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DOI: 10.1055/s-2000-9193
Wertigkeit der retrospektiven Einschätzung der Epworth-Schläfrigkeitsskala nach länger dauernder CPAP-Therapie bei obstruktiver, schlafbezogener Atmungsstörung[1]
- Zusammenfassung:
- Evaluation of the Retrospective Estimation of Daytime Sleepiness According to the Epworth Sleepiness Scale During CPAP-Therapy:
- Einleitung und Fragestellung
- Methodik
- Ergebnisse
- Diskussion
- Schlussfolgerung
- Literatur
Zusammenfassung:
Hintergrund: Leitsymptom des obstruktiven Schlafapnoesyndroms (OSAS) ist die Tagesschläfrigkeit. Standardisierte Fragebogen, wie z. B. die Epworth Schläfrigkeitsskala (ESS) haben sich als diagnostische Verfahren bewährt. Wir untersuchten, ob ein signifikanter Unterschied zwischen der Einschätzung der Tagesschläfrigkeit mittels der ESS vor Therapiebeginn im Vergleich zu einer retrospektiven Einschätzung nach 1 Jahr laufender CPAP-Therapie besteht.
Patienten und Methoden: 46 Patienten (Respiratory distress index = RDI 39/h ± 20,2, CPAP-Druckniveau 8 cm/H2O ± 1,7, CPAP-Anwendungszeit 5,8 h ± 1,8, RDI unter CPAP 7,6/h ± 5,3) wurden eingeschlossen. Verglichen wurde die initiale Einschätzung der Tagessymptomatik (ESS-base) mit der retrospektiven Quantifizierung (ESS-retro).
Ergebnisse: Mit p = 0,06 zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen ESS-base (12,7 ± 4,6) und ESS-retro (12,7 ± 5,2). Signifikant gesenkt ist die Tagesschläfrigkeit dahingegen im Vergleich vor (ESS-base und ESS-retro) und nach CPAP-Therapie (ESS-CPAP 5,4 ± 3,7; p < 0,01).
Schlussfolgerung: Die vorliegende Arbeit zeigt, dass sich im Vergleich einer zum Zeitpunkt der Diagnosestellung und einer retrospektiv unter bereits laufender CPAP-Therapie erhobenen Einschätzung der initialen Tagesschläfrigkeit mittels ESS kein signifikanter Unterschied feststellen lässt. Somit ist auch eine retrospektive Einschätzung der ESS ein hilfreiches diagnostisches Werkzeug.
#Evaluation of the Retrospective Estimation of Daytime Sleepiness According to the Epworth Sleepiness Scale During CPAP-Therapy:
Background: Daytime-sleepiness is the main symptom of the obstructive sleep apnoea syndrome. Standarized questionaires (e. g. the Epworth sleepinness scale = ESS) have become usefull diagnostic tools. In this study we investigated wether there is a difference between the estimation of initial “pre-treatment” daytime sleepiness (by ESS) compared to the retrospective ESS score after implementation of CPAP therapy. Patients and Methods: We included 46 patients (RDI 39/h ± 20.2, CPAP pressure 8 cm/H2O ± 1.7, daily use of 5.8 h ± 1.8, RDI with CPAP 7.6/h ± 5.3). We examined the ESS score before CPAP-therapy (ESS-base) in comparison to the retrospective estimation of the initial conditions after one year of CPAP-therapy (ESS-retro). Results: There was no statistical significant difference between ESS base (11.7 ± 4.6) and ESS-retro (12.7 ± 5.2). ESS decreased to 5.4 ± 3.7 by CPAP-therapy (p < 0.01). Conclusion: From a chronological point of view ESS is a consistent parameter of daytime sleepiness. Hence, the retrospective estimation of pre-CPAP ESS can be considered as a useful diagnostic tool.
#Einleitung und Fragestellung
Die Tagesschläfrigkeit ist das Leitsymptom vieler Schlafstörungen, insbesondere auch des obstruktiv bedingten Schlafapnoesyndroms (OSAS). Standardisierte Fragebogen haben sich im klinischen Alltag als diagnostische Verfahren zur Einschätzung des Schweregrades der Tagesschläfrigkeit bei schlafbezogenen Atemstörungen (SBAS) etabliert [1].
Die Epworth-Schläfrigkeitsskala (ESS) stellt seit ihrer Validierung durch M. W. Johns am Epworth Hospital in Melbourne [2] ein hilfreiches Instrument zur subjektiven Quantifizierung der Tagesschläfrigkeit dar. Dabei bestehen eine hohe Reliabilität und interne Konsistenz [3]. Zudem eignet sich die ESS als Verlaufsparameter der Tagesschläfrigkeit nach Beginn einer CPAP-Therapie, denn es konnte gezeigt werden, dass der gewünschte Therapieeffekt anhand der Reduktion der ESS-Punktwerte nachvollziehbar wird [3] [4].
Schließlich ist die ESS ein wertvoller Parameter zur Quantifizierung der Tagesschläfrigkeit unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten.
Vor diesem Hintergrund untersuchten wir, ob die mittels ESS prospektiv erhobene Einschätzung der Tagesschläfrigkeit bei OSA-Patienten vor Beginn einer CPAP-Therapie (Prä-CPAP) mit der retrospektiv erhobenen prä-CPAP-ESS nach mindestens einem Jahr effektiver CPAP-Therapie konsistent ist oder eine Variabilität aufweist. Die zugrundeliegende klinische Fragestellung lautet, ob auch bei nicht vorhandener Ausgangs-ESS die retrospektive Einschätzung Aussagekraft besitzt.
#Methodik
Entsprechend der in Abb. [1] vorgestellten Version der ESS ordnet der Patient jeder der acht aufgeführten Fragen nach situationsbedingter Einschlafwahrscheinlichkeit auf einer Analogskala einen numerischen Wert von 0 - 3 Punkten zu, so dass bei maximaler Symptomausprägung ein Wert von 24 Punkten erreicht werden kann.
Wir verglichen den vor Einstellung auf ein CPAP-Verfahren erhobenen Wert der ESS (ESS base) mit der retrospektiven Einschätzung der initialen Tagesschläfrigkeit (ESS retro) im Rahmen einer Verlaufskontrolle nach einem Jahr effektiver n-CPAP-Therapie. Schließlich wurde der aktuelle ESS-Wert nach einem Jahr CPAP-Therapie erhoben (ESS-CPAP). Konkret konnte ESS base aus den Krankenunterlagen des ersten stationären Aufenthaltes entnommen werden, ESS retro und CPAP wurden anlässlich der oben erwähnten stationären Verlaufskontrolle schon während des ärztlichen Aufnahmegespräches erfasst.
Die schlafbezogenen Parameter (Respiratory distress index = RDI) wurden vor und nach einem Jahr CPAP-Therapie mittels Polygraphie (Poly-Mesam, MAP) dokumentiert.
Die statistische Auswertung erfolgte zunächst deskriptiv (Alter, Geschlechterverteilung, BMI, CPAP mittlere Drucke, RDI, Lagemaße der ESS-Werte), im weiteren dann mittels Wilcoxon-Test.
#Ergebnisse
Insgesamt 46 Patienten (45 Männer, 1 Frau; im Mittel 58 Jahre ± 9,3 alt, mit im Mittel BMI 31 kg/m2) wurden untersucht.
Bei einem durchschnittlich mittelgradig bis schwergradig ausgeprägten Ausgangsbefund eines OSAS (RDI im Mittel 39 ± 20,2/h) kam die CPAP-Therapie (mittleres CPAP-Druckniveau von 8 ± 1,7 cmH2O) mit befriedigender Compliance (mittlere Anwendungsstunden: 5,8 ± 1,8 h/d) zum Einsatz. Die Reduktion des RDI unter CPAP auf im Mittel 7,6 ± 5,3/h) belegt die Therapieeffektivität.
Die subjektive Quantifizierung der Tagesschläfrigkeit mittels ESS vor Therapiebeginn (ESS-base) lag im Mittel bei 11,7 (± 4,6) Punkten, retrospektiv wurde die Ausgangssituation (ESS-retro) auf im Mittel 12,7 (± 5,2) Punkte geschätzt. Damit lag kein statistisch signifikanter Unterschied vor (p = 0,06, siehe auch Abb. [2]).
Deutlich signifikant erwies sich jedoch der Unterschied zwischen ESS-base und nach 1 Jahr der effektiven CPAP-Therapie (im Mittel 5,4 ± 3,7; p < 0,01).
#Diskussion
Im Vergleich der prospektiv bestimmten ESS (ESS-base) mit der retrospektiven Einschätzung der ESS vor Beginn der CPAP-Therapie ergab sich für das Gesamtkollektiv keine signifikante Differenz.
Chronologisch gesehen ist die ESS somit ein Parameter mit einer hohen „Re-Test-Reliabilität” bzw. guten Validität in der retrospektiven Einschätzung. Mit anderen Worten ist die retrospektiv getroffene Einschätzung der ESS vor CPAP-Therapie ein valides diagnostisches Werkzeug.
Auch bei einem Kollektiv gesunder Studenten ist dabei die Zuordnung der Tagesschläfrigkeit mittels ESS im zeitlichen Verlauf konsistent [3], was unsere Untersuchungsergebnisse bestätigt.
In diesem Zusammenhang muss kritisch betont werden, dass die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass die retrospektiv erhobenen ESS nur in größeren Kollektiven unter wissenschaftlichen Fragestellungen im Mittel zuverlässig erhoben werden kann. Im Einzelfall lassen sich dahingegen z. T. erhebliche, retrospektiv sowohl aggravierend als auch dissimulierend abweichende Einschätzungen (ESS base versus ESS retro siehe Abb. [2]) bezüglich der initialen Tagesschläfrigkeit dokumentieren.
Die nachweisbaren Differenzen bei der retrospektiven Betrachtung sind dabei möglicherweise Ausdruck einer emotionalen Wertung. Die ESS als subjektive, retrospektive Beschreibung der Ausprägung der Tagesbefindlichkeit über einen längeren Zeitraum unterliegt Einflussgrößen aus dem Bereich der Emotions- und Sozialpsychologie. Diese Schlagwörter sollen verdeutlichen, dass die getroffene Einschätzung nur im Spannungsfeld der aktuellen subjektiven Emotionalität und des sozialen Wahrnehmungsfeldes zu interpretieren ist. Die im Einzelfall imponierende Streuung zwischen der Einschätzung ESS-base und -retro zeigt, dass die Angaben auf Plausibilität zu prüfen bleiben und ein Anamnesegespräch nicht zu ersetzen ist.
Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen, dass die ESS die subjektive wahrgenommene Therapieeffektivität reflektiert, da sich eine deutliche Besserung der Tagesschläfrigkeit unter CPAP findet.
Der generelle Stellenwert der ESS als diagnostisches Werkzeug kann anhand der vorliegenden Arbeit nicht überprüft werden, denn die vorliegende Arbeit ist dadurch limitiert, dass keine Korrelation zu neuropsychologischen Tests und anderen Verfahren zur Beurteilung der Tagesschläfrigkeit (bspw. standardisierte Fragebogen oder dem Multiple Sleep Latency Test = MSLT bzw. Maintenance of Wakefullness Test = MWT) vorgenommen wurde. Damit kann die subjektive Einschätzung des Patienten nicht objektiviert werden.
Auf der anderen Seite ist nicht zuletzt unter Berücksichtigung einer aktuellen Arbeit von Johns [5] zu diskutieren, ob der bisherige Ansatz, Verfahren wie den MSLT als Goldstandard der Evaluation der Tagesschläfrigkeit zu definieren, nicht revidiert werden muss. Die ESS zeigte sich im Vergleich der diagnostischen Verfahren in der angesprochenen Studie als am meisten diskriminierender Faktor, um Tagesschläfrigkeit bei verschiedenen zugrundeliegenden Erkrankungen zu differenzieren. Zeit- und Arbeitsaufwendigkeit sowie die realitätsfernen Schlaflaborkonditionen sind weitere Handikaps der angesprochenen objektiven Verfahren.
In unserem Zusammenhang ist die Frage von entscheidender Bedeutung, welchen Stellenwert die ESS im diagnostischen Repertoire des OSAS einnimmt? Aus der Literatur ist bekannt, dass zwischen der subjektiven Einschätzung der Einschlafneigung durch den Patienten oder durch dessen Ehepartner und der im Verlauf zu objektivierenden Ausprägung des OSAS, konkret z. B. in Bezug auf den RDI, keine Korrelation besteht [6]. Ebenso wenig lassen sich die ESS-Resultate mit scheinbar „objektiven” Messergebnissen (MSLT oder MWT) korrelieren [7] [8]. Dieser Umstand wundert nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass doch unterschiedliche Aspekte der Tagesschläfrigkeit, nämlich subjektives Erleben und objektive Auswirkung (bspw. auf die Vigilanz), überprüft werden.
Das komplexe Phänomen der Tagesschläfrigkeit wird somit am ehesten in der Kombination verschiedener Untersuchungsverfahren adäquat erfasst.
Im Methodenvergleich besteht jedoch der wesentliche Vorteil der ESS in ihrer einfachen Struktur. Dieser Umstand resultiert in leicht und verlässlich reproduzierbaren Resultaten unabhängig von Bildungsniveau, Kultur und Sprache des Befragten [9] [1].
Abschließend soll kritisch angemerkt werden, dass trotz einer deutschsprachigen Validierung [9] in den schlafmedizinischen Zentren unterschiedliche „Hausversionen” der ESS verbreitet sind. Möglicherweise trägt die im DGSM Rundbrief des April 2000 veröffentlichte Version in dieser Hinsicht zu einer Vereinheitlichung bei [10], siehe auch Abb. [1].
#Schlussfolgerung
Die ESS stellt auch nach längerer CPAP-Therapie beim OSAS retrospektiv ein wertvolles diagnostisches Hilfsmittel zur Einschätzung der Tagesschläfrigkeit dar.
#Literatur
- 1 Johns M W. Daytime sleepiness, snoring and obstructive sleep apnea. The Epworth Sleepiness Scale. Chest. 1993; 103 30-36
- 2 Johns M W. A new method for measuring daytime sleepiness: The Epworth Sleepiness Scale. Sleep. Dec 1991; 14(6) 540-545
- 3 Johns M W. Reliability and factor analysis of the Epworth sleepiness scale. Sleep. Aug 1992; 15(4) 376-381
- 4 Hardinge F M, Pitson D J, Stradling J R. Use of the Epworth Sleepiness Scale to demonstrate response to treatment with nasal continuous positive airway pressure in patients with obstructive sleep apnea. Respir Med. Oct 1995; 89(9) 617-620
- 5 Johns M W. Sensitivity and specificity of the multiple sleep latency test (MSLT), the maintenance of wakefulness test and the Epworth sleepiness scale. J Sleep Res. 2000; 9 5-11
- 6 Kingshott P N, Sime P J, Engleman H M, Douglas N J. Self assessment of daytime sleepiness: patient versus partner. Thorax. Sep 1995; 50(9) 994-995
- 7 Benbadis S R, Mascha E, Perry M C, Wolgamuth B R, Smolley L A, Dinner D S. Association between the Epworth sleepiness scale and the multiple sleep latency test in a clinical population. Ann Intern Med. Feb 1999; 130(4Pt 1) 284-292
- 8 Olson L G, Cole M F, Ambtogetti A. Correlations among Epworth Sleepiness Scale scores, multiple sleep latency tests and psychological symptoms. J Sleep Res. Dec 1988; 7(4) 248-253
- 9 Bloch K E, Schoch O D, Zhang J N, Russi E W. German Version of the Epworth Sleepiness Scale. Respiration. Oct 1999; 66(5) 440-447
- 10 Fragebogen zur Tagesschläfrigkeit. DGSM Rundbrief. April 2000: 11
1 Der Inhalt der Arbeit wurde bereits auf der Tagung der Sektion schlafbezogener Atmungs- und Kreislaufstörungen (12/13. 11. 1999 in Hagen) in Form eines Kurzvortrages präsentiert.
Dr C Zimmermann
Krankenhaus Kloster Grafschaft, Zentrum für Pneumologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin
57392 Schmallenberg Grafschaft
Literatur
- 1 Johns M W. Daytime sleepiness, snoring and obstructive sleep apnea. The Epworth Sleepiness Scale. Chest. 1993; 103 30-36
- 2 Johns M W. A new method for measuring daytime sleepiness: The Epworth Sleepiness Scale. Sleep. Dec 1991; 14(6) 540-545
- 3 Johns M W. Reliability and factor analysis of the Epworth sleepiness scale. Sleep. Aug 1992; 15(4) 376-381
- 4 Hardinge F M, Pitson D J, Stradling J R. Use of the Epworth Sleepiness Scale to demonstrate response to treatment with nasal continuous positive airway pressure in patients with obstructive sleep apnea. Respir Med. Oct 1995; 89(9) 617-620
- 5 Johns M W. Sensitivity and specificity of the multiple sleep latency test (MSLT), the maintenance of wakefulness test and the Epworth sleepiness scale. J Sleep Res. 2000; 9 5-11
- 6 Kingshott P N, Sime P J, Engleman H M, Douglas N J. Self assessment of daytime sleepiness: patient versus partner. Thorax. Sep 1995; 50(9) 994-995
- 7 Benbadis S R, Mascha E, Perry M C, Wolgamuth B R, Smolley L A, Dinner D S. Association between the Epworth sleepiness scale and the multiple sleep latency test in a clinical population. Ann Intern Med. Feb 1999; 130(4Pt 1) 284-292
- 8 Olson L G, Cole M F, Ambtogetti A. Correlations among Epworth Sleepiness Scale scores, multiple sleep latency tests and psychological symptoms. J Sleep Res. Dec 1988; 7(4) 248-253
- 9 Bloch K E, Schoch O D, Zhang J N, Russi E W. German Version of the Epworth Sleepiness Scale. Respiration. Oct 1999; 66(5) 440-447
- 10 Fragebogen zur Tagesschläfrigkeit. DGSM Rundbrief. April 2000: 11
1 Der Inhalt der Arbeit wurde bereits auf der Tagung der Sektion schlafbezogener Atmungs- und Kreislaufstörungen (12/13. 11. 1999 in Hagen) in Form eines Kurzvortrages präsentiert.
Dr C Zimmermann
Krankenhaus Kloster Grafschaft, Zentrum für Pneumologie, Allergologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin
57392 Schmallenberg Grafschaft