Satellitensymposium
Satellitensymposium
Samstag, den 10. November 2001, 14.00-16.00 Uhr
Deutsche Erfahrungen mit Buprenorphin in der
Therapie von Drogenabhängigen
Buprenorphin ist seit Beginn des Jahres 2001 in Deutschland zur
Substitution zugelassen. Es stellt eine Alternative zu dem herkömmlichen
Goldstandard der Substitutionstherapie mit Methadon/Polamidon dar und findet
zunehmend Interesse. In Frankreich ist es aus verschiedenen, vor allem
politischen Gründen das Hauptsubstitutionsmittel der
50-60 000 Heroinabhängigen in der Allgemeinarztpraxis. Auch
in anderen Ländern wird über diese neue Substitutionsstrategie
diskutiert und es werden zunehmend Erfahrungen gesammelt.
Buprenorphin verfügt über einen anderen
pharmakologischen Wirkmechanismus als reine Opiate und hat somit auch ein
anderes Wirkprofil. Dieser öffnet neue Chancen einer differenziellen
Substitutionsbehandlung, über die im Rahmen des Symposiums aufgrund der
ersten deutschen Erfahrungen diskutiert werden soll. Es werden sowohl die
ambulanten wie auch die stationären Erfahrungen in allen klinischen
Einsatzbereichen der Suchttherapie zur Sprache kommen.
Chairs: Udo Schneider, Hannover, Klaus Behrendt, Hamburg
Erfahrungen mit der Substitution in der ambulanten
Schwerpunktpraxis: Indikationsstellung, Umsetzung, Effektivität und
NebenwirkungenInge Hönekopp, Mannheim
Buprenorphin aus klinisch-psychiatrischer Sicht
Udo
Schneider, Hannover
Einsatz im klinisch-stationären Bereich
Jochen
Brack, Hamburg
Roundtable mit den Referenten
Moderation: Klaus
Behrendt, Hamburg
Dr. med. Klaus Behrendt
Klinikum Nord
Ochsenzoll
Abteilung für
Abhängigkeitserkrankungen
Langenhorner Chaussee
560
22419 Hamburg
Praxis der Heroinvergabe im Rahmen des Modellvorhabens
Praxis der Heroinvergabe im Rahmen des Modellvorhabens
Treffen der klinischen und Prüfärzte des
Modellversuchs u. a. Interessierter
Karin Bonorden-Kleij, Markus Backmund, Klaus
Behrendt
Die Vorbereitungen zur Durchführung des bundesdeutschen
Modellprojektes zur heroingestützten Behandlung Opiatabhängiger sind
abgeschlossen. Die Ethikkommission und das Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte haben ihre Zustimmung gegeben. Projektleiter ist Prof. Dr.
Michael Krausz vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der
Universität Hamburg (ZIS). Mit einem Projektbeginn wird noch in diesem
Jahr gerechnet, der Beginn der Durchführung ist im Frühjahr 2002 zu
erwarten.
Die Studiengruppe um Herrn Krausz, die teilnehmenden
Bundesländer, Städte und deren Vertreter, das Bundesministerium
für Gesundheit sowie Vertreter der Bundesärztekammer treffen sich
schon länger regelmäßig im Rahmen der Lenkungsgruppe zur
gemeinsamen Koordinierung des Projektes auf Bundesebene.
Die vorgesehenen regionalen Träger des Projektes sind
über die Ergebnisse der Arbeit der Lenkungsgruppe informiert und arbeiten
mittlerweile an der konkreten Umsetzung in ihren jeweiligen Studienzentren. Die
Bedingungen in den beteiligten Städten stellen sich sehr unterschiedlich
dar. Ein bundesweiter und regelmäßiger Informationsaustausch der
Träger untereinander wird mit Projektbeginn notwendig. Da zum Zeitpunkt
des 10. Suchtmedizinischen Kongresses die Rekrutierung der in die Studie
einzuschließenden Patienten angelaufen sein wird, bietet sich der
Kongress für die zukünftig in den Heroinvergabestellen tätigen
Kollegen als Austauschforum an.
Die gegenseitige Information über den Stand in den einzelnen
Städten und die Vermittlung von Erfahrungen beim Aufbau der
„Heroinvergabestellen”, die im besonderen Maße im Interesse
der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit stehen, sollten
Diskussionsgrundlage der Arbeitsgruppe sein.
Neben der Erörterung des Standes der Rekrutierung in den
einzelnen Studienorten, den Besonderheiten bei der Erreichbarkeit der
Zielgruppen und der Auseinandersetzung mit den Patienten sollten auch Themen
wie die Bewältigung bestimmter vorgegebener Anforderungen wie Sicherheit
in und außerhalb der Einrichtung, die sozialverträgliche Gestaltung
mit der Umgebung der Vergabestellen, die Öffentlichkeitsarbeit, die
erreichte Akzeptanz des Projektes etc. behandelt werden.
Auch Diskussionen zu Fragen, die sich aus der konkreten
prüfärztlichen oder klinischen Tätigkeit ergeben bzw. im Vorfeld
der Arbeit in den Abgabestellen gesehen werden, sind gewünscht.
Abschließend sollten Vorstellungen zur zukünftigen
Kooperation der Träger untereinander auf Bundesebene gesammelt werden und
möglicherweise zu einem intensiveren regelmäßigen Austausch
führen.
Dr. med. Karin Bonorden-Kleij
Klinikum Nord
Ochsenzoll
Abteilung für
Abhängigkeitserkrankungen
Langenhorner Chaussee
560
22419 Hamburg
Alkoholikertherapie in der ambulanten Versorgung
Alkoholikertherapie in der ambulanten Versorgung
Zur Rolle von Arztpraxen für die Behandlung von Patienten
mit Alkoholproblemen
Albrecht Ulmer
Die Ärzteschaft ist sich ihrer Verantwortung und ihrer
Möglichkeiten gegenüber Patienten mit Alkoholproblemen noch nicht in
vollem Maße bewusst. Zu wenig wird registriert, dass das Krankheitsbild
der Alkoholabhängigkeit, einschließlich seiner Vorstufen, zu den
häufigsten Erkrankungen in Deutschland gehört und mindestens so viel
Schaden anrichtet wie hoher Blutdruck. Grund genug, sich auch medizinisch
intensiv damit zu befassen. Gerade die ambulanten Hilfsmöglichkeiten von
der Früherkennung bis zur späten Behandlung sind bedeutsam, jedoch
bei weitem nicht ausgeschöpft.
Die überwiegende Anzahl der Alkoholentzüge ist
mittlerweile ambulant durchführbar. Allein ein konsequenter Ausbau der
damit verbundenen Möglichkeiten würde das bestehende Hilfsangebot
vervielfachen. Viele Betroffene brauchen zudem langfristig medikamentöse
Hilfen; eine Reihe guter Ansätze bedarf einer konsequenten
Weiterentwicklung in Forschung und Praxis.
Ein Netz spezialisierter Praxen wird ebenso benötigt wie eine
breite Kompetenz in der gesamten Ärzteschaft. Dies muss von Anfang an
sowohl ein integrierter Bestandteil als auch eine gut kooperierende
Ergänzung zu allen bestehenden Ansätzen der Hilfe für Menschen
mit Alkoholproblemen sein.
Für alle, die sich in diesem Bereich engagieren, ist es
wichtig, mit zu überlegen, welche Erfahrungen bestehen und wie eine
Kooperation, im Sinne des Patienten, umzusetzen ist. Auseinander driftende
Entwicklungen, wie sie seinerzeit die Anfänge der Netzbildung bei
opiatsubstituierenden Ärzten geprägt haben, indem es ein großes
Misstrauen zwischen dem klassischen Suchthilfesystem einschließlich der
klinischen Psychiatrie und niedergelassenen Ärzten gab, sind zu vermeiden.
Weiterhin zu berücksichtigen ist der Aspekt, dass sich Qualität und
ein ausreichend breites Angebot nicht gegenseitig ausschließen.
Dies umzusetzen erfordert Engagement und eine sichere Basis der
Honorierung - eine Investition, die sich lohnt. Die vielschichtigen
Folgekosten der Alkoholabhängigkeit sind bislang immens hoch. Sie lassen
sich mit Sicherheit senken, wenn die Chancen vermehrter Frühinterventionen
und einer ambulanten, vernetzten Versorgung konsequent genutzt werden.
Dr. med. Albrecht Ulmer
Schwabstraße
26
70197 Stuttgart
Fachkunde Sucht - Umsetzung und Perspektiven.
Treffen und Erfahrungsaustausch der in der Weiterbildung aktiven
Kollegen
Fachkunde Sucht - Umsetzung und Perspektiven.
Treffen und Erfahrungsaustausch der in der Weiterbildung aktiven
Kollegen
Ingo Flenker, Anke Follmann, Georg Kremer,
Robert Stracke
Diese Arbeitsgruppe soll dazu dienen, die bisherigen Erfahrungen der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Durchführung der Fachkunde-Kurse
zusammenzutragen, kritisch zu überprüfen und mögliche
organisatorische bzw. inhaltliche Verbesserungen zu diskutieren.
Zur Einführung in die Diskussion soll die konzeptionelle
Entwicklung der Fachkunde und ihres modularen Aufbaus nachgezeichnet werden.
Ergänzend werden Daten aus einer aktuellen Umfrage zur Organisation und
Nutzung der Fachkunde-Kurse sowie zur Zufriedenheit der Absolventinnen und
Absolventen präsentiert.
Schließlich sollen konkrete versorgungspolitische Perspektiven
im Zusammenhang mit der Fachkunde - hier insbesondere Fragen der
Vergütung von Leistungen - diskutiert werden.
Dr. p. h. Georg Kremer
Psychiatrische Klinik Gilead, vBA
Bethel
Remterweg 69-71
33617 Bielefeld
Zusammenarbeit zwischen Rehabilitation und Substitution, zwischen
GKV und RV
Zusammenarbeit zwischen Rehabilitation und Substitution, zwischen
GKV und RV
Greif Sander, Rainer Ullmann
Ebenso vielgestaltig wie die Ursachen der Entstehung der
Opiatabhängigkeit sind auch die Ausprägungen: Sucht hat viele
Gesichter. Die Behandlung der Heroinabhängigkeit verlangt daher eine
Planung der Behandlungsschritte, die individuum- und zeitpunktabhängig
ist. Die flexible Wahl medizinischer, therapeutischer, psychosozialer und
erwerbsorientierter Maßnahmen muss auch für ungewöhnlich
erscheinende Kombinationen von Angeboten möglich sein.
Die aktuelle Situation in der Behandlung der Heroinabhängigkeit
ist auf Seiten der Abhängigen gekennzeichnet durch eine Vielzahl
medizinischer, psychischer und sozialer, während des Konsums der illegalen
Drogen entstandener Probleme. Die Herauslösung aus der Abhängigkeit
ist ein langwieriger Prozess mit kleinen Schritten vor und vielen Schritten
zurück. Abstinenz ist häufig erst ein fernes Ziel zur
Überwindung der Abhängigkeit. Sie kann daher nicht die Voraussetzung
für Behandlungsangebote oder Rehabilitationsmaßnahmen sein.
Auf Seiten der Suchthilfe existieren viele unterschiedliche Angebote
nebeneinander, die auf die unterschiedlichen Phasen der Abhängigkeit
angepasste Behandlungssettings vorhalten. Hinderlich ist die traditionelle
Zuständigkeit unterschiedlicher Kostenträger für die
verschiedenen therapeutischen Angebote. Krankenversicherungen,
Rentenversicherung und Sozialhilfeträger ziehen dabei selten an einem
Strang. Beispielsweise wird der notwendige schnelle Beginn einer
Reha-Maßnahme häufig erschwert durch bürokratische Hürden
vor Klärung der Kostenübernahme. Flexible Wechsel zwischen
Maßnahmen unterschiedlicher Kostenträger, z. B. bei Abbruch
einer Reha und sofortigem Wiederbeginn einer Substitution, sind oft mühsam
und langsam. Die Kombination von Substitution als medizinischer Behandlung und
beruflicher Rehabilitation oder Umschulung ist nur selten möglich. So ist
das Ergebnis der Urinuntersuchung auf psychoaktive Substanzen
Entscheidungskriterium für eine berufliche Förderung anstelle der
Frage nach den individuellen Fähigkeiten des Abhängigen.
In einigen Regionen und in der Verantwortung einzelner separierter
Kostenträger werden in Form von Projekten bereits andere Erfahrungen unter
Auflösung dieser hergebrachten, gegeneinander abgeschotteten Strukturen
gemacht. Eine institutionalisierte Kommunikation der Kostenträger
untereinander und mit den Behandlern ebenso wie ein übergeordnetes und
langfristig angelegtes Case-Management fehlen jedoch.
Wir haben daher für den Kongress eine Arbeitsgruppe zur
besseren Verzahnung ambulanter und stationärer, opiatfreier und nicht
opiatfreier Maßnahmen zur Behandlung der Opiatabhängigkeit
initiiert. Es werden Experten aus Wissenschaft, aus der Behandlung
Opiatabhängiger und von verschiedenen Kostenträgern in einer
Arbeitsgruppe miteinander tagen. Dabei soll ein Diskussionspapier entwickelt
werden, das nach dem Kongress weiter in den Institutionen und bei den
Kostenträgern besprochen werden soll, mit dem Ziel der Schaffung eines
ständigen Ausschusses zur Verbesserung der Vernetzung der
Kostenträger und Behandler.
Dr. med. Greif Sander
Klinikum Wahrendorff
Hindenburgstraße 1
31319 Sehnde
Suchtmedizin als Teil oder Ganzes, Querschnittsdisziplin oder
eigenes Fach?
Suchtmedizin als Teil oder Ganzes, Querschnittsdisziplin oder
eigenes Fach?
Ingo Flenker
Bei der Sucht handelt es sich um eine behandlungsbedürftige
Krankheit, die wie jede andere Krankheit auch mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln behandelt werden muss. Die Prinzipien von kurativer und
palliativer Medizin, wie sie bei anderen Erkrankungen auch angewandt werden,
sind in gleicher Weise auch bei suchtkranken Menschen anzuwenden.
Um bereits an der Basis möglichst viele Ärztinnen und
Ärzte in die Lage versetzen zu können, Suchtkranke mit allen
Abhängigkeitsformen behandeln und eine Frühintervention einleiten zu
können, wurde von der Bundesärztekammer 1998 die Fachkunde
„Suchtmedizinische Grundversorgung” eingeführt, die in einem
50-Stunden-Kurs Kenntnisse in der Prävention, Diagnostik, Therapie und
Frührehabilitation von den verschiedenen Suchtkrankheiten vermitteln soll.
Da der erste Ansprechpartner eines Suchtkranken in den meisten Fällen der
Hausarzt ist, müssen möglichst viele Ärztinnen und Ärzte
entsprechend qualifiziert werden, diese Patienten angemessen behandeln zu
können. Um diesen interdisziplinären Charakter der Suchtmedizin zu
unterstreichen, ist in Westfalen-Lippe der Erwerb der Fachkunde
„Suchtmedizinische Grundversorgung” allen Fachgebieten mit
Patientenbezug geöffnet worden.
Doch nicht nur die medizinische Betreuung allein stellt den Erfolg
einer Suchtbehandlung sicher. Erst im Zusammenwirken mit einer psychosozialen
Betreuung und im Zusammenspiel mit den anderen Einrichtungen der Drogenhilfe
wird der Patient so weit sozial stabilisiert werden können, dass ein Leben
außerhalb des Drogenmilieus und eine soziale Wiedereingliederung
möglich werden. Eine wirkungsvolle suchtmedizinische Versorgung ist daher
stets auf die Kooperation und Vernetzung mit anderen Berufsgruppen und
Einrichtungen angewiesen. Ohne Zweifel ist daher die Suchtmedizin als ein
typisches Querschnittsfach anzusehen, das nur unter Einbeziehung aller an der
Behandlung Suchtkranker beteiligten Berufsgruppen und medizinischen Disziplinen
zu einem wirklich tragfähigen Behandlungskonzept kommen kann.
Dr. med. Ingo Flenker
Ärztekammer
Westfalen-Lippe
Ausschuss Sucht und Drogen der
Bundesärztekammer
Gartenstraße
210-214
48147 Münster
Geschlechtsspezifische Behandlungsbedürfnisse und
Therapiekonzepte
Geschlechtsspezifische Behandlungsbedürfnisse und
Therapiekonzepte
Gabriele Fischer, Romana Ortner, Shird
Schindler, Werner Schlegel
Suchterkrankungen und deren Behandlung unterscheiden sich
geschlechtsspezifisch in zahlreichen Variablen: Prävalenz,
Krankheitsbeginn, Krankheitsverlauf, Komorbidität, Therapieansprechen,
Mortalität. Dreimal so viele Männer wie Frauen berichten illegale
Substanzen zu konsumieren, Männer begeben sich viermal so häufig in
Behandlung. Obwohl die Prävalenz der Substanzabhängigkeit bei
Männern deutlich höher ist, stellt diese bei den Frauen die
zweithäufigste psychiatrische Erkrankung dar. Neben der Tatsache, dass
Frauen sich weniger häufig eine Behandlungsstelle suchen, weisen
behandelte Frauen mit einer Substanzabhängigkeit schlechtere Haltequoten
mit weniger erfolgreichen Therapieabschlüssen auf. Eine wesentliche
Erklärung für jene schlechteren Voraussetzungen dürfte an
prämorbiden Faktoren und an der Komorbidität liegen. Frauen weisen in
einem viel höheren Ausmaß zusätzliche medizinische,
psychologische, psychiatrische und soziale Probleme auf, hingegen haben sie
eine deutlich geringere Belastung hinsichtlich forensischer Delikte.
Substanzabhängigkeit stellt den größten Risikofaktor für
die Akquirierung einer HIV-Erkrankung bei Frauen dar. Die weiblichen
Suchtkranken leiden viel häufiger zudem an Erkrankungen des affektiven
Formenkreises, zeigen sich psychopathologisch auffälliger, weisen in der
Krankheitsgeschichte die höhere Anzahl an Suizidversuchen auf und
verfügen außerdem über ein geringeres Selbstwertgefühl und
schlechtere Coping-Strategien. Charkteristischerweise haben Frauen mit
Substanzabhängigkeit schwierige partnerschaftliche Strukturen, wo
häufig eine nahezu blind masochistische Orientierung am Partner erfolgt.
Untersuchungen zeigen, dass 70 % einer untersuchten graviden
substanzabhängigen Population einen ebenfalls substanzabhängigen
Partner hat. Ein weiterer Faktor, der in einem therapeutischen Setting
Berücksichtigung finden muss, ist die Tatsache, dass eine hohe Rate an
vergangenem bzw. weiter bestehendem sexuellen, emotionalen und physischen
Missbrauch besteht.
Wesentlich ist neben der für Frauen äußerst
notwendigen psychosozialen und behavioristischen Begleitbetreuung, wie sie
selbst eindrucksvoll in der Therapie der Nikotinabhängigkeit belegt ist,
das Wissen um die unterschiedliche biologische Verstoffwechselung von
Substanzen. So gibt es Hinweise, dass nicht nur Psychopharmaka durch eine
hormonelle Beeinflussung der zytochromalen Aktivität bei Frauen
unterschiedlich rasch (meist rascher) abgebaut werden im Vergleich zu
Männern, sondern dass etwa Kokain rascher verstoffwechselt wird. Erste
Ergebnisse in Craving-Untersuchungen zeigen auch auf, dass Unterschiede in der
Intensität bestehen in Abhängigkeit vom menstruellen Zyklus.
Einheitlich werden in wissenschaftlichen Arbeiten hormonelle Unterschiede
für unterschiedliche Ergebnisse verantwortlich gemacht, hier schient vor
allem der Einfluss von Östrogenen wesentlich zu sein. All jene Faktoren
müssen, um ein Behandlungsprogramm erfolgreich zu gestalten,
Berücksichtigung finden.
Prof. Dr. Gabriele Fischer
Universitätsklinik
für Psychiatrie Wien
Währinger Gürtel
18-20
1090 Wien
ÖsterreichE-mail:
gabriele.fischer@akh-wien.ac.at
Ziele differenzierter medizinischer Behandlung im Verlauf von
Alkoholabhängigkeit
Ziele differenzierter medizinischer Behandlung im Verlauf von
Alkoholabhängigkeit
Martin Banger
Behandlungsziele im Verlauf der Behandlung einer
Alkoholabhängigkeit variieren, daher ist es notwendig zu differenzieren
zwischen Nahzielen, die in einem engen Zeitrahmen realistisch erreicht werden
können, und Fernzielen, die nicht in absehbarer Zeit erreicht werden
können. Doch wer strebt welche Ziele an? Ist es der Patient, der ein
eigenes Ziel im Rahmen seiner Abhängigkeitserkrankung ansteuert, ist es
der Behandler, ein Angehöriger oder eine staatliche Institution? Im
Weiteren wird unter Ziel eine Zielvereinbarung zwischen Patienten und Behandler
verstanden, die auf der Basis eines Arbeitsbündnisses zwischen Patienten
und Arzt entstanden ist.
Sinnvolle medizinische Ziele, die handlungsleitend sein sollen,
berücksichtigen die Realität des Patienten und sind abhängig von
dessen biopsychosozialen Ressourcen. Nah- und Fernziele bei einem jugendlichen
Alkoholabhängigen sind sicher andere und bedingen andere Interventionen
als bei einem alkoholabhängigen alten Menschen. Neben dem Lebensalter, dem
Geschlecht, einem etwaigen Migrantenstatus sind auch weitere Störungen im
Sinne einer psychiatrischen, aber auch somatischen Komorbidität zu
beachten und mit zu behandeln. In den letzten Jahren hat sich für die
Beurteilung der Veränderungsbereitschaft der betreffenden Patienten das
Wendeltreppenmodell von DiClemente und Prochaska (1994) als hilfreich erwiesen.
Daneben sind die Schwere der Suchterkrankung sowie die individuellen
Bedürfnisse des Patienten zu berücksichtigen.
In Anlehnung an Körkel (1988), Schwoon (1992) und Feuerlein,
Küfner, Soyka (1988) wird heute eine Zielhierachisierung vorgenommen:
-
Sicherung des Überlebens
-
Verhinderung von körperlichen Folgeschäden
-
soziale Sicherung des Betreffenden
-
Milderung sozialer Desintegration
-
Vermittlung von Einsicht in die Abhängigkeitsproblematik
und Förderung von Veränderungsbereitschaft
-
Erreichung von Abstinenzphasen
-
Behandlungsmotivation und Akzeptanz professioneller
Hilfsangebote
-
Erreichen einer verbesserten Lebensqualität
-
konstruktive Bearbeitung von Rückfällen
-
autonome Lebensgestaltung in freier persönlicher
Entscheidung
-
Reintegration in soziale und berufliche Zusammenhänge
Die Ziele werden im Regelfall nicht explizit voneinander getrennt
und in zeitlicher Abfolge angestrebt; vielmehr müssen die therapeutischen
Maßnahmen dem psychischen, physischen und sozialen Störungsmuster
des Suchtkranken im Sinne einer Komplexleistung unter Berücksichtigung
lebensphasenspezifischer Bedürfnisse gerecht werden (Schmidt 2001). So wie
es den Königsweg aus der Alkoholabhängigkeit heraus nicht gibt,
existiert auch nicht die vollständige dauerhafte absolute Alkoholkarenz
als einziges Ziel für alle Alkoholabhängigen. Im Sinne einer
ökonomischen und effektiven Therapie ist es bei den angestrebten
Behandlungszielen notwendig zu differenzieren, sie angepasst an die
Möglichkeiten des Patienten individuell interaktiv zu entwickeln, sie fest
miteinander zu vereinbaren und im Verlauf die Einhaltung zu
überprüfen.
PD Dr. med. Martin Banger
Rheinische Kliniken
Bonn
Abteilung Allgemeine Psychiatrie 1
Karl-Kaiser-Ring
20
53111 Bonn
Suchtkranke in der somatischen Medizin
Suchtkranke in der somatischen Medizin
Ulrich John, Ulfert Hapke, Hans-Jürgen
Rumpf
Suchtmittelbezogene Gesundheitsstörungen sind eine der
häufigsten Todesursachen. Mehr als 20 % aller
Todesfälle lassen sich allein durch Tabakrauchen und Alkoholkonsum
erklären. Dementsprechend häufig sind suchtmittelbezogene
Erkrankungen in der somatischen Medizin zu erwarten. In Deutschland wird dieses
Problem nicht adäquat behandelt. Es liegen keine regional
repräsentativen wissenschaftlichen Ergebnisse vor. Wenige Studien waren
auf einzelne Stationen oder Abteilungen von Allgemeinkrankenhäusern
beschränkt. Eine Untersuchung, die repräsentativ für ein
Versorgungskrankenhaus in Norddeutschland ist, weist nach systematischem
Screening und einer Diagnostik auf Alkoholabhängigkeit bei jedem Patienten
bei mehr als 20 % aller Patienten auf alkoholbezogene
Störungen hin, die zum überwiegenden Teil in der klinischen Routine
als solche nicht diagnostiziert wurden. Bei Hochrechnung dieser
Häufigkeiten lässt sich schlussfolgern: Von allen erwartbaren
stationären Patienten mit Alkoholabhängigkeit in der Bundesrepublik
Deutschland während eines Jahres befinden sich 91 % in
Allgemeinkrankenhäusern, 6 % in psychiatrischen
Krankenhäusern und lediglich 3 % in den dafür
vorgesehenen stationären Therapieeinrichtungen für
Alkoholabhängige. Weitgehend unbekannt ist die Situation bei psychotropen
Medikamenten. Drogenabhängige sind überproportional häufiger als
Allgemeinkrankenhauspatienten zu erwarten. In der ambulanten Versorgung werden
in einer Zufallsauswahl von Allgemeinarztpraxen 17 % der
Patienten mit Alkoholstörungen diagnostiziert. Eine Studie zur
Kurzberatung von alkoholabhängigen Patienten im Allgemeinkrankenhaus
belegt, dass mit Kurzberatungen die Inanspruchnahme von Hilfen und die
Abstinenz förderbar sind. Es wird geschlossen, dass suchtmittelbezogene
Erkrankungen ein häufiges Problem in der somatischen Versorgung bilden,
das nicht adäquat behandelt wird, obwohl Kurzinterventionsmethoden
vorliegen. Die Durchsetzung eines wirksamen Versorgungskonzeptes bietet einen
signifikanten Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung der
Bevölkerung.
Prof. Dr. Ulrich John
Universität
Greifswald
Institut für Epidemiologie und
Sozialmedizin
Walther-Rathenau-Straße 48
17487
Greifswald
Geschichte der ärztlichen Verordnung von Opioiden an
Abhängige
Geschichte der ärztlichen Verordnung von Opioiden an
Abhängige
Rainer Ullmann
Es gab nie eine wissenschaftliche Begründung dafür,
Opiaterhaltungstherapien zu verbieten. Opiaterhaltungstherapien (nicht
Substitutionsbehandlungen) waren Standard bis in die 20er Jahre, weil die
meisten Opiatabhängigen Abstinenz zu einem willkürlichen Zeitpunkt
nicht erreichen konnten. Nach allgemeiner medizinischer Auffassung
benötigen einige Patienten dauernd Opiate. Ein Teil der
Morphinabhängigen der 20er Jahre war den Heroinabhängigen des letzten
Drittels des 20. Jh. sehr ähnlich. Gerade bei dieser Gruppe hatten
Entwöhnungsbehandlungen schlechte Ergebnisse und Ärzte waren wenig
interessiert, diese „Psychopathen” zu behandeln. 1926 wurden in
Deutschland Opiaterhaltungstherapien verboten. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die
Ärzte vollständig aus der Behandlung Heroinabhängiger
gedrängt, der ärztliche Gedanke der Schadensminderung galt nicht
mehr. Behandlung war jetzt eine Mischung von Erziehung, Sozio- und
Psychotherapie, bei der psychiatrische Begleitkrankheiten meist nicht
angemessen behandelt wurden. Nach anfänglich euphorischer Betrachtung
zeigten langfristige Katamnesen, dass die Behandlungsergebnisse so schlecht
waren wie 50 Jahre zuvor. Wegen der HIV-Epidemie setzte sich das ärztliche
Konzept der Schadensminderung seit Beginn der 90er Jahre langsam wieder durch.
Jetzt sind Substitutionsbehandlungen (Ersatz des illegalisierten Heroins durch
langwirkende Opioide in Dosierungen möglichst ohne pharmakologische
Wirkung) die Standardbehandlung. Sie sind allerdings nach den Kriterien der
sog. Abstinenzbehandlung und nach den staatlichen Kontrollbedürfnissen
reglementiert.
Das Verbot der Erhaltungstherapien hat nicht zu einer Verringerung
der Zahl der Opioidabhängigen geführt, sondern zu einer Zunahme auf
etwa das 50fache. Die Sterblichkeit und das HIV- und Hepatitisinfektionsrisiko
sind auf das 50- bis 100fache - verglichen mit der übrigen
Bevölkerung - erhöht.
Dr. med. Rainer Ullmann
Curschmannstraße
10
20251 Hamburg
Hautinfektionen bei Suchtkranken: Präsentation eines Falles
einer nekrotisierenden Fasziitis
Hautinfektionen bei Suchtkranken: Präsentation eines Falles
einer nekrotisierenden Fasziitis
Susanne Polywka, Rainer Laufs
Infektionen sind bei drogenabhängigen Patienten die
häufigste Todesursache und Infektionen der Haut und des Bindegewebes sind
die häufigsten Gründe für eine ärztliche Behandlung.
Hierbei sind meist grampositive Mikroorganismen wie Staphylococcus aureus sowie α- und
β-hämolysierende Streptokokken und Koagulase-negative Staphylokokken
in Rein- oder Mischkulturen beteiligt. Die Lokalisation der Abszesse und die
Art der auslösenden Erreger unterscheiden sich bei verschiedenen
injizierten Substanzen (z. B. Kokain vs. Heroin) und auch bei
verschiedenen Injektionsorten (z. B. V. subclavia vs. V. iliaca). Meist
führen Infektionen der Haut zu einer Zellulitis, aber leicht können
daraus Abszesse entstehen. Bei Lokalisation eines Abszesses im Halsbereich
können sich die Erreger ausbreiten und zu einer Mediastinitis führen.
Bei jedweder Hautinfektion kann die Invasion der Erreger zu einer
hämatogenen Streuung und zu einer Sepsis führen.
Die schwerste Form der Infektionen von Haut und Bindegewebe ist die
nekrotisierende Fasziitis; sie bedarf der schnellstmöglichen und
adäquaten Behandlung. Das klinische Bild ist zu Anfang der Infektion
jedoch meist sehr mild; wegweisende Symptome wie hohes Fieber, Blasenbildung
der Haut, Knistern im Gewebe und Hautnekrosen fehlen zu diesem Zeitpunkt oft,
so dass die eigentlich erforderliche Notfallbehandlung nicht erfolgt. Auch
unter dem Debridement eines Abszesses oder einer Zellulitis kann anfangs die
wahre Ursache der Erkrankung unentdeckt bleiben; und auch trotz anscheinend
ausreichender Inzision und Drainage kann sich der Prozess weiter ausbreiten.
Der wichtigste Hinweis auf die Natur der zugrunde liegenden Infektion sind
Schmerzen und Störungen der Hämodynamik, die im Missverhältnis
zum augenscheinlich geringen Ausmaß der Hautinfektion stehen. Bei
Suchtkranken, denen oft Simulation unterstellt wird, um Narkotika verschrieben
zu bekommen, kann diese Fehlinterpretation zu einer Verzögerung von
Diagnostik und Therapie führen. Bei den auslösenden Erregern
dominieren mit 50 % β-hämolysierende Streptokokken
gefolgt von Staphylococcus aureus,
α-hämolysierenden Streptokokken und Koagulase-negativen
Staphylokokken. Gramnegative Bakterien (Escherichia
coli, Klebsiellen, Proteus mirabilis,
Pseudominaden und Enterobacterarten) und Hefen werden selten gefunden. In ca.
12 % der Fälle sind Anaerobier mitbeteiligt.
Die Mortalität der nekrotisierenden Fasziitis ist mit
20-47 % hoch. Eine alleinige antibiotische Therapie der
nekrotisierenden Fasziitis führt in 75 % der Fälle zur
weiteren Progression. Notwendig ist die Kombination parenteral applizierter
Antibiotika mit ausgedehnter chirurgischer Sanierung des Herdes; Letztere
sollte nach 24 Stunden und danach so oft wie erforderlich zur Reexploration des
lokalen Befundes wiederholt werden. Eine offene Wundbehandlung erleichtert die
regelmäßige Inspektion des befallenen Gebietes und eine sofortige
Abtragung neuer Nekrosen. Vor allem bei Infektionen durch hämolysierende
Streptokokken wird unterstützend die intravenöse Gabe von
Immunglobulinen diskutiert, bei polymikrobiellen Infektionen besonders des
Stammes kann auch eine Behandlung mit hyperbarem Sauerstoff erforderlich
sein.
In dem Beitrag werden Pathogenese und Therapie der nekrotisierenden
Fasziitis beschrieben und der Verlauf wird anhand von Bildern eines von uns
kürzlich betreuten Falles demonstriert.
Dr. med. Susanne Polywka
Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf
Institut für
Medizinische Mikrobiologie und Immunologie
Martinistraße
52
20246 Hamburg
Minderung des Hepatitis B- und C-Infektionsrisikos durch
Substitutionsbehandlung
Minderung des Hepatitis B- und C-Infektionsrisikos durch
Substitutionsbehandlung
Rainer Ullmann
Durch Blutkontakte übertragbare Krankheiten wie die
HIV-Infektion und Hepatitis B und C haben sich unter den Abhängigen
illegaler Drogen durch das gemeinsame Benutzen von Spritzbestecken, das durch
die Prohibition gefördert wurde, epidemisch ausgebreitet. Auf dieses
Risiko hatte bereits Erlenmeyer 1887 - damals in Hinblick auf Tuberkulose
und Syphilis - hingewiesen. Während in den 60er und 70er Jahren
besonders die Hepatitis B-Infektionen unter den IVDA registriert wurden, hat
sich das Interesse seit den späten 80er Jahren der HIV-Infektion und seit
den 90er Jahren der Hepatitis C zugewandt, die seit 1991 identifiziert werden
kann und den größten Teil der NonA-NonB-Hepatitisfälle
ausmacht. Hepatitis B heilt in ca. 95 % der Fälle aus, bei
der Hepatitis C werden 50-80 % chronische Verläufe und
ein häufiger Übergang in eine Leberzirrhose und später in ein
Leberzellkarzinom beschrieben.
Die Prävalenz der Hepatitis C beträgt jetzt
60-80 %, die Infektionsrate nimmt mit der Dauer der
Abhängigkeit zu. Während der Substitutionsbehandlung ist eine
verminderte Infektionsrate wegen des verminderten intravenösen
Heroinkonsums zu erwarten.
Das Risiko der Übertragung von Hepatitis C durch Blutkonserven
wurde durch geeignete Maßnahmen rasch reduziert. Ein vergleichbares
Vorgehen bei IVDA ist nicht erkennbar. Die AUB-Richtlinien akzeptieren immer
noch nicht die Verhinderung einer HIV- oder Hepatitis-Infektion als Indikation
für eine Substitutionsbehandlung zu Lasten der GKV. Auch andere
erfolgversprechende Ansätze zur Minderung des Infektionsrisikos
(Spritzentausch, Fixerräume, Heroinvergabe) sind noch immer umstritten.
Damit werden IVDA dem Risiko lebensbedrohlicher Krankheiten ausgesetzt -
trotz der Möglichkeiten, Infektionen zu verhindern.
Wir haben seit 1992 bei allen neu in Behandlung kommenden
Heroinabhängigen nach HIV-, Hepatitis B- und C-Antikörpern gesucht.
Der Beginn des Heroinkonsums wurde erfragt und die Häufigkeit der
Infektionen mit der Dauer der Sucht korreliert. Während der Behandlung
testeten wir die negativen Patienten alle 6-12 Monate erneut auf
Hepatitis C-Antikörper. So können wir das Risiko vor und unter
Substitutionsbehandlung vergleichen. In den letzten Jahren haben wir
systematisch gegen Hepatitis B geimpft. Durchschnittlich sind 5 %
unserer Patienten mit HIV, 54 % mit Hepatitis B und
67 % mit Hepatitis C infiziert.
Bereits nach 2 Jahren sind 40 % der Patienten mit
Hepatitis B und 50 % mit Hepatitis C infiziert. Nach 15 Jahren
Suchtdauer fanden wir 11 % HIV-Infektionen, 80 %
Hepatitis B- und 90 % Hepatitis C-Infektionen.
Unter der Behandlung traten in 967 Behandlungsjahren 2
HIV-Infektionen, in 456 Behandlungsjahren 5 Hepatitis B- und in 266
Behandlungsjahren 15 Hepatitis C-Infektionen neu auf. Auch unter der Behandlung
infizieren sich jährlich 0,2 % der Patienten mit HIV,
1,1 % mit Hepatitis B und 5,6 % mit Hepatitis C.
Das Risiko ist aber erheblich geringer als in den ersten Suchtjahren. Durch
rechtzeitige Impfung sollte es möglich sein, Hepatitis B-Infektionen
vollständig zu verhindern.
Schlussfolgerung: Um HIV-, Hepatitis B und C bei
Drogenabhängigen zu verhüten, muss die Behandlung so früh wie
möglich beginnen. Richtlinien, die Heroinabhängige mit kurzem Verlauf
von der Behandlung ausschließen, sind schädlich.
Außerdem müssen die Patienten über die
Infektionswege informiert werden, besonders darüber, dass jeglicher
gemeinsame Gebrauch von Spritzbestecken, auch bei indirektem Kontakt,
gefährlich ist. Die Hepatitis A und B können durch Impfung sicher
verhütet werden. Das muss allen, die intravenös konsumieren,
angeboten werden. Bei Hepatitis C-Infizierten ist auch die Impfung gegen
Hepatitis A notwendig, weil fulminante Verläufe der Hepatitis A bei
bestehender Hepatitis C auftreten können und weil bei Infektion mit
Hepatitis A die Hepatitis C aktiviert werden kann.
Dr. med. Rainer Ullmann
Weidenallee 1
20357
Hamburg
Honorierung der ambulanten Suchtmedizin
Honorierung der ambulanten Suchtmedizin
Joachim Zerdick
Im Workshop „Honorierung der ambulanten Suchtmedizin”
anlässlich des 10. Suchtmedizinischen Kongresses der Deutschen
Gesellschaft für Suchtmedizin werden zunächst die Bedingungen
erörtert, die für eine Abrechungsgenehmigung für substituierende
Ärzte bestehen. Es wird auf die Richtlinien zur
substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger eingegangen, die
für die vertragsärztliche Versorgung Gültigkeit besitzen.
Zusätzlich werden die Vorschriften erläutert, die in der
Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) bei der Behandlung von
Opiatabhängigen zu beachten sind.
Schwerpunkt der Darstellungen sind die Möglichkeiten der
Abrechnung von Leistungen nach der vertragsärztlichen Gebührenordnung
(einheitlicher Bewertungsmaßstab - EBM -) bzw. der
privatärztlichen Gebührenordnung (GOÄ), bei der Versorgung und
anschließenden Abrechnung von ambulanten suchtmedizinischen Leistungen.
Hier wird vor allem auf die Leistungen des EBM eingegangen werden wie
Erörterungen, Untersuchungen, Sonderleistungen, Leistungen der
Substitutionsbehandlung sowie spezielle Laborparameter im Rahmen der
Suchtmedizin.
Nach der Einführung von Praxis- und Zusatzbudgets für die
niedergelassenen Ärzte, die die Abrechnung der Leistungen in der
ambulanten Suchtmedizin erheblich einschränken, werden die
Möglichkeiten besprochen, welche ggf. bestehen können, um eine
Erweiterung des Praxisbudgets zu erhalten. Hierbei können bei der
zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung zur Sicherstellung eines
besonderen Versorgungsbedarfes in der ambulanten Suchtmedizin entsprechende
Anträge gestellt werden.
Dr. med. Joachim Zerdick
Arzt für
Allgemeinmedizin
Keplerstraße 8
30165 Hannover
Kokain und Crackkonsum - ein klinisches Problem?
Kokain und Crackkonsum - ein klinisches Problem?
Peter Degkwitz, Christian Haasen
Es gibt eine deutliche Zunahme von Kokain und Crack auf der
Drogenszene. Dennoch erfolgt (bislang) keine Ablösung von i. v.
Heroin als zentrale Droge auf der Szene. Gegenwärtig zeigt sich Crack
vorrangig als Teil polyvalenter Konsummuster unter Opiatabhängigen.
Allerdings ist bei einem Teil dieser Konsumenten Crack zur Hauptproblemdroge
geworden. Crack wird ebenso von Substituierten konsumiert; bei einem Teil
scheitert darüber die Substitutionsbehandlung. Auch wenn dies nur kleinere
Teilgruppen betrifft, sind die Probleme eine erhebliche Belastung der
entsprechenden Einrichtungen. Es gibt Ansätze zur Herausbildung
eigenständiger Crackmilieus mit neuen Konsumentengruppen. Das betrifft
desintegrierte Jugendliche, die auf der Straße leben, minderjährige
Prostituierte und teilweise jugendliche Stricher.
Inwieweit der Kokain- und Crackkonsum zu einem klinischen Problem
wird, ist von den somatischen und psychischen Folgen abhängig. Als
somatische Langzeitfolgen werden Arrhythmien beschrieben, seltener auch andere
kardiovaskuläre Komplikationen, da die kokainbedingte Vasokonstriktion zu
einer myokardialen Ischämie führen kann. Die psychischen Folgen eines
chronischen Kokainkonsums können sehr vielfältig sein. Aufgrund der
Toleranzentwicklung bei regelmäßigem Konsum lassen die
erwünschten Wirkungen des Kokains nach. Auch bei einer Steigerung der
Dosis können nach einer (individuell unterschiedlich langen) Zeit diese
Wirkungen - vor allem das Euphoriegefühl - ganz sistieren. Der
Kokainabhängige läuft dem ursprünglichem
„High”-Gefühl mit immer höheren Dosen hinterher, jedoch
mit immer weniger Erfolg. Das Kokain wird dann irgendwann nur weiter
eingenommen, um der zunehmend dysphorischen Stimmung und dem Energieverlust
entgegenzuwirken. Diese dysphorische Stimmung kann andere, einer schweren
Depression ähnliche Symptome hervorrufen (z. B. tiefe
Hoffnungslosigkeit). Hier ist die Gefahr eines Suizidversuches trotz des
reduzierten Energieniveaus nicht zu unterschätzen. Die schwereren
psychischen Probleme ergeben sich jedoch aufgrund der bei höheren Dosen
zunehmenden Angst und Misstrauen. Bei Zunahme dieser Symptomatik kann es zu dem
Bild einer ausgeprägten Angststörung mit panischen Zuständen
und/oder zu paranoiden bzw. paranoid-halluzinatorischen Psychosen kommen. Diese
Zustandsbilder sind dann nicht mehr von idiopathischen psychiatrischen
Störungen zu unterscheiden. Nur durch Nachweis des Kokains im Urin oder
Blut und aufgrund des Verlaufes kann das Krankheitsbild als Folge des
Kokainkonsums betrachtet werden. Bei persistierender Symptomatik muss jedoch
die Möglichkeit einer (mehr oder weniger von der Kokainabhängigkeit
unabhängigen) zweiten psychischen Störung im Sinne einer
Komorbidität ausgegangen werden.
Dr. rer. pol. Peter Degkwitz, Dr. med. Christian
Haasen
Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der
Universität Hamburg
Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Arzthelfer(innen)-Seminar - Umgang mit
Suchtpatienten
Arzthelfer(innen)-Seminar - Umgang mit
Suchtpatienten
Hubertus Stahlberg, Susann Stahlberg
Im Rahmen des Suchtmedizinischen Kongresses wird in diesem Jahr zum
zweiten Mal ein Seminar für Arzthelfer(innen) durchgeführt.
Erfahrungen aus 6-jähriger Substitutionspraxis und einer
Lehrtätigkeit an einer Berufsschule für Arzthelfer(innen) sollen hier
mit eingebracht werden. Grundlage für das Seminar ist eine Befragung, die
in Arztpraxen anhand von Fragebogen durchgeführt wurde. So war es
möglich, Informationen über Probleme von Arzthelfer(innen) im Umgang
mit Suchtpatienten und Substituierten zu erhalten.
-
„Mit der Abrechnung und Dokumentation komme ich nicht
mehr klar, da ändert sich ständig etwas.”
-
„Ich möchte gerne mehr über Substitution
erfahren, weiß aber nicht wie.”
-
„Ich würde gerne Akupunktur bei
Drogenabhängigen lernen.”
-
„Mein Chef fragt mich nie nach unseren
Substitutionspatienten, obwohl ich sie jeden Tag sehe und sehr viele
Informationen erhalte.”
-
„Ich fürchte mich vor Hepatitis oder AIDS, wenn ich
Blut abnehme oder Urintests durchführe.”
-
„Manche Kolleginnen wollen nichts mit
Drogenabhängigen zu tun haben.”
-
„Manchmal habe ich Angst vor
Drogenabhängigen.”
-
„Das Schicksal von schwer kranken Drogenabhängigen
macht mich manchmal völlig fertig.”
Diese Aussagen sollen zur Diskussion gestellt werden und den
gegenseitigen Austausch fördern. Zudem besteht der Eindruck, dass viele
Arzthelfer(innen) keine Möglichkeit haben, während der Arbeit
über Probleme zu sprechen, geschweige denn Bewältigungsstrategien zu
entwickeln. Aus diesem Grund wird nicht nur ein Austausch auf sachlicher Ebene
stattfinden, sondern es soll auch ein Austausch der persönlichen,
emotionalen Ebene gefördert werden.
Wir wünschen uns, dass dieses Seminar zu mehr Offenheit und
Motivation in den PraxisTEAMS beiträgt.
Dr. med. Hubertus Stahlberg, Susann
Stahlberg
Allgemeinpraxis
Meyermannsweg 3
21218
Seevetal
Löschung des Suchtgedächtnisses: eine therapeutische
Perspektive?
Löschung des Suchtgedächtnisses: eine therapeutische
Perspektive?
Goetz Mundle, C. Dedner
Ziel dieser Studie war es, die Durchführbarkeit eines neuen
Behandlungsansatzes entsprechend des
„Rückprägungsmodells” der Arbeitsgruppe Wolffgramm zu
überprüfen und erste Hinweise auf eine mögliche Wirksamkeit zu
erhalten. Dieser Behandlungsansatz beruht auf einem 3-Phasen-Modell, welches im
Tierversuch erstmals erfolgreich den Kontrollverlust opiatabhängiger
Ratten rückgängig machen konnte, mit dem Ergebnis, dass sich alle so
behandelten Tiere anschließend wie opiat-naive Tiere verhielten.
In dieser ersten klinischen Studie am Menschen wurden 25
opiatabhängige Patienten an der Universitätsklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen in möglichst enger Anlehnung
an das neue Therapiemodell unter rein stationären Bedingungen behandelt.
Nach einer abgeschlossenen körperlichen Entgiftung wurde in Woche 1 das
Kortikosteroid Prednisolon verabreicht, in Woche 2 das Kortikosteroid in
Kombination mit dem Opiat Kodein, in Woche 3 das Opiat alleine. Der
Verabreichungsmodus des Opiats wurde entsprechend dem Tiermodell
„forciert” gewählt, d. h., unabhängig von der
Motivation oder Erwartung erhielten die Studienpatienten das Opiat nach einem
festen Zeitschema. Nach der Behandlung erfolgte eine 3-monatige Nachbeobachtung
zur Überprüfung des Therapieerfolges und, falls notwendig, zur
Behandlung möglicher Rückfälle.
Erstes Ergebnis dieser Pilotstudie war, dass unter dem neuen
Behandlungsmodell keine neuen, über die bekannten Nebenwirkungen der
einzelnen Substanzen hinausgehenden zusätzlichen Nebenwirkungen
aufgetreten sind. Kein Patient musste aufgrund von Nebenwirkungen aus der
Studie ausgeschlossen werden oder brach die Behandlung aufgrund solcher ab. Ein
Patient beendete aus familiären Gründen die Behandlung vorzeitig. Ein
Patient musste nachträglich aufgrund einer schweren komorbiden
Störung aus der Studie ausgeschlossen werden.
Zweites Ergebnis dieser Untersuchung war, dass erste Hinweise auf
eine mögliche Wirksamkeit dieser neuen Behandlungsmethode gefunden werden
konnten. Zwei Patienten waren während des gesamten
Nachbeobachtungszeitraumes komplett opiatfrei. Ein Patient konsumierte
kurzfristig Opiate, erfüllte aber nicht die Rückfallkriterien
(> 3 Tage). Drei weitere Patienten waren im Nachbeoabachtungszeitraum
zwischenzeitlich rückfällig, nach 3 Monaten jedoch erneut opiatfrei.
Bei 19 Patienten kam es zu keinen Veränderungen des Opiatkonsums.
Die Ergebnisse dieser Pilotstudie zeigen, dass das neue
Therapiemodell prinzipiell beim Menschen anwendbar ist, wobei die
Behandlungsmethode zur Steigerung der Wirksamkeit optimiert werden muss. Offene
Fragen betreffen die Wahl des Opiats und Kortikosteroids und insbesondere den
Verabreichungsmodus des Opiats. Weiterhin ist eine Kombination mit einer
spezifischen Psychotherapie während der Behandlung und einer
psychosozialen Betreuung nach der Behandlung anzustreben.
PD Dr. med. Goetz
Mundle
Oberbergkliniken
Forschungsschwerpunkt
Suchtforschung
Oberberg 1
78132 Hornberg
Möglichkeiten pharmakologischer Interventionen:
Impfstoffe und Pharmakotherapie in der Suchtbehandlung der
Zukunft
Möglichkeiten pharmakologischer Interventionen:
Impfstoffe und Pharmakotherapie in der Suchtbehandlung der
Zukunft
Rainer Spanagel
In den letzten Jahren ist es uns gelungen, neue Tiermodelle zu
entwickeln, die viele Aspekte von Alkoholismus und Opiatabhängigkeit
darstellen (nach DSM-IV). Mit Hilfe dieses Modells konnte die Wirksamkeit der
Anticravingsubstanzen Acamprosat (Campral®) und Naltrexon (Revia™)
nachgewiesen werden. Mit weiteren verhaltenspharmakologischen Untersuchungen
und elektrophysiologischen/molekularbiologischen Methoden konnten wir den
Wirkmechanismus dieser Substanzen weitgehend aufklären: Naltrexon
blockiert Opiatrezeptoren auf Neuronen des mesolimbischen Belohnungssystems und
hemmt dabei die akuten wie auch konditionierten Verstärkereigenschaften
von Alkohol und Opiaten („positives Craving”), während
Acamprosat vorwiegend mit dem glutamatergen N-Methyl-D-Aspartat-(NMDA-)System
interagiert und zu deutlichen Veränderungen genomisch vermittelter
Prozesse führt. Acamprosat unterdrückt dabei sowohl akute als auch
konditionierte Entzugssymptome („negatives Craving”). Sollte es
nun weiterhin möglich werden, bei alkoholkranken Patienten zu
unterscheiden zwischen denen, die positives Craving, und solchen, die negatives
Craving (oder beides) nach einer „Cue exposure” verspüren,
so könnte eine zielgerichtete Pharmakotherapie eingesetzt werden
(individuell adaptierte Pharmakotherapie). Alternativ hierzu werden
verschiedene Aspekte der Drogenimmunisierung diskutiert.
Prof. Dr. Rainer Spanagel
Zentralinstitut für
Seelische Gesundheit
Abteilung Psychopharmakologie
Postfach
12 21 20
68072 Mannheim
Biologische Risikofaktoren von Sucht
Biologische Risikofaktoren von Sucht
Wolfgang Maier, Michael Krausz
Süchtiges Verhalten wird von verschiedensten Einflussfaktoren
in der Entstehung sowie in Verlauf und Therapie beeinflusst.
Der Einfluss biologischer Einflussfaktoren ist ein großes
eigenständiges Forschungsgebiet, das in den letzten Jahren v. a. in
den USA eine erhebliche Förderung erfahren hat. Insbesondere lassen sich
die biochemische Forschung, die Untersuchungen möglicher genetischer
Dispositionsfaktoren und deren Einfluss sowie das Brain-Imaging als
Hauptarbeitsbereich identifizieren.
In diesem Workshop wollen wir aktuellen Forschungsrichtungen zu den
biologischen Einflussfaktoren präsentieren und bezüglich der
klinischen Relevanz und Perspektive diskutieren. Zu den genannten drei
Forschungsbereichen werden aktuelle Übersichten über laufende
Forschungsvorhaben auch im Rahmen der Suchtforschungsverbünde Grundlage
einer anregenden Diskussion sein.
Prof. Dr. Wolfgang Maier
Rheinische
Friedrich-Wilhelm-Universität
Klinik und Poliklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie
Sigmund-Freud-Str. 25
53105
Bonn
Verbreitung und Bedingungen des kontrollierten Konsums von
Opiaten und Kokain/Crack
Verbreitung und Bedingungen des kontrollierten Konsums von
Opiaten und Kokain/Crack
Sebastian Scheerer
Opiate gelten seit Generationen als suchtgefährdend. Kokain
- besonders als Crack - wird ein noch höheres Suchtpotenzial
zugeschrieben. Diese konventionelle Sichtweise hat ihre guten Gründe, hat
aber auch ihre Schwächen. Während das „konventionelle
Wissen” davon ausgeht, dass im Regelfall die Droge(n) den Konsumenten
beherrschen und vernichten wird, zeigen neuere Studien das Gegenteil: die
große Mehrheit der Konsumenten dieser Drogen wird nicht zu deren Opfer,
sondern bedient sich ihrer zu selbstgesetzten Zwecken, und lobt auch im
nachhinein deren Nützlichkeit. Damit zeigen diese Ergebnisse die
Möglichkeit eines kontrollierten Umgangs so genannter harter Drogen
auf.
Gleichwohl werden sich die neueren Erkenntnisse langsam verbreiten
und vielmehr auf erhebliche Widerstände treffen. Dies wäre dann eher
als ein Indiz für die Interessenlagen als für die Qualität der
Forschung anzusehen.
Welche Bedeutung(en) könnten die Erkenntnisse eines
kontrollierten Konsums so genannter harter Drogen haben? Würde es nicht
bedeuten müssen, das diese, wie andere psychoaktive Substanzen -
Nikotin und Alkohol, wie Schlaf- und Weckmittel oder andere Arznei- und
Genussmittel - behandelt werden? Wäre nicht auch für eine
strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung eines Erwachsenen, der den Joint
der Marlboro oder die „Line” dem Sauvignon vorzieht, kein Platz
mehr.
Das hieße nicht nur therapeutisch, sondern auch politisch
zeitgemäße Konsequenzen zu ziehen; Anti-Drogen-Gesetze,
Anti-Drogen-Therapien und Anti-Drogen-Propaganda würden ihre Berechtigung
verlieren.
Prof. Dr. jur. Sebastian Scheerer
Institut für
Kriminologische Sozialforschung
Universität
Hamburg
Aufbau- und Kontaktstudium
Kriminologie
Troplowitzstraße 7
22 529
Hamburg
Das Ende der Therapie? Ethischer Rahmen und Ziele medizinischen
Handelns oder: was sind Behandlungserfolge - am Beispiel Sucht
Das Ende der Therapie? Ethischer Rahmen und Ziele medizinischen
Handelns oder: was sind Behandlungserfolge - am Beispiel Sucht
Ambros Uchtenhagen
Im Bereich der Psychiatrie generell und der Suchtkrankheiten im
besonderen gibt es ein Spektrum therapeutischer Interventionen, deren
Verständnis von Verlauf, Dauer und Abschluss nicht unterschiedlicher sein
könnte. In der Psychotherapie stehen Einstellungs- und
Verhaltensänderungen im Vordergrund, die Prozesscharakter haben, weshalb
die „offenen Horizonte” vorherrschen (mit Ausnahme etwa von
manualisierten Kurztherapien und verhaltenstherapeutisch orientierten
Therapien). Bei pharmakologischen Behandlungen hingegen gilt überwiegend
die Zielvorstellung von Symptomsteuerung und Befindlichkeitsänderung; sie
sind deshalb, je nach Grundstörung, zeitlich begrenzt oder unbegrenzt bis
lebenslang. Dies gilt im Prinzip auch dort, wo die Symptombesserung in den
Dienst von Einstellungs- und Verhaltensänderungen gestellt wird und
zusätzlich psychotherapeutische oder psychosoziale Maßnahmen
eingesetzt werden (wie beispielsweise bei Substitutionsbehandlungen).
Allen therapeutischen Interventionen gemeinsam ist - mit
Ausnahme von Notfall- und Zwangsmaßnahmen - deren Einleitung mit
Aufklärung, informed consent, Vereinbarungen über das Vorgehen,
über Rahmenbedingungen und Dauer, seien diese mündlich besprochen
oder schriftlich festgehalten. Idealerweise wird auch darüber gesprochen,
was erreicht werden soll, womit Vorstellungen über den Abschluss schon
impliziert sind.
Insbesondere in der Suchtbehandlung läuft aber nicht alles wie
geplant. Revision der Planung, der Rahmenbedingungen, selbst der Zielsetzungen
sind häufig. Eine der größten Herausforderungen sind die
Therapieabbrüche bei einem erheblichen Anteil, mitunter sogar bei der
Mehrheit derer, die eine Therapie begonnen haben. Eine Erforschung der
Abbrüche und Maßnahmen zu deren Verminderung sind deshalb
vordringlich, im Interesse der Betroffenen, aber auch eines wirtschaftlichen
Einsatzes therapeutischer Ressourcen. Risikofaktoren für vorzeitigen
Therapieabbruch betreffen sowohl PatientInnen-Merkmale, wie auch - und
vor allem - Merkmale der Behandlung. Ausschlüsse von einer
Behandlung hingegen sind wesentlich seltener; trotzdem bilden auch sie einen
Gegenstand wissenschaftlicher Bemühung, um ihnen möglichst vorbeugen
zu können.
Versteht man Suchtbehandlung als einen prozeßhaften Vorgang
zur Unterstützung von Einstellungs- und Verhaltensänderungen, als
einen Katalysator für das, was im wesentlichen der Betroffene selbst
leiten muss, dann erscheint das Ende der Therapie in einem anderen Licht. Es
ist dann nicht identisch mit dem Ende der Intervention.
Prozesshaft gesehen, steht am Beginn einer Therapie die Bereitschaft
für Veränderung, motivation for change. Ist
eine solche Bereitschaft auch nicht in Ansätzen vorhanden, hat Therapie
wenig Chancen. Hingegen sind Strategien zur Motivationsförderung am
Platze, wie etwa die verschiedenen Techniken des motivational interviewing oder motivational enhancement. Im Laufe der Therapie kommt es
zu einer Art Kriseninduktion, im Zusammenhang mit dem Aufgeben bisheriger
Verhaltensmuster, Gewohnheiten, Lusterlebnisse und Sicherheiten. Dabei kommt es
darauf an, diese Krise so zu dosieren, dass es nicht zu panischem Abbruch oder
abwehrhaftem Sich-verschanzen oder gar zu neuer Symptombildung kommt. Für
alles, was aufgegeben wird, muss etwas neues, das gewonnen werden kann,
vorhanden sein. Durch expected gains können
Verlustängste und Panikreaktionen in Schach gehalten werden, so wie das
Suchtverlangen, craving, damit neutralisiert werden
kann.
Hält man sich dies vor Augen, dann ist der therapeutische
Prozess - oder besser: therapeutisch angestoßene Prozess -
erst dann an seinem vorläufigen Ende (obwohl er wie das Altern und
Sich-Weiterentwickeln nie abgeschlossen ist), wenn ohne Rückgriff auf die
alten Suchtmuster sowohl der Alltag wie Krisen bewältigt werden
können. Schrittweiser Ersatz der therapeutischen Hilfen durch eigene
Coping-Muster und soziale Unterstützung im eigenen Beziehungsnetz spielen
dabei eine entscheidende Rolle.
Und noch etwas: das Ende der Therapie und das Ende des
therapeutischen Prozesses sind nicht identisch mit dem Ende einer
therapeutischen Beziehung. Was der Therapeut/die Therapeutin für den
Suchtkranken bedeutet, hat wiederum im Prozess eine wichtige Hilfsfunktion.
Einfühlung ohne Anbiederung, Verständnis ohne Mitagieren,
Sachkenntnis ohne Besserwisserei, die richtige Mischung von Nähe und
Distanz sind Stichworte für eine hilfreiche therapeutische Beziehung. Die
Erinnerung daran kann weit über die Behandlung hinaus wirksam sein und
wenn nötig stabilisieren helfen. Umgekehrt kann ein Scheitern der
Behandlung, das zu Schuld- und Schamgefühlen beim Kranken disponiert,
reaktiv zu einer Entwertung nicht nur der Intervention, sondern auch der Person
des Therapeuten führen, um die Schuld am Scheitern von sich weg zu
projizieren. Das erschwert eminent die spätere Wiederaufnahme einer
Behandlung. Solches im Auge zu behalten und möglichst zu verhindern,
zählt zu den nichtgeringsten Aufgaben einer Suchttherapie.
Prof. Dr. Dr. Ambros Uchtenhagen
ISF - Institut
für Suchtforschung
Konradstraße 32
8005
Zürich
Schweiz