Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(40): 2071
DOI: 10.1055/s-2002-34515
CME
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Polyneuropathie - Der konkrete Fall

Polyneuropathy - Case reportB. Schlotter-Weigel, D. E. Pongratz
  • 1Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik LMU München
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Dr. med. Beate Schlotter-Weigel

Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik LMU München

Ziemssenstraße 1

80336 München

Phone: 089/51607470

Fax: 089/51607402

Email: b.schlotter@fbs.med.uni-muenchen.de

Publication History

eingereicht: 6.5.2002

akzeptiert: 31.07.2002

Publication Date:
02 October 2002 (online)

Table of Contents #

Anamnese

Bei der heute 46-jährigen Hausfrau entwickelte sich vor 11 Jahren während der dritten Schwangerschaft eine Fuß- und Großzehenheberschwäche links. Es traten leichte sensible Störungen initial im Versorgungsgebiet des N. peroneus profundus links auf. Vorausgehende radikuläre Symptome, eine Blasen-Mastdarm-Störung oder Schmerzen bestanden nicht. 2 Jahre später wurde bei Parese des N. oculomotorius rechts in Verbindung mit rechtsseitigen Kopfschmerzen eine ophthalmoplegische Migräne diagnostiziert. Nach 5 Jahren kam ein linksbetonter Haltetremor der Hände hinzu, während weiterer 6 Jahre war die distale Beinparese links progredient. In den letzten Monaten bemerkte die Patientin eine Schwäche der Handbinnenmuskulatur rechts und ein Nachlassen der Daumenbeweglichkeit links ohne Sensibilitätsstörungen. In der Familienanamnese waren keine neuromuskulären Erkrankungen bekannt.

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Neurologischer Untersuchungsbefund

Es bestand ein deutlicher Steppergang links; der Fersenstand war nicht, der Zehenstand kurz möglich. An den Armen war nur der Tricepssehnenreflex beidseits mäßig lebhaft, an den Beinen Patellasehnen- und Achillessehnenreflex rechts angedeutet, links nicht auslösbar. Pathologische Reflexe waren nicht vorhanden. Bei der Kraftgradprüfung links erreichten die Fußheber 1/5, die Zehenheber 0/5, die Fuß- und Zehensenker 4/5+, an der oberen Extremität die Fingerspreizer rechts 4/5. Unterschenkel- und kleine Fußmuskulatur links waren atrophisch. Beidseits lagen Hohlfußbildung und Atrophie der kleinen Handmuskeln rechts einschließlich der Thenarmuskulatur vor. Keine Sensibilitätsstörungen oder Faszikulationen. Die Koordination war regelrecht. Im Bereich der Hirnnerven fiel eine Ptose des rechten Auges bei isokoren runden Pupillen und normaler Pupillomotorik auf.

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Apparative Untersuchungen/Labordiagnostik

Durch MRT-Diagnostik wurde eine Kompression nervaler Strukturen im Bereich von Lendenwirbelsäule, kleinem Becken und linkem Kniegelenk ausgeschlossen. Elektrophysiologisch wurden eine demyelinisierende Schädigung des N. peroneus links in Höhe des Fibulakopfes und eine axonale Schädigung des N. tibialis links dokumentiert. In der Nervenbiopsie fand sich kein Anhalt für eine hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen (HNPP), sondern für eine Neuropathie im Stadium der Remyelinisation. In der molekulargenetischen Analyse konnte keine für die HNPP typische Deletion im PMP-22-Gen nachgewiesen werden. Umfangreiche Labordiagnostik einschließlich Bestimmung von ANA, ANCA, ds-DNS-AK, AMA, MAG-AK, zirkulierenden Immunkomplexen, C3-Komplement, Antikörper gegen Skelettmuskel, Rheumafaktor (RF), Immunelektrophorese des Serums, Phytansäure, Vitamin B12, Folsäure, Lyme- und Lues-Serologie blieb negativ. Bei Auftreten der Oculomotoriusparese rechts blieb ein MRT-Schädel ohne pathologischen Befund. In der Liquordiagnostik war die Zellzahl normal, Liquoreiweiß grenzwertig, die IgG-Produktion erhöht. Oligoklonale Banden fanden sich nicht, eine Borreliose wurde ausgeschlossen.

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Therapie und Verlauf

Bioptisch war keine inflammatorische Neuropathie nachzuweisen, ein GBS lag nach klinischen Kriterien, Liquorbefund und Neurophysiologie nicht vor. Es konnte keine spezifische Therapie angeboten werden. Bei der Vorstellung in unserer Ambulanz lag neurophysiologisch eine rein motorische Neuropathie mit multifokaler Verteilung an oberer und unterer Extremität mit deutlich verlängerten oder nicht ableitbaren F-Wellen und fokalem proximalem Leitungsblock vor. Einige Monate zuvor war erstmals ein medikamentöser Therapieversuch mit Steroiden über ca. 3 Wochen durchgeführt worden. Unter der Initialdosis von 50 mg/d hatte sich subjektiv die Kraft der rechten Hand diskret verbessert. Aufgrund der neurophysiologischen Befunde wurden GM1-Antikörper (Gangliosid-AK) bestimmt, die mit einem ungewöhnlich hohen IgM-Titer von 130 560 BTU (norm < 800) nachweisbar waren, vereinbar mit einer Multifokalen Motorischen Neuropathie (MMN). Unter hochdosierter intravenöse Immunglobulingabe (0,4 g/kg KG) initial über 5 Tage kam es bei der Patientin zur Kraftzunahme in beiden Händen, die Fuß- und Großzehenhebung nahmen um einen Kraftgrad zu. Die Ptose rechts verstärkt sich weiterhin während der Kopfschmerzattacken.

Dr. med. Beate Schlotter-Weigel

Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik LMU München

Ziemssenstraße 1

80336 München

Phone: 089/51607470

Fax: 089/51607402

Email: b.schlotter@fbs.med.uni-muenchen.de

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