Fortschr Neurol Psychiatr 2001; 69(SH1): 11-17
DOI: 10.1055/s-2001-15931
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Wilhelm Erb, Gründer und erster Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte

R. Rüdel
  • Abt. für Allgemeine Physiologie der Universität Ulm
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Um gleich den von den Veranstaltern gewählten Untertitel meines Vortrags etwas zurechtzurücken: Wilhelm Erb war vielleicht der Vater der Gesellschaft Deutscher Nervenärzte, wie Döring [1] ihn in seiner Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum der DGN bezeichnete, sicher war er deren erster 1. Vorsitzender; das Verdienst deren Gründung muss man aber wohl dem Berliner Neurologen Hermann Oppenheim zugestehen, der 1906 in mehreren Fachzeitschriften einen Aufruf veröffentlichte des Inhalts, es sei „zweckmäßig, eine Gesellschaft Deutscher Nervenärzte zu schaffen... " Dieser Aufruf war außer von Oppenheim selbst noch von Ludwig Bruns (Hannover), Paul J. Moebius (Leipzig), Ludwig Edinger (Frankfurt), Constantin v. Monakow (Zürich) und Lothar v. Frankl-Hochwart (Wien) unterzeichnet. Er fand weite Zustimmung, und es gelang in der Folge Oppenheim, Erb für seinen Plan zu gewinnen. Die konstituierende Sitzung fand 1907 in Dresden statt, also weder in Berlin noch im rivalisierenden Heidelberg, sondern auf „neutralem” Boden. Dennoch ist die Ortswahl als eine Reverenz an Erb anzusehen [2], denn nicht weit entfernt, in Leipzig, hatte dieser 1880 - 1883 damit begonnen, für die Selbständigkeit der Neurologie einzutreten. Nur nebenbei sei erwähnt, dass in London eine regionale Neurologenvereinigung bereits 1860, also 47 Jahre früher, gegründet worden war, dass die Amerikaner ihre American Neurological Association 1875 etablierten (Erb wurde übrigens 1881 dort Ehrenmitglied), und dass Paris 1899 mit einer Société de Neurologie folgte. In Deutschland war die Geburt offensichtlich sehr schwer.

Erb (Abb. [1]) war in der Tat zum Zeitpunkt der deutschen Gründung (1907) unbestritten der nachdrücklichste, ausdauerndste und auch der mit der größten wissenschaftlichen und ärztlichen Autorität versehene Vorkämpfer für eine eigene, wenn auch eng an die Innere Medizin angelehnte Neurologie. Deshalb war eine Gesellschaftsgründung ohne ihn völlig undenkbar, und es war selbstverständlich, dass er für die ersten fünf Jahre deren 1. Vorsitzender wurde. 2. Vorsitzender war dabei stets Hermann Oppenheim, der Erb dann 1912 - 1917 in der Funktion als 1. Vorsitzender der Gesellschaft ablöste. Erb wurde von 1912 bis zu seinem Tode 1921 Ehrenvorsitzender. Er leitete auch die ersten fünf Tagungen der Gesellschaft, 1907 in Dresden, 1908 in Heidelberg, 1909 in Wien, 1910 in Berlin und 1911 in Frankfurt, und war damit bestimmend für die Auswahl der Themen und Redner. Ab der 6. Tagung 1912 in Hamburg lag die Tagungsleitung bei Oppenheim, wobei der Erb-Schüler Max Nonne die Stellvertretung leistete. So kann man verstehen, warum Henry Viets [3] in seiner Kurzbiografie für das amerikanische Werk „Founders of Neurology” Erb als einen „most distinguished elder statesman and political founder” bezeichnete, „der über ein halbes Jahrhundert die Deutsche Neurologie mit kaiserlicher (imperial) Hand regierte”.

Ich möchte meinen Vortrag in drei Teile gliedern und im ersten Teil Erb als den wesentlichen Begründer der Deutschen Neurologie beschreiben. Ich stütze mich dabei hauptsächlich auf die Berichte von Dieter Seitz [2] und Helmut J. Bauer [4] in einer anlässlich der 75-Jahr-Feier der Deutschen Gesellschaft für Neurologie verfassten Festschrift und zitiere zusätzlich aus Erbs [5] programmatischer Akademischer Antrittsrede in Leipzig.

In einem zweiten Teil werde ich dann auf das wissenschaftliche Werk Erbs eingehen, soweit es die Neurologie betrifft. Hier kam mir zustatten, dass Frau Anna Erb ihrem Gatten zum 70. Geburtstag den Nachdruck seiner gesammelten Abhandlungen schenkte [6]. Eine erste ausführliche Würdigung von Erbs Werk stammt von seinem Schüler und Freund, dem damaligen Bonner Internisten Friedrich Schultze [7]. Eine umfassende Besprechung von Erbs bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Muskelkrankheiten wurde von Paul Vogel [8] anlässlich eines Symposiums zu Erbs 125. Geburtstag vorgenommen.

In einem dritten Teil will ich schließlich versuchen, Erb als Arzt, Lehrer und Begründer einer großen Schule von Neurologen zu würdigen. Dabei stütze ich mich auf die Ausführungen seiner Schüler und Kollegen anlässlich seines 60. Geburtstages [9] und seines Todes [7] [10] [11] sowie auf zwei Kurzbiografien [12] [13].

Abb. 1Wilhelm Heinrich Erb (1840-1921) zur Zeit seiner Berufung nachLeipzig.

Literatur

  • 1 Döring G. Festschrift: 50 Jahre Deutsche Gesellschaft für Neurologie 1907 - 1957. Hamburg: DGN,. 1958
  • 2 Seitz D. Die Entwicklung der klinischen Neurologie im deutschen Sprachraum. In: Seitz D (Hrsg). 75 Jahre Deutsche Gesellschaft für Neurologie 1907 - 1982 Hamburg: DGN 1982: 9-46
  • 3 Viets H R. Heinrich Erb (1840 - 1921). In: Webb, Heymaker (eds). The Founders of Neurology (2. Aufl) Springfield, IL: Charles C. Thomas 1970: 435-438
  • 4 Bauer H J. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie - Stellung und Wirken im historischen Wandel und Fortschritt der Medizin. In: Seitz D (Hrsg). 75 Jahre Deutsche Gesellschaft für Neurologie 1907 - 1982 Hamburg: DGN 1982: 47-55
  • 5 Erb W. Über die neuere Entwicklung der Nervenpathologie und ihre Bedeutung für den medizinischen Unterricht. Akademische Antrittsrede in Leipzig. In: Ges Abh W Erb 1880: 265-279
  • 6 Erb W. Gesammelte Abhandlungen von Wilhelm Erb, 1864 - 1910, 2 Bde. Leipzig: F.C.W. Vogel 1910
  • 7 Schultze F. Wilhelm Erb.  Nachruf. Dtsch Z Nervenheilkd. 1922;  73 I-XVIII
  • 8 Vogel P. Wilhelm Erb und sein Beitrag zu der Lehre von den Myopathien. In: Kuhn E (ed). Progressive Muskeldystrophie - Myotonie - Myasthenie Heidelberg: Springer 1966: 1-9
  • 9 Nonne M. Wilhelm Erb. Festschrift zum 60. Geburtstag.  Münch Med Wochenschr. 1900;  48 1-6
  • 10 Schoenborn S. Wilhelm Erb. Nachruf.  Münch Med Wochenschr. 1921;  47 1525
  • 11 v Weizsäcker V. Wilhelm Erb. Nachruf.  Dtsch Med Wochenschr. 1921;  52 1595-1596
  • 12 Fischer J. Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte. Bd 1. 1932: 370-371
  • 13 Nonne M. Wilhelm Erb. In: Kolle K (Hrsg). Große Nervenärzte, Bd. 1 Stuttgart: Thieme 1956: 68-80
  • 14 Doerr W. Wilhelm Erb zum Gedächtnis. Ansprache anlässlich eines internationalen wissenschaftlichen Symposiums in Heidelberg am 30. November 1965 im historischen Erbschen Hörsaal (Voßstr. 2). 
  • 15 Erb W. Aus den letzten vierzig Jahren. Klinische Plauderei - Festschrift für Adolf Kußmaul. In: Ges Abh W Erb 1902: 299-307
  • 16 Erb W. Handbuch der Krankheiten der peripheren-cerebrospinalen Nerven. In: v Ziemssen H (Hrsg). Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie, 2. Aufl Leipzig: F.C.W. Vogel 1876
  • 17 Erb W. Handbuch der Krankheiten des Rückenmarks und des verlängerten Marks. In: v Ziemssen H (Hrsg). Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie, 2. Aufl Leipzig: F.C.W. Vogel 1876
  • 18 Monakow C v. Mea Vita - Mein Leben. Bern: Hans Huber 1970
  • 19 Seitz D. Medaillen und Preise. In: Seitz D (Hrsg). 75 Jahre Deutsche Gesellschaft für Neurologie 1907 - 1982 Hamburg: DGN 1982: 91-96
  • 20 Erb W. Zur Pathologie und pathologischen Anatomie peripherischer Paralysen. Dtsch Arch Klin Med 1868; Teil I: Bd IV: 535 - 578, Teil II: Bd V: 42-94
  • 21 Erb W. Handbuch der Elektrotherapie. In: v Ziemssen H (Hrsg). Handbuch der Allgemeinen Therapie, 2. Aufl 1886 Leipzig: F.C.W. Vogel 1882
  • 22 Erb W. Über die „juvenile Form” der progressiven Muskelatrophie und ihre Beziehungen zur sogenannten Pseudohypertrophie der Muskeln.  Dtsch Arch Klin Med. 1884;  34 467-519
  • 23 Erb W. Dystrophia musculorum progressiva: Klinische und pathologisch-anatomische Studien.  Dtsch Z Nervenheilkd. 1891;  1 13-94, 173-261
  • 24 Kuhn E. Wilhelm Erb (1840 - 1921). Rückblick an seinem 75. Todestag.  Med Genetik. 1996;  8 248-251
  • 25 Emery A EH, Emery M LH. The History of a Genetic Disease. Duchenne Muscular Dystrophy or Meryon's Disease. Royal Society of Medicine Press Ltd, 1995. 
  • 26 Erb W. Die Thomsensche Krankheit (Myotonia congenita). Leipzig: F.C.W. Vogel 1886
  • 27 Velden R von den. Von den deutschen hohen Schulen: Heidelberg.  Dtsch Med Wochenschr. 1936;  33 350-353
  • 28 Janzen R. Max Nonne. In: Seitz D (Hrsg). 75 Jahre Deutsche Gesellschaft für Neurologie Hamburg: DGN 1982: 57
  • 29 Pette H. Eröffnungsansprache 61. Kongress, Verhdlg der Dtsch Ges f Inn Med. München: J.F. Bergmann 1956

Prof. Dr. Reinhardt Rüdel

Abteilung für Allgemeine Physiologie
Universität Ulm

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89081 Ulm

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