Aktuelle Dermatologie 2001; 27(8/9): 285-287
DOI: 10.1055/s-2001-17288
KASUISTIK
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Solitärer Granularzelltumor und thrombosiertes Angiom als Differenzial-Diagnose zum metastasierten malignen Melanom[1]

Solitary Granular Cell Tumor and Thrombosed Angioma as Differential Diagnosis to Malignant Melanoma and Skin MetastasisM. Steger-de Wiljes1 , H. Mensing2 , D. Reinel1
  • 1 Abteilung für Dermatologie und Venerologie (Leiter: Flottenarzt Dr. med. D. Reinel) Bundeswehrkrankenhaus Hamburg (Chefarzt: Dr. med. U. Philipp)
  • 2 Dermatologische Praxis und dermatohistologisches Labor, Hamburg (Prof. Dr. med. H. Mensing)
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Dr. med. M.  Steger-de Wiljes

Abteilung für Dermatologie und Venerologie
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

Lesserstraße 180, 22049 Hamburg

Publication History

Publication Date:
19 September 2001 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung:

Es wird über einen Patienten mit einem solitären Granularzelltumor an der linken Schulter bei gleichzeitig bestehendem thrombosierten Angiom am rechten Unterschenkel berichtet. Unter der klinischen Verdachtsdiagnose eines metastasierenden malignen Melanoms wurden beide Tumoren am Aufnahmetag operativ entfernt. Erst die postoperative histologische und immunhistochemische Untersuchung erbrachte die überraschende Diagnose, dass hier zwei voneinander unabhängige gutartige Tumoren gleichzeitig entstanden waren.

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Solitary Granular Cell Tumor and Thrombosed Angioma as Differential Diagnosis to Malignant Melanoma and Skin Metastasis

We report on a 23-year-old patient with a benign granular cell tumor on the left shoulder and a thrombosed angioma on the right lower leg. First both tumors were clinically suspected to be a malignant melanoma with a giant skin metastasis. Only the histological and immunohistochemical examination resulted in the surprising diagnosis of a granular cell tumor. Granular cell tumors are rare and mostly benign. About the origin of the typical granular cells there is still a controversial discussion: The most widely accepted theory postulates an origin from the peripheral nerve system. Immunohistochemical studies seem to support this theory, but there are also contradictory results.

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Einleitung

Granularzelltumoren sind Tumoren, die selten präoperativ diagnostiziert werden. Erst die relativ eindeutige Histomorphologie und neuere immunhistochemische Untersuchungsmethoden sichern die Diagnose. Die Stammzellen dieser ganz überwiegend benignen Tumoren sind bisher noch nicht eindeutig identifiziert, allerdings deutet die Mehrzahl insbesondere der immunhistochemischen Befunde auf einen Ursprung bei perineuralen Fibroblasten bzw. Epithelzellen hin. Wegen der Rezidivneigung und der seltenen malignen Verläufe sollte eine Exzision in jedem Fall in toto angestrebt werden.

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Anamnese

Ein 23-jähriger männlicher Patient wurde vom Truppenarzt mit dem Verdacht eines metastasierenden malignen Melanoms (Primärtumor am rechten Unterschenkel, Metastase an der linken Schulter) in die Abteilung für Dermatologie des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg eingewiesen. Nach Angaben des Patienten bestand die Hautveränderung an der linken Schulter seit einem Jahr, wurde durch das Tragen des Rucksacks gereizt und habe oft geblutet, manchmal auch geeitert. Die Hautveränderung am rechten Unterschenkel sei ihm zuerst vor 2 Jahren aufgefallen. Seitdem stetiges Wachstum, keine Blutung, kein Juckreiz. Keine Allgemeinsymptome.

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Hautbefund sowie Primärstaging und Therapie

An der linken Schulter findet sich ein 3 x 3 cm großer, kreisrunder, scharf-begrenzter, erhabener, mit Schorf belegter Tumor von derber Konsistenz (Abb. [1]). Am rechten Unterschenkel zeigt sich ein 1 × 1 cm großer, ovaler, erhabener, schwarz pigmentierter Tumor (Abb. [2]). Der Lymphknotenstatus ist unauffällig, der Patient befindet sich in gutem Allgemein- und Ernährungszustand, die körperliche Untersuchung ist unauffällig. Beide Tumoren wurden in Lokalanästhesie operativ entfernt. Weitgehend komplikationsloser Heilungsverlauf. Zum Ausschluss einer möglichen, wenn auch sehr unwahrscheinlichen Metastasenbildung wurden eine Computertomographie des Schädels sowie der Halsregion, eine Sonographie des gesamten Abdomens sowie eine umfangreiche Labordiagnostik einschließlich der häufigsten Tumormarker durchgeführt. Bis auf leicht vergrößerte, am ehesten reaktive zervikale Lymphknoten sowie eine diskrete Splenomegalie fanden sich keine pathologischen Befunde. Labordiagnostik sämtlich unauffällig. Trotz intensiver Aufklärung lehnte der Patient weitere Nachsorgeuntersuchungen ab.

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Abb. 1Granularzelltumor an der rechten Schulter.

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Abb. 2Thrombosiertes Angiom am linken Unterschenkel.

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Histologischer/histochemischer Befund

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1. Tumor am Unterschenkel

Das Präparat zeigt im oberen und mittleren Drittel eine Vielzahl von Gefäßschlingen, die z. T. thrombosiert sind. Keinerlei atypische Zellen, kein Nachweis für ein malignes Melanom. Die Läsion ist in toto erfasst.

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2. Tumor an der Schulter

Der Tumor zeigt einen zentralen Verlust der Epidermis. Im seitlichen Bereich findet sich eine lippenartige Überkragung der dermalen Tumorzellen durch einen epithelialen Rand, der hier eine mäßige Akanthose aufweist. In dieser angrenzenden Epidermis keine atypischen Zellen. Der insgesamt symmetrisch aufgebaute Tumor dehnt sich bis ins tiefe Fettgewebe aus. Es finden sich großvolumige, gut abgegrenzte Zellkomplexe mit auffallend stark granuliertem hellen Zytoplasma (Abb. [3]). Die Zellkerne sind eher klein, zentral gelagert. Mitosen lassen sich nicht nachweisen. Zwischen diesen Tumorzellkonvoluten finden sich gewundene Bindegewebszüge, die den Anschein von Nervenscheiden wiedergeben. Immunhistochemisch zeigt sich eine mäßig positive Reaktion auf S 100 Protein, negative Reaktion auf HMB 45, positive Reaktion auf Neurofilamente.

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Abb. 3Granulierte Zellen mit eosinophilem Zytoplasma (siehe Pfeil).

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Diagnose

Granularzellmyoblastom. Der Tumor ist in toto exzidiert. Kein Nachweis eines malignen Melanoms oder einer Malignommetastase.

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Kommentar

Granularzelltumoren (GZT) wurden erstmals von dem russischen Pathologen Abrikossoff 1926 beschrieben [1]. Bis heute lässt sich die Histogenese dieser seltenen Tumoren trotz moderner immunhistochemischer Verfahren letztlich nicht eindeutig erklären. Beleg hierfür ist auch die Vielzahl von über 20 Synonymen für diesen Tumor in der Literatur (u. a. „Granularzellmyoblastom”, „Granularzellschwannom”, „Abrikossoff-Tumor”) [2] [3] [4].

GZT sind zu über 97 % gutartig [3] und wachsen meist solitär. Multiple GZT wurden selten beschrieben [5]. Am häufigsten betroffen ist die Haut, gefolgt von den Schleimhäuten der Mundhöhle, besonders an der Zunge. Bei den inneren Organen überwiegt der Befall des Ösophagus [6] [7]. Die Größe der Tumoren variiert in der Literatur von 0,5 bis 6 cm Durchmesser [2]. Die Tumoren an der Haut wachsen langsam und sind mit Ausnahme der Lokalisation an den Fingern [8] für die Patienten asymptomatisch.

Übereinstimmend in der Literatur lassen sich folgende histologische Merkmale feststellen: Eosinophiles Zytoplasma mit PAS-positiven Granula, ovale bis spindelige Zellen mit zentral gelegenen Kernen, Orientierung der Tumorzellen an myelinisierten Nervenbündeln, wobei auch eine Infiltration in Nervenscheiden beschrieben wurde, Abgrenzung des Tumors mit einer Membran [3] [4] [9].

Immunhistochemische Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass GZT ihren Ursprung am ehesten aus neuronalen Zellen nehmen: Besonders die neural-assoziierten Antigene S-100-Protein sowie Vimentin zeigen in fast allen Fällen einen positiven Befund [10] [11]. Allerdings gibt es gerade in der jüngsten Zeit auch Einzelfallberichte über S-100-negative GZT bzw. abweichende immunhistochemische Befundkonstellationen [12] [13].

Wegen der - wenn auch seltenen - Möglichkeit von malignen Verläufen [14] sollten GZT möglichst in toto exzidiert werden. Ist dies ausnahmsweise nicht möglich, ist eine klinische Verlaufskontrolle erforderlich. Intraläsionale Glukokortikoidinjektionen sollen in Einzelfällen zur Tumorregression führen können [15].

Die Seltenheit des Granularzelltumors kann, wie in diesem Fall, zu erheblichen differenzialdiagnostischen Schwierigkeiten Anlass geben, da das klinische Bild nicht diagnostisch ist und bei anderen gleichzeitig bestehenden Tumoren sogar der Verdacht auf eine amelanotische Metastase eines malignen Melanoms entstehen kann, auch wenn bekannt ist, dass ein malignes Melanom zum Zeitpunkt der Erstdiagnose selten bereits fernmetastasiert ist [16].

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Literatur

  • 1 Abrikossoff A. Über Myome, ausgehend von der quergestreiften willkürlichen Muskulatur.  Arch Pathol Anat . 1926;  260 215-233
  • 2 Bergner T, Eckert F, Braun-Falco O. Solitäre und multiple Granularzelltumoren.  Hautarzt. 1991;  42 162-167
  • 3 Apisarnthanarax P. Granular cell tumor.  J Am Acad Dermatol. 1981;  5 171-182
  • 4 Arensmeier M, Peschlow I. Abrikossoff-Tumor - eine klinische Überraschungsdiagnose.  Dermatol Monatsschr. 1986;  172 403
  • 5 Price M L, MacDonald D M. Multiple granular cell tumour.  Clin Exp Dermatol. 1984;  9 375-378
  • 6 Billeret-Lebranchu V. Granular cell tumor. Epidemiology of 263 cases.  Arch Anat Cytol Pathol. 1999;  47 (1) 26-30
  • 7 Huber M, Meier J, Stamm B. Abrikossoff-Tumor des Ösophagus - ein seltener submuköser Prozess.  Schweiz med Wochenschr. 1987;  117 1112-1116
  • 8 Price M F, Paletta C E, Woodberry K M. Granular cell tumor in a child's finger.  Ann Plast Surg. 2000;  44 (4) 447-450
  • 9 Berkowitz S F, Hirsh B C, Vonderheid E. Granular cell tumor: a great masquerader.  Cutis. 1985;  35 355-356
  • 10 Billeret-Lebranchu V, Martin de la Salle E, Vandenhaute B, Lecomte-Houcke M. Granular cell tumor and congenital epulis. Histochemical and immunohistochemical of 58 cases.  Arch Anat Cytol Pathol. 1999;  47 (1) 31-37
  • 11 Buley I D, Gatter K C, Kelly P MA, Heryet A, Millard P R. Granular cell tumors revisted. An immunohistological and ultrastructural study.  Histopathology. 1988;  12 263-274
  • 12 Schoedel K E, Bastaky S, Silverman A. A S100 negative granular cell tumor with malignant potential: report of a case.  J Am Dermatol. 1999;  39 894-898
  • 13 Patnaik A K. Histologic and immunohistochemical studies of granular cell tumors in seven dogs, three cats, one horse, and one bird.  Vet Pathol. 1993;  30 (2) 176-185
  • 14 Sonobe H, Iwata J, Furihata M, Moriki T, Ohtsuki Y. Malignant granular cell tumor: report of a case and review of the literature.  Pathol Res Pract. 1998;  194 (7) 507-513
  • 15 Noppakun N, Apisarnthanarax P. Multiple cutaneous granular cell tumors simulating prurigo nodularis.  Int J Dermatol. 1981;  20 126-129
  • 16 Buzaid A C, Sandler A B, Mani S, Curtis A M, Poo W J, Bolognia I L, Ariyan S. Role of computed tomography in the staging of primary melanoma.  J Clin Oncol. 1993;  11 (4) 638-643

1 Falldarstellung anlässlich der Herbsttagung der Hamburger Dermatologischen Gesellschaft am 29. 11. 2000.

Dr. med. M.  Steger-de Wiljes

Abteilung für Dermatologie und Venerologie
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

Lesserstraße 180, 22049 Hamburg

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Literatur

  • 1 Abrikossoff A. Über Myome, ausgehend von der quergestreiften willkürlichen Muskulatur.  Arch Pathol Anat . 1926;  260 215-233
  • 2 Bergner T, Eckert F, Braun-Falco O. Solitäre und multiple Granularzelltumoren.  Hautarzt. 1991;  42 162-167
  • 3 Apisarnthanarax P. Granular cell tumor.  J Am Acad Dermatol. 1981;  5 171-182
  • 4 Arensmeier M, Peschlow I. Abrikossoff-Tumor - eine klinische Überraschungsdiagnose.  Dermatol Monatsschr. 1986;  172 403
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  • 7 Huber M, Meier J, Stamm B. Abrikossoff-Tumor des Ösophagus - ein seltener submuköser Prozess.  Schweiz med Wochenschr. 1987;  117 1112-1116
  • 8 Price M F, Paletta C E, Woodberry K M. Granular cell tumor in a child's finger.  Ann Plast Surg. 2000;  44 (4) 447-450
  • 9 Berkowitz S F, Hirsh B C, Vonderheid E. Granular cell tumor: a great masquerader.  Cutis. 1985;  35 355-356
  • 10 Billeret-Lebranchu V, Martin de la Salle E, Vandenhaute B, Lecomte-Houcke M. Granular cell tumor and congenital epulis. Histochemical and immunohistochemical of 58 cases.  Arch Anat Cytol Pathol. 1999;  47 (1) 31-37
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  • 14 Sonobe H, Iwata J, Furihata M, Moriki T, Ohtsuki Y. Malignant granular cell tumor: report of a case and review of the literature.  Pathol Res Pract. 1998;  194 (7) 507-513
  • 15 Noppakun N, Apisarnthanarax P. Multiple cutaneous granular cell tumors simulating prurigo nodularis.  Int J Dermatol. 1981;  20 126-129
  • 16 Buzaid A C, Sandler A B, Mani S, Curtis A M, Poo W J, Bolognia I L, Ariyan S. Role of computed tomography in the staging of primary melanoma.  J Clin Oncol. 1993;  11 (4) 638-643

1 Falldarstellung anlässlich der Herbsttagung der Hamburger Dermatologischen Gesellschaft am 29. 11. 2000.

Dr. med. M.  Steger-de Wiljes

Abteilung für Dermatologie und Venerologie
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg

Lesserstraße 180, 22049 Hamburg

Zoom Image

Abb. 1Granularzelltumor an der rechten Schulter.

Zoom Image

Abb. 2Thrombosiertes Angiom am linken Unterschenkel.

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Abb. 3Granulierte Zellen mit eosinophilem Zytoplasma (siehe Pfeil).