Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(39): 1061
DOI: 10.1055/s-2001-17489
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Themen-Schwerpunktheft Hämatologie/Onkologie

Focus subject: Haematology/Oncology
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Publication Date:
27 September 2001 (online)

Prof. Dr. W. Hiddemann, München

Zunehmende Einblicke in die Pathogenese hämatologischer/onkologischer Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren nicht nur zu einem besseren Verständnis der Entstehung und Entwicklung bösartiger Tumoren geführt, sondern auch die Grundlagen dafür geschaffen, spezifischere Pathogenese-orientierte Therapiestrategien zu entwickeln. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Promyelozytenleukämie, bei der die Identifikation der spezifischen Translokation zwischen den Chromosomen 15 und 17 und die Aufdeckung der damit assoziierten molekularen Veränderungen die Grundlage dafür schuf, den Differenzierungsblock leukämischer Zellen durch All-Trans-Retinolsäure zu überwinden. Dass diese Therapie alleine jedoch zur endgültigen Elimination des leukämischen Klons nicht ausreicht, sondern durch eine konventionelle zytostatische Therapie ergänzt werden muss, unterstreicht, dass unsere Kenntnisse noch lückenhaft sind und eine vertiefende Erforschung benötigen. Die in diesem Schwerpunktheft publizierte Arbeit von Lengfelder et. al. (S. 1073) gibt einen hervorragenden Überblick über den aktuellen Stand der Erkenntnisse und Therapiekonzepte und informiert über die nationalen und internationalen Aktivitäten.

Ein zweites Beispiel für die Umsetzung molekularer Erkenntnisse in spezifische Therapiestrategien stellt die chronische myeloische Leukämie dar. Auch bei dieser Erkrankung liegt eine spezifische Translokation zwischen den Chromosomen 9 und 22 vor, die zur Bildung des pathologischen Fusionsgens bcr/abl führt. Dieses Fusionsprotein hat Aktivitäten einer Tyrosinkinase, die durch den neuen Tyrosinkinase-Inhibitor STI-571 blockiert werden kann. Die Erfahrungen, die mit dem Einsatz dieses Medikamentes weltweit und national vorliegen, sind außerordentlich ermutigend und lassen ähnlich wie bei der akuten Promyelozytenleukämie vermuten, dass eine spezifischere, möglicherweise jedoch alleine auch nicht-kurative Therapie für diese Erkrankung zwischenzeitig zur Verfügung steht.

Neben der Entwicklung Pathogenese-orientierter medikamentöser Therapien hat sich die Erkenntnis zunehmend durchgesetzt, dass der Aktivierung des Immunsystems große Bedeutung in der Bekämpfung maligner Tumoren zukommt. Am weitesten sind diese Kenntnisse bei den Leukämien entwickelt, bei denen über die allogenene Stammzelltransplantation bereits seit vielen Jahren therapeutische Erfahrung vorliegt. Ausgehend von der Erkenntnis, dass ein wesentlicher anti-neoplastischer Effekt der Transplantation in einem immunologischen Anti-Leukämieeffekt besteht, hat das Prinzip der Transplantation nach Dosis-reduzierter Konditionierung rasche Verbreitung gefunden. Wenngleich dieses Konzept seinerseits mit erheblichen Komplikationen verbunden sein kann und der oft fälschlich gebrauchte Begriff »Minitransplantation« diese Gefahren negiert, bieten sich für die allogene Transplantation zunehmend Indikationsbereiche. In der Arbeit von Stötzer et. al. (S. 1062) wird über die Ergebnisse der Münchener Arbeitsgruppe bei malignen Lymphomen berichtet und damit verdeutlicht, dass sich das Feld der allogenen Transplantation in einem erheblichen Wandel befindet. Für die nahe und mittlere Zukunft kann die Hoffnung geäußert werden, durch bessere Kenntnisse der immunologischen Effekte, gegen neoplastische Zellen einerseits und normale Gewebe andererseits spezifischere Immuntherapieverfahren zu entwickeln, die das Armentarium der Therapie gegen bösartige Erkrankungen wesentlich erweitern werden.

Der diesjährige Jahreskongress der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie beschäftigt sich darüber hinaus mit zahlreichen weiteren Themen, die sich sowohl der klinischen Forschung als auch der Grundlagenforschung widmen. Darüber hinaus sind Patienten-orientierte Themen und gesundheitspolitische Fragen Gegenstand der Tagung. Insgesamt hat sich in der Hämatologie und Onkologie eine Aufbruchstimmung breit gemacht, die die Hoffnung berechtigt erscheinen lässt, dass für unsere Patienten in naher Zukunft effektivere und spezifischere Therapien zur Verfügung stehen können, dass deren Umsetzung jedoch integriert werden muss in neue Strukturen unseres Gesundheitssystems an deren Diskussion wir uns selbst als verantwortliche Ärzte und Wissenschaftler beteiligen müssen.

Prof. Dr. W. Hiddemann

Schriftleiter der DMW, Herausgeber dieses Heftes