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DOI: 10.1055/s-2001-15938
Die Beziehung der Psychiatrie zur Neurologie in den 20er und 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Heidelberg
Publication History
Publication Date:
31 December 2001 (online)
Einleitung
In vielen Staaten - unter ihnen Großbritannien, USA und Russland - entwickelte sich die Neurologie von Beginn an als eigenständiges akademisches Fach. Anderswo war die historische Entwicklung charakterisiert durch eine enge Kopplung der Neurologie mit der Psychiatrie. Nicht zuletzt bedingt durch das Dominieren neuropsychiatrischer Fragestellungen und Forschungsrichtungen in der deutschsprachigen Psychiatrie des 19. Jahrhunderts hatte sich an den deutschen Universitäten zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Modell der „Psychiatrischen und Nervenklinik” - also eine enge institutionelle Kopplung beider akademischer Fächer - als Standard etabliert [1]. Gleichwohl - oder vielleicht gerade deswegen - war die Beziehung zwischen den beiden Fächern in Deutschland lange Zeit recht konfliktreich, und vielerorts durch ein zähes Ringen der sich herausbildenden Spezialisten für Neurologie um größere fachliche und akademische Selbständigkeit gekennzeichnet.
Abweichend von den meisten anderen deutschen Universitäten hatte die Neurologie in Heidelberg bereits relativ früh eine gewisse institutionelle Eigenständigkeit erlangt [2]. Bedingt durch die Vorarbeiten und das Engagement der Heidelberger Neurointernisten bzw. internistischen Neurologen - Nikolaus Friedreich, Wilhelm Erb und Johann Hoffmann - konnte Heidelberg (neben Breslau und Hamburg) als eine der ersten deutschen Universitäten ein neurologisches Ordinariat sein Eigen nennen.
Mit der ehrenvollen Ernennung von Johann Hoffmann zum Ordinarius hatten die Internisten gegenüber den Psychiatern ihren Anspruch auf die Vertretung der Neurologie in Heidelberg betont. Gleichwohl konnte aber zu diesem Zeitpunkt von einer Eigenständigkeit der Neurologie in Heidelberg noch nicht die Rede sein: Weder gab es einen etatisierten Lehrstuhl für diese Disziplin, noch war die „Nervenabteilung” mehr als ein personell wie finanziell vollständig abhängiger Teil der Medizinischen Klinik. Auch der Mann, den Ludolf von Krehl (1861 - 1936) - nach dem Tod Johann Hoffmanns (1857 - 1919) - 1920 mit der Leitung der Nervenabteilung betraute, fühlte sich zunächst nicht berufen, der Neurologie in Heidelberg mehr Unabhängigkeit zu erkämpfen: Victor von Weizsäcker (1886 - 1957), damals Oberarzt der Medizinischen Klinik, strebte heftig in die innere Medizin. Nachdem er etwa 20 Jahre später im Jahr 1941 Heidelberg in Richtung Breslau verlassen hatte, um den dortigen Neurologie-Lehrstuhl anzunehmen, erklärte er ein wenig resignativ [3]:
„Ich wollte Internist werden und bin nur Neurologe geworden. Fachlich gesprochen, bin ich meinem Beruf untreu geworden, und die Innere Medizin ist mir untreu geworden. ... Zuerst bin ich aus der Inneren Medizin ausgestiegen, indem ich den kleinen Lehrstuhl für Neurologie in Heidelberg annahm. Später hoffte ich, wieder einzusteigen, und dies ist mir nicht gelungen.”
Diese Sätze, und insbesondere das kleine Wort „nur” zu Beginn des Zitates, belegen, dass von Weizsäcker keineswegs das Ordinariat für Neurologie anstrebte. Er sah die Neurologie vielmehr immer noch als Teil der Inneren Medizin, seiner eigentlichen Heimat.
Im Folgenden möchte ich die 20 Jahre zwischen der Einsetzung von Weizsäckers als Leiter der Heidelberger Nervenabteilung bis zu seinem Weggang nach Breslau in historischen Schlaglichtern Revue passieren lassen. Der Schwerpunkt wird dabei auf dem damaligen Verhältnis der Fächer Neurologie und Psychiatrie aus institutionengeschichtlicher Perspektive liegen.
Literatur
- 1 Pantel J. Streitfall Nervenheilkunde - eine Studie zur disziplinären Genese der klinischen Neurologie in Deutschland. Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie. 1993; 61 144-156
- 2 Pantel J. Von der Nervenabteilung zur Neurologischen Klinik - die Etablierung des Heidelberger Lehrstuhls für Neurologie 1883 - 1969. Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie. 1991; 59 468-476
- 3 von Weizsäcker V. Natur und Geist. In: Derselbe: Gesammelte Schriften, Bd.1 Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1986: S. 9 - 190, hier: S. 44
- 4 Henkelmann T. Viktor von Weizsäcker (1886 - 1957). Materialien zu Leben und Werk. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1986: S. 71 - 91 u. 173 - 176
- 5 von Weizsäcker V. Protokoll über das Verhältnis der Nervenabteilung zur medizinischen Klinik vom 26.11.1927. Generallandesarchiv Karlsruhe 235/30 336, Blatt 175 - 176
- 6 . Badisches Kultusministerium (1927) .Brief vom 13.12.1927. Generallandesarchiv Karlsruhe 235/30 336, Blatt 178
- 7 Hoche A. Die Fürstnersche Ära. Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 1929: 87: 28
- 8 Neumärker K J. Karl Bonhoeffer. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 1990: 55
- 9 Wilmanns K. Brief vom 17.1.1928. Universitätsarchiv Heidelberg H-III-587/1 1928a
- 10 Wilmanns K. Brief vom 20.1.1928. Universitätsarchiv Heidelberg H-III-587/1 1928b
- 11 von Weizsäcker V. Brief vom 15.1.1928. Universitätsarchiv Heidelberg H-III-587/1 1928
- 12 von Krehl L. Brief vom 20.1.1928. Universitätsarchiv Heidelberg H-III-587/1 1928
- 13 Gotschlich E. Bericht über die Komitee-Sitzung vom 10.2.1928. Universitätsarchiv Heidelberg H-III-587/1, 1928.
- 14 . Badisches Kultusministerium .Brief vom 2.3.1928 und 7.3.1928. Universitätsarchiv Heidelberg. H-III.587/1 1928
- 15 Hermle T. Karl Wilmanns (1873 - 1945) - biobibliographische Betrachtungen einer psychiatrischen Ära. Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie. 1988; 56 103-110
- 16 Schneider C. Brief vom 19.9.1938. Universitätsarchiv Heidelberg H-III-682/2 1938
- 17 von Weizsäcker V. Brief vom 11.1.1940. Generallandesarchiv Karlsruhe 235/30 336 1940a
- 18 von Weizsäcker V. Brief vom 16.4.1940. Generallandesarchiv Karlsruhe 235/30 336 1940b
- 19 von Weizsäcker V. Brief vom 21.4.1941. Universitätsarchiv Heidelberg H 573/1 1941
Dr. med. Johannes Pantel
Psychiatrische Klinik der Universität Heidelberg
Voßstraße 4
69115 Heidelberg
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