Suchttherapie 2001; 2(1): 14-24
DOI: 10.1055/s-2001-11780
Schwerpunktthema
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Erfassung des Cravings bei Alkoholabhängigen

Clemens Veltrup1 , Franziska Einsle2 , Johannes Lindenmeyer3 , Tilman Wetterling4 , Klaus Junghanns5
  • Therapieverbund Ostsee
  • , Technische Universität Dresden
  • , salus Klinik Lindow
  • , Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der J.-W.-Goethe Universität Frankfurt
  • , Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Universitätsklinikum Lübeck
Further Information

Dr. phil. Clemens Veltrup

Therapieverbund Ostsee

Weidenweg 9-15

23562 Lübeck

Email: veltrup@tvo.kte-ag.de

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Craving, also das starke, unbezwingbare Verlangen nach einer psychotropen Substanz, wird als ein zentrales Merkmal der Sucht betrachtet. Im Folgenden werden verschiedene Methoden und (in deutscher Version) vorliegende Instrumente zur Erfassung des Cravings bei Alkoholabhängigen beschrieben sowie Ergebnisse zum Alkoholverlangen aus einer Studie an 103 alkoholabhängigen Patienten während einer stationären Entwöhnungsbehandlung dargestellt.

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The Assessment of Craving in Alcohol Dependent Persons

Craving - the strong desire to drink alcohol - is considerered to be a central phenomenon related to substance dependence. The most relevant rating scales for craving (German versions) are described. There are results from a craving study of 103 alcohol dependent patients during their inpatient treatment.

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Einführung

Der Begriff des Cravings ist bislang nur unscharf definiert. Craving ist ein Konstrukt, mit dem man sich von wissenschaftlicher Seite beschäftigt, welches aber auch im Erleben vieler betroffener Suchtmittelabhängiger (im Sinne von „Jieper”, „Janker” oder „Saufdruck”) von zentraler Bedeutung ist. Watzl und Gutbrod [1] weisen zu Recht darauf hin, dass mit dem „Verlangen nach Alkohol” sehr unterschiedliche Prozesse gemeint sind. Das Craving kann beim Entzug im Zusammenhang mit dem Wunsch der Änderung von als unangenehm erlebten Wirkungen des Suchtmittels auftreten, wobei gleichzeitig Gewissheit besteht, dass der erneute Suchtmittelkonsum die negativen Folgen auch tatsächlich beseitigt. In diesem Fall wird von einem physiologischen Craving (sekundären Craving) gesprochen.

Das Craving kann als subjektives Verlangen, vor allem aber während längerer konsumfreier (abstinenter) Phasen, auftreten; man spricht in diesem Zusammenhang auch vom „primären”, „psychischen” bzw. „symbolischen” Craving. Craving tritt nach dem ersten Schluck Alkohol nach einer Phase der Konsumfreiheit auf und wird damit zu einem wichtigen Faktor bei der Fortsetzung des Substanzkonsums im Zusammenhang mit einem „Rückfall”.

Craving ist in hohem Maß zustandsabhängig. Es kann zeitweise gar nicht oder kaum, dann wieder subjektiv als ausgesprochen stark erlebt werden [2].

Tiffany [3] beschreibt Craving als einen kognitiven Prozess der Annäherung und Orientierung an psychotrope Substanzen. Marlatt [4] betont auch die affektiv-motivationale Komponente des Cravings. Beck, Wright, Newman und Liese [5] definieren das Verlangen nach einer psychotropen Substanz als starken Wunsch, das Suchtmittel zu konsumieren und die Wirkung der Substanz zu erleben. Von Anton [6] wird der Zwangscharakter des Verlangens betont: Die psychotrope Substanz wird vermisst, es bestehen eine starke gedankliche Einengung auf die psychotrope Substanz, eine beständige Wahrnehmung des Verzichts auf die Substanz und erhebliche Schwierigkeiten, dem Verlangen zu widerstehen.

Diese Aspekte des Cravings finden sich auch in der Operationalisierung des Phänomens in der ICD-10 [7], die Craving als starken Wunsch oder eine Art Zwang beschreibt, eine psychotrope Substanz zu konsumieren.

Das Craving ist ähnlich wie das Schmerzempfinden nur subjektiv erlebbar und kann zudem als Auslöser für automatisiertes Verhalten angesehen werden. Dabei spielen, wie beschrieben, Prozesse von kognitiver und affektiver Einengung eine große Rolle.

Es bestehen unterschiedliche Erklärungsansätze, wie Craving entsteht. Die meisten der vorliegenden Modelle beziehen sich auf das Verlangen nach Alkohol. Moderne biochemische Erklärungsansätze [8] versuchen, das Auftreten von Craving nach längerer Abstinenz zu erklären. Dabei steht das Belohnungssystem im ZNS im Mittelpunkt der Überlegungen. Bei verminderter Aktivität dieses Systems kann es zu Frustrationen oder auch zum Craving kommen [9]. Wetterling, Veltrup und Junghanns [10] betonen, dass Alkohol akute und chronisch pharmakologische Prozesse im ZNS auslösen kann. Es werden u. a. folgende zwei Modelle diskutiert: 1. Es besteht eine Unterstimulation des Belohnungssystems. So beschreiben Wetterling, Veltrup und Junghans [11], dass bestimmte Gruppen von Alkoholabhängigen einen erniedrigten β-Endorphin-Spiegel aufweisen. Dieser niedrige Spiegel kann eine der Ursachen für den Missbrauch der Substanz bei dieser Subgruppe sein, da β-Endorphin eine wichtige regulatorische Funktion innerhalb des Belohnungssystems einnimmt und durch Alkohol stimuliert werden kann. Des Weiteren fand man ein Serotonindefizit bei abstinenten Alkoholabhängigen, welches mit verschiedenen psychischen Störungen in Verbindung gebracht wird. Weiter fanden Wetterling, Veltrup und Junghanns [11], dass starkes Alkoholcraving bei niedrigen Liquorwerten des Hauptabbauprodukts von Noradrenalin (MOPEG) auftritt. 2. In diesem Modell wird die verringerte Sensitivität bestimmter Neuronenverbände herausgestellt, welche durch den Konsum von Alkohol geschädigt wurden. Wetterling, Veltrup und Junghanns [8] konnten zeigen, dass Kondensationsprodukte aus Alkoholabbauprodukten, welche in früher Abstinenz verstärkt gebildet worden sind, langfristig Neuronen schädigen, was eine verminderte Erregbarkeit mit sich bringt.

Es gibt auch lerntheoretische Erklärungsansätze. Beck et al. [5] betonen das Erleben der positiven Wirkung des Alkohols als wichtigen Faktor für die Entstehung von Verlangen. Je häufiger positive Wirkungen erlebt worden sind, umso stärker entwickelt sich beim Fehlen des Alkohols ein starkes Verlangen nach Einnahme der Substanz. Beim Verspüren des Wunsches entsteht ein innerer Druck; das Erleben von Verlangen ist mit einem starken Aufforderungscharakter verbunden, dem nur schwer zu widerstehen ist. Vor dem Hintergrund allgemeiner Grundüberzeugungen entwickeln sich suchtspezifische Grundannahmen (z. B. „Alkohol macht mich lockerer”), die ein Verlangen erzeugen, welche wiederum erlaubniserteilende Gedanken in Gang setzen (z. B. „Dieses eine Mal wird mir doch nicht schaden”) sowie entsprechende Verhaltensweisen, die den Konsum des Suchtmittels wahrscheinlicher machen. Verlangen kann auch durch bestimmte Erinnerungen hervorgerufen werden, die wiederum bestimmte Grundannahmen aktivieren. Weiterhin betonen Beck et al. [5], dass es auch Grundüberzeugungen zum Verlangen gibt, die im Sinne eines Attributionsstils wirken ( z. B. „Ich werde niemals dem Verlangen widerstehen können”) und so möglicherweise das aktuelle Verlangen nach einer psychotropen Substanz in einer neutralen Situation beeinflussen. Eine andere Hypothese stellt die Erfahrung negativer Folgen bei der Abstinenz in den Mittelpunkt. So wird nach länger andauerndem Konsum der Belohnungseffekt immer kleiner, der Bestrafungseffekt bei Konsumbeendigung aber immer größer. Verlangen entsteht nun aus dem Bedürfnis, sich besser zu fühlen.

Ludwig, Wikler und Stark [12] postulieren, dass Verlangen ein kognitives Korrelat einer konditionierten Reaktion ist. Tiffany [3] geht davon aus, dass Craving als Resultat eines Wechselspiels von automatisierten und kontrollierten Handlungsschemata entsteht. Handlungsschemata sind schnell und effizient in spezifischen Situationen anwendbar. Craving ist eine Reaktion auf eine Blockade der Handlungsschemata: Eine Person befindet sich in einer typischen Trinksituation, hat aber eine Abstinenzentscheidung getroffen. Bei dem Bemühen, diese Entscheidung aufrechtzuerhalten, entstehen Reaktionsmuster, die sich aus den Komponenten des früheren Konsumverhaltens und alternativen Handlungsschemata zusammensetzen. Nur durch bestimmte nicht automatische Bewältigungsprozesse kann diese Situation überwunden werden.

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Verfahren zur Erfassung des Cravings

Es lassen sich folgende Messmethoden zur Bestimmung des Cravings unterscheiden [13]:

  1. subjektive Indizes (Selbstbeschreibungs- und -beurteilungsskalen),

  2. Verhaltensbeobachtungen (z. B. Geschwindigkeit des Konsums, Konsummenge etc.)

  3. physiologische Hinweise (z. B. Handtremor, Hautleitfähigkeit, Herzrate, Speichelfluss etc.)

An dieser Stelle sollen v. a. die Selbstbeschreibungsskalen dargestellt werden.

Sehr häufig werden visuelle Analogskalen oder skalierte Skalen zur Erfassung des Cravings verwendet. So erhält der Patient beispielsweise 10 cm lange Skalen mit den Polen „kein Verlangen nach Alkohol” und „unwiderstehlicher Drang nach Alkohol”.

Die meisten dieser Skalen besitzen unklare Reliabilitäten und Validitäten [14]. Ein mittlerweile sehr verbreitetes Instrument zur Erfassung des Cravings ist die „Obsessive Compulsive Drinking Scale” von Anton, Moak und Laham [6] [15]. Dieses Instrument ist in Abb. [1] dargestellt.

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Abb. 1 Obsessive Compulsive Drinking Scale (OCDS).

Der Fragebogen von Beck et al. [5] überprüft Grundüberzeugungen zum Craving (Craving Beliefs Questionnaire), die ihrerseits Einfluss auf das Umgehen mit dem Verlangen haben. In Abb. [2] ist das aus 20 Items bestehende Instrument dargestellt.

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Abb. 2 Craving Beliefs Questionnaire (CBQ).

Auch im aus 50 Items bestehenden „Inventory of Drug Taking Situations (IDTSA)” von Annis, Martin und Graham [16], welches in einer geprüften deutschen Version von Lindenmeyer und Florin [17] vorliegt, wird das „plötzliche Verlangen” als einer von acht Risikofaktoren für den Konsum von psychotropen Substanzen erfasst und als intrapersonale Versuchungssituation kategorisiert. In Tab. [1] sind die entsprechenden Items und Kennwerte der Skala aus der Untersuchung von Lindenmeyer und Florin dargestellt. Die interne Konsistenz dieser Skala betrug bei Lindenmeyer und Florin 0,77 [17].

Tab. 1 Inventory of Drug Taking Situations (Faktor: plötzliches Verlangen)
Im letzten Jahr trank ich Alkohol, ... Item-Nr.SchwierigkeitsindexTrennschärfe-koeffizient
wenn ich an einem Ort war, an dem ich früher Alkohol gekauft oder getrunken hatte. 060,430,5587
wenn ich unerwartet eine Flasche meines Lieblingsgetränks fand oder zufällig etwas sah, das mich an Alkohol erinnerte.160,420,5831
wenn ich beim Rauchen einer Zigarette oder der Einnahme von bestimmten Medikamenten an das Trinken von Alkohol dachte.260,300,5910
wenn ich jemanden über seine Trinkzeiten reden hörte.360,190,6278
wenn ich mich daran erinnerte, wie gut es täte, etwas Alkohol zu trinken oder beschwipst zu werden.460,460,5517

Die Lübecker Craving-Skala (LCS) misst folgende Aspekte des Alkoholverlangens in einem definierten Zeitraum von 30 Tagen vor der Selbstbeurteilung: 1. Stärke des Verlangens (0 = starke Abneigung gegen Alkohol, 10 = wahnsinnige Lust auf Alkohol), 2. Häufigkeit des Auftretens von Verlangen (10 = fast durchgängig vom Aufstehen bis zum Einschlafen, 1 = nie), 3. Zeitpunkt des Auftretens von Verlangen (morgens, mittags, nachmittags etc.), 4. Häufigkeit des Auftretens von Verlangen an bestimmten Orten und Plätzen, 5. Non-Craving Situationen (freie Frage).

In einem weiteren Abschnitt werden schwerpunktmäßig die affektiven Aspekte des Cravings behandelt. Es wird erfragt, unter welchen Bedingungen Alkoholverlangen gespürt worden ist und ob dann auch üblicherweise Alkohol getrunken worden ist. In Abb. [3] sind die 33 Aussagen zu Auftretensbedingungen des Cravings dargestellt.

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Abb. 3 Auftreten von Craving (LCS)

Dieses Selbstbeurteilungsinstrument ist in einer Studie von 146 entzugsbehandelten Alkoholabhängigen [18] erprobt worden. Es konnten vier Subskalen (Faktoren) identifiziert werden (vgl. Tab. [2]).

Tab. 2 Craving-Subskalen der Lübecker Craving-Skala
SubskalaAnzahl der ItemsBeispiel-Items
gedrückte Stimmungslage10„Ich hatte Verlangen nach Alkohol, wenn ich mich in einer depressiven Stimmung fühlte.”
gehobene Stimmungslage05„Ich hatte Verlangen nach Alkohol, wenn ich in guter Stimmung war.”
Ärger und Anspannung05„Ich hatte Verlangen nach Alkohol, wenn ich mich geärgert hatte oder wütend war.”
Zufriedenheit und Entspannung03„Ich hatte Verlangen nach Alkohol, wenn ich zufrieden und entspannt war.”

In einer empirischen Untersuchung von Veltrup und Wetterling [19] konnte bei 161 alkoholabhängigen Patienten, die im Rahmen einer qualifizierten stationären Entzugsbehandlung an einer dreiwöchigen gruppentherapeutischen Motivationsbehandlung in der psychiatrischen Klinik der Medizinischen Universität zu Lübeck (Direktor: Prof. Dr. H. Dilling) teilnahmen, ein Zusammenhang mit dem Schweregrad des Auftretens von Craving in den letzten 30 Tagen vor der stationären Aufnahme und dem Trinkverhalten vier Monate nach Abschluss der Behandlung festgestellt werden (vgl. Tab. [3]). Die nach Abschluss der Therapie durchgängig Abstinenten erlebten vor der Behandlung ein weniger ausgeprägtes Craving, welches sich nach vier Monaten Abstinenz noch deutlich reduzierte, während bei den nachklinischen Rückfällen ein vor der Behandlung ausgeprägteres Alkoholverlangen festzustellen war, welches nachklinisch auch geringer wurde.

Tab. 3 Vergleich des Cravings vor und vier Monate nach einer stationären Entzugsbehandlung
abstinente Patienten (n = 77)trinkende Patienten (n = 84)Signifikanz (Manova)
vor Entzug4 Monate nach Entzugvor Entzug4 Monate nach Entzug
gedrückte StimmungslageM = 12,6
SD = 8,9
M = 8,0
SD = 7,3
M = 16,4
SD = 10,1
M = 15,6
SD = 11,2
Trinkstatus SS = 2 619,6; df = 1; F = 26,6; p = 0,000
Veränderung SS = 587,7; df = 1; F = 6,8; p = 0,010
Wechselwirkung SS = 295,8; df = 1; F = 0,3;p = 0,066
gehobene StimmungslageM = 7,3
SD = 4,3
M = 3,9
SD = 3,4
M = 8,3
SD = 4,8
M = 5,3
SD = 4,9
Trinkstatus SS = 116,6; df = 1; F = 5,6; p = 0,019
Veränderung SS = 783,8; df = 1; F = 40,6; p = 0,000
Wechselwirkung SS = 5,7; df = 1; F = 0,3; p = 0,588
Ärger und AnspannungM = 5,8;
SD = 4,6
M = 3,1;
SD = 3,0
M = 7,4;
SD = 5,3
M = 6,0;
SD = 5,1
Trinkstatus SS = 409,5; df = 1; F = 16,7; p = 0,000
Veränderung SS = 330,5; df = 1; F = 18,1; p = 0,000
Wechselwirkung SS = 33,6; df = 1; F = 1,8; p = 0,177
Zufriedenheit und EntspannungM = 3,5
SD = 2,8
M = 1,9
SD = 1,7
M = 3,9
SD = 2,7
M = 2,4
SD = 2,4
Trinkstatus SS = 116,58; df = 1; F = 5,60; p = 0,019
Veränderung SS = 783,83; df = 1; F = 40,64; p = 0,000
Wechselwirkung SS = 5,70; df = 1; F = 0,30; p = 0,588

Zur Erfassung von physiologischen Parametern eignet sich der Alkoholreagibilitätstest, der auch in Deutschland angewendet wird. Die folgende Beschreibung stellt das Vorgehen in der Salus Klinik Lindow (Direktor: Dr. J. Lindenmeyer) dar. Der Alkoholreagibilitätstest besteht aus mehreren Phasen: 1. Übungsphase, 2. Konfrontation mit Wasser, 3. Konfrontation mit Alkohol. Die Untersuchung wird als Einzeltest durchgeführt. Die Dauer beträgt ca. 45 Minuten. Der Versuchsleiter befindet sich während der gesamten Untersuchungszeit mit dem Probanden im Untersuchungslabor. Die Instruktionen werden dem Probanden teils mündlich vom Versuchsleiter, teils vom Tonband abgespielt. In Abb. [4] ist das Vorgehen kurz skizziert. Neben der Messung der Gewichtsdifferenz wird auch geprüft, inwieweit Probanden körperliche Veränderungen bei der Konfrontation mit Wasser bzw. Alkohol erleben (z. B. Zittern, Schwitzen, Schwindelgefühl, Übelkeit) sowie kognitive Reaktionen (z. B. Erinnerung an Trinkzeiten, sich wie betrunken fühlen).

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Abb. 4 Untersuchungsablauf beim Alkoholreagibilitätstest.

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Darstellung der Untersuchung

In der Salus Klinik Lindow, einer stationären Entwöhnungseinrichtung für Alkoholabhängige im Land Brandenburg, wurden 103 alkoholabhängige Patienten in den ersten 14 Tagen während ihrer Behandlung mit verschiedenen Instrumenten zur Erfassung des Alkoholverlangens untersucht [20]. Die Diagnosestellung einer Alkoholabhängigkeit erfolgte über die Kriterien der ICD-10 und wurde durch die Ergebnisse des Composite International Diagnostic Interview (CIDI) bestätigt. Die Patienten waren im Mittel 39,7 Jahre alt (SD = 7,26). 86 % waren männlich. Von den Probanden lebten 47,6 % aktuell in einer Partnerschaft. Der Arbeitslosenanteil lag sehr hoch (76,7 %), die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit betrug 2,76 Jahre (SD = 2,7). Weitere wichtige Stichprobenmerkmale sind in Tab. [4] zusammengestellt.

Tab. 4 Beschreibung der Untersuchungsstichprobe
Variableprozentualer Anteil (n = 103)
Alterbis 30 Jahre
31-40 Jahre
41-50 Jahre
51-65 Jahre
über 65 Jahre
11,6 %
42,8 %
37,8 %
6,0 %
1,8 %
Familienstandledig
verheiratet
getrennt lebend
geschieden
31,1 %
24,3 %
12,6 %
32,1 %
SchulabschlussSonderschule
Hauptschule
Realschule
Abitur
9,7 %
18,4 %
59,2 %
12,6 %
Wohnsituationohne festen Wohnsitz
eigene Mietwohnung
eigenes Haus
bei Familienangehörigen, im Heim
4,9 %
61,2 %
14,6 %
19,4 %

Die Untersuchung erstreckte sich über zwei Tage. Am ersten Tag nahmen die Patienten am Alkoholreagibilitätstest teil (Beschreibung des Ablaufs vgl. Abb. [4]), am nächsten Tag sollten die Patienten folgende Selbstbeurteilungsbogen ausfüllen: 1. LCS, 2. OCDS, 3. CBQ und 4. IDTSA.

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Ergebnisse

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Ergebnisse im Alkoholreagibilitätstest

Der Speichelfluss bei der Konfrontation mit Wasser (KW) betrug im Mittel 6,66 g (SD = 4,39), bei der Konfrontation mit Alkohol (KA) durchschnittlich 7,11 g (SD = 4,77). Der Unterschied von 0,45 g ist nicht signifikant (p = 0,115). Deutliche Unterschiede lassen sich aber bei der körperlichen und kognitiven Reaktion bei der Wasser- bzw. Alkoholexposition finden. Es wurden deutlich ausgeprägtere körperliche Reaktionen (p = 0,000) bei der Konfrontation mit Alkohol (M = 1,82; SD = 2,58) gefunden als bei der Konfrontation mit Wasser (M = 1,03; SD = 1,88). Gleiches gilt für die kognitiven Reaktionen, die nur bei KA (M = 2,03, SD = 2,74) und kaum bei der KW (M = 0,48; SD = 1,23) zu beobachten waren (p = 0,000). Es ließen sich keine signifikanten Korrelationen zwischen der Variablen „Speichelfluss” mit kognitiven oder körperlichen Reaktionen finden.

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Ergebnisse im IDTSA und dem Alkoholreagibilitätstest

Im IDTSA ergab sich weitgehend eine Übereinstimmung mit den statistischen Kennwerten der Stichprobe von Lindenmeyer und Florin [17]. Wie in Tab. [5] deutlich wird, findet sich keine signifikante Korrelation zwischen den Skalen des IDTSA und der Speichelflussdifferenz, wohl aber lassen sich signifikante Zusammenhänge mit den Unterschieden bezüglich körperlicher und kognitiver Reaktion feststellen. Es zeigt sich, dass Personen, die als spezifische Risikosituation „plötzliches Verlangen” angeben, sowohl körperlich als auch kognitiv stärker bei der Konfrontation mit Alkohol reagieren.

Bei den intrapersonellen Risikosituationen besteht zusammenfassend ein signifikanter Zusammenhang mit körperlichen und kognitiven Reaktionen, bei interpersonellen Risikosituationen hingegen nicht.

Tab. 5 Korrelationskoeffizienten der Skalen des Inventory of Drug Taking Situations und den Variablen des Alkoholreagibilitätstests
Differenz SpeichelflussDifferenz körperlicher ReaktionDifferenz kognitiver Reaktion
(n = 101)(n = 100)(n = 99)
angenehme Gefühle0,0360,1040,031
körperliche Beschwerden0,1360,228 [*]*0,227 *
kontrolliertes Trinken-0,0120,250 *0,253 *
plötzliches Verlangen0,0990,265 [*]**0,266 **
unangenehme Gefühle0,0650,208 *0,243 *
Geselligkeit0,1140,0240,152
soziale Konflikte-0,0120,201 *0,239 *
soziale Verführung0,0500,1210,102
intrapersonelle Situationen0,0770,259 **0,251 *
interpersonelle Situationen0,0590,1250,178
* Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant.
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Ergebnisse im LCS und dem Alkoholreagibilitätstest

Die durchschnittlichen Mittelwerte bei den vier Subskalen zum Craving sind in der Stichprobe der entwöhnungsbehandelten Alkoholabhängigen deutlich stärker ausgeprägt als in der Stichprobe von Veltrup [18]. Bei der Stärke des Verlangens in den letzten 30 Tagen vor dem Ausfüllen des Fragebogens hingegen gaben die entzugsbehandelten Patienten [18] mit M = 71,4 deutlich höhere Werte an (möglicher Wertebereich 0-100) als die Untersuchungsstichprobe entwöhnungsbehandelter Patienten (M = 63,38; SD = 28,03).

In Tab. [6] sind die Korrelationen zwischen den Variablen der LCS und den Variablen des Alkoholreagibilitätstests dargestellt. Bei der Häufigkeit des Verlangens liegt kein Intervallskalenniveau vor. Hier wurden die Korrelation mit Spearman‘s Rho berechnet.

Tab. 6 Korrelationskoeffizienten der Variablen der Lübecker Craving Skala und des Alkoholreagibilitätstests
Differenz SpeichelflussDifferenz körperliche ReaktionDifferenz kognitive Reaktion
(n = 98)(n = 97)(n = 96)
gedrückte Stimmung0,0040,0170,158
gehobene Stimmung-0,0760,0000,157
Ärger/Anspannung-0,0130,1470,329 []**
Zufriedenheit/Entspannung-0,0270,0020,033
Stärke des Verlangens
(letzten 30 Tage)
-0,0550,1580,229 [*]*
Häufigkeit des Verlangens
(letzten 30 Tage)
0,085-0,0190,146
* Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant. ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant.

Es zeigt sich erneut, dass keine signifikanten Zusammenhänge zwischen den abhängigen Variablen „Speichelfluss” und „Veränderung körperlicher Reaktion” und den Variablen des Lübecker Craving-Fragebogens zu finden sind. Für die abhängige Variable „Veränderung kognitiver Reaktion” lässt sich ein hoch signifikanter Zusammenhang mit dem Faktor „Ärger/Anspannung” finden. Dieser Zusammenhang äußert sich in einer geringen positiven Korrelation. Das heißt, Personen, die in Situationen, in denen sie ärgerlich und angespannt sind, Verlangen haben, zeigen eine größere Veränderung in der kognitiven Reaktion beim Alkoholreagibilitätstest. Außerdem zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang für die Variable „Stärke des Verlangens” und die abhängige Variable „Veränderung kognitiver Reaktion”, der sich in einer geringen positiven Korrelation äußert. Das bedeutet, dass Personen, die für die letzten 30 Tage starkes Verlangen angaben, eine höhere Veränderung in der kognitiven Reaktion bei der Konfrontation mit Alkohol aufweisen.

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Ergebnisse in der OCDS und dem Alkoholreagibilitätstest

Für den Gesamtwert der Obsessive Compulsive Drinking Scale wurden Mittelwert und Standardabweichung berechnet. Außerdem wurde mittels Kolmogorov-Smirnov-Test geprüft, ob die Daten normalverteilt sind. Es zeigt sich, dass der hier gewonnene Mittelwert (M = 16,87; SD = 8,10) etwas unter dem Mittelwert (M = 22,5) der Untersuchung von Anton, Moak und Latham [6] liegt.

Tab. 7 Korrelationskoeffizienten der Zwanghaftigkeit der Obsessive Compulsive Drinking Scale und den Variablen des Alkoholreagibilitätstests
Differenz SpeichelflussDifferenz körperlicher ReaktionDifferenz kognitiver Reaktion
(n = 95)(n = 94)(n = 93)
Zwanghaftigkeit0,1140,1450,298*[]
* Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant.

Es ist erkennbar, dass sich keine Zusammenhänge zwischen den abhängigen Variablen „Speichelfluss” und „Veränderung körperlicher Reaktion” mit der Zwanghaftigkeit der Obsessive Compulsive Drinking Scale finden lassen. Ein hoch signifikantes Ergebnis zeigt sich bei der Korrelation der Zwanghaftigkeit mit der kognitiven Reaktion. Hier liegt ein gering positives Ergebnis vor, das besagt, dass Personen mit einer hohen Zwanghaftigkeit des Verlangens bei der Konfrontation mit Alkohol kognitiv stärker reagieren.

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Ergebnisse im CBQ und dem Alkoholreagibilitätstest

Da sich zum Untersuchungszeitpunkt keine Hinweise zur Auswertung, zu Gütekriterien und zur Struktur des Fragebogens finden ließen, wurde zuerst eine ausführliche Analyse des Fragebogens durchgeführt. Begonnen wurde mit der Berechnung von Mittelwerten, Standardabweichungen und Schwierigkeitsindizes für die Einzelitems. Letztere lagen alle im Bereich von 20 bis 80, es wurden für die weitere Analyse keine Items eliminiert. Anschließend erfolgte die Berechnung der Normalverteilung mittels Kolmogorov-Smirrnov-Test. Diese ergab, dass die Daten aller Einzelitems nicht normalverteilt sind. Im Folgenden wurde zur Klärung der internen Struktur des Fragebogens eine Faktorenanalyse berechnet. Als Extraktionsmethode wurde die Hauptkomponentenmethode verwendet, als Rotationsmethode die Varimax-Methode (eine orthogonale Rotationstechnik) mit Kaiser-Normalisierung. Da zunächst keine Hinweise auf die Anzahl möglicher Faktoren vorlagen, wurde keine Eingrenzung der Faktorenzahl vorgenommen. Es ergab sich, dass vier Faktoren einen Eigenwert über 1 erreichten. Bei einer 4-Faktoren-Lösung ließen sich 69,6 % der Varianz der 20 Variablen erklären, bei einer 3-Faktoren-Lösung 64,2 % und bei einer 2-Faktoren-Lösung 57,5 %. Es zeigt sich, dass anhand dieser Ergebnisse keine eindeutige Auswahl einer Faktorenlösung erfolgen kann. Daher wurden für alle drei Faktorenlösungen die Faktorenladungen der rotierten Faktormatrix berechnet. Anhand dieser Matrizen konnte eine inhaltliche Bewertung der extrahierten Faktoren durchgeführt werden. Dabei zeigt sich, dass die 3-Faktoren-Lösung am besten zu interpretieren ist. Allerdings mussten fünf Items (1, 6, 17, 20, 11) eliminiert werden, da sie auf zwei Faktoren annähernd gleich hoch luden. Die restlichen Items lassen sich zu drei Faktoren zusammenfassen: „Übermächtigkeit und Zwanghaftigkeit des Verlangens”, „Suchtmittelkonsum als Bewältigung von Verlangen” sowie „Dauerhaftigkeit des Verlangens”. Anschließend erfolgte die Bestimmung der internen Konsistenz der Faktoren (mittels Cronbach’s Alpha) und die Berechnung der Trennschärfekoeffizienten für die Einzelitems (siehe Tab. [8]). Bei der Berechnung der Trennschärfekoeffizienten zeigten sich gute Ergebnisse, es musste kein Item aufgrund seiner zu geringen Trennschärfe eliminiert werden. Die Bestimmung von Cronbach’s Alpha ohne das jeweilige Einzelitem ergab nur beim Item 10 („Das Verlangen ist meine Strafe dafür, dass ich süchtig bin”) eine Erhöhung der internen Konsistenz der Subskala „Suchtmittel als Bewältigung von Verlangen”. Daher wurde beschlossen, dieses Item zu eliminieren. Anschließend wurde für alle drei Subskalen Cronbach`s Alpha berechnet (siehe Tab. [8]). Dabei zeigt sich, dass die Faktoren intern konsistent sind (a = 0,78 bis 0,91).

Tab. 8 Faktorenstruktur des Cravings Beliefs Questionnaire
Faktor 1: Übermächtigkeit und Zwanghaftigkeit des Verlangens
n = 95; M = 30,42; SD = 12,33; Alpha = 0,91 = > Normalverteilung (KSZ = 0,739; p = 0,65)
Item-Nr.ItemFaktorladungSchwierigkeitTrennschärfe
3Das Verlangen kann einen verrückt machen.0,800,620,70
2Wenn ich das Verlangen nicht stoppe, wird es immer schlimmer.0,770,750,55
4Ich nehme nur Suchtmittel, weil das Verlangen so stark ist.0,740,550,73
7Wenn das Verlangen einmal angefangen hat, habe ich keine Kontrolle mehr darüber.0,710,560,78
13Das Verlangen macht mich so nervös, dass ich es einfach nicht mehr aushalten kann.0,660,490,75
16Wenn ich wirklich ganz starkes Verlangen verspüre, dann bin ich zu gar nichts mehr fähig.0,600,430,70
12Die Vorstellungen und Gedanken, die ich habe, wenn das Verlangen nach Suchtmitteln stark ist, unterliegen nicht meiner Kontrolle.0,570,480,71
9Ich kann die körperlichen Symptome, die mit dem Verlangen einhergehen, nicht aushalten.0,560,440,72
Faktor 2: Suchtmittelkonsum als Bewältigung von Verlangen
n = 99; M = 6,78; SD = 4,19; Alpha = 0,78 = > keine Normalverteilung (KSZ = 1,55; p = 0,016)
Item-Nr.ItemFaktorladungSchwierigkeitTrennschärfe
19Wenn man starkes Verlangen verspürt, dann ist es in Ordnung, wenn man Suchtmittel nimmt.0,780,320,66
18Wenn das Verlangen zu stark wird, sind Suchtmittel die einzige Lösung, um mit dem Problem fertig zu werden.0,770,460,69
15Ich nehme nur Suchtmittel, weil das Verlangen so stark ist.0,610,260,56
Faktor 3: Dauerhaftigkeit von Verlangen
n = 98; M = 8,20; SD = 4,55; Alpha = 0,86 = > keine Normalverteilung (KSZ = 1,44; p = 0,032)
Item-Nr.ItemFaktorladungSchwierigkeitTrennschärfe
8Ich werde für den Rest meines Lebens Verlangen nach Suchtmitteln haben.0,880,440,76
5Ich werde immer Verlangen nach Suchtmitteln haben.0,820,410,73
14Ich werde nie fähig sein, diesem Verlangen zu widerstehen.0,770,340,71

Die Bestimmung der Interkorrelationen der Subskalen ergab signifikante Zusammenhänge mittlerer Stärke (zwischen 0,51 und 0,58) zwischen allen drei Faktoren. Des Weiteren wurden nun Mittelwerte und Standardabweichungen für die einzelnen Faktoren berechnet. Außerdem wurden die Daten der Subskalen mittels Kolmogorov-Smirrnov-Test auf Normalverteilung geprüft. Hier zeigt sich, dass die Daten des Faktors „Übermächtigkeit und Zwanghaftigkeit des Verangens” normalverteilt sind, für die Daten der anderen beiden Subskalen ließ sich keine Normalverteilung feststellen. Die Ergebnisse zu den Berechnungen bezüglich der Zusammenhänge zwischen den Subskalen des Craving Beliefs Questionnaire und den Variablen des Alkoholreagibilitätstests mittels der Pearson-Korrelation finden sich in Tab. [9].

Tab. 9 Korrelationskoeffizienten der Subskalen des Craving Beliefs Questionnaire und den Variablen des Alkoholreagibilitätstests
Differenz SpeichelflussDifferenz körperlicher ReaktionDifferenz kognitiver Reaktion
(n = 99)(n = 98)(n = 97)
Übermächtigkeit und Zwanghaftigkeit des Verlangens0,1700,1590,273 []**
Suchtmittel als Bewältigung von Verlangen0,236[*]*0,1890,113
Dauerhaftigkeit des Verlangens0,142-0,0110,183
* Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant. ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant.

Es lassen sich keine signifikanten Korrelationen für die Variablen des Craving Beliefs Questionnaire und der abhängigen Variablen „Veränderung körperlicher Reaktion” finden. Für die abhängige Variable „Speichelfluss” zeigt sich ein signifikanter, gering positiver Zusammenhang mit der Variable „Suchtmittel als Bewältigung von Verlangen”. Das heißt, dass Personen, für die es in Ordnung ist, aufgrund von Verlangen Suchtmittel zu nehmen, eine stärkere Veränderung im Speichelfluss bei der Konfrontation mit Alkohol aufweisen. Eine hoch signifikante Korrelation lässt sich für die Variable „Veränderung kognitiver Reaktion” und den Faktor „Übermächtigkeit und Zwanghaftigkeit des Verlangens” zeigen. Dieser gering positive Zusammenhang bedeutet, dass Personen mit vielen bzw. starken Grundüberzeugungen zur Übermächtigkeit und Zwanghaftigkeit ihres Verlangens bei der Konfrontation mit Alkohol kognitiv stärker reagieren.

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Diskussion

Craving ist ein vielschichtiges und komplexes Konstrukt, die theoretische Fundierung und empirische Erfassung bleibt schwierig. Die vorgestellte Studie hat versucht, verschiedene Instrumente bei der Erhebung des Cravings zu nutzen. Die Resultate im Alkoholreagibilitätstest zeigen, dass sich bei der Messung des Speichelflusses bei alkoholabhängigen Probanden keine Unterschiede unter den verschiedenen Versuchsbedingungen ergeben. Möglicherweise ist dieses Ergebnis durch den Testaufbau beeinflusst. So ist plausibel, dass der Speichelfluss bei der Alkoholkonfrontation durch die vorherige Messung reduziert ist, da der Mund bei der ersten Übung mit Wasser wohl nicht so trocken war wie nach diesem Versuchsteil. Bei den körperlichen und kognitiven Reaktionen zeigen sich Unterschiede. Es bleibt zu klären, ob es sich bei den verstärkten körperlichen Reaktionen bei der Alkoholexposition um ein verlangensspezifisches Phänomen handelt, oder um eine allgemeine Erhöhung des Erregungsniveaus durch die Nähe des alkoholischen „Lieblingsgetränkes”.

Interessant sind die gefundenen Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß von kognitiver und körperlicher Reaktion beim Alkoholreagibilitätstest und den Ergebnissen in den Selbstbeurteilungsskalen zum Craving. Personen, die vermehrt intrapersonelle Risikosituationen im IDTSA beschreiben, weisen auch stärkere kognitive und körperliche Reaktionen auf. Auch die subjektiv erlebte Stärke des Alkoholverlangens in den letzten 30 Tagen vor dem Alkoholreagibilitätstests korreliert mit dem Ausmaß an kognitiven Reaktionen bei dem konkreten Versuch.

Weiter steht die Zwanghaftigkeit des Alkoholverlangens in einem Zusammenhang mit dem Craving bei der Konfrontation mit Alkohol. Je stärker die Grundüberzeugungen bezüglich der Macht (Übermächtigkeit und Zwanghaftigkeit) von Alkoholverlangen sind, desto ausgeprägter ist die kognitive Reaktion bei der Konfrontation mit Alkohol. Interessant ist, dass die Grundüberzeugung, wonach die Einnahme von Suchtmitteln in Ordnung ist, wenn Verlangen auftritt, mit dem vermehrten Speichelfluss zusammenhängt. Solche Probanden könnten laut dem Modell von Beck et al. [5] kurz davor sein, ihr Verhalten umzusetzen. Die Erfassung der vielfältigen Bedingungen zum Craving sind sehr wohl auch bedeutsam für die Therapie. Insbesondere wurden von einer Reihe von Autoren Expositionsverfahren in vivo in der Behandlung von Suchtmittelabhängigen eingesetzt [21] [22]. Die Übungssituationen werden durch die Konfrontation mit persönlich relevanten Auslösebedingungen (z. B. die Konfrontation mit alkoholischen Getränken, das Aufsuchen von früheren Trinkorten) so gestaltet, dass eine erhebliche Versuchung oder Verführung, Alkohol einzunehmen, entsteht [23]. In der Untersuchung von Veltrup [24] konnte gezeigt werden, dass bei einem großen Teil der wieder trinkenden Patienten in einer solchen Situation subjektiv ein Alkoholcraving wahrgenommen wird. Ziel der Expositionsübungen ist, dass Abstinente selbst bei starkem Verlangen nach Suchtmitteln in einer persönlichen Risikosituation standhalten können und dadurch Zugang zu neuen Bewältigungsmöglichkeiten und Selbstvertrauen finden. [25]. Dies gilt v. a. für das Bewältigen von intrapersonellen Risikosituationen. Erste Studien sprechen für die Wirksamkeit von Exposition in vivo bei der Behandlung von Suchtmittelabhängigen [26].

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Literatur

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  • 23 Lindenmeyer J. Führe Dich in Versuchung ... Neue Wege der Rückfallbehandlung.  Suchtreport. 1995;  1 38-43
  • 24 Veltrup C. Abstinenzgefährdung und Abstinenzbeendigung von Alkoholabhängigen nach einer umfassenden stationären Entzugsbehandlung. Münster; Waxmann 1995
  • 25 Drummond D C, Tiffany S G, Glautier S, Remington B. Cue exposure in understanding and treating addictive behaviours. Drummond DC, Tiffany ST, Glautier S Addictive behaviour: Cue exposure theory and practice Chichester; Wiley 1995: 1-20
  • 26 Rohsenow D J, Monti P M, Abrams D B. Cue exposure treatment in alcohol dependence. Drummond DC, Tiffany ST, Glautier S, Remington B Addictive behaviour: Cue exposure theory and practice Chichester; Wiley 1995: 168-196

Dr. phil. Clemens Veltrup

Therapieverbund Ostsee

Weidenweg 9-15

23562 Lübeck

Email: veltrup@tvo.kte-ag.de

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Literatur

  • 1 Watzl H, Gutbrod K. Verlangen nach Alkohol - Begriffsbestimmung, empirische Befunde und Erklärungsansätze.  Suchtgefahren. 1983;  29 19-27
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Dr. phil. Clemens Veltrup

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Abb. 1 Obsessive Compulsive Drinking Scale (OCDS).

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Abb. 2 Craving Beliefs Questionnaire (CBQ).

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Abb. 3 Auftreten von Craving (LCS)

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Abb. 4 Untersuchungsablauf beim Alkoholreagibilitätstest.