesetzt mit dem Ziel, eine mögliche Progression zu einem Demenzsyndrom zu verhindern bzw. effizient zu verzögern. Auch Memantin als neuroprotektiv wirksamer NMDA-Rezeptor-Antagonist wird zurzeit wissenschaftlich für die Indikation der leichten kognitiven Störung geprüft.

Es mag einleuchtend erscheinen, so früh als möglich neuroprotektive Substanzen einzusetzen, um die Entwicklung eines dementiellen Syndroms zu verhindern. Studien, ab welchem Zeitpunkt bei welcher Risikokonstellation welche Substanzen wie lange eingesetzt werden sollen, liegen allerdings nicht vor. Sie sind auch solange vermutlich nicht verfügbar, wie es kein gesichertes Wissen über frühe Marker bzw. die Detektion von Risikokonstellationen (z. B. mit bildgebenden Verfahren) gibt. Die Frage nach frühesten Anzeichen für ein erhöhtes Risiko einer Alzheimer-Demenz ist unter anderem Gegenstand einer vom BMBF geförderten nationalen multizentrischen Studie im Rahmen des Kompetenznetzes Demenzen (www.kompetenznetz-demenzen.de).

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Cholesterin und Blutdruck

In den letzten Jahren wurde das Konzept Mild Cognitive Impairment (MCI) entwickelt. Hierbei handelt es sich um Personen, die mindestens eine Standardabweichung unterhalb der Altersnorm bei kognitiven Testuntersuchungen liegen, aber keinerlei Einbußen in den Alltagsaktivitäten haben, d. h. nicht als „dement“ klassifiziert werden konnten. Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass 10-15 % aller Probanden mit MCI jährlich zu einer AD „konvertieren“, d.h. MCI stellt ein beachtliches Risiko für die Entwicklung einer AD dar. Ob es sich allerdings bei MCI „nur“ um eine besonders frühe Form einer AD handelt, ist noch nicht geklärt. In einer longitudinalen, großen Kohortenstudie (1449 Personen) waren sowohl hoher systolischer Blutdruck als auch hohe Cholesterinspiegel im mittleren Alter Risikofaktoren für die Entwicklung einer MCI im späteren Alter. Dies könnte bedeuten, dass höhere Cholesterinkonzentrationen und/oder erhöhte systolische RR-Werte auch die Entwicklung einer AD begünstigen. In vitro wird diese Hypothese durch den Befund einer verminderten ß-Amyloid-Produktion durch Depletion intraneuronalen Cholesterols gestützt.

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„Lifestyle“

Zurzeit ist die größte Studie zur Untersuchung der Risikofaktoren für die AD die Kanadische Studie für Gesundheit und Altern mit 6434 Personen. Die Datenanalyse ergab eine protektive Wirkung von höherem Bildungsstand, mäßigem Konsum von Wein oder Kaffee und regelmäßiger körperlicher Aktivität (Lindsay et al. Am J Epidemiol 2002; 156(5): 445).

In einer Untergruppe der Rotterdam-Studie (55-Jährige und älter) wurde der Einfluss des Alkoholkonsums untersucht und ein niedriges Risiko für das Auftreten einer AD oder vasD bei den Personen festgestellt, die bis zu 3 Gläsern Alkohol pro Tag tranken (im Vergleich zu denen, die nie Alkohol konsumiert hatten) (Ruitenberg et al. Lancet 2002; 359: 281). Die präventive Wirkung, die bereits früher für Rotwein bestätigt wurde, scheint unabhängig von der Art des Alkohols zu sein.

Zwei prospektive epidemiologische Kohortenstudien (Morris et al. Jama 2002; 287(24): 3230, Engelhart et al. JAMA 2002; 287(24): 3223) zeigten dass der höhere diätetische Zusatz von Antioxidantien, insbesondere Vitamin E, mit einem geringeren Risiko für die Entwicklung einer AD assoziiert ist. Auch das indische Gewürz Curcumin als potentes Antioxidantium verringert drastisch die Plaque- und Amyloidbildung in einem AD-Tiermodell. Im Blick auf Effizienz und Toxizität könnte es auch präventiv wirksam sein (Lim et al. J Neurosci 2001; 21: 8370), Studien hierzu liegen aber (noch) nicht vor.

Tierexperimentelle Ergebnisse lassen vermuten, dass eine kalorische Restriktion zu einer verbesserten Resistenz von Neuronen führt, insbesondere gegenüber metabolischen, exzitotoxischen und oxidativen Schäden, die bei der AD relevant sein könnten. Ferner haben Untersuchungen bei Nagern klar gezeigt, dass die Tiere, die ein Drittel weniger Kalorien zu sich nehmen als Vergleichstiere, deutlich länger und gesünder leben.

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Prävention der vaskulären Demenz

Die vaskuläre Demenz (vasD) ist durch zerebrale Infarkte, intrazerebrale Blutungen oder ischämische Herde in der subkortikalen weißen Substanz gekennzeichnet. Weitgehend anerkannt ist, dass Risikofaktoren für einen Schlaganfall bzw. vaskuläre Läsionen, Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Hyperhomocysteinämie, Rauchen, Diabetes, Adipositas, Herzrhythmusstörungen und/oder Hyperlipidämie sind. Allerdings ist der einzige durch Studien belegte Risikofaktor für die vasD selbst der Bluthochdruck (Forette et al. Lancet 1998; 352: 1347). Demnach wurde Vitamin E in einer Arbeit als protektiv für die vasD postuliert (Ross et al. Neurology 1999; 53: 337). Insgesamt ist aber zusammenzufassen, dass nach heutiger Datenlage nur die konsequente antihypertensive Behandlung einen Einfluss auf die Entwicklung einer vasD hat.

Fachliche Betreuung der Serie:

Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München

Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover

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