Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(46): 2429-2431
DOI: 10.1055/s-2002-35462
Serie Prävention
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Koronare Herzkrankheit

Coronary artery diseaseClemens von Schacky
  • Medizinische Klinik Innenstadt, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München
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Korrespondenz

Prof. Dr. C von Schacky

Medizinische Klinik Innenstadt, Klinikum der Innenstadt München

Ziemssenstraße 1

80336 München

Publication History

Publication Date:
14 November 2002 (online)

Table of Contents

Summary:Prevention is equivalent to causal treatment of cardiovascular disease. Nowadays, guidelines are elaborated on the basis of large-scale long-term intervention studies and structured meta-analyses. This review attempts a synopsis of guidelines of the American and German Heart Associations. For Secondary Prevention, smoking cessation, blood pressure treatment, dietary lipid management, aerobic activity, correct body weight, mediterranean diet, treatment of diabetes to a HbA1c of 7%, ingestion of marine w-3 fatty acids (1 g / day), platelet inhibitors, lipid-lowering agents (statins), b-blockers and ACE-inhibitors are established. In primary prevention pharmaceutical agents are not incorporated, but all non-pharmacological approaches are being recommended. The guidelines mentioned are based on unequivocal evidence, risk-benefit and cost-benefit ratios are good, nevertheless implementation remains a serious problem. Primary and secondary prevention are already giving way to risk-adapted prevention, based on an individual assessement of a persons cardiovascular risk.

Kardiovaskuläre Krankheiten bleiben die Hauptursache von Morbidität und Mortalität auch zu Beginn unseres neuen Jahrhunderts. Der tödliche Herzinfarkt ist immer noch in mehr als der Hälfte der Fälle die Erstmanifestation der koronaren Herzerkrankung. Oft - z.B. nach Apoplex - fallen immense Kosten für die medizinische und pflegerische Versorgung an. Die Prävention stellt die kausale Therapie der Atherosklerose in ihren verschiedenen Manifestationsformen dar. Bei der Prävention sind nicht nur Nutzen-Risiko-Analysen besonders wichtig, sondern auch Kosten-Nutzen-Analysen.

Qualität und Größe der klinischen Interventionsstudien haben in den letzten Jahren zugenommen. Klinische Endpunkte wie Gesamtmortalität, kardiovaskuläre Mortalität, und größere kardiovaskuläre Ereignisse sind mittlerweile üblich und haben mehr Gewicht als Veränderungen der Symptomatik. Diese großen Studien werden dann Metaanalysen unterzogen, z.B. von der Cochrane Collaboration. Erst nach eingehender Prüfung und bei positivem Ergebnis finden Maßnahmen der Prävention dann Eingang in die Leit- und Richtlinien der kardiologischen Gesellschaften. Dies hat eine Konvergenz der Leit- und Richtlinien zur Prävention der koronaren Herzerkrankung zur Folge: Bis hin zur graphischen Gestaltung ähneln sich z.B. die derzeit aktuellen Richtlinien der amerikanischen und der deutschen kardiologischen Gesellschaften (Circulation 2001;104:1577-1579, Z Kardiol 2001;90:148-149). Die Richtlinien der European Society for Cardiology werden gegenwärtig überarbeitet. Hier soll eine Synopsis der amerikanischen und deutschen Richtlinien in möglichst knapper Form versucht werden.

Primäre Prävention gilt für diejenigen, die noch kein kardiovaskuläres Ereignis erlitten haben. Sekundäre Prävention umfasst die Patienten, die z.B. einen Myokardinfarkt erlitten haben. Da aber z.B. Diabetiker ohne bisherigen Myokardinfarkt das gleiche Risiko haben, einen Myokardinfarkt zu erleiden, wie Nicht-Diabetiker, die bereits einen Myokardinfarkt überlebt haben (N Engl J Med 1998; 339: 229-234), empfiehlt die deutsche Gesellschaft für Kardiologie die Maßnahmen der sekundären Prävention auch für Diabetiker. Gleichzeitig beobachtet man derzeit eine Abkehr von den Begriffen "Primäre" und "Sekundäre" Prävention und eine Hinwendung zum Konzept einer risikoadaptierten Prävention. Der Einfachheit halber wird hier die konventionelle Unterscheidung beibehalten.

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Sekundäre Prävention

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Rauchen

Ziel: Abstinenz des Patienten und seiner Familie

Weg: Beratung, Teilnahme an Rauch-Entwöhnungsprogrammen. Nikotinersatz (wenn Konsum < 5 Zigaretten/Tag).

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Blutdruck

(s.a. JNC VI, NIH Publication 98-4080, und DMW 2001; 126: Suppl 4)

Ziel:≤140/90 mmHg oder <130/85 mmHg bei Herz- oder Niereninsuffizienz, < 130/80 mmHg bei Diabetikern

Weg: 1. Gewichtsreduktion, Ausdaueraktivität, wenig Alkohol, wenig Salz, Obst, Gemüse, fettarme Milchprodukte bei allen Patienten mit RR > 130/80 mmHg; 2. Medikation (unter Beachtung der Kontraindikationen): zu bevorzugen sind b-Blocker, ACE-Hemmer (s.u.), Diuretika frühzeitig einsetzen, als viertes Medikament auch lang wirksame Ca++-Antagonisten (z.B. Amlodipidin)

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Lipidmanagement

Ziel:LDL < 100 mg/dl

Weg:1. Diätberatung: kalorienarme, fettarme Kost (< 7% gesättigte Fettsäuren, <200 mg Cholesterin/Tag), Ausdaueraktivität, Gewichtsreduktion. 2. Statin bis maximal zugelassene Dosierung, ggf. ergänzend Fibrat oder Austauscherharz (z.B. Cholestyramin), bei niedrigem HDL/hohen Triglyceriden: Niacin

2. Ziel:a) TG < 200 mg/dl

Weg:Gewichtsreduktion, Ausdaueraktivität, Fibrat oder Niacin, Fischöl; b) HDL > 35 mg/dl

Weg:a) Gewichtsreduktion, körperliche Ausdaueraktivität; b) Fibrat, z.B. Gemfibrozil

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Ausdaueraktivität

Minimum: 30 min 3-4 mal pro Woche, am besten täglich Ausdauersport (laufen, radeln o.ä. aerobe Aktivität). Trainingsniveau vorzugsweise mit Belastungs-EKG festlegen (Circulation 2001; 104: 1694- 1740). Zusätzlich mehr Alltagsbewegung (Gehen zur Arbeitsstätte u.ä.), zu ambulanter Herzgruppe ermutigen.

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Körpergewicht

Ziel:BMI 18,5-25 kg/m2. BMI (Body-Mass-Index) berechnen und im Verlauf verfolgen.

Weg:Beratung zu weniger Verzehr / mehr Verbrauch

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Diabetestherapie

Ziel: HbA1c <7%.

Weg:Entsprechende Blutzuckersenkende Therapie. Zusätzlich Ausdaueraktivität, Gewichtsreduktion, Blutdruck- und LDL-Senkung

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Mittelmeerkost

(wird von AHA nicht explizit empfohlen)

Mehr Obst, mehr (Wurzel-) Gemüse, statt rotem Fleisch: Geflügel, Fisch, Brot, keine Butter, keine Sahne, als Fett Olivenöl

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w-3-Fettsäuren

(wird von AHA und DGK ohne explizite Dosis empfohlen)

2-3 mal pro Woche Fisch oder täglich ca 900 mg maritime w-3-Fettsäuren in Kapselform

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Medikamente

Plättchenhemmer: Bei allen kardiovaskulär Erkrankten Acetylsalicylsäure 75 - 325 mg, zumeist 100 mg/Tag, Ersatzmedikament Clopidogrel 75 mg/Tag, ggf. Antikoagulation mit Ziel INR 2.0 - 3.0

ACE-Hemmer: Bei allen Patienten nach Myokardinfarkt oder mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion, bei Diabetikern, sonstigen Patienten mit erhöhtem Risiko unabhängig von Ventrikelfunktion. Minimale Dosierung z.B. Ramipril 2.,5 mg oder Äquivalent, ggf nach Blutdruck. Sartane als Ersatzmedikament

β-Blocker: Bei Patienten nach akuter Ischämie, Myokardinfarkt, Bypassoperation oder eingeschränkter linksventrikulärer Funktion, ggf. nach Blutdruck. Zur Behandlung von Angina pectoris, Hypertonie und Herzrhythmusstörungen

Statine: Dosissteigerung bis zur zugelassenen Maximaldosis bis LDL < 100 mg

Hormonersatztherapie: Obwohl beobachtende Studien einen protektiven Effekt der Hormonersatztherapie nahelegten, weisen die Ergebnisse der bisher vorliegenden Interventionsstudien darauf hin, dass die Hormonersatztherapie bei postmenopausalen Frauen nicht nur keinen protektiven Effekt hat, sondern sogar eine geringe kardiovaskuläre Gefährdung bedeutet (Circulation 2001; 104: 499-503, JAMA 2002; 288: 321-333). Letztere zeigt sich in leicht erhöhten Inzidenzen von Myokardinfarkten, Venenthrombosen, Lungenembolien oder Apoplexen. In den Richtlinien wird deshalb zur Hormonersatztherapie aus kardiovaskulärer Indikation nicht mehr geraten.

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Eine Ernährung mit mehr Obst und mehr Gemüse trägt dazu bei das Risiko für eine koronare Herzkrankheit zu senken. (Photo: PhotoDisc)

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Unwirksame oder nicht anerkannte Maßnahmen

Alle oben nicht genannten Maßnahmen, z.B. Vitaminsupplemente (einzeln oder in Kombination, z.B. Lancet 2002; 360: 23-33), Selen, Coenzym Q, Carnitin, Knoblauch, Akupunktur u.v.a.m.

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Primäre Prävention

Alle bei "Sekundäre Prävention" genannten nicht-medikamentösen Maßnahmen. Zusätzlich konventionelle Blutdrucktherapie (JNC VI, NIH Publication 98-4080 und DMW 2001;126:Suppl 4) und die folgenden Maßnahmen.

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Lipidmanagement

(Circulation 1997;95:2329-31, DMW 2000;125:881-7)

Ziel: LDL = 160 mg/dl, wenn nur ein Risikofaktor mittlerer Ausprägung (z.B. 10 Zigaretten/Tag):

Ziel: LDL = 130-135 mg/dl, wenn ein Risikofaktor hochgradiger Ausprägung (z.B. 20 Zigaretten/Tag oder zwei Risikofaktoren mittlerer Ausprägung) (Cholesterin 200-300 mg/dl plus HDL< 40 mg/dl)

Weg: 1. Diätberatung: Kalorienarme, fettarme Kost (< 7% gesättigte Fettsäuren, <200 mg Cholesterin), Ausdaueraktivität, Gewichtsreduktion. 2. Statin bis max. zugelassene Dosierung bei LDL = 160 mg/dl erwägen

2. Ziele: a) TG < 200 mg/dl, b) HDL > 35 mg/dl

Wege: s. o., zunächst keine Medikamente

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Der Blutdruck sollte unter 140/90 mmHg liegen - bei Herz- oder Niereninsuffizienz unter 130/80 mmHg. (Photo: PhotoDisc)

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Diskussion

In der Sekundären Prävention reduziert Einstellen des Nikotinabusus die Mortalität um relative 50 %, Plättchenhemmer, ACE-Hemmer, β-Blocker, Statine und w-3 Fettsäuren um relative 20 - 30%. Bei Blutdrucksenkung, Ausdaueraktivität und möglicherweise Diabetestherapie besteht in bestimmten Grenzen eine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Trotz dieser positiven Nutzen-Risiko-Relation werden die Maßnahmen der sekundären Prävention nur unvollständig akzeptiert und angewendet (Lancet 2001;357: 995- 1001). Dieses Implementierungsdefizit ist umso bedauerlicher, als zudem positive Kosten-Nutzen Relationen bestehen: für nicht-medikamentöse Maßnahmen ohnehin, für Statine nachgewiesenermaßen (Med Klin 2000;95:305-13). Letzteres impliziert bei kostenbewusster Wirkstoffauswahl auch für die anderen genannten Substanzgruppen eine positive Kosten-Nutzen-Relation. Hier zeigt sich exemplarisch der Unsinn des Medikamentenbudgets, da eine korrekte Implementierung der Sekundären Prävention die Gesamtkosten der Behandlung senkt.

Viel Geld wird investiert in die Forschung an patentfähigen Substanzen / Werkzeugen in der Behandlung der koronaren Herzerkrankung mit der Konsequenz, dass kontinuierlich neue teure Behandlungsformen Eingang in die Leitlinien finden. Vernachlässigt wird leider die Forschung an billigen Maßnahmen. Diesem Grund für die Kostenexplosion im Gesundheitswesen wird merkwürdigerweise untätig zugesehen. Als Beispiel sei hier die Senkung des Homocysteins mit Folsäure als noch zu beweisende Maßnahme der sekundären Prävention genannt (JAMA 2001; 286: 936-943). Eine weitere Möglichkeit zur Kostenreduktion wäre die Implementierung kostensparender Maßnahmen zu fördern. Die konventionellen Ernährungsempfehlungen gelten zwar als kostengünstiges Mittel der Prävention, ihre Wirksamkeit ist aber unlängst stark in Frage gestellt worden (BMJ 2001;332:757-763, MMW 2002; 144: 37-39).

Im kardiovaskulären Bereich sind alle Maßnahmen nur langfristig, nach Jahren erfolgreich. Im Rahmen einer traditionellen dreiwöchigen Kur oder Anschlussheilbehandlung als Maßnahme der Prävention und Rehabilitation können hier erste Anstöße gegeben werden. Die langfristige spezialisierte ambulante Betreuung am Wohnort hingegen ist im deutschen Medizinsystem unvollständig entwickelt / genutzt.

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Ausblick

In Zukunft werden die Leitlinien weitere Teile der Bevölkerung als Risikopopulation identifizieren und eine Pflicht zur Intervention konstatieren, wie z.B. die Ergebnisse der "Heart Protection Study" ahnen lassen (Lancet 2002;360:7-22). Dies wird die traditionelle Unterteilung von primärer Prävention und sekundärer Prävention weiter auflösen und die Abschätzung des individuellen Risikos des einzelnen mittels z.B. der Sheffield Tabellen (BMJ 2000;320:671-676) oder nach dem PROCAM Algoritmus (www.chd- taskforce.com) erfordern. Möglicherweise wird dies auch dazu führen, dass sich unsere traditionellen Versorgungstrukturen in diesem Bereich ändern werden.

Ansprechpartner:

www.dgkardio.de

www.americanheart.org

Fachliche Betreuung der Serie:

Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München

Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover

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Ziemssenstraße 1

80336 München

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Ziemssenstraße 1

80336 München

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Eine Ernährung mit mehr Obst und mehr Gemüse trägt dazu bei das Risiko für eine koronare Herzkrankheit zu senken. (Photo: PhotoDisc)

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Der Blutdruck sollte unter 140/90 mmHg liegen - bei Herz- oder Niereninsuffizienz unter 130/80 mmHg. (Photo: PhotoDisc)