Gesundheitswesen 2001; 63(5): 289-296
DOI: 10.1055/s-2001-14216
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Evaluation des Gesundheitsdienstgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - Kommunalisierung, Konnexität und Kontrollverlust[1]

Evaluation of the Public Health Service Law of the German Federal State of Saxony-Anhalt - Community Affairs, Transfer of Power and Loss of ControlB.-P Robra1 , S. Felder2 , N. Scholz2
  • Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
  • , FEISA GmbH, Magdeburg
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie: 1998 trat in Sachsen-Anhalt ein neues Gesundheitsdienstgesetz in Kraft. Im Auftrag des Fachministeriums sollte geprüft werden, ob mit dem neuen Gesetz eine Aufgabenerweiterung der unteren Gesundheitsbehörden entstanden ist und ob sich die Kosten bei den Gebietskörperschaften erhöht haben.

Methodik: Auf der Basis leitfadengestützter Gespräche auf allen Ebenen des ÖGD wurde ein Erhebungsbogen entwickelt. Dieser lieferte einen Überblick über Aufbau, Aktivitäten und Prioritäten des jeweiligen Gesundheitsamtes und erfragte systematisch die Erfüllung des Aufgabenkatalogs des ÖGD. Er wurde an alle Gesundheitsämter verschickt (Rücklauf 17 von 24). Ausgaben und Einnahmen aller Gesundheitsämter des Landes wurden anhand der Haushaltspläne der Landkreise (seit 1995) untersucht.

Ergebnisse: Auf die praktische Arbeit der unteren Gesundheitsbehörden hat sich das neue Gesundheitsdienstgesetz nach Einschätzung der Befragten bisher praktisch nicht ausgewirkt. 58 Aufgaben des ÖGD werden unterschiedlich ausgeführt. Ein Kern von „klassischen” Aufgaben (Hygiene, Jugendgesundheitsschutz, amtsärztliches Gutachterwesen und Medizinalaufsicht) wird durchgängig wahrgenommen. Teilgebiete werden durch Auslagerungen an freie Träger sichergestellt, ein weiterer Teil - darunter gemeindeorientierte Aufgaben - ist nicht flächendeckend abgedeckt. Das Leitbild der Ämter zeigte die höchste Zustimmung zum Vollzug hoheitlicher Aufgaben, mit geringem Abstand gefolgt vom Gesundheitsamt als Unternehmen. Entwicklungsprioritäten unterstreichen eine zunehmende Bedeutung der Umweltmedizin, der Gesundheitsberichterstattung, der Prävention, der Koordination der regionalen gesundheitlichen Versorgung sowie der Gesundheitsförderung. In allen Ämtern wurden seit 1995 Stellen abgebaut (-10,4 % unter Berücksichtigung der abnehmenden Einwohnerzahl; Stand 1999: 2,92 Mitarbeiter pro 10 000 E.). Die Ausgaben betrugen 1999 im Durchschnitt 24,64 DM pro E. (Spanne 14,20 bis 44,58 DM). Die Einwohnerzahl und die Einnahmen der Landkreise haben signifikanten Einfluss auf deren Gesundheitsausgaben.

Schlussfolgerung: Es ist nach diesen Ergebnissen ausgeschlossen, dass durch das GDG LSA bei den Kreisen nicht kompensierte Zusatzkosten entstanden sind. Die Kommunen haben die eröffneten Chancen einer regionalen Gesundheitspolitik als kommunale Querschnittsaufgabe und als Standortfaktor mit wenigen Ausnahmen noch nicht wahrgenommen. Das Land hat nur noch indirekten Einfluss auf die Aufgabendurchführung in der Kreisebene. Notwendig sind die Ausdifferenzierung regionaler gesundheitlicher Prioritäten, ein kreisübergreifendes Konzept für die Entwicklung des Fachpersonals und der Ausbau der Mittelinstanz des ÖGD unter einem Konzept indirekter Steuerung mit dem Ziel einer Stärkung der Selbststeuerungsfähigkeit der Kommunen.

Evaluation of the Public Health Service Law of the German Federal State of Saxony-Anhalt - Community Affairs, Transfer of Power, and Loss of Control

Aim: In the state of Saxony-Anhalt, a new Public Health Service law came into force in 1998. Our study investigated whether this new legislation has led to an extension of duties performed by regional health departments and to a subsequent increase in expenditure.

Methods: Guided interviews at all administrative levels of the public health system were conducted. The catalogue of duties was systematized and a questionnaire was developed and distributed to all regional health departments (response rate: 17 out of 24). Data concerning revenues and expenditures of the regional health departments were analysed on the basis of the administrative districts’ budget data.

Results: Regional health departments stated that there had been practically no change in their activities over the last few years. When questioned about the coverage of 58 specific duties, a considerable disparity was evident between departments. A core group of „classical” duties comprising environmental health and hygiene, child health protection, individual health appraisal, and public health supervision are carried out on an established basis. Some duties were handled by external institutions, others, mostly community health duties, were not performed on an extensive scale. When asked about the desired model for their health department, most departments preferred the model of being an executor of sovereign duties, however a corporate model was deemed to be almost as acceptable. The following fields will gain increasing significance in the future: environmental medicine, health reporting, preventive medicine, co-ordination of regional health care, and health promotion. Since 1995, staff has been reduced in all regional health departments (-10.4 %; 1999: 2.92 employees per 10,000 inhabitants). In 1999, expenditures amounted to an average of 24.64 German Marks per capita (range 14.20-44.58 DM). The number of inhabitants and the revenue of the regional districts were determinants of their health budgets.

Conclusion: Our results showed that no uncompensated additional expenditure by regional authorities resulted from this law. So far, most districts have not perceived regional health as a community affair offering possible competitive advantages. The federal state lost considerable influence at the regional level. Recommended are regional health priorities, conjoint staff development, and state guidance by a head agency providing leadership and support, while leaving responsibility with the districts.

1 Die Untersuchung wurde im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt in Umsetzung eines Landtagsbeschlusses zur Evaluation des GDG LSA durchgeführt.

Literatur

  • 1 Canaris U. Der Öffentliche Gesundheitsdienst - Empirische Untersuchungen zur Situation der Gesundheitsämter in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf; MAGS 1992
  • 2 Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung Baden-Württemberg: Zukunftsperspektiven des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Stuttgart; 1989
  • 3 Pfau E. Die Erwartungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes zur Landesgesetzgebung über das Gesundheitswesen.  Öff. Gesundh.-Wesen. 1978;  40 428-436
  • 4 Laaser U, Allhoff P. Aufgabenwahrnehmung durch die Gesundheitsämter in Nordrhein-Westfalen 1990. Institut für Dokumentation und Information, Sozialmedizin und öffentliches Gesundheitswesen Bielefeld; 1990
  • 5 Grunow D, Grunow-Lutter V. Der öffentliche Gesundheitsdienst im Modernisierungsprozess - eine Untersuchung über Handlungsspielräume und Restriktionen im Rahmen kommunaler Gesundheitspolitik. Weinheim und München; Juventa 2000
  • 6 Grunow-Lutter V, Plümer K D. Erste Ergebnisse aus der Amtsleiterbefragung 1997.  Neue Steuerungsmodelle und ÖGD. Blickpunkt Öffentliche Gesundheit. 2/98; 

1 Die Untersuchung wurde im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt in Umsetzung eines Landtagsbeschlusses zur Evaluation des GDG LSA durchgeführt.

2 LV LSA, Artikel 87 (3): „Den Kommunen können durch Gesetz Pflicht­aufgaben zur Erfüllung in eigener Ver­antwortung zugewiesen und staatliche Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung übertragen werden. Dabei ist gleich­zeitig die Deckung der Kosten zu regeln. Führt die Aufgaben­wahr­nehmung zu einer Mehrbelastung der Kommunen, ist ange­messener Ausgleich zu schaffen.”

3 Geteilte Felder signalisieren, dass die Befragten zwei der vier möglichen Antwortkategorien angekreuzt haben. Bei einem unvollständigen Balken hat mindestens ein Gesundheitsamt die betreffende Frage nicht beantwortet.

4 Im Sinne einer gemeindebezogenen Querschnittsaufgaben, nicht als sektorale Aufgabe der unteren Gesundheitsbehörde

5 Z.B. zu den Themen AIDS, Liebe und Sexualität, Impfen (allgemein und speziell Reisemedizin), ge­sunde Ernährung und Drogen: Präventionstage, Beratungsangebote in Schulen, Theaterspiele, Broschüren und Öffentlichkeitsarbeit.

6 Die Typisierung wurde mit freundlicher Unterstützung von V. Grunow-Lutter aus einer vorliegenden Erhebung mit Schwerpunkt in den alten Bundesländern übernommen [5, 6]. Die Ämter wurden gebeten, auf einer Skala von 0 bis 100 anzugeben, in welchem Maße die folgenden sechs Typisierungen auf sie zutreffen: „Auffangeinrichtung”, Gesundheitsamt für übriggebliebene Gesundheitsaufgaben, „Vollzugsorgan”, Gesundheitsamt für hoheitliche Aufgaben, „Feuerwehreinrichtung”, Gesundheitsamt als Anlaufstelle bei Krisen, „Koordinierungsinstanz”, für lokale Dienstleistungsanbieter, „Sozialkompensatorische Funktion”, Gesundheitsamt als ausgleichende Institution für Benachteiligung und „Unternehmen”, fachlich fundierte Dienstleistung.

9 Quelle: eigene Berechnungen auf der Grundlage der Haushaltspläne der Landkreise

8 In dieser Schätzung sind nur Magdeburg und Halle als Städte definiert worden (E. > 200 000).

Prof. Dr. Bernt-Peter Robra, M.P.H.

Otto-von-Guericke-Universität
Medizinische Fakultät
Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie

Leipziger Str. 44

39120 Magdeburg